TE Vwgh Erkenntnis 2003/5/22 2001/20/0129

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 22.05.2003
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Index

41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

AsylG 1997 §7;
AsylG 1997 §8;
FrG 1997 §57 Abs1;
FrG 1997 §57 Abs2;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kremla und die Hofräte Dr. Nowakowski, Dr. Sulzbacher, Dr. Grünstäudl und Dr. Moritz als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Trefil, über die Beschwerde der W alias A in M, geboren am 31. Dezember 1950, vertreten durch Mag. Sylvia Hafner, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Stubenring 16/10, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 11. Dezember 2000, Zl. 218.503/0-IX/27/00, betreffend §§ 7 und 8 Asylgesetz (weitere Partei: Bundesminister für Inneres), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 908,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Die Beschwerdeführerin, eine Staatsangehörige des Iran, reiste am 7. Oktober 1999 in das Bundesgebiet ein und stellte an diesem Tag einen Asylantrag. Anlässlich der Stellung dieses Asylantrag wurde sie am Flughafen Schwechat von der Bundespolizeidirektion Schwechat einvernommen und gab an, aus politischen Gründen aus dem Iran geflüchtet zu sein. Ihr Ehemann und sie hätten an den Demonstrationen gegen die Regierung im Jahr 1999 teilgenommen. Die Demonstranten seien gefilmt worden und hätten deswegen flüchten müssen. Ihr Ehemann sei ebenfalls auf der Flucht. Sie wisse nicht, wo er sich zur Zeit aufhalte.

Bei ihrer Einvernahme vor dem Bundesasylamt am 19. April 2000 führte die Beschwerdeführerin im Wesentlichen aus, ihr Ehemann sei Mitglied der kommunistischen Tudeh-Partei, sie selbst sei Sympathisantin dieser Bewegung. Ziel der Bewegung sei es, dass zwar die islamische Republik bestehen bleibe, jedoch mit anderen Funktionären, mehr Macht des Parlaments und auch mehr Meinungsfreiheit. Die Beschwerdeführerin habe regelmäßig die Parteizeitschrift gelesen und Propaganda gemacht, so gut sie gekonnt habe. Ihr Ehemann sei Richter gewesen. Sie verfüge über Dokumente, aus denen hervorgehe, dass ihr Ehemann als Richter gearbeitet habe, von 1983 bis 1985 inhaftiert gewesen und entlassen worden sei, ferner verfüge sie über Bestätigungen über Gefängnisaufenthalte und Bestätigungen der Partei. Am 9. und 10. Juli 1999 hätten in Teheran die großen Studentendemonstrationen stattgefunden. Die Beschwerdeführerin sei mitmarschiert und habe am 9. Juli 1999 gegen das Regime demonstriert. Am 13. Juli 1999 habe sie für sich und ihre Kinder ein Ruftaxi bestellt, weil sie eine Freundin in Teheran hätten besuchen wollen. Auch an diesem Tag sei es zu Studentenunruhen gekommen, an denen sie mit dem Taxi vorbeigefahren seien. Die Beschwerdeführerin habe dem Taxilenker gegenüber geäußert, dass sie die Demonstrationen gut finde und der Meinung sei, es wäre besser, wenn das Parlament und der Präsident mehr Macht hätten. Sie habe auch für die Tudeh-Partei Propaganda gemacht. Der Taxilenker habe in der Folge vor einem Gefängnis gehalten und gemeint, das Auto brauche Wasser. Er habe aber dort mit einem Wächter gesprochen. Die Beschwerdeführerin habe daher gemeinsam mit ihren Kindern das Taxi verlassen und sei per Autostop geflüchtet. Sie hätten sich nicht nach Hause sondern zu einer Bekannten begeben, da die Kinder dies geraten hätten, zumal der Taxilenker ihre eigene Wohnadresse gewusst habe. Über den Freund ihres Sohnes hätte sie telefonisch erfahren, dass in der Zwischenzeit der Ehemann der Beschwerdeführerin von zwei Männern abgeholt worden sei. Am 14. Juli 1999 hätte sich die Beschwerdeführerin mit ihren Kindern mit einem "Privattransport" nach Amol begeben. Der Sohn der Schwägerin der Beschwerdeführerin habe ihr telefonisch mitgeteilt, dass er in der Wohnung der Beschwerdeführerin Nachschau gehalten und deren Ehemann nicht gefunden habe. Das Haus sei aber durchwühlt worden. Daraufhin habe sich die Beschwerdeführerin mit ihren Kindern in das Ferienhaus der bereits verstorbenen Schwiegereltern nach Niak begeben, wo sie sich ca. drei Monate aufgehalten hätten. Während dieser Zeit hätten ihre Schwägerin und deren Sohn die Ausreise organisiert. Da der Reisepass der Beschwerdeführerin versteckt gewesen sei, sei er bei der Durchsuchung des Hauses nicht gefunden worden. So habe sie mit ihrem Reisepass ausreisen können. Gleiches gelte für die Unterlagen, die ihren Mann beträfen. Ab der Enthaftung ihres Ehemannes im Jahre 1985 sei die Wohnung immer wieder durchsucht worden. Ihr Mann sei seit damals auch arbeitslos gewesen. Die Familie habe jedoch über Grundstücke verfügt und daher genügend Geld gehabt. Die Beschwerdeführerin selbst habe im Jahr 1996 ihre Arbeit gekündigt, weil sie an einer Nervenkrankheit gelitten habe und noch immer leide.

Nach den im Akt befindlichen Übersetzungen der den Ehemann der Beschwerdeführerin betreffenden Unterlagen sei dieser ehemaliger einvernehmender Beamter des Allgemeinen Gerichtshofes Esfarayen gewesen. Er sei wegen Tätigkeit bei der aufgelösten Tudeh-Partei und Verfolgung ihrer politischen Zielsetzung sowie wegen Gewährung finanzieller Unterstützung und wegen "unguter" Behandlung mancher Beschuldigter und Parteien und der daraus resultierenden Skepsis der Bevölkerung gegenüber der Ortsjustiz zu einer unbedingten Haftstrafe von einem Jahr und zu einer einjährigen Haftstrafe, bedingt auf zwei Jahre, sowie zur Entlassung aus dem Gerichtsdienst verurteilt worden. Das Urteil sei am 27. März 1984 ergangenen. Gemäß einem Schreiben des islamischen Revolutionsgerichts vom 24. Jänner 1985 sei der Ehemann der Beschwerdeführerin zu fünf Monaten Haft und einer Geldstrafe verurteilt worden. Aus einem Schreiben des Zentralkomitees der Tudeh-Partei des Iran vom 8. Jänner 2000 geht nach den Übersetzungen weiter hervor, dass die Beschwerdeführerin Sympathisantin dieser Partei gewesen sei.

Mit Bescheid vom 14. Juli 2000 wies das Bundesasylamt den Asylantrag der Beschwerdeführerin gemäß § 7 Asylgesetz ab und erklärte ihre Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung in den Iran gemäß § 8 Asylgesetz für zulässig. Begründend wurde im Wesentlichen ausgeführt, das Vorbringen der Beschwerdeführerin sei in keiner Weise glaubwürdig. Der Ehemann der Beschwerdeführerin sei, abgesehen davon, dass seine Verfolgung hinsichtlich der Beschwerdeführerin nicht entscheidungsrelevant sein könne, nur wegen strafrechtlicher Vergehen rechtmäßig verurteilt worden. Ebenso stünde es dem Iran zu, behördliche Maßnahmen gegen Demonstrationen für die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ruhe und Ordnung zu setzen. Unglaubwürdig sei es weiters, dass der Taxilenker, wenn er die Beschwerdeführerin hätte der Verhaftung zuführen wollen, ihr die Gelegenheit zur Flucht gelassen hätte. Die Durchsuchung der Wohnung sei ebenfalls nicht glaubhaft, da nicht anzunehmen sei, dass den durchsuchenden Organen der Reisepass und die Dokumente, die die Beschwerdeführerin vorgelegt habe, entgangen wären. Unglaubwürdig sei das Vorbringen auch im Hinblick darauf, dass die Beschwerdeführerin den Iran habe unbehelligt verlassen können.

In ihrer Berufung gegen diesen Bescheid wiederholte die Beschwerdeführerin im Wesentlichen ihr bisheriges Vorbringen.

Bei der mündlichen Berufungsverhandlung vor der belangten Behörde am 29. November 2000 brachte die Beschwerdeführerin vor, nicht sie habe ihre Arbeit aus psychischen Gründen aufgegeben, sondern sie sei dazu von ihrem Arbeitgeber gedrängt worden. Die Arbeitsumstände seien so schlecht gemacht worden, dass sie davon psychische Probleme bekommen habe, und außerdem sei ununterbrochen Druck auf sie ausgeübt worden. Der Sohn der Beschwerdeführerin führte bei der mündlichen Verhandlung aus, dass seine Mutter bei der Taxifahrt am 13. Juli 1999 mit dem Taxifahrer politisiert habe. Dieser habe das islamische Regime verteidigt. Der Sohn der Beschwerdeführerin habe daraufhin schlimme Ausdrücke über Chomeini und Chamenei gebraucht. Dies seien sehr ordinäre Schimpfwörter gewesen. Des weiteren wurde der Sohn der Beschwerdeführerin zu den näheren Umständen der Flucht befragt. Sein Vater habe in der Zwischenzeit in Österreich angerufen und erzählt, dass er festgenommen worden sei und man ihm während der Haft einen Zahn ausgeschlagen habe. Nach einiger Zeit sei er wieder freigelassen worden. Die Wohnung in Teheran sei als Pfand dafür genommen worden, dass er das Land nicht verlasse. Ebenso wurde die Tochter der Beschwerdeführerin zu den Vorkommnissen bei der Taxifahrt und den näheren Umständen der Flucht befragt. Zu den Unterlagen betreffend ihren Mann erklärte die Beschwerdeführerin daraufhin, dass ihr Mann zuerst von einem Gericht zu zwei Jahren Haft verurteilt worden sei, davon ein Jahr bedingt und ein Jahr unbedingt. Da ihr Mann aber Richter gewesen sei, sei der Akt an ein anderes Gericht weitergeleitet worden, das ihn stattdessen zu fünf Monaten Haft und einer Geldstrafe von 10.000 Rial verurteilt habe. Faktisch sei ihr Mann aber mit einer einmonatigen Unterbrechung zwei Jahre und ein Monat in Haft gewesen. Da ihr Mann Richter gewesen sei, sei der Oberste Justizrat zuständig gewesen, der jedoch nach außen nicht in Erscheinung trete. Ausfertigende Stelle sei nur das Revolutionsgericht. Als der Akt zum Obersten Justizrat gegangen sei, sei ihr Mann 40 Tage in der Zelle, die für Leute vorgesehen sei, auf die die Todesstrafe warte, inhaftiert gewesen. Der Oberste Justizrat habe aber dann anders entschieden. Ein Mitglied des Obersten Justizrates habe auch befohlen, die Entlassung ihres Mannes in eine "Abfertigung" von etwa 400.000 Rial "umzuwandeln". Einer Überprüfung der vorgelegten Urkunden durch einen Experten der österreichischen Botschaft in Teheran würde die Beschwerdeführerin zustimmen. Weiters führte die Beschwerdeführerin aus, sie habe im Iran die besten Ärzte gehabt und sicher nicht wegen ihrer Krankheit die Veranlassung gehabt, den Iran zu verlassen. Zu dem Aufenthalt in Niak ergänzte die Beschwerdeführerin, sie seien schon lange nicht dort gewesen und daher für Touristen gehalten worden. So seien sie nicht aufgefallen. Die Beschwerdeführerin erklärte weiters auf Anfrage, dass sie den Aussagen ihrer Kinder nichts hinzuzufügen habe.

Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangten Behörde die Berufung der Beschwerdeführerin ab. Begründend wurde im Wesentlichen ausgeführt, die von der Beschwerdeführerin dargelegten Fluchtgründe seien zum Teil nicht glaubwürdig und zum Teil nicht asylrelevant. Es könne nicht festgestellt werden, dass die Beschwerdeführerin den Iran aus den von ihr angegebenen Gründen verlassen habe, da einerseits in ihrem Vorbringen selbst, andererseits aber auch im Verhältnis zu den Aussagen ihrer Kinder nicht bloß geringfügige Widersprüche und Ungereimtheiten aufgetreten seien. Vor der Bundespolizeidirektion Schwechat habe die Beschwerdeführerin vorgebracht, sie und ihr Ehemann hätten an Demonstrationen gegen die Regierung teilgenommen, die Demonstranten seien gefilmt worden und sie hätten deswegen flüchten müssen. Vor dem Bundesasylamt habe die Beschwerdeführerin als fluchtauslösendes Moment den Umstand angegeben, dass sie ein Taxifahrer nach einer politischen Diskussion an Sicherheitsbeamte in einem Gefängnis habe ausliefern wollen. Dass sie an Demonstrationen teilgenommen habe, habe sie nur noch am Rande erwähnt. Während die Beschwerdeführerin und ihre Tochter gesagt hätten, sie seien mit dem Taxi zu einer Freundin bzw. Bekannten gefahren, habe der Sohn der Beschwerdeführerin ausgeführt, das Taxi hätte sie nach Hause bringen sollen. Nach den Angaben der Beschwerdeführerin und ihres Sohnes sei sie mit ihren Kindern am Tag nach dem Vorfall nach Amol gefahren. Nach der Aussage ihrer Tochter habe diese Fahrt noch am selben Tag stattgefunden. Während die Tochter (richtig offenbar: der Sohn) der Beschwerdeführerin weiters angegeben habe, sie seien von Niak direkt zum Teheraner Flughafen gefahren, habe die Tochter der Beschwerdeführerin davon gesprochen, sie seien zuerst zu einer Bekannten zurück nach Teheran und erst am nächsten Tag zum Flughafen gefahren. Betrachte man die Aussagen der Beschwerdeführerin und ihrer Kinder, falle auf, dass in manchen Punkten die Angaben des Sohnes der Beschwerdeführerin von denen seiner Mutter und seiner Schwester abwichen, während in anderen Punkten das Vorbringen der Tochter mit dem der Beschwerdeführerin und ihres Sohnes nicht übereinstimme. Deshalb sowie auf Grund des persönlichen Eindruckes, der der erkennenden Behörde bei der Berufungsverhandlung vermittelt worden sei, sei nicht anzunehmen, dass die Widersprüche darauf beruhten, dass eines der Familienmitglieder (im Gegensatz zu den anderen) die Wahrheit gesagt habe. Vielmehr sei von einer schlecht abgesprochenen, erfundenen Fluchtgeschichte auszugehen. Da die aufgezeigten Widersprüche hinsichtlich des Vorfalles, der nach dem Vorbringen der Beschwerdeführerin fluchtauslösend gewesen sei, sowie der damit in einem engen Zusammenhang stehenden Umstände der Fluchtvorbreitung in den letzten Wochen vor der Ausreise der Beschwerdeführerin aus dem Iran und somit in einem zentralen Punkt ihres Vorbringens zu ihren Fluchtgründen aufgetreten seien, habe dem Vorbringen in seiner Gesamtheit kein Glaube geschenkt werden können. Auf Grund des festgestellten Sachverhaltes könne weder davon ausgegangen werden, dass es der Beschwerdeführerin gelungen sei, wohlbegründete Furcht vor Verfolgung im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention glaubhaft zu machen, noch dass stichhaltige Gründe dafür bestünden, dass die Beschwerdeführerin nach einer Rückkehr in den Iran erniedrigender oder unmenschlicher Behandlung oder Strafe oder der Todesstrafe ausgesetzt wäre. Von einer Überprüfung der vorgelegten iranischen Dokumente auf ihre Echtheit habe abgesehen werden können, da auch dann, wenn von deren Authentizität auszugehen sei, für die Beschwerdeführerin nichts gewonnen werden könnte. Das Vorgehen der Behörden gegen den Mann der Beschwerdeführerin liege etwa 15 Jahre zurück, sodass ihm nicht mehr Asylrelevanz zukommen könne. Auf Grund der getroffenen Feststellungen könne auch nicht davon ausgegangen werden, dass dieser Vorfall im Zusammenhang mit aktuellen Ereignissen wieder Bedeutung erlangt hätte. Überdies spreche das Vorbringen der Beschwerdeführerin, ihr Mann habe schließlich eine "Abfertigung" erhalten, gegen eine fortgesetzte Verfolgungsintention der iranischen Behörden. Eine Abschiebung der Beschwerdeführerin in den Iran würde auch vor dem Hintergrund ihrer Angaben zu ihrem Nervenleiden Art. 3 EMRK nicht verletzen, da die Beschwerdeführerin selbst ausgeführt habe, sie sei im Iran von den besten Ärzten behandelt worden.

Über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof erwogen:

Die belangte Behörde stützt ihre Entscheidung zunächst auf Widersprüche, die zwischen den Aussagen der Beschwerdeführerin bei ihrer ersten Einvernahme vor der Bundespolizeidirektion Schwechat und bei ihrer Einvernahme vor dem Bundesasylamt hervorgekommen seien. Die belangte Behörde geht aber nicht darauf ein, dass die Beschwerdeführerin bei der mündlichen Berufungsverhandlung zu Protokoll gegeben hat, bei ihrer "Ersteinvernahme" gedrängt worden zu sein, ihre Fluchtgründe schnell anzugeben. Außerdem räumt die belangte Behörde ein, dass die Beschwerdeführerin bei beiden genannten Einvernahmen auf ihre Teilnahme bei Demonstrationen verwiesen habe. Bei der mündlichen Verhandlung vor der belangten Behörde selbst war die Beschwerdeführerin zu dem eigentlichen fluchtauslösenden Geschehen nicht befragt worden. Ebenso wurde sie nicht dazu befragt, welche Einvernahme sie mit "Ersteinvernahme" gemeint habe. Auf diese Umstände hat die belangte Behörde bei ihrer Beweiswürdigung nicht Bedacht genommen.

Hinsichtlich des persönlichen Eindruckes der Beschwerdeführerin und ihrer Kinder vor der belangten Behörde enthält der angefochtene Bescheid keine Feststellungen, sodass die darauf Bezug nehmenden Ausführungen in der Bescheidbegründung durch den Verwaltungsgerichtshof nicht nachprüfbar sind.

Entgegen der Auffassung der belangten Behörde können auch die im angefochtenen Bescheid aufgezählten Widersprüche zwischen dem Vorbringen der Beschwerdeführerin und jenem ihrer Kinder die Entscheidung der belangten Behörde nicht nachvollziehbar begründen. So findet sich bei der Einvernahme des Sohnes der Beschwerdeführerin zwar der Satz, der Taxifahrer habe gemeint, dass er sie wegen der Demonstrationen auf einem anderen Weg "nach Hause" bringen würde. Aus dem Zusammenhang des Protokolls ergibt sich aber, dass das Wesentliche dieser Aussage darin lag, dass der Taxifahrer einen anderen als den geplanten Weg nahm und dass dies im Zusammenhang mit den Demonstrationen gestanden sei. Weder ist ersichtlich, dass die wesentliche Aussage des Satzes im Fahrziel liegen sollte, noch, dass die Beschwerdeführerin oder ihr Sohn zu diesen Widersprüchen befragt worden wäre. Auch hat der Sohn der Beschwerdeführerin im Folgenden ausgeführt, dass seine Schwester gemeint habe, der Taxifahrer habe ja die genaue Adresse der Familie. Diese Aussage, die im Übrigen im Einklang mit den Aussagen der Beschwerdeführerin und ihrer Tochter steht, und davon ausgeht, dass sie das Taxi von zu Hause abgeholt habe, relativiert die von der belangten Behörde ins Treffen geführte Widersprüchlichkeit der Aussage des Sohnes der Beschwerdeführerin. Hinsichtlich der Fahrt nach Amol hat zwar die Tochter der Beschwerdeführerin ausdrücklich zu Protokoll gegeben, dass diese noch am Dienstag Nachmittag, am selben Tag, stattgefunden habe. Der Sohn der Beschwerdeführerin hat aber lediglich ausgeführt, dass seine Mutter dann "beschlossen" habe, dass sie am nächsten Tag zu Verwandten nach Amol fahren sollten. Wann diese Fahrt tatsächlich stattgefunden hat, hat der Sohn der Beschwerdeführerin nicht zu Protokoll gegeben. Die Beschwerdeführerin selbst wurde vor der belangten Behörde zu dieser Fahrt nicht näher befragt. Dies wäre aber schon deshalb erforderlich gewesen, weil die Beschwerdeführerin bei der Berufungsverhandlung erklärt hat, den Aussagen ihrer Kinder nichts hinzuzufügen zu haben. Da über die tatsächliche Durchführung der Fahrt nur die Aussage der Tochter vorlag, durfte die belangte Behörde nicht davon ausgehen, dass die Beschwerdeführerin selbst etwas anderes als ihre Tochter vertreten hat. Einzuräumen ist allerdings, dass die Aussagen der Beschwerdeführerin vor der Behörde erster Instanz diesbezüglich in Widerspruch zu dem Vorbringen vor der Berufungsbehörde stehen. Die belangte Behörde hat sich allerdings nicht darauf berufen, dass sich die Beschwerdeführerin selbst im vorliegenden Zusammenhang widersprochen hätte. Soweit die belangte Behörde Widersprüche hinsichtlich der Angaben über die Fahrt von Niak zum Teheraner Flughafen darlegt, hat der Sohn der Beschwerdeführerin Folgendes ausgesagt: "Befragt, wie lange wir in Niak geblieben sind, gebe ich an: Bis zu einem Dienstag in der Mitte des Monats Shahivar. Ich korrigiere mich, es war im Monat Mehr 1378. Es war der Tag vor unserem Abflug." Die Tochter der Beschwerdeführerin gab dazu Folgendes zu Protokoll: "Befragt, wie lange wir in Niak geblieben sind, gebe ich an: Bis unsere Sachen erledigt wurden bis zur Ausreise, etwa drei Monate. Befragt, wie die Ausreise organisiert wurde, gebe ich an: Mein Cousin, der in Teheran Student ist, organisierte in Teheran für uns einen Schlepper. Wir fuhren dann an einem Dienstag mit einem Privattaxi nach Teheran zu Frau B. und am nächsten Tag zum Flughafen." Es ist nicht nachvollziehbar, wie die belangten Behörde hier Widersprüche erkennen kann. Beide Aussagen stimmen nämlich insofern überein, als die Fahrt von Niak nach Teheran einen Tag vor dem Abflug stattgefunden hat.

Die Widersprüche in den Aussagen der Beschwerdeführerin und ihrer Kinder sind daher nicht gegeben bzw. nicht von einer Bedeutung, dass daraus auf die Unglaubwürdigkeit der Angaben der Beschwerdeführerin geschlossen werden könnte.

Die belangte Behörde führt in ihrer Bescheidbegründung weiters aus, dass auf Grund der getroffenen Feststellungen nicht davon ausgegangen werden könne, dass der Vorfall, der den Ehemann der Beschwerdeführerin vor etwa 15 Jahren betroffen habe, im Zusammenhang mit den aktuellen Ereignissen wieder Bedeutung erlangt habe. Auch dieser Teil der Bescheidbegründung ist nicht nachvollziehbar, da die belangte Behörde weder Ermittlungen noch Feststellungen zu der Frage getroffen hat, ob bzw. wie weit sich die Verfolgungen, die den Ehemann der Beschwerdeführerin betroffen haben, auf seine Familie auswirken könnten. In diesem Zusammenhang ist insbesondere hervorzuheben, dass Aktivitäten für die Tudeh-Partei offenbar sowohl von der Beschwerdeführerin als auch von ihrem Ehemann gesetzt wurden, dass die Beschwerdeführerin gegenüber dem Taxifahrer für diese Partei agitiert hat und dass der Mann der Beschwerdeführerin im Anschluss an die seinerzeitige Verurteilung noch immer arbeitslos gewesen ist. Dass der Mann der Beschwerdeführerin schließlich eine "Abfertigung" erhalten habe, vermag alleine jedenfalls nicht zu begründen, dass ein Zusammenhang der aktuellen Verfolgungen mit den seinerzeitigen staatlichen Maßnahmen wegen der Aktivitäten für die Tudeh-Partei auszuschließen ist.

Zu bemerken ist schließlich, dass die Entscheidung nach § 8 Asylgesetz im angefochtenen Bescheid lediglich insofern begründet wurde, als eine Abschiebung der Beschwerdeführerin in den Iran nicht zur Folge hätte, dass ihr Nervenleiden nicht behandelt werden könnte. Die belangte Behörde hätte sich bei ihrer Entscheidung aber mit allen Kriterien des § 57 Abs. 1 und 2 Fremdengesetz näher auseinandersetzen müssen.

Die aufgezeigten Verfahrensmängel sind relevant, weil die belangte Behörde bei ihrer Vermeidung zu einem anderen Bescheid hätte kommen können. Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG aufzuheben.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2001.

Wien, am 22. Mai 2003

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2003:2001200129.X00

Im RIS seit

26.06.2003
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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