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10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG);Norm
AsylG 1997 §5 Abs1 idF 1999/I/004;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kremla und die Hofräte Dr. Nowakowski und Dr. Grünstäudl als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Trefil, über die Beschwerde des 1981 geborenen G in M, vertreten durch Dr. Helmut Blum, Rechtsanwalt in 4020 Linz, Mozartstraße 11/6, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 5. Juli 2001, Zl. 223.013/0-XIV/08/01, betreffend Zurückweisung eines Asylantrages gemäß § 5 AsylG (weitere Partei: Bundesminister für Inneres), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.089,68 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der Beschwerdeführer, ein türkischer Staatsangehöriger kurdischer Volksgruppenzugehörigkeit, reiste am 14. Oktober 2000 in das Bundesgebiet ein und beantragte am 17. Oktober 2000 die Gewährung von Asyl. Vor dem Bundesasylamt begründete er diesen Antrag einerseits mit der Verweigerung des Militärdienstes und der ihm deswegen und wegen seiner Abstammung drohenden Behandlung in seiner Heimat und andererseits mit den wiederholten polizeilichen Verhaftungen in der Türkei auf Grund der ihm unterstellten Unterstützung der PKK. Auf die Frage, ob er Verwandte in Österreich habe, antwortete der Beschwerdeführer, der bereits zuvor die Namen seiner drei mit ihm an der gleichen Adresse wohnhaften Brüder in M. (Oberösterreich) genannt hatte, er habe einen Onkel in M. und zwei Cousins, die "ebenfalls in M. wohnen".
Mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 11. Juni 2001 wurde der Asylantrag des Beschwerdeführers, ohne in die Sache einzutreten, gemäß § 5 Abs. 1 AsylG als unzulässig zurückgewiesen. Gleichzeitig wurde ausgesprochen, dass gemäß Art. 6 des Übereinkommens über die Bestimmung des zuständigen Staates für die Prüfung eines in einem Mitgliedstaat der Europäischen Gemeinschaften gestellten Asylantrages, BGBl. III Nr. 165/1997 - Dubliner Übereinkommen (im Folgenden: DÜ) Italien für die Prüfung des Asylantrages des Beschwerdeführers zuständig sei, und wurde der Letztgenannte nach Italien ausgewiesen. Die Erstbehörde begründete ihre Entscheidung im Wesentlichen mit der illegalen Eineise des versteckt in einem LKW aus Italien gekommenen Beschwerdeführers nach Österreich und mit der Zustimmung Italiens zur Übernahme des Beschwerdeführers mit Schreiben vom 8. August 2001. Ausgehend vom Aufenthalt des Onkels und zweier Cousins des Beschwerdeführers im Bundesgebiet meinte das Bundesasylamt, im vorliegenden Fall lägen weder Gründe für eine Anwendung des Selbsteintrittsrechts Österreichs im Sinn des Art. 3 Abs. 4 DÜ noch Anhaltspunkte für eine Verletzung des Art. 8 MRK durch die ausgesprochene Ausweisung vor. Der Beschwerdeführer habe nämlich nicht geltend gemacht, er sei zum Leben auf die Hilfe seiner in Österreich wohnenden Verwandten angewiesen oder habe mit diesen "in Ihrem Herkunftsland als Familie zusammengelebt".
Die gegen diesen Bescheid erhobene Berufung wies die belangte Behörde mit dem angefochtenen Bescheid gemäß § 5 Abs. 1 AsylG ab und gelangte in ihrer rechtlichen Beurteilung unter Bezugnahme auf das genannte Schreiben Italiens vom 8. August 2001 zum Ergebnis, auf Grund der Erfüllung der Voraussetzungen des Art. 6 (erster Satz) DÜ sei Italien "eindeutig" zur Prüfung des Asylantrages des Beschwerdeführers zuständig. "Demzufolge" seien die Tatbestandsvoraussetzungen des § 5 AsylG erfüllt. Den Berufungsausführungen des Beschwerdeführers, Italien entspreche, was den Refoulementschutz betreffe, nicht den Anforderungen des Art. 3 MRK, entgegnete die belangte Behörde im Wesentlichen, Italien habe sich als Mitgliedstaat der Europäischen Union nicht nur zur Beachtung der in der MRK gewährleisteten Grundrechte verpflichtet, sondern gelte auch auf Grund des von den Mitgliedstaaten der Europäischen Union am 2. Oktober 1997 in Amsterdam unterzeichneten Protokolls als sicherer Drittstaat.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen hat:
Der Beschwerdeführer lässt, was Art. 6 DÜ betrifft, unbestritten, dass er über Italien illegal in das Bundesgebiet eingereist ist. Er macht aber zusammengefasst geltend, die belangte Behörde habe es im vorliegenden Fall in rechtswidriger Weise unterlassen, seine familiären und persönlichen Verhältnisse zu überprüfen und das nach dem DÜ vorgesehene Selbsteintrittsrecht Österreichs zur inhaltlichen Prüfung des Asylantrages des Beschwerdeführers auszuüben. In Österreich lebe er mit seinen ihn finanziell unterstützenden Brüdern im gemeinsamen Haushalt, die auch die Unterhaltspflichten ihm gegenüber von seinen Eltern übernommen hätten.
Dieses Vorbringen führt die Beschwerde zum Erfolg:
Der Verwaltungsgerichtshof hat im Erkenntnis eines verstärkten Senates vom 23. Jänner 2003, Zl. 2000/01/0498, in Anlehnung an die im Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 8. März 2001, G 117/00 ua., vertretene Ansicht ausgeführt, er halte an seinen Rechtssätzen, wonach § 5 AsylG keiner verfassungskonformen Auslegung im Sinn einer Bedachtnahme auf Art. 3 und 8 EMRK zugänglich sei und dem Asylbewerber (Antragsteller) kein subjektiv-öffentliches Recht auf Eintritt eines nach dem Wortlaut des DÜ unzuständigen Mitgliedstaates (Österreich) in die Prüfung des Asylantrages zustehe, nicht fest, sondern schließe sich der (dort näher wiedergegebenen) Ansicht des Verfassungsgerichtshofes an. Gemäß § 43 Abs. 2 VwGG wird auf die Entscheidungsgründe dieses Erkenntnisses verwiesen.
Vor diesem rechtlichen Hintergrund kommt den Angaben des Beschwerdeführers im Verwaltungsverfahren, seine Brüder (und weitere Verwandte) lebten mit ihm in Österreich an gleicher Adresse, hinsichtlich der Voraussetzungen des Art. 8 MRK Bedeutung zu. Da die belangte Behörde meinte, schon aus dem Vorliegen der Voraussetzungen des ersten Satzes des Art. 6 DÜ die Zulässigkeit der Entscheidung nach § 5 AsylG ableiten zu können und es (daher) unterlassen hat, im angefochtenen Bescheid Feststellungen zum Familienleben des Beschwerdeführers in Österreich zu treffen und eine Interessenabwägung im Sinn der letztgenannten Bestimmung vorzunehmen, erweist sich der angefochtene Bescheid als mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit behaftet.
Der Vollständigkeit halber sei erwähnt, dass der Verwaltungsgerichtshof auch die rechtlichen Überlegungen der belangten Behörde, in Italien sei dem Beschwerdeführer schon deshalb Abschiebungsschutz sicher, weil sich der genannte Staat zur Einhaltung der in der MRK genannten Grundrechte völkerrechtlich verpflichtet habe, nicht zu teilen vermag (vgl. das hg. Erkenntnis vom 18. Februar 2003, Zl. 2000/01/0386).
Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben. Von der beantragten Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 4 VwGG abgesehen werden.
Der Kostenzuspruch gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2001.
Wien, am 12. Juni 2003
Schlagworte
Besondere RechtsgebieteEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2003:2001200520.X00Im RIS seit
28.07.2003