Index
L8 Boden- und VerkehrsrechtNorm
StGG Art2Leitsatz
Verletzung im Gleichheitsrecht infolge verfassungswidriger Auslegung der Bestimmungen des Stmk BauG über Nachbarrechte hinsichtlich der von den Beschwerdeführern als Anrainer und Inhaber einer gewerblichen Betriebsanlage erhobenen Einwendungen gegen eine heranrückende WohnbebauungSpruch
Die Beschwerdeführer sind durch die angefochtenen Bescheide im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz verletzt worden.
Die angefochtenen Bescheide werden aufgehoben.
Das Land Steiermark ist schuldig, den Beschwerdeführern zu Handen ihres Rechtsvertreters die mit jeweils S 29.500,- bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei Exekution zu bezahlen.
Begründung
Entscheidungsgründe:
I. 1. Die Beschwerdeführer sind Eigentümer der Liegenschaft EZ 554, GB 61220 Lannach, bestehend aus dem Grundstück Nr. 824/3. Sie betreiben auf diesem Grundstück eine gewerbebehördlich genehmigte KFZ
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Verwertung und einen Einzelhandel mit Kraftfahrzeugen und verfügen
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ihrem Vorbringen zufolge - weiters über eine rechtskräftige gewerbebehördliche Genehmigung zur Errichtung und zum Betrieb einer Lagerhalle samt zugehörigem Waschplatz. Der Gewerbebetrieb befindet sich im Widmungsbereich "Wohnen Allgemein".
2.1. Im Verfahren B 1968/99 erteilte der Bürgermeister der Marktgemeinde Lannach am 3. August 1999 der GWS Gesellschaft die Baubewilligung zur Errichtung von Geschoßwohnbauten für das Grundstück Nr. 825/10, KG Lannach. Die Berufung der Nachbarn wurde abgewiesen. Mit dem angefochtenen Bescheid hat die Steiermärkische Landesregierung die dagegen erhobene Vorstellung als unbegründet abgewiesen. Gestützt wird dieser Bescheid insbesondere darauf, dass §26 Abs1 Steiermärkisches Baugesetz (im folgenden Stmk. BauG) dem Nachbarn nur insoweit einen Rechtsanspruch gewähre, als es um Auswirkungen auf seine Grundflächen gehe. Die belangte Behörde verweist auf die Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes, wonach der Nachbar keine Einwendungen hinsichtlich der von seinem Betrieb ausgehenden Immissionen in bezug auf die Errichtung von Wohnungen erheben kann.
2.2. Im Verfahren B 1986/99 wenden sich die Beschwerdeführer als Nachbarn gegen die Erteilung einer Baubewilligung zur Errichtung eines Wohnhauses mit überdachtem Abstellplatz auf dem Grundstück Nr. 823/6, KG Lannach, vom 17. September 1999. Ihrer Berufung wurde keine Folge gegeben; die Steiermärkische Landesregierung hat die Vorstellung mit einer im wesentlichen gleichlautenden Begründung wie im zu B 1968/99 angefochtenen Bescheid abgewiesen.
3. Die Beschwerdeführer haben jeweils Beschwerde gegen die erwähnten Vorstellungsbescheide erhoben, in denen sie ua. die Verletzung der verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz (Art2 StGG), auf Unverletzlichkeit des Eigentums (Art5 StGG) und in Rechten wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm, nämlich des Flächenwidmungsplanes der Marktgemeinde Lannach behaupten und die kostenpflichtige Aufhebung der angefochtenen Bescheide beantragen.
4. Die belangte Behörde legte die Verwaltungsakten vor und erstattete jeweils eine Gegenschrift, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerden beantragt.
5. Die im Verfahren B 1968/99 beteiligte Bauwerberin erstattete eine Äußerung, in der sie die Abweisung der Beschwerde und den Zuspruch der Verfahrenskosten beantragt.
II. Der Verfassungsgerichtshof hat über die in sinngemäßer Anwendung der §§187 und 404 Abs2 ZPO iVm §35 Abs1 VerfGG 1953 zur gemeinsamen Beratung und Entscheidung verbundenen Beschwerden erwogen:
1. Wie der Verfassungsgerichtshof bereits in seinem grundlegenden Erkenntnis VfSlg. 12.468/1990 zu §6 Abs8 der Wiener Bauordnung erkannt hat, ist einer Vorschrift, die die Errichtung von Betrieben in Wohngebieten beschränkt, ein allgemeiner Grundsatz zu entnehmen, der insbesondere die Qualität der Wohnverhältnisse sicherstellen will. Erfasst man die Regelung nach dem evidenten Zweck, so fehlte es an einer sachlichen Rechtfertigung für die Annahme, dass eine vom Gesetz verpönte schwerwiegende Beeinträchtigung ausschließlich dann zu unterbinden ist, wenn die Quelle der Emissionen geschaffen werden soll, nicht hingegen in dem bloß durch die zeitliche Abfolge verschiedenen Fall, dass sie bereits besteht und erst durch die Errichtung von Wohnhäusern ihre beeinträchtigende Wirkung entfalten kann. Der Verfassungsgerichtshof hat diese Aussagen in den Erkenntnissen VfSlg. 13.210/1992 (zu §23 Abs2 OÖ Bauordnung) und VfSlg 14.943/1997 (zu §134 Abs3 und §134a der Wiener Bauordnung) wiederholt.
Diese Judikatur hat der Verfassungsgerichtshof im Erkenntnis VfSlg. 15.188/1998 auch auf §21 Abs2 der Kärntner Bauordnung 1992 angewendet und diese Bestimmung ebenfalls dahingehend ausgelegt, dass sie Einwendungen des Betriebsinhabers gegen eine heranrückende Wohnbebauung vorsieht.
2. In den gegenständlichen Fällen hat die Steiermärkische Landesregierung §26 Stmk. BauG so ausgelegt, dass sich der Inhaber eines Gewerbebetriebes nicht gegen eine heranrückende Wohnbebauung zur Wehr setzen könne.
Der Nachbar könne nur insoweit subjektiv-öffentliche Rechte geltend machen, "als es um Auswirkungen auf seine Grundflächen geht".
Die belangte Behörde begründet ihre Rechtsauffassung - sowohl in den angefochtenen Bescheiden als auch in ihren Gegenschriften - mit der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes und zitiert die Erkenntnisse Z587/68 vom 3. März 1969 und Z88/05/0003 vom 26. April 1988.
Die Beschwerden erweisen sich im Ergebnis als gerechtfertigt, da der belangten Behörde ein in die Verfassungssphäre reichender Vollzugsfehler unterlaufen ist.
Eine Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz kann nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (zB VfSlg. 10.413/1985, 11.682/1988) nur vorliegen, wenn der angefochtene Bescheid auf einer dem Gleichheitsgebot widersprechenden Rechtsgrundlage beruht, wenn die Behörde der angewendeten Rechtsvorschrift fälschlicherweise einen gleichheitswidrigen Inhalt unterstellt oder wenn sie bei Erlassung des Bescheides Willkür geübt hat.
3. §26 Stmk. BauG, der die Nachbarrechte regelt, lautet:
"§26
Nachbarrechte
(1) Der Nachbar kann gegen die Erteilung der Baubewilligung Einwendungen erheben, wenn diese sich auf Bauvorschriften beziehen, die nicht nur dem öffentlichen Interesse, sondern auch dem Interesse der Nachbarn dienen (subjektiv - öffentlich-rechtliche Einwendungen). Das sind Bestimmungen über
1.
die Übereinstimmung des Vorhabens mit dem Flächenwidmungsplan, einem Bebauungsplan und mit Bebauungsrichtlinien, soweit damit ein Immissionsschutz verbunden ist;
2.
die Abstände (§13);
3.
den Schallschutz (§43 Abs2 Z. 5);
4.
die Brandwände an der Grundgrenze (§51 Abs1);
5.
die Vermeidung einer Brandgefahr, einer sonstigen Gefährdung oder unzumutbaren Belästigung (§61 Abs1, §63 Abs1 und §65 Abs1);
6.
die Baueinstellung und die Beseitigung (§41 Abs6);
(2) Wird von einem Nachbarn die Verletzung eines Rechtes behauptet, das ausschließlich der Wahrung öffentlicher, von der Behörde von Amts wegen wahrzunehmender Interessen dient (objektiv-öffentlich-rechtliche Einwendung), so hat die Behörde dieses Vorbringen zurückzuweisen.
(3) Wird von einem Nachbarn die Verletzung eines Rechtes behauptet, das im Privatrecht begründet ist (privatrechtliche Einwendung), so hat die Behörde zunächst eine Einigung zu versuchen. Kommt keine Einigung zustande, so ist der Beteiligte mit seinen privatrechtlichen Einwendungen auf den ordentlichen Rechtsweg zu verweisen. Diese Verweisung ist unter Anführung der Einwendung im Spruch des Bewilligungsbescheides auszusprechen."
Gemäß §23 Abs1 Z5 Steiermärkisches Raumordnungsgesetz 1974, LGBl. Nr. 127/1974 idF LGBl. Nr. 59/1995, dürfen als vollwertiges Bauland nur Grundflächen festgelegt werden, die ua. keiner der beabsichtigten Nutzung widersprechenden Immissionsbelastung (Lärm, Luftschadstoffe, Erschütterungen und dgl.) unterliegen. Gemäß §23 Abs5 litb leg. cit. dürfen im allgemeinen Wohngebiet Betriebe aller Art errichtet werden, soweit sie keine dem Wohncharakter des Gebiets widersprechenden Belästigungen der Bewohnerschaft verursachen. Das Steiermärkische Raumordnungsgesetz enthält also ebenfalls eine Regelung, der als allgemeiner Grundsatz die Sicherstellung der Qualität der Wohnverhältnisse zu entnehmen ist.
Unter Berücksichtigung der genannten Vorerkenntnisse zur Frage der heranrückenden Wohnbebauung kommt der Verfassungsgerichtshof zu dem Ergebnis, dass die Bestimmung des §26 Abs1 Z1 Stmk. BauG (wonach dem Nachbarn ein subjektiv-öffentliches Recht auf Überprüfung der Übereinstimmung des Vorhabens mit dem Flächenwidmungsplan, einem Bebauungsplan und mit Bebauungsrichtlinien zukommt, soweit damit ein Immissionsschutz verbunden ist) auch den Fall des Inhabers einer gewerbebehördlich genehmigten Betriebsanlage erfasst, in dessen unmittelbarer Nähe ein Wohnhaus errichtet werden soll. Sein rechtliches Interesse wird durch die Bewilligung einer Wohnbebauung auf dem Nachbargrundstück deshalb berührt, weil er beispielsweise mit zusätzlichen Auflagen der Gewerbebehörde zum Schutz der Nachbarschaft gegen Immissionen rechnen muss (vgl. VfSlg. 15.188/1998).
4. Diese Auffassung hat der Verfassungsgerichtshof bereits im Erkenntnis B 1176/99 u.a. vom 15. Dezember 1999 vertreten. In jenen Fällen lagen Beschwerden vor, die die nunmehrigen Beschwerdeführer gegen Baubewilligungen erhoben haben, die u.a. den in den vorliegenden Fällen beteiligten Bauwerbern hinsichtlich anderer Grundstücke erteilt wurden. Es besteht kein Anlass, die vorliegenden Fälle anders zu beurteilen, als dies in den Fällen B 1176/99 geschehen ist. Wenn die belangte Behörde auch behauptet, dass "im gegenständlichen Beschwerdefall nicht vom Vorliegen des vom Verfassungsgerichtshof vertretenen Grundsatzes ausgegangen werden (kann), dass eine heranrückende Wohnbebauung einen rechtmäßig bewilligten Gewerbebetrieb in seiner rechtmäßigen Ausübung behindert, zumal der Gewerbebetrieb seit 1980 (...) von der baurechtlich zu beachtenden Situation einer Wohngebietsausweisung auszugehen hatte," so mag dies allenfalls ein Grund sein, die Einwendungen abzuweisen, kann jedoch nicht dazu führen, das Mitspracherecht des Nachbarn zur Gänze zu verneinen.
5. Da die belangte Behörde von einem sachlich nicht begründbaren und daher auch gleichheitswidrigen Verständnis der zitierten Gesetzesstelle ausgegangen ist, hat sie die Beschwerdeführer im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz verletzt. Die angefochtenen Bescheide waren daher schon deshalb aufzuheben, wobei es sich erübrigt, auf die übrigen Beschwerdevorbringen einzugehen.
6. Die Kostenentscheidung stützt sich auf §88 VerfGG 1953. Im zugesprochenen Betrag sind jeweils S 4.500,- an Umsatzsteuer enthalten. Da die Eingabegebühr für Beschwerden S 2500,- beträgt, war ein darüber hinausgehender Betrag nicht zuzusprechen.
Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VerfGG ohne vorangegangene mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.
Schlagworte
Baurecht, Nachbarrechte, Auslegung verfassungskonformeEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:2000:B1968.1999Dokumentnummer
JFT_09999692_99B01968_00