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41/02 Passrecht Fremdenrecht;Norm
FrG 1997 §10 Abs2 Z3;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zeizinger und die Hofräte Dr. Rigler, Dr. Handstanger, Dr. Enzenhofer und Dr. Strohmayer als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Stummer, über die Beschwerde des R, geboren 1965, vertreten durch Dr. Josef Lechner und Dr. Ewald Wirleitner, Rechtsanwälte in 4400 Steyr, Grünmarkt 8, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Oberösterreich vom 24. September 1998, Zl. St 110/98, betreffend Erlassung eines befristeten Aufenthaltsverbotes, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.089,68 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
I.
1. Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Oberösterreich (der belangten Behörde) vom 24. September 1998 wurde gegen den Beschwerdeführer, einen bosnischen Staatsgehörigen, gemäß § 36 Abs. 1 iVm Abs. 2 Z. 1 und den §§ 37 und 39 Fremdengesetz - FrG, BGBl. I Nr. 75, ein Aufenthaltsverbot für die Dauer von zehn Jahren erlassen.
Der Beschwerdeführer halte sich seit November 1992 im Bundesgebiet auf. Bis zum 31. August 1997 sei er gemäß § 12 AufG zum Aufenthalt im Bundesgebiet berechtigt gewesen. Er habe beim Magistrat Steyr einen Antrag auf Niederlassungsbewilligung gestellt.
Gegen den Beschwerdeführer würden 14 verwaltungspolizeiliche Vormerkungen und vier rechtskräftige Verurteilungen aufscheinen, zwei davon wegen gewerbsmäßigen Glücksspiels und zwei wegen Körperverletzung. Der Beschwerdeführer habe dazu ausgeführt, dass er wegen seiner Volkszugehörigkeit provoziert und deswegen gewalttätig geworden sei. Seit seiner letzten Verurteilung habe er mit Glücksspielen nichts mehr zu tun gehabt.
Die in den ersten drei Verurteilungen über den Beschwerdeführer verhängten Geldstrafen habe er bereits bezahlt. Die letzte Verurteilung sei am 4. Februar 1997 rechtskräftig geworden. Dieser Verurteilung lägen Vorfälle vom August 1996, also vor ca. zwei Jahren, zu Grunde. Auch die 14 Verwaltungsübertretungen lägen bereits längere Zeit zurück.
In Anbetracht der gerichtlichen Verurteilungen des Beschwerdeführers sei der Tatbestand des § 36 Abs. 2 Z. 1 FrG erfüllt.
Durch das Aufenthaltsverbot werde in nicht unbeträchtlicher Weise in das Privatleben des Beschwerdeführers eingegriffen. Er habe außer einem Bruder keine Familienangehörigen und gehe einer Erwerbstätigkeit nach. Der gesamte Freundeskreis des Beschwerdeführers sei in Steyr und Umgebung aufhältig. Ihm werde, insbesondere das Berufsleben betreffend, eine der Dauer seines Aufenthaltes entsprechende Integration zugebilligt. Es könne jedoch nicht von einer vollständigen Integration ausgegangen werden, was durch seine strafbaren Handlungen verdeutlicht werde. Die beiden Verurteilungen wegen Körperverletzung machten deutlich, dass der Beschwerdeführer das Rechtsgut der körperlichen Integrität anderer Personen gering achte. Die den beiden Verurteilungen wegen gewerbsmäßigem Glücksspieles zu Grunde liegenden strafbaren Handlungen seien nicht nur geeignet, andere Personen in den finanziellen Ruin zu treiben, sonders es bestünde darüber hinaus auch die Gefahr, dass der Beschwerdeführer im Fall hoher Verluste zur Abdeckung eventueller Schulden selbst strafbare Handlungen beginge. Eine rechtskräftige Verurteilung habe nicht ausgereicht, um dem Beschwerdeführer zur Rechtstreue zu veranlassen.
Daher sei nicht nur die im § 36 Abs. 1 FrG umschriebene Annahme gerechtfertigt, sondern das Aufenthaltsverbot auch gemäß § 37 Abs. 1 FrG dringend geboten.
In Anbetracht der beträchtlichen Zahl an rechtskräftigen gerichtlichen Verurteilungen erscheine der Zeitraum von zwei Jahren, in dem sich der Beschwerdeführer wohlverhalten habe, zu kurz, um abschätzen zu können, ob er sich auch in Zukunft gesetzestreu verhalten werde. Dies umso mehr, als eine relativ hohe Zahl an Verwaltungsübertretungen vorliege. Im Hinblick auf die zu stellende negative Zukunftsprognose wögen die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von der Erlassung des Aufenthaltsverbotes wesentlich schwerer als die Auswirkungen dieser Maßnahme auf die Lebenssituation des Beschwerdeführers, weshalb das Aufenthaltsverbot auch im Sinn des § 37 Abs. 2 FrG zulässig sei.
2. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde mit dem Begehren, ihn wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes sowie Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
3. Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahren vor, nahm jedoch von der Erstattung einer Gegenschrift Abstand.
II.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
1. Der Beschwerdeführer wurde vom Bezirksgericht Linz-Land mit rechtskräftigem Urteil vom 3. Jänner 1995 gemäß § 168 Abs. 2 StGB zu einer Geldstrafe von 40 Tagessätzen, bedingt auf eine Probezeit von drei Jahren, verurteilt. Mit rechtskräftigem Urteil des Bezirksgerichtes Linz-Land vom 22. November 1995 wurde er gemäß § 83 Abs. 1 StGB zu einer Geldstrafe von 40 Tagessätzen verurteilt. Am 22. Mai 1996 erfolgte eine weitere rechtskräftige Verurteilung gemäß § 83 Abs. 1 StGB durch das Bezirksgericht Linz-Land zu einer Geldstrafe von 60 Tagessätzen. Schließlich wurde der Beschwerdeführer am 28. Februar 1997 durch das Bezirksgericht Gmunden wiederum gemäß § 168 Abs. 2 StGB zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von zwei Monaten, bedingt auf eine Probezeit von drei Jahren, verurteilt. In Anbetracht dieser vier Verurteilungen - zweimal wegen gewerbsmäßigem Glücksspiels und zweimal wegen Körperverletzung - begegnet die Ansicht der belangten Behörde, dass der Tatbestand des § 36 Abs. 2 Z. 1 FrG erfüllt und die im § 36 Abs. 1 leg. cit. umschriebene Annahme gerechtfertigt sei, keinen Bedenken.
2. Bei der Beurteilung der Zulässigkeit des Aufenthaltsverbotes im Grund des § 37 Abs. 1 und Abs. 2 FrG hat die belangte Behörde die Dauer des inländischen Aufenthaltes des Beschwerdeführers, seine Erwerbstätigkeit und den Umstand berücksichtigt, dass auch sein Bruder in Österreich lebt. Diese persönlichen Interessen des Beschwerdeführers werden jedoch dadurch relativiert, dass die für eine Integration wesentliche soziale Komponente durch die genannten Straftaten des Beschwerdeführers erheblich beeinträchtigt ist. Die Ansicht der belangten Behörde, dass das Aufenthaltsverbot auch unter Bedachtnahme auf die dargestellte persönliche Interessenlage des Beschwerdeführers zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele (Verhinderung von strafbaren Handlungen, Schutz der Rechte und Freiheiten anderer) dringend geboten sei und die Auswirkungen dieser Maßnahme auf die Lebenssituation des Beschwerdeführers nicht schwerer wögen als die gegenläufigen öffentlichen Interessen an der Erlassung des Aufenthaltsverbotes, kann demnach nicht als rechtswidrig erkannt werden.
3.1. Der Beschwerdeführer bringt gegen die Zulässigkeit des Aufenthaltsverbotes schließlich vor, dass ihm ein Aufenthaltstitel erteilt worden sei. Dies führt die Beschwerde zum Erfolg.
Aus dem Verwaltungsakt ergibt sich, dass der Magistrat Steyr die erstinstanzliche Fremdenpolizeibehörde am 25. August 1997 um Mitteilung ersuchte (Blatt 121), ob sicherheitspolizeiliche Bedenken gegen die Erteilung einer Bewilligung "nach dem Aufenthaltsgesetz" bestünden. Am 26. August 1997 teilte die erstinstanzliche Behörde dem Magistrat Steyr mit, dass gegen eine solche Bewilligung keine Bedenken bestünden. Am 17. August 1998 - sohin mehr als drei Monate nach der Erlassung des befristeten Aufenthaltsverbotes durch die erstinstanzliche Behörde am 5. Mai 1998 - wurde dem Beschwerdeführer vom Magistrat Steyr ein Aufenthaltstitel, und zwar eine befristete Niederlassungsbewilligung für jeglichen Aufenthaltszweck, erteilt (vgl. Blatt 140 des Verwaltungsaktes).
3.2. Gemäß § 38 Abs. 1 Z. 2 FrG darf ein Aufenthaltsverbot nicht erlassen werden, wenn eine Ausweisung gemäß § 34 Abs. 1 Z. 1 oder Z. 2 FrG wegen des maßgeblichen Sachverhaltes unzulässig wäre. Gemäß § 34 Abs. 1 Z 1 FrG können Fremde, die sich - wie der Beschwerdeführer - auf Grund eines Aufenthaltstitels im Bundesgebiet aufhalten, mit Bescheid (nur) ausgewiesen werden, wenn nachträglich ein Versagungsgrund eintritt oder bekannt wird, der der Erteilung des zuletzt erteilten Aufenthaltstitels entgegengestanden wäre.
3.3. Die von der belangten Behörde dem Aufenthaltsverbot zu Grunde gelegten Verurteilungen und Verwaltungsstrafen stellen gemäß § 10 Abs. 2 Z. 3 FrG Versagungsgründe dar, die bereits vor Erteilung des genannten Aufenthaltstitels eingetreten sind.
Die Niederlassungsbehörde hat an die Fremdenpolizeibehörde am 25. August 1997 die oben erwähnte Anfrage gerichtet, ob gegen die Erteilung eines Aufenthaltstitels sicherheitspolizeiliche Bedenken bestünden. Obwohl der Fremdenpolizeibehörde die geschilderten strafbaren Handlungen des Beschwerdeführers bekannt gewesen sind, hat sie am 26. August 1997 gegenüber der Niederlassungsbehörde eine Unbedenklichkeitserklärung abgegeben. Es kann dahin gestellt bleiben, ob sich die Niederlassungsbehörde die Kenntnis der zur Stellungnahme eingeladenen Fremdenpolizeibehörde von den strafbaren Handlungen des Beschwerdeführers in einem solchen Fall unabhängig vom Inhalt der Antwort der Fremdenpolizeibehörde zurechnen lassen muss, denn es bestehen unter der Voraussetzung, dass die Niederlassungsbehörde Zugang zum EDV-unterstützten Fremdeninformationssystem hat, aus dem der Grund für die Verhängung des erstinstanzlichen Aufenthaltsverbotes vom 5. Mai 1998 hervorgeht bzw. leicht zu ermitteln ist, ausreichende Anhaltspunkte dafür, dass die Tatsache der Verhängung dieses Aufenthaltsverbotes der Niederlassungsbehörde im Entscheidungszeitpunkt (17. August 1998) bekannt gewesen sein könnte. Ob dies tatsächlich der Fall ist, entzieht sich - mangels diesbezüglicher Feststellung der belangten Behörde - einer abschließenden Beurteilung durch den Verwaltungsgerichtshof. Die Unterlassung der Feststellung durch die belangte Behörde ist wesentlich, weil für den Fall, dass der Versagungsgrund nach § 10 Abs. 2 Z. 3 FrG der Niederlassungsbehörde nicht erst nachträglich (nach Erteilung der Niederlassungsbewilligung am 17. August 1998) bekannt geworden sein sollte, die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gegen den Beschwerdeführer im Grund des § 38 Abs. 1 Z. 2 (iVm § 34 Abs. 1 Z. 1) FrG unzulässig wäre (vgl. das hg. Erkenntnis vom 3. August 2000, Zl. 99/18/0259).
4. Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
5. Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. II Nr. 501/2001 sowie auf § 3 Abs. 2 Z. 2 Euro-Gesetz, BGBl. I Nr. 72/2000.
Wien, am 26. Mai 2003
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2003:1998180370.X00Im RIS seit
04.07.2003