TE Vwgh Erkenntnis 2003/6/12 99/20/0426

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 12.06.2003
beobachten
merken

Index

E000 EU- Recht allgemein;
E3R E05100000;
001 Verwaltungsrecht allgemein;
10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG);
19/05 Menschenrechte;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

31968R1612 Freizügigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der Gemeinschaft Art10 Abs1;
AsylG 1997 §10 Abs2;
AsylG 1997 §11 Abs1;
AsylG 1997 §11;
AsylG 1997 §7;
B-VG Art140;
EURallg;
FrG 1997 §37;
FrG 1997 §47 Abs3 Z3;
MRK Art8;
VwRallg;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kremla und die Hofräte Dr. Nowakowski, Dr. Sulzbacher, Dr. Grünstäudl und Dr. Berger als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Trefil, über die Beschwerde der K in L, geboren 1939, vertreten durch Dr. Kurt Lichtl, Rechtsanwalt in 4020 Linz, Harrachstraße 14/I, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 12. Mai 1999, Zl. 200.911/10- VI/18/99, betreffend Zurückweisung eines Asylerstreckungsantrages gemäß § 10 Abs. 2 AsylG (weitere Partei: Bundesminister für Inneres), zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Die Beschwerdeführerin hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von EUR 41,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Die Beschwerdeführerin, eine irakische Staatsangehörige, reiste am 31. Jänner 1994 in das Bundesgebiet ein und beantragte am 1. Februar 1994 Asyl. Mit im Instanzenzug ergangenem, rechtskräftigem Bescheid vom 17. November 1994 wurde dieser Asylantrag auf Grundlage des Asylgesetzes 1991 abgewiesen. Die dagegen erhobene Beschwerde wurde vom Verwaltungsgerichtshof mit Erkenntnis vom 6. März 1996, Zl. 95/20/0130, als unbegründet abgewiesen.

Am 10. November 1997 stellte die Beschwerdeführerin einen zweiten Asylantrag, den sie damit begründete, dass sich der asylrechtlich relevante Sachverhalt dadurch, dass ihrem Sohn in Österreich Asyl gewährt worden sei, wesentlich verändert habe, weil sie im Irak wegen der dort praktizierten Sippenhaftung einer asylrelevanten Verfolgung ausgesetzt wäre. Das Bundesasylamt wies diesen Asylantrag auf Grundlage des Asylgesetzes 1991 ab. Der dagegen erhobenen Berufung gab der unabhängige Bundesasylsenat mit Bescheid vom 26. August 1998 keine Folge. Die dagegen an den Verwaltungsgerichtshof erhobene Beschwerde wurde mit Erkenntnis vom 4. Mai 2000, Zl. 98/20/0578, als unbegründet abgewiesen.

Schließlich stellte die am 1. Jänner 1939 geborene Beschwerdeführerin am 22. Dezember 1997 den nunmehr verfahrensgegenständlichen, auf ihren am 7. Jänner 1961 geborenen Sohn C. W. A. bezogenen Asylerstreckungsantrag. Sie begründete diesen Antrag damit, dass sie gemeinsam mit ihrem Sohn in Linz lebe und ihr Ehegatte 1985 verstorben sei. Sie werde von ihrem Sohn fürsorglich betreut und sei von diesem "in jeder Beziehung abhängig". Sie leide an Grauem Star, Bluthochdruck und sehr schlechten Zähnen und bedürfe der "ständigen physischen und psychischen Betreuung durch meinen Sohn".

Das Bundesasylamt wies den Antrag mit Bescheid vom 8. April 1999 gemäß § 10 Abs. 2 AsylG als unzulässig zurück. Der dagegen erhobenen Berufung gab der unabhängige Bundesasylsenat (die belangte Behörde) mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid keine Folge. Begründend führte die belangte Behörde aus, die Beschwerdeführerin sei die Mutter des C. W. A., dem mit Bescheid des Bundesministeriums für Inneres vom 31. Jänner 1997 Asyl gewährt worden sei. Dieser Sohn sei volljährig, die Beschwerdeführerin gehöre somit nicht zum Personenkreis des § 10 Abs. 2 AsylG. Nach dem eindeutigen Gesetzeswortlaut sei ein Asylerstreckungsantrag nur für den in § 10 Abs. 2 AsylG genannten Personenkreis möglich. Es finde sich kein Anhaltspunkt für eine analoge Anwendung des § 10 Abs. 2 AsylG auf den Fall der Beschwerdeführerin.

Über die gegen diesen Bescheid gerichtete Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof erwogen:

1. Die Beschwerdeführerin macht geltend, dass die Voraussetzungen der Asylerstreckung bei ihr vorlägen. Die seit 1994 gemeinsam mit ihrem Sohn in einer Wohnung in Linz wohnende und seit dem Tod ihres Ehegatten im Jahre 1985 gänzlich auf dessen Hilfe angewiesene Beschwerdeführerin, die auch keinerlei Pensions- oder Sozialleistungen beziehe, müsse als auf den Unterhalt des volljährigen Kindes angewiesener Elternteil gleich behandelt werden, wie der in § 10 Abs. 2 AsylG angeführte Personenkreis (minderjährige Kinder, Ehegatten oder Eltern eines minderjährigen Kindes). Die Ausschließung eines solchen Elternteiles von der Asylerstreckung stelle eine sachlich nicht gerechtfertigte Differenzierung dar und verletze den Grundsatz der Familieneinheit gemäß Art. 8 EMRK. Das dem Sohn der Beschwerdeführerin gewährte Asyl sei daher in analoger Anwendung des § 10 Abs. 2 AsylG auf die Beschwerdeführerin zu erstrecken gewesen. Dafür spreche auch § 47 Abs. 3 Z 3 FrG, welcher einen gleich gelagerten Fall regle. Schließlich wird in der Beschwerde angeregt, § 10 Abs. 2 AsylG wegen Verstoßes gegen den Gleichheitsgrundsatz sowie Art. 8 EMRK beim Verfassungsgerichtshof als verfassungswidrig anzufechten.

2. Das Rechtsinstitut der Asylerstreckung ist in den §§ 10, 11 AsylG geregelt. Diese Bestimmungen lauten:

"§ 10. (1) Fremde begehren mit einem Asylerstreckungsantrag die Erstreckung des einem Angehörigen auf Grund eines Asylantrages oder von Amts wegen gewährten Asyl.

(2) Asylerstreckungsanträge können frühestens zur selben Zeit wie der der Sache nach damit verbundene Asylantrag eingebracht werden. Sie sind nur für Eltern eines Minderjährigen oder für Ehegatten und minderjährige unverheiratete Kinder zulässig; für Ehegatten überdies nur dann, wenn die Ehe spätestens innerhalb eines Jahres nach der Einreise des Fremden geschlossen wird, der den Asylantrag eingebracht hat.

§ 11. (1) Die Behörde hat auf Grund eines zulässigen Antrages durch Erstreckung Asyl zu gewähren, wenn dem Asylwerber die Fortsetzung eines bestehenden Familienlebens im Sinne des Art. 8 der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten EMRK, BGBl. Nr. 210/1958, mit dem Angehörigen in einem anderen Staat nicht möglich ist.

(2) Fremde, die einen Asylerstreckungsantrag eingebracht haben, können im Verfahren über den Asylantrag ihres Angehörigen aus eigenem alles vorbringen, was ihnen für dieses Verfahren maßgeblich erscheint. Wird der Asylantrag als unzulässig zurückgewiesen oder als offensichtlich unbegründet abgewiesen, so gelten die der Sache nach damit verbundenen Asylerstreckungsanträge, sofern der Betroffene nach Belehrung über die Folgen nicht ausdrücklich darauf verzichtet, als Asylanträge. Die Behörde hat über diese Anträge unverzüglich zu entscheiden; im Falle eines Verzichtes sind Asylanträge dieser Fremden innerhalb von 30 Tagen nach Eintritt der Rechtskraft der die Asylerstreckungsanträge abweisenden Entscheidung unzulässig.

(3) Bringen Fremde einen Asylerstreckungsantrag während eines bereits anhängigen Verfahrens gemäß § 7 ein, ist mit der Erledigung dieses Antrages zuzuwarten, bis die Entscheidung über ihren Asylantrag ergangen ist. Asyl durch Erstreckung darf ihnen erst gewährt werden, wenn ihr Asylantrag rechtskräftig zurückgewiesen oder abgewiesen wurde.

(4) Bescheide, mit denen Angehörigen durch Erstreckung Asyl gewährt wurde, treten außer Kraft und Asylerstreckungsanträge werden gegenstandslos, wenn den Angehörigen gemäß § 7 Asyl gewährt wird."

Nach dem Wortlaut des § 10 Abs. 2 AsylG können nur die dort genannten Personen zulässigerweise einen Asylantrag stellen. Ein Asylerstreckungsantrag, der von Personen gestellt wird, die in keinem der angeführten Verwandtschaftsverhältnisse bzw. in keiner aufrechten Ehe zu einem Asylberechtigten stehen, ist nach dieser Bestimmung - unabhängig davon, ob allenfalls ein schützenswertes Familienleben im Sinne von Art. 8 EMRK vorliegt - "unzulässig" und daher zurückzuweisen (vgl. in diesem Sinne auch die Regierungsvorlage des AsylG 1997, 686 BlgNR 20. GP 20 f,sowie Feßl/Holzschuster, Asylgesetz 1997, 230).

3. Der in der Beschwerde vertretene Standpunkt wirft die Frage auf, inwieweit es sich bei der Nichterwähnung des Verwandtschaftsverhältnisses von Elternteilen zu volljährigen Kindern in § 10 Abs. 2 AsylG um eine planwidrige, durch Analogie schließbare Lücke im Gesetz handeln kann. In dem Erkenntnis eines verstärkten Senates vom 23. Jänner 2003, Zl. 2001/01/0429, wurde hinsichtlich des dort erwähnten Umstandes, dass vor der Antragstellung volljährig gewordene Kinder von einer Asylerstreckung auf sie "definitiv ausgeschlossen" seien, nur auf ein Spannungsverhältnis zu den Gesetzesmaterialien hingewiesen. In dem Erkenntnis vom 23. September 1998, Zl. 98/01/0270, wurde die Lückenhaftigkeit einer in Bezug auf den erfassten Personenkreis vergleichbaren Regelung in § 4 Abs. 4 Z 2 und 3 AsylG (Unbeachtlichkeit des Schutzes in einem sicheren Drittstaat) verneint, wobei aber nicht das Verwandtschaftsverhältnis, sondern die fehlende Asylgewährung hinsichtlich des in Österreich lebenden Verwandten zur Diskussion stand.

3.1. Die Flüchtlingskonvention als in der Regel wesentlicher Maßstab für die Auslegung des Asylgesetzes (vgl. etwa Rohrböck, Das Bundesgesetz über die Gewährung von Asyl (1999) Rz 62 und 1180 ff) enthält keine allgemeinen Vorschriften über den Status der Familienangehörigen eines Flüchtlings. Bei der Ausarbeitung der Konvention wurde hinsichtlich bestimmter Einzelheiten auf den Schutz der Familie Bedacht genommen, der Grundsatz der Familieneinheit als solcher wurde aber nur - in teilweiser Anlehnung an die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte - in einer Empfehlung der Bevollmächtigtenkonferenz betont. Schon das Ad-Hoc-Komitee hatte allerdings den Standpunkt vertreten, die Mitglieder der unmittelbaren Familie ("immediate family") eines Flüchtlings sollten in der Regel als Flüchtlinge betrachtet werden. In der Beratung der Empfehlung der Bevollmächtigtenkonferenz wurde dies als Ausdruck einer - nach Ansicht des Ad-Hoc-Komitees gegebenen - Verpflichtung gedeutet (vgl. zu diesen Vorgängen das für die Global Consultations 2001 erstellte UNHCR-Arbeitspapier von Jastram/Newland, Family Unity and Refugee Protection, 8; Grahl-Madsen, The Status of Refugees in International Law I (1966) 413 f).

Grahl-Madsen vertrat unter Berufung auf die Staatenpraxis der folgenden eineinhalb Jahrzehnte die Auffassung, es bestehe eine gewohnheitsrechtliche Regel ("a customarily established rule, of legal character"), wonach den Mitgliedern der "immediate family" eines Flüchtlings der Flüchtlingsstatus zuzuerkennen sei. Die Entscheidung im Fall Gutierrez, auf die er in Bezug auf die Annahme rechtlicher Verbindlichkeit vor allem hinwies, betraf die betagte Mutter eines Flüchtlings (aaO 416). Um hilfsbedürftige Elternteile von Flüchtlingen ging es auch in drei weiteren der von Grahl-Madsen referierten Fälle (aaO 420). Das Prinzip der Familieneinheit, so Grahl-Madsen allgemein, sei nach der vorliegenden Judikatur auf den Ehegatten sowie auf die Deszendenten und Aszendenten des Flüchtlings anzuwenden und scheine analog auch auf die Aszendenten und Deszendenten des Ehegatten sowie auf Adoptiv- und Pflegekinder des Flüchtlings übertragbar zu sein (aaO 420 f, mit Einzelheiten hinsichtlich des erforderlichen Zusammenlebens; zur Anerkennung als Flüchtling durch Anwendung des Prinzips der Familieneinheit auch aaO 430 f).

Im UNHCR-Handbuch über Verfahren und Kriterien zur Feststellung der Flüchtlingseigenschaft (1979) wurde ausgeführt, die Empfehlung in der Schlussakte von 1951 werde von den meisten Staaten befolgt, auch wenn sie gar nicht Vertragsstaaten seien (aaO, Abs. 183). Normalerweise werde dem Angehörigen die Rechtsstellung als Flüchtling gewährt (Abs. 184). Bei der Frage, welche Familienmitglieder in den Genuss des Grundsatzes der Einheit der Familie kommen sollten, sei "die Mindestforderung die, dass der Ehegatte und die minderjährigen Kinder davon erfasst werden. In der Praxis werden normalerweise auch andere Personen berücksichtigt, wenn sie im selben Haushalt leben, z.B. die alten Eltern eines Flüchtlings" (Abs. 185).

Demgegenüber vertrat die deutsche Rechtsprechung, auf die sich Grahl-Madsen u.a. bezogen hatte, in Abkehr von der früheren Judikatur ab 1982 die Ansicht, weder das deutsche Grundgesetz noch die Flüchtlingskonvention erforderten die Anerkennung nicht verfolgter Familienmitglieder als Flüchtlinge (BVerwGE 65, 244; ähnlich das Bundesverfassungsgericht in NVwZ 1985, 260, und die Folgejudikatur;

vgl. Gemeinschaftskommentar zum deutschen Asylverfahrensgesetz, Rz 12 zu § 26 dAsylVfG). Vergleichbare Ansichten äußerte - in Bezug auf die Flüchtlingskonvention und das Asylgesetz 1968 - in der Folge auch der Verwaltungsgerichtshof (vgl. die hg. Erkenntnisse vom 17. September 1986, Zl. 85/01/0150, vom 23. März 1988, Zlen. 87/01/0319, 0320, und vom 4. Oktober 1989, Zl. 89/01/0282).

3.2. In der Regierungsvorlage zum Asylgesetz 1991, in dessen § 4 der österreichische Gesetzgeber die Frage erstmals ausdrücklich regelte, wurde zur Begründung für die Einführung einer Ausdehnung von Asyl primär auf Art. 8 EMRK und darüber hinaus auf die Ergebnisse der UN-Konferenz von 1977 über den (nie verwirklichten) Entwurf einer Konvention über territoriales Asyl verwiesen. Dass die neu eingeführte Bestimmung nur eine Ausdehnung des Asyls auf minderjährige Kinder und Ehegatten ermöglichte, wurde in Bezug auf den Ausschluss eheähnlicher Lebensgemeinschaften mit dem Interesse an einer Übereinstimmung mit Art. 35 Abs. 2 des Schengener Durchführungsübereinkommens begründet (270 BlgNR 18. GP 13 f; die zuletzt erwähnte Vertragsbestimmung bezieht allerdings die Eltern lediger Kinder unter achtzehn Jahren ein; ähnlich Art. 4 des Dubliner Übereinkommens und Art. 2 lit. i der Verordnung (EG) Nr. 343/2003).

Der im Mai 1996 versendete Entwurf eines Fremdenrechtsänderungsgesetzes sah - unter näher genannten Voraussetzungen - die Einbeziehung "sonstiger Angehöriger" vor, um den Adressatenkreis der Regelung mit demjenigen des Art. 8 EMRK in Übereinstimmung zu bringen. Von dieser Absicht wurde in dem im März 1997 versendeten Entwurf einer Asylgesetznovelle wieder Abstand genommen. Nach diesem Entwurf sollte sich der Adressatenkreis im Verhältnis zum Asylgesetz 1991 überhaupt nicht ändern (vgl. zu beiden Entwürfen das hg. Erkenntnis vom 12. Dezember 2002, Zl. 2000/20/0078).

Die Regierungsvorlage zu § 10 des geltenden Asylgesetzes, mit dem der Adressatenkreis der neu gestalteten Regelung über die Asylerstreckung auf die "Eltern eines Minderjährigen" ausgedehnt wurde, wies nur darauf hin, dass dies gegenüber dem Asylgesetz 1991 neu sei. Allgemein wurde nun aber zum Rechtsinstitut der Asylerstreckung - anders als in den Erläuterungen zum Asylgesetz 1991 und zu den Ministerialentwürfen vom Mai 1996 und März 1997 - auf Beschlüsse des Exekutiv-Komitees für das Programm des UNHCR hingewiesen. Dabei wurde u.a. aus dem Beschluss Nr. 15 (XXX) zitiert, die Staaten sollten "zumindest" den Ehegatten und minderjährigen "oder abhängigen" Kindern des Flüchtlings "die Aufnahme in ihr Land erleichtern" (686 BlgNR 20. GP 21).

4. Diese Entstehungsgeschichte der derzeitigen Regelung lässt sich dahingehend zusammenfassen, dass sich der Gesetzgeber in Bezug auf den erfassten Personenkreis - in bewusstem Gegensatz zu einer Regelung, die eine Übereinstimmung mit dem Personenkreis des Art. 8 EMRK herbeigeführt hätte - auf die im UNHCR-Handbuch erwähnte "Mindestforderung" beschränkt und eine Erweiterung nur insofern vorgenommen hat, als sie in etwas anderen Zusammenhängen im Schengener Durchführungsübereinkommen und im Dubliner Übereinkommen vorgezeichnet war, nämlich hinsichtlich der Eltern minderjähriger Kinder.

4.1. Damit scheidet - trotz des einleitenden Hinweises in den Erläuterungen zur erstmaligen Regelung im Asylgesetz 1991 - zunächst Art. 8 EMRK als Maßstab für allfällige Planwidrigkeiten der derzeitigen Regelung aus. Die Nichtübereinstimmung des erfassten Personenkreises mit demjenigen des Art. 8 EMRK erweckt auch keine verfassungsrechtlichen Bedenken im Hinblick auf das durch Art. 8 EMRK gewährleistete Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens. Die Zulässigkeit eines allfälligen Eingriffes in das Familienleben der Beschwerdeführerin als nicht in § 10 Abs. 2 AsylG angeführter Person ist nämlich ohnehin im Rahmen eines Verfahrens zur Setzung aufenthaltsbeendender Maßnahmen auf Grundlage des § 37 FrG zu prüfen (vgl. etwa Feßl/Holzschuster, Asylgesetz 1997, 230).

4.2. Allerdings eröffnet sich in Bezug auf "abhängige", aber im Zeitpunkt der Antragstellung nicht mehr minderjährige Kinder ein Widerspruch zwischen dem Gesetzeswortlaut und der Einbeziehung solcher Kinder sowohl in den in der Regierungsvorlage zum Asylgesetz 1991 erwähnten Ergebnissen der UN-Konferenz von 1977 (vgl. deren Darstellung in 270 BlgNR 18. GP 14) als auch in dem in der Regierungsvorlage zum geltenden Gesetz erwähnten Beschluss Nr. 15 (XXX) des Exekutiv-Komitees (vgl. insoweit schon das oben zitierte Erkenntnis eines verstärkten Senates vom 23. Jänner 2003). Ob dem Gesetzgeber zu unterstellen ist, er habe das in dem zuletzt erwähnten Beschluss "zumindest" Geforderte nicht erreichen wollen, kann im vorliegenden Fall aber dahinstehen. Wollte man hypothetisch davon ausgehen, die Regelung weise in Bezug auf (allenfalls nur: in altersuntypischem Maße) abhängige, bereits volljährige Kinder eine durch Analogie zu schließende Lücke auf, so könnte dies nach dem System des Gesetzes zwar bedeuten, dass nicht nur Erstreckungsanträge solcher Kinder, sondern umgekehrt - für den Fall, dass Letzteren gemäß § 7 AsylG Asyl gewährt wird - auch solche ihrer Eltern zulässig wären. Für die Erstreckung der Asylgewährung nicht von abhängigen Kindern auf betreuende Elternteile, sondern von einem "unabhängigen" Kind auf einen hilfsbedürftigen Elternteil böte sich im Gesetz und in den Zielvorstellungen, auf die in den Gesetzesmaterialien verwiesen wird, aber - abgesehen von Art. 8 EMRK - auch dann kein direkter oder indirekter Anhaltspunkt.

4.3. Dass damit der von Grahl-Madsen und im UNHCR-Handbuch als damalige Staatenpraxis beschriebene Standard in Bezug auf die verfahrensgegenständliche Frage der Erstreckung des Flüchtlingsstatus auf altersbedingt abhängige Elternteile nicht erreicht wird, ist aus der Sicht des österreichischen Gesetzgebers schon mit Rücksicht auf die erwähnte Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes in den letzten Jahren vor dem Asylgesetz 1991 nicht als planwidrig zu erkennen (vgl. auch die Ausführungen von Steiner, Asylrecht '92 (1992) 26, zur Rechtslage vor diesem Gesetz). Die zuletzt in den Vordergrund getretenen Forderungen, die Bestimmung des in Betracht kommenden Personenkreises solle - ähnlich der in § 11 Abs. 1 AsylG getrennt geregelten materiellen Voraussetzung eines bestehenden Familienlebens gemäß Art. 8 EMRK - pragmatisch und flexibel sein (vgl. etwa Abs. 3 und 4 des UNHCR-Dokumentes vom 4. Juni 1999 über "Family Protection Issues") und es seien "liberale Kriterien" im Hinblick auf eine "umfassende" Wiedervereinigung der Familie anzuwenden (Beschluss Nr. 88 (L) des Exekutiv-Komitees vom 8. Oktober 1999), gehören schon auf Grund des zeitlichen Verhältnisses zur Entstehung der derzeitigen Regelung nicht zu den Zielvorstellungen, an denen sich der Gesetzgeber orientiert hat. Dies gilt auch für den in dem Dokument vom 4. Juni 1999 enthaltenen Hinweis, dass der Situation älterer Menschen in diesem Zusammenhang besonderes Augenmerk zu schenken sei (aaO, Abs. 27 lit. e; vgl. zu diesem Thema jetzt das zitierte Papier von Jastram/Newland, 5).

5. Zuletzt geht auch der Hinweis der Beschwerde auf § 47 Abs. 3 Z 3 FrG als Anhaltspunkt für einen Analogieschluss fehl.

Diese Bestimmung regelt das Aufenthaltsrecht für Angehörige von EWR-Bürgern. Der Personenkreis gemäß Abs. 3 dieser Gesetzesbestimmung umfasst alle Verwandten, die in der Verordnung 1612/68/EG  genannt sind, und erweitert den in Bezug auf die Erteilung einer Aufenthaltsberechtigung für Angehörige eines EWR-Bürgers begünstigten Personenkreis im Einklang mit den Bestimmungen der Verordnung (vgl. die Erläuterungen zur Regierungsvorlage, 685 BlgNR 20. GP, abgedruckt bei Widermann/Körner/Schindler/Wimmer, Fremdenrecht - Praxiskommentar I 1.1.143; zum Verständnis dieser Bestimmung siehe etwa das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 4. Februar 2000, Zl. 99/19/0125). Der durch die genannte EG-Verordnung vorgegebene Regelungsbereich des § 47 Abs. 3 Z 3 FrG ist somit ein anderer als der des § 10 Abs. 2 AsylG, sodass kein Anhaltspunkt für eine analoge Anwendung dieser aufenthaltsrechtlichen Bestimmung auf den Bereich der Asylerstreckung ersichtlich ist.

6. Aufgrund der fehlenden Möglichkeit, § 10 Abs. 2 AsylG auf den Fall der Beschwerdeführerin analog anzuwenden, vermag der Beschwerde auch der Hinweis darauf, alle Voraussetzungen des § 11 AsylG lägen bei der Beschwerdeführerin vor und es hätte ihr daher durch Erstreckung Asyl gewährt werden müssen, nicht zum Erfolg zu verhelfen. Die Beschwerdeführerin verkennt, dass § 11 Abs. 1 AsylG zwar eine materielle Voraussetzung für die Asylerstreckung formuliert, diese aber nur dann zum Tragen kommt, wenn auch die Zulässigkeitsvoraussetzungen des § 10 Abs. 2 AsylG erfüllt sind (vgl. grundlegend zu §§ 10, 11 AsylG das Erkenntnis eines verstärkten Senates vom 23. Jänner 2003, Zl. 2001/01/0429).

7. Im Hinblick auf die dargestellte Rechtslage kann das in der Beschwerde gerügte Unterbleiben der beantragten Einvernahme des Sohnes der Beschwerdeführerin im vorliegenden Fall keinen relevanten Verfahrensmangel begründen.

8. Die Beschwerde war somit aus den angeführten Gründen gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG und der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2001.

Wien, am 12. Juni 2003

Schlagworte

Auslegung Anwendung der Auslegungsmethoden Bindung an den Wortlaut des Gesetzes VwRallg3/2/1 Gemeinschaftsrecht Richtlinie EURallg4

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2003:1999200426.X00

Im RIS seit

31.07.2003
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten