TE Vwgh Erkenntnis 2003/5/22 2002/20/0469

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Veröffentlicht am 22.05.2003
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Index

10/07 Verwaltungsgerichtshof;
40/01 Verwaltungsverfahren;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

AsylG 1997 §23;
AsylG 1997 §32 Abs2;
AsylG 1997 §6 Z3;
AVG §58 Abs2;
AVG §60;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kremla und die Hofräte Dr. Nowakowski, Dr. Sulzbacher, Dr. Grünstäudl und Dr. Berger als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Trefil, über die Beschwerde des Bundesministers für Inneres gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 31. Juli 2002, Zl. 229.889/0-VI/18/02, betreffend § 32 Abs. 2 AsylG (mitbeteiligte Partei: B, geboren 1973 (auch: M, geboren 1975, und J, geboren 1974) in S, vertreten durch Mag. Siegfried Berger, Rechtsanwalt in 5600 St. Johann/Pg., Premweg 6), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Begründung

Der Mitbeteiligte, ein Staatsangehöriger von Georgien, der in Österreich und in der Bundesrepublik Deutschland unter insgesamt drei verschiedenen Identitäten auftrat, reiste seinen Angaben zufolge am 27. Dezember 2001 in das Bundesgebiet ein und beantragte am selben Tag Asyl. Das Bundesasylamt wies diesen Antrag mit Bescheid vom 2. Juli 2002 gemäß § 6 Z 3 AsylG als offensichtlich unbegründet ab und erklärte gemäß § 8 AsylG die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Mitbeteiligten nach Georgien für zulässig. In der Begründung dieses insgesamt 23 Seiten langen Bescheides legte das Bundesasylamt u.a. - unter Bezugnahme auf das hg. Erkenntnis vom 21. August 2001, Zl. 2000/01/0214, wonach die Wahrheitswidrigkeit des Vorgebrachten "unmittelbar einsichtig" sein müsse - ausführlich dar, dass der Mitbeteiligte sein Vorbringen immer wieder geändert habe und die Voraussetzungen des § 6 Z 3 AsylG daher erfüllt seien.

In seiner Berufung gegen diese Entscheidung räumte der Mitbeteiligte u.a. ein, dass er seine "Identität nicht sofort offen gelegt" habe. Er habe sich aus Angst so verhalten und es sei nicht unmittelbar einsichtig, dass seine Schilderung der behaupteten Fluchtgründe wahrheitswidrig sei. Außerdem habe er seine Fluchtgründe nicht richtig darlegen können, weil er zwar den Russisch-Dolmetscher gut verstanden habe, sich aber selbst in dieser Sprache nicht gut ausdrücken könne. Er beantrage seine Einvernahme unter Beiziehung eines Dolmetschers für die georgische Sprache im Rahmen einer mündlichen Berufungsverhandlung.

Mit dem angefochtenen, ohne mündliche Verhandlung erlassenen Bescheid gab die belangte Behörde der Berufung statt. Sie behob gemäß § 32 Abs. 2 AsylG den Bescheid des Bundesasylamtes und verwies die Angelegenheit zur neuerlichen Durchführung des Verfahrens und Erlassung eines Bescheides an das Bundesasylamt zurück.

Dagegen richtet sich die vorliegende Amtsbeschwerde des Bundesministers für Inneres. Der Mitbeteiligte hat eine Gegenschrift erstattet, in der er die Zurück- oder Abweisung der Amtsbeschwerde beantragt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Die belangte Behörde stützt ihre Entscheidung im Wesentlichen darauf, dass "der Verwaltungsgerichtshof in den letzten zweieinhalb Jahren eine Judikatur zur Auslegung des § 6 Z. 3 AsylG entwickelt hat, welche nur mehr bei krassesten Fällen die Möglichkeit der Anwendung dieser Norm offen lässt". Hiezu verweist die belangte Behörde auf das schon vom Bundesasylamt zitierte Erkenntnis vom 21. August 2001 sowie ergänzend auf das hg. Erkenntnis vom 27. September 2001, Zl. 2001/20/0393, und das (die Notwendigkeit einer Bedachtnahme auf das jugendliche Alter eines Asylwerbers betonende) Erkenntnis vom 12. März 2002, Zl. 2001/01/0122. Bei Anwendung der "inzwischen ständigen" Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes sei der Asylantrag des Mitbeteiligten nicht offensichtlich unbegründet im Sinne des § 6 Z 3 AsylG. Das Vorbringen erreiche nicht die im Sinne der "nunmehr ständigen" Rechtsprechung erforderliche qualifizierte Unglaubwürdigkeit.

Diese - fallbezogene - Aussage begründet die belangte Behörde im angefochtenen Bescheid wie folgt:

"Vor dem Hintergrund, dass der Antragsteller (wenn auch mit mehr oder weniger schlüssigen Argumenten) während des ganzen Verfahrens Erklärungsversuche für die mehrmals geänderte Identität liefert und der Antragsteller auch in der Berufung den Versuch unternimmt, darzulegen, warum seine anders lautenden Angaben beim Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge in Deutschland nicht ungeprüft übernommen werden dürfen, erreicht dieses Vorbringen doch jenes Maß, dass eine Unrichtigkeit des Vorbringens bzw. des Berufungsvorbringens eben nicht geradezu "ins Auge springt" (vgl. hiezu Verwaltungsgerichtshof v. 12.03.2002, Zl. 2001/01/0122). Sofern der Berufungswerber erneut in seiner Berufung argumentiert, warum er unter falschem Namen aufgetreten ist und dies mit seiner Furcht vor Rückschiebung nach Georgien erklärt bzw. mit seiner Furcht, wieder nach Tschechien zurückgeschoben zu werden, ist im Hinblick auf die Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. hiezu das Erkenntnis vom 27.09.2001, Zl. 2001/20/0393) nicht mehr erkennbar, dass der Asylantrag aus unmittelbar einsichtigen Gründen offensichtlich unbegründet wäre. Der Verwaltungsgerichtshof hat im zuletzt genannten Erkenntnis nämlich dargelegt, dass es notwendig ist, sich mit den vorgebrachten Erklärungen zu Angaben über eine falsche Identität auseinander zu setzen bzw. hat der Verwaltungsgerichtshof in diesem Erkenntnis dargelegt, dass damit bereits nicht mehr zwingend die - qualifizierte - Unglaubwürdigkeit gegeben wäre. Erfordert nämlich die Klärung der vom Berufungswerber vorgebrachten Gegenargumente weitwendige Erhebungen und weitwendige Argumentationsketten in der Beweiswürdigung (die sich im erstinstanzlichen Bescheid auch umfassend wieder finden), dann liegen die zu einer offensichtlichen Unbegründetheit des Asylantrages führenden Umstände nach ständiger Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes nicht mehr so klar auf der Hand, dass sich das Urteil, der Asylantrag entbehre eindeutig jeder Grundlage, im Sinne des eingangs gesagten quasi aufdrängt.

Im Ergebnis führt dies dazu, dass zwar das Gesamtvorbringen des Antragstellers zweifelsfrei massivste Zweifel an der persönlichen Glaubwürdigkeit des Antragstellers hinterlassen haben und es somit möglicherweise keinesfalls glaubhaft ist, dass ihm aus den behaupteten Gründen in seinem Herkunftsstaat Verfolgung i. S.d. GFK droht. Vor dem Hintergrund der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs und der äußerst restriktiven Auslegung jener Kriterien, welche eine offensichtliche Unbegründetheit des Asylantrages noch zulassen, ergibt sich jedoch, dass der vorliegende Asylantrag nicht offensichtlich unbegründet i.S.d. § 6 Z. 3 AsylG ist, weshalb spruchgemäß zu entscheiden war."

Diesen Ausführungen ist, wie in der Amtsbeschwerde zutreffend geltend gemacht wird, nicht zu entnehmen, aus welchen konkreten Gründen das entscheidungsmaßgebliche Vorbringen des Mitbeteiligten - anders als vom Bundesasylamt aus den im erstinstanzlichen Bescheid dargelegten Gründen angenommen - nach Ansicht der belangten Behörde allenfalls wahr sein könnte und das Gegenteil für die belangte Behörde nicht unmittelbar einsichtig ist. Die Begründung des angefochtenen Bescheides, in der auf den Wert der darin erwähnten "Erklärungsversuche" des Mitbeteiligten nicht eingegangen wird, erschöpft sich in Bezug auf die Nichterfüllung der in der - schon vom Bundesasylamt zu Grunde gelegten - hg. Judikatur verdeutlichten Voraussetzungen für die offensichtliche Wahrheitswidrigkeit des Vorbringens in bloßen Behauptungen und genügt damit auch abgesehen von dem in der Beschwerde u.a. kritisierten Gebrauch der Wendung "möglicherweise keinesfalls glaubhaft" nicht den Erfordernissen des § 60 AVG.

Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Wien, am 22. Mai 2003

Schlagworte

Begründung Begründungsmangel Begründungspflicht und Verfahren vor dem VwGH Begründungsmangel als wesentlicher Verfahrensmangel

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2003:2002200469.X00

Im RIS seit

03.07.2003
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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