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40/01 Verwaltungsverfahren;Norm
AsylG 1997 §7;Beachte
Serie (erledigt im gleichen Sinn): 2000/20/0112 E 12. Juni 2003Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kremla und die Hofräte Dr. Nowakowski und Dr. Sulzbacher als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Trefil, über die Beschwerde der P in G, geboren 1976, vertreten durch Dr. Hans Werner Schmidt, Rechtsanwalt in 8018 Graz, Brockmanngasse 63, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 15. Dezember 1999, Zl. 208.321/0-IX/25/99, betreffend § 7 AsylG (weitere Partei: Bundesminister für Inneres), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird im Spruchpunkt I. wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 908,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit dem (nur im Spruchpunkt I.) angefochtenen, im Instanzenzug und nach Durchführung einer mündlichen Berufungsverhandlung ergangenen Bescheid der belangten Behörde vom 15. Dezember 1999 wurden der Asylantrag der Beschwerdeführerin, einer russischen Staatsangehörigen, gemäß § 7 AsylG abgewiesen (Spruchpunkt I.), gemäß § 8 AsylG in Verbindung mit § 57 Abs. 1 FrG festgestellt, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung der Beschwerdeführerin in die Russische Föderation nicht zulässig sei (Spruchpunkt II.), und der Beschwerdeführerin gemäß § 15 AsylG eine befristete Aufenthaltsberechtigung bis 1. Dezember 2000 erteilt (Spruchpunkt III.).
Zu den persönlichen Verhältnissen der Beschwerdeführerin stellte die belangte Behörde fest, sie stamme aus einer "gemischt ethnischen Familie". Ihr Vater sei gebürtiger Russe, die Mutter gebürtige Tschetschenin. Die Beschwerdeführerin sei in Tschetschenien geboren und mit Erreichen des schulpflichtigen Alters (1982) mit ihren Eltern nach Moskau übersiedelt, wo sie auch ihre gesamte Schulausbildung absolviert habe. Über Wunsch der Mutter sei die Familie 1992 nach Tschetschenien zurückgekehrt. Während des (ersten) tschetschenisch-russischen Krieges habe der Vater der Beschwerdeführerin (1994) die Familie verlassen, wobei die Beschwerdeführerin dies einem tiefgreifenden Zerwürfnis zwischen dem Vater als gebürtigen Russen und ihrer Mutter als überzeugter tschetschenischer Moslemin zugeschrieben habe. Die Beschwerdeführerin habe im Mai 1998 gemeinsam mit ihrer Schwester gegen den Willen der Mutter Tschetschenien verlassen. Die Mutter habe die Herausgabe der von tschetschenischen Behörden ausgestellten Geburtsurkunde, das einzige Dokument der Beschwerdeführerin, verweigert. Die Familie der Beschwerdeführerin habe sich 1992 nach dem neuen Staatsbürgerschaftsgesetz der Russischen Föderation nicht registrieren lassen. Die Beschwerdeführerin habe nie einen von Behörden der Russischen Förderation ausgestellten Reisepass oder Personalausweis besessen.
Die Abweisung des Asylantrages begründete die belangte Behörde im Rahmen der rechtlichen Beurteilung wie folgt:
"Eine Überprüfung der für die Asylgewährung wesentlichen Voraussetzungen hat jedoch ergeben, dass die Berufungswerberin insgesamt beurteilt nichts vorbringen konnte, was unter einen der Tatbestände der Genfer Flüchtlingskonvention subsumierbar wäre.
Die Berufungswerberin begründet ihren Asylantrag mit schlechten wirtschaftlichen Verhältnissen, mit der fehlenden Möglichkeit der Weiterbildung oder des beruflichen Fortkommens und mit der Anfeindung der tschetschenischen Bevölkerung gegenüber Personen russischer Abstammung.
Diese Gründe vermögen wie bereits die erste Instanz richtig ausgeführt hat, keine Asylrelevanz zu begründen. Die schlechte wirtschaftliche Lage und die mangelnde Möglichkeit der Erlangung einer gewünschten Ausbildung trifft die Bevölkerung im Allgemeinen, es fehlt hier die gezielte Verfolgungsmotivation des Staates. Ebensowenig vermögen Anfeindungen oder Missfallensäußerungen allein von der Bevölkerung kommend keine Asylrelevanz zu begründen.
Zu dem von der Berufungswerberin individuell geltend gemachten Grund der Anfeindung durch tschetschenische Bevölkerung tritt nunmehr die derzeitige bewaffnete Auseinandersetzung zwischen russischen Truppen und tschetschenischen Einheiten.
Für das zugrunde liegende Verfahren kann außer Betracht bleiben, inwieweit das unverhältnismäßig harte Vorgehen der russischen Streitkräfte auch in ethnischer Hinsicht begründet ist und sich nicht ausschließlich auf die Vernichtung von tschetschenischen Rebellen beschränkt. Die Berufungswerberin selbst ist gemischt-ethnisch, hat ihre Schulausbildung in Moskau erhalten, spricht nur russisch und kann daher - selbst bei unterstellter ethnischer Verfolgung - das ethnische Moment für die besondere Situation der Berufungswerberin verneint werden. Im Übrigen müsste man aus diesem asylrechtlichen Aspekt heraus eine inländische Fluchtalternative für die Berufungswerberin in die autonomen und russischen Regionen der Föderation bejahen.
Die rechtlichen Voraussetzungen der Glaubhaftmachung einer Verfolgung aus Konventionsgründen durch den Heimatstaat der Berufungswerberin sind daher nicht gegeben."
Dagegen richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen hat:
Die Beschwerdeführerin hat ihren Asylantrag in der Niederschrift vor dem Bundesasylamt am 9. Juni 1998 damit begründet, dass sie als Russin in Tschetschenien nicht leben könne. "Man lässt sie (gemeint: die Russen) nicht leben." In Tschetschenien werde nach der Beschwerdeführerin mit Steinen geworfen. Das sei "nicht bildlich sondern wirklich so". Sie könne nicht auf die Straße, weil sie dort sofort als Russin erkannt werde. Wegen ihrer Nationalität könne sie dort (gemeint in Tschetschenien) nicht leben. Im Falle der Rückkehr nach Tschetschenien würde sie sicher umgebracht. Auf Nachfrage wörtlich: "Ganz normale Menschen, Nachbarn, würden mich töten". In Tschetschenien lebten "lauter Nationalisten". Es passierten in Grosny jeden Tag Morde an Russen. Niemand interessiere sich dafür. Auch die Beschwerdeführerin könnte getötet werden.
Der Beweiswürdigung im angefochtenen Bescheid ist nicht zu entnehmen, dass die belangte Behörde dieses Vorbringen oder Teile davon für unglaubwürdig erachtet hätte. Dem entsprechend hat die belangte Behörde ihre Rechtsausführungen auch damit eingeleitet, dass sie das Vorbringen der Beschwerdeführerin "insgesamt beurteilt", somit die Behauptungen der Beschwerdeführerin (zur Gänze) der rechtlichen Würdigung zugrundelegt. Dem wiedergegebenen Vorbringen werden aber weder die (verkürzte) Feststellung, die Beschwerdeführerin habe Tschetschenien wegen der "Anfeindungen, denen sie durch die tschetschenische Bevölkerung ausgesetzt war", verlassen, noch die rechtliche Schlussfolgerung gerecht, "Anfeindungen oder Missfallensäußerungen allein von der Bevölkerung kommend" hätten keine Asylrelevanz. Diese Beurteilung nimmt nämlich nicht ausreichend auf das Vorbringen der Beschwerdeführerin Bedacht, sie befürchte - an ihre russische Volkszugehörigkeit anknüpfende - Gewalttätigkeiten der tschetschenischen Bevölkerung, die ihrer Einschätzung nach sogar zum Tod führen könnten. Unterstellt man die Richtigkeit dieser Behauptungen, kann aber nicht gesagt werden, ihnen fehle die Asylrelevanz.
Die gegenteilige Auffassung der belangten Behörde lässt sich aber auch nicht damit begründen, dass die Verfolgungshandlungen "allein von der Bevölkerung kommend" seien, es sich somit um nichtstaatliche Maßnahmen handle. In diese Richtung zielt wohl auch der in diesem Zusammenhang vorgenommene Hinweis auf die Begründung des erstinstanzlichen Bescheides, wonach "Anfeindungen durch Private oder (die) möglicherweise vorliegende Gefahr, Opfer von kriminellen Handlungen zu werden", keine Verfolgung im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention darstelle. Die belangte Behörde hat aber gar nicht darzutun versucht, dass der Beschwerdeführerin vor den befürchteten Übergriffen durch die tschetschenische Bevölkerung staatlicher Schutz gewährt würde. Gegen die Annahme, die tschetschenischen Behörden wären gewillt und auch in der Lage, vor ethnisch motivierten gewalttätigen Übergriffen auf russische Bevölkerungsteile ausreichend Schutz zu gewähren, spräche im Übrigen die Stellungnahme der österreichischen Botschaft in Moskau vom 15. September 1999, die auf Anfrage der belangten Behörde erstattet wurde. In diesem Schreiben wird nämlich unter anderem erwähnt, dass sich die Verwaltung in Tschetschenien durch besondere "Russenfeindlichkeit" auszeichne und Russen in der tschetschenischen Republik sehr verfolgt bzw. in großer Anzahl zwecks Geldbeschaffung gekidnappt würden, sodass bis auf ältere Personen und Priester fast alle Russen aus Tschetschenien geflohen seien.
Soweit die belangte Behörde schließlich noch das Vorliegen einer "inländischen Fluchtalternative" für die Beschwerdeführerin in den "autonomen und russischen Regionen der Förderation" annimmt, steht dies - wie die Beschwerde zutreffend aufzeigt - im Widerspruch zu jenen Feststellungen, die zur Begründung des (im Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides) gewährten Refoulement-Schutzes getroffen wurden und aus denen die belangte Behörde rechtlich gefolgert hat, es sei derzeit davon auszugehen, dass die Beschwerdeführerin
"innerhalb der russischen Föderation ... weder eine der Menschenwürde entsprechende Unterbringung vorfindet, noch die Möglichkeit (für sie) einer eigenverantwortlichen Lebensgestaltung mangels Fehlens jeglicher Voraussetzung für die Schaffung einer eigenen Existenz gegeben ist. Da die Sicherstellung für das zum Überleben notwendige Existenzminimum fehlt, folgt, dass stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, dass die Berufungswerberin im Falle einer Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung Gefahr liefe, in der Russischen Föderation einer unmenschlichen Behandlung unterworfen zu werden."
Ausgehend davon ist aber nicht nachvollziehbar, warum die belangte Behörde im Asylteil ihres Bescheides angenommen hat, der Beschwerdeführerin sei es zumutbar, in den "autonomen und russischen Regionen der Föderation" Schutz vor der behaupteten Verfolgung in Tschetschenien zu suchen.
Der in Beschwerde gezogene Bescheid war aus den dargestellten Gründen im angefochtenen Spruchpunkt I. wegen der (prävalierenden) Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.
Der Kostenzuspruch gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2001.
Wien, am 12. Juni 2003
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2003:2000200111.X00Im RIS seit
31.07.2003