TE Vwgh Erkenntnis 2003/6/12 2002/20/0336

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Veröffentlicht am 12.06.2003
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Index

10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG);
10/07 Verwaltungsgerichtshof;
40/01 Verwaltungsverfahren;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

AsylG 1997 §23;
AsylG 1997 §7;
AsylG 1997 §8;
AVG §67d Abs1 idF 2001/I/137;
AVG §67d Abs2 idF 2001/I/137;
AVG §67d Abs3 idF 2001/I/137;
AVG §67d Abs4 idF 2001/I/137;
AVG §67d idF 2001/I/137;
B-VG Art130 Abs2;
EGVG 1991 Anlage Art2 Abs2 Z43a;
FrG 1997 §57 Abs1;
VwGG §42 Abs2 Z1;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kremla und die Hofräte Dr. Nowakowski, Dr. Sulzbacher und Dr. Grünstäudl und Dr. Zehetner als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Trefil, über die Beschwerde des S, geboren 1977, vertreten durch Kux & Partner Rechtsanwälte OEG in 2340 Mödling, Enzersdorfer Straße 4, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 4. April 2002, Zl. 224.901/0- XI/38/01, betreffend § 7 und § 8 AsylG (weitere Partei: Bundesminister für Inneres), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird in seinem zweiten, die Zulässigkeit der Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach Ghana feststellenden Spruchteil wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben. Im Übrigen wird die Beschwerde als unbegründet abgewiesen.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 908,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Der am 10. April 2001 in das Bundesgebiet eingereiste Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger von Ghana, führte vor dem Bundesasylamt zu seinen Fluchtgründen aus, er habe seine Heimat verlassen, weil er durch Angehörige des Stammes der Nyanyano verfolgt worden sei. Er habe in Ghana in den vergangenen Jahren den Verkauf von Grundstücken vermittelt, hinsichtlich derer es zu "Streitereien" anderer Stämme mit jenem der Nyanyano gekommen sei. Die Käufer hätten Häuser auf diesen Grundstücken errichtet, die von Stammensangehörigen der Nyanyano, die das Land beanspruchten, wiederholt zerstört worden seien. Weil der Beschwerdeführer einerseits den Grundstücksverkauf vermittelt habe und andererseits beim (Wiederauf-)Bau der Häuser mitgeholfen habe, seien sowohl die Käufer dieser Grundstücke als auch die Angehörigen des genannten Stammes auf "ihn böse" gewesen. Im Dezember 1999 hätten Letztere den in seinem Auto fahrenden Beschwerdeführer deshalb zum Anhalten aufgefordert. Als er daraufhin die Straßensperre von etwa zehn Personen durchbrochen habe, sei eine Person, die er angefahren habe, verletzt worden. Aus diesem Grund hätten ihn Angehörige der Nyanyanos einige Tage danach verprügelt und danach bewusstlos liegen gelassen. Er habe zunächst seinen Wohnsitz gewechselt und später über Ratschlag seiner Mutter Ghana verlassen. Auf die Frage, warum er sich nicht um Hilfe an die Polizei gewendet habe, antwortete der Beschwerdeführer, er würde verhaftet werden, weil Stammesangehörige sicherlich behaupteten, dass das Land ihnen gehöre. Der Beschwerdeführer erwarte, obwohl er nicht der Auffassung sei, etwas Illegales getan zu haben, wegen der genannten Grundstücksverkäufe Probleme mit den Behörden, da auch Freunde, "die das taten", verhaftet worden seien.

Das Bundesasylamt vertrat unter Bezugnahme auf die politische Situation in Ghana zusammengefasst die Ansicht, der Beschwerdeführer hätte durch die Behörden seines Heimatstaates Schutz erlangen können und wies den Asylantrag des Beschwerdeführers mit Bescheid vom 24. Oktober 2001 gemäß § 7 AsylG ab. Gleichzeitig stellte es gemäß § 8 AsylG fest, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach Ghana zulässig sei.

In der dagegen erhobenen Berufung meinte der Beschwerdeführer, durch die von ihm vermittelten Grundstücksgeschäfte sei es für die Angehörigen der Nyanyano zu "ungünstigen Verkäufen" gekommen. Für "diese Schwierigkeiten (ungeklärte Eigentumsverhältnisse)" hätten die Mitglieder dieses Stammes ihn ("mich persönlich") verantwortlich gemacht. Obwohl der Beschwerdeführer zu einer "Schadensgutmachung" bereit gewesen sei, sei es zum geschilderten massiven Übergriff auf ihn gekommen. Sein Heimatstaat sei nicht gewillt, ihn vor der Selbstjustiz der Stammesmitglieder zu schützen. Es sei sogar möglich, dass die Behörden ein Strafverfahren gegen den Beschwerdeführer eingeleitet hätten. Dann drohe ihm in seiner Heimat eine exzessive Strafe im Ausmaß von etwa 10 Jahren. Die ihn dabei erwartende Behandlung in der Haft verstoße gegen Art. 3 EMRK.

Mit dem ersten Spruchteil des angefochtenen Bescheides wies die belangte Behörde unter Abstandnahme von der Durchführung einer Verhandlung die Berufung des Beschwerdeführers gemäß § 7 AsylG ab und stellte im zweiten Spruchteil gemäß § 8 AsylG iVm § 57 FrG neuerlich die Zulässigkeit der Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach Ghana fest. Der Beschwerdeführer, dessen Fluchtgründe und Berufungsangaben die belangte Behörde als glaubwürdig zugrundelegte, habe sich, nachdem er durch Stammesangehörige im Dezember 1999 "zusammengeschlagen" worden sei, bis März 2001 unbehelligt in Ghana aufgehalten. Der Beschwerdeführer habe "seinen Angaben zufolge niemals etwas Illegales in Ghana getan". Ein Strafverfahren, so die belangte Behörde weiter, sei gegen ihn nicht eingeleitet worden. Von letztgenanntem Umstand sei deshalb auszugehen, weil der Beschwerdeführer bloß von der Möglichkeit und damit nur von einer durch Anhaltspunkte nicht bestärkten Vermutung eines ihm in Ghana drohenden Strafverfahrens gesprochen habe.

In rechtlicher Hinsicht beurteilte die belangte Behörde das Vorbringen des Beschwerdeführers als nicht asylrelevant, weil die von ihm geltend gemachte Verfolgung keine Ursache in den in der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründen finde. Zudem beschränkten sich die von ihm befürchteten Übergriffe, wie der geschilderte Vorfall zeige, räumlich auf den Einflussbereich des in Rede stehenden Stammes, sodass sich vor dem Hintergrund einer für den Beschwerdeführer bestehenden "inländischen Fluchtalternative" ein Eingehen auf das Vorbringen, die Behörden Ghanas seien nicht gewillt, ihm Schutz vor der Selbstjustiz des genannten Stammes (gemeint: auch in dessen räumlichen Einflussbereich) zu gewähren, erübrige. Dennoch sei aber "auf Grund der im Verwaltungsakt aufliegenden Quellen" festzuhalten, dass sich nach den bereits im erstinstanzlichen Bescheid getroffenen Feststellungen ein rechtsstaatliches und demokratisches System mit unabhängiger Justiz in Ghana entwickelt habe und dass es in diesem Staat "besonders unmenschliche oder unverhältnismäßige Strafen" nicht gebe.

Zur Entscheidung nach § 8 AsylG meinte die belangte Behörde, mangels eines gegen den Beschwerdeführer eingeleiteten Strafverfahrens erübrige sich ein Eingehen auf die Frage der dem Beschwerdeführer drohenden Haftstrafe. Aber auch ein anhängiges Strafverfahren lasse vor dem Hintergrund der in Ghana geltenden Unschuldsvermutung und im Hinblick auf die vom Beschwerdeführer geäußerte Ansicht, er habe in Ghana nichts Illegales getan, die "Prognose" zu, dass ein Schuldspruch "gegen den - unschuldigen - Berufungswerber" mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit nicht zu erwarten sei. Sollte es aber doch "etwa wegen des Verdachts des Betruges" zu einer Verurteilung des Beschwerdeführers kommen, so sei die von ihm behauptete Strafdrohung im Ausmaß von 10 Jahren nicht als unverhältnismäßig hoch oder als exzessiv zu bewerten.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:

Die Beschwerde wendet sich zunächst gegen die Ansicht der belangten Behörde, die vom Beschwerdeführer behauptete Verfolgung lasse sich nicht auf einen der in der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründe zurückführen. Der Beschwerdeführer sei nämlich "als Makler" und damit wegen seiner Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe von den von ihm genannten Stammesmitgliedern zur Verantwortung gezogen worden.

Nach seinem Fluchtvorbringen, das die belangte Behörde ihrer Entscheidung zugrunde gelegt hat, war der Beschwerdeführer in Ghana als Grundstücksvermittler tätig und wurde bedroht, weil von ihm angebahnte Geschäftsfälle zu "Schwierigkeiten", insbesondere zu ungeklärten Eigentumsverhältnissen und "ungünstigen" Ergebnissen für die Vertragsparteien geführt hätten. Auch die Beschwerde spricht in diesem Zusammenhang von der Verletzung von Eigentumsrechten der Stammesangehörigen der Nyanyano durch die vom Beschwerdeführer vermittelten Grundstücksverkäufe. Hieraus ist ersichtlich, dass die behauptete Verfolgung des Beschwerdeführers nicht aus der Zugehörigkeit zu einer bestimmten Berufsgruppe, sondern vielmehr aus den ihm vorgeworfenen Unregelmäßigkeiten bei Geschäften, die er vermittelt hat, resultiert. Ginge man (bloß) vom Maklerberuf des Beschwerdeführers aus und blendete die ihm unterstellte Rechtswidrigkeit seiner Tätigkeit aus, so fänden sich nach der von ihm vorgetragenen Fluchtgeschichte keine Anhaltspunkte mehr für die behauptete Verfolgung. Anders als der Beschwerdeführer meint, stellt daher nicht (schon) die Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe, sondern erst das ihm persönlich vorgeworfene, zu Nachteilen für dritte Personen führende Verhalten (vgl. die Ausführungen der Berufung:

"Mitglieder dieses Stammes machen mich persönlich für diese Schwierigkeiten ... verantwortlich") die Ursache der von ihm behaupteten Verfolgung dar. Die Auffassung der belangten Behörde, die vom Beschwerdeführer geschilderte Verfolgung beruhe nicht auf einem der in Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründe, ist somit nicht als rechtswidrig zu erkennen. Die Beschwerde war daher, soweit sie sich gegen den über den Asylantrag absprechenden ersten Spruchteil des angefochtenen Bescheides richtet, als unbegründet abzuweisen.

Zur Refoulement-Entscheidung rügt die Beschwerde, die belangte Behörde habe es in rechtswidriger Weise unterlassen, Ermittlungen und Feststellungen hinsichtlich der vom Beschwerdeführer im Verwaltungsverfahren als menschenrechtswidrig bezeichneten Haftbedingungen in Ghana zu treffen. Nicht nur aus den genannten "Liegenschaftstransaktionen", sondern auch aus dem verursachten Verkehrsunfall mit Personenschaden ergebe sich aber, dass dem Beschwerdeführer entgegen der Ansicht der belangten Behörde eine Haftstrafe drohe.

Der Beschwerdeführer hat in seiner Berufung - erstmals im Rahmen des hier zu beurteilenden Asylverfahrens - eingewendet, dass er wegen der geschilderten Vorfälle in Ghana mit Haftbedingungen rechnen müsse, die gegen Art. 3 EMRK verstoßen und hat damit (entgegen der Meinung der belangten Behörde) einen von vornherein nicht unerheblichen Sachverhalt neu eingewendet. Ermittlungen zu diesem Thema hielt die belangte Behörde primär deshalb für nicht erforderlich, weil der Beschwerdeführer ihrer Ansicht nach ein Strafverfahren in seiner Heimat gar nicht zu befürchten habe. Abgesehen davon, dass die Beschwerde im gegebenen Zusammenhang zutreffend auf die (von der belangten Behörde, wie erwähnt, mit der Fluchtgeschichte zugrunde gelegte) Verletzung eines Dritten durch den Beschwerdeführer verweist, nennt die belangte Behörde im angefochtenen Bescheid in Bezug auf die Vermittlungstätigkeit des Beschwerdeführers selbst Anhaltspunkte für ein solches Strafverfahren, indem sie vom "Verdacht des Betruges" spricht (ob der Beschwerdeführer sein Verhalten selbst als illegal eingestuft hat, ist dabei von untergeordneter Bedeutung).

Aber auch die "Prognose" der belangten Behörde, selbst ein gegen den Beschwerdeführer geführtes Strafverfahren lasse "mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit den Schuldspruch eines Unschuldigen" nicht erwarten, sodass sich im vorliegenden Fall die Frage allfälliger Haftbedingungen gar nicht stellen könne, vermag der Verwaltungsgerichtshof nicht nachzuvollziehen. Mangels Darlegung der in Ghana in einem allfälligen gegen den Beschwerdeführer geführten Strafverfahren zur Anwendung gelangenden Rechtsvorschriften können die hypothetischen Überlegungen der belangten Behörde - zum Ausgang eines diesbezüglichen Strafprozesses im Heimatstaat des Beschwerdeführers - nur spekulativer Natur sein. Vor diesem Hintergrund kann das Berufungsvorbringen des Beschwerdeführers, die Haftbedingungen in Ghana verstießen gegen Art. 3 EMRK, nicht von vornherein als unerheblich beurteilt werden.

Als Verletzung von Verfahrensvorschriften macht der Beschwerdeführer geltend, die belangte Behörde hätte zum Vorbringen in der Berufung nicht nur weitere Ermittlungen anstellen, sondern den Beschwerdeführer dazu auch vernehmen müssen, womit das Unterlassen einer Verhandlung gerügt wird.

Die Verhandlungspflicht des unabhängigen Verwaltungssenates (als solcher ist der unabhängige Bundesasylsenat gemäß Art. 129 und 129c B-VG in der Fassung BGBl. I Nr. 87/1997 anzusehen) im Verfahren nach dem AVG ist in § 67d AVG geregelt. Das den Gegenstand der vorliegenden Beschwerde bildende Verwaltungsverfahren war bei der belangten Behörde am 1. Jänner 2002 anhängig. Gemäß § 82 Abs. 10 AVG hatte die belangte Behörde daher § 67d AVG in der Fassung der Verwaltungsverfahrensnovelle 2001, BGBl. I Nr. 137/2001, anzuwenden.

§ 67d AVG in der Fassung der Verwaltungsverfahrensnovelle 2001, BGBl. I Nr. 137/2001, lautet:

"Öffentliche mündliche Verhandlung

(Verhandlung)

§ 67d. (1) Der unabhängige Verwaltungssenat hat auf Antrag oder, wenn er dies für erforderlich hält, von Amts wegen eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen.

(2) Die Verhandlung kann entfallen, wenn

1. der verfahrenseinleitende Antrag der Partei oder die Berufung zurückzuweisen ist oder bereits auf Grund der Aktenlage feststeht, dass der mit Berufung angefochtene Bescheid aufzuheben ist;

2.

der Devolutionsantrag zurückzuweisen oder abzuweisen ist;

3.

die Beschwerde zurückzuweisen ist oder bereits auf Grund der Aktenlage feststeht, dass der angefochtene Verwaltungsakt für rechtswidrig zu erklären ist.

(3) Der Berufungswerber hat die Durchführung einer Verhandlung in der Berufung zu beantragen. Etwaigen Berufungsgegnern ist Gelegenheit zu geben, binnen angemessener, zwei Wochen nicht übersteigender Frist einen Antrag auf Durchführung einer Verhandlung zu stellen. Ein Antrag auf Durchführung einer Verhandlung kann nur mit Zustimmung der anderen Parteien zurückgezogen werden.

(4) Der unabhängige Verwaltungssenat kann ungeachtet eines Parteiantrages von einer Verhandlung absehen, wenn er einen verfahrensrechtlichen Bescheid zu erlassen hat, die Akten erkennen lassen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Sache nicht erwarten lässt, und dem nicht Art. 6 Abs. 1 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, BGBl. Nr. 210/1958, entgegensteht."

Nach § 67d Abs. 1 AVG in der zitierten Fassung ist hinsichtlich der Durchführung einer Verhandlung zu unterscheiden, ob diese auf Antrag oder von Amts wegen erfolgen soll. Anders als nach der bis zur Verwaltungsverfahrens-novelle 2001 geltenden Rechtslage soll eine mündliche Verhandlung nicht mehr grundsätzlich in jedem Fall anberaumt werden müssen, sondern nur mehr auf Antrag einer Partei. Ausnahmen auch davon sieht § 67d Abs. 2 und 4 AVG vor. Ohne Parteienantrag steht es im Ermessen des unabhängigen Verwaltungssenates, ob er eine Verhandlung durchführt (vgl. - allerdings in Bezug auf § 67d Abs. 2 AVG - RV 723 BlgNR XXI. GP 9; vgl. auch das hg. Erkenntnis vom 24. April 2003, Zl. 2002/07/0076). Nach Thienel (Die Verwaltungsverfahrensnovellen 2001, Seite 29 ff) habe der unabhängige Verwaltungssenat bei der Ausübung dieses Ermessens insbesondere zu beurteilen, ob die Beweisaufnahme eine Erörterung in kontradiktorischer Verhandlung erforderlich macht und ob im Hinblick auf Art. 6 EMRK eine Verhandlung erforderlich scheint.

Im vorliegend zu beurteilenden Beschwerdefall hat der Beschwerdeführer im Verfahren vor dem unabhängigen Bundesasylsenat keinen Antrag auf Durchführung einer Verhandlung gestellt (vgl. zur Verhandlungspflicht der belangten Behörde aufgrund eines Parteienantrages das hg. Erkenntnis vom 23. Jänner 2003, Zl. 2002/20/0533). Andererseits ist im Beschwerdefall keine der Voraussetzungen des § 67d Abs. 2 oder  4 AVG für ein Absehen von der Verhandlung erfüllt. Es ist daher zu prüfen, ob der unabhängige Bundesasylsenat aufgrund des ihm nach § 67d Abs. 1 AVG eingeräumten Ermessens von der Berufungsverhandlung Abstand nehmen durfte.

Dabei ist zu berücksichtigen, dass der unabhängige Bundesasylsenat gemäß Art. II Abs. 2 Z 43a EGVG die Bestimmung des § 67d  AVG mit der Maßgabe anzuwenden hat, dass eine mündliche Verhandlung unterbleiben kann, wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Berufung geklärt erscheint. Diese Bestimmung ist durch das Bundesgesetz BGBl. I Nr. 28/1998 mit 1. Jänner 1998 in Kraft getreten und stellte vor dem Hintergrund der zu diesem Zeitpunkt grundsätzlich bestehenden Verhandlungspflicht des unabhängigen Verwaltungssenates (§ 67d AVG in der damals geltenden Fassung) eine auf den unabhängigen Bundesasylsenat zugeschnittene Einschränkung der Verhandlungspflicht dar (AB 976 BlgNR XX. GP 1). Durch die zitierte Verwaltungsverfahrensnovelle 2001 blieb Art. II Abs. 2 Z 43a EGVG, anders als die bereits angesprochene Bestimmung des § 67d AVG, unverändert. Daraus folgt, dass sich das ursprüngliche Verhältnis der beiden letztgenannten Bestimmungen zueinander verändert hat. Hat der Gesetzgeber somit einerseits die in § 67d AVG zunächst vorgesehene grundsätzliche Verhandlungspflicht für die Fälle eines fehlenden Parteienantrages mit der Verwaltungsverfahrensnovelle 2001 in eine Ermessensentscheidung des unabhängigen Verwaltungssenates abgeändert, sieht er aber andererseits einen Entfall der Verhandlung für den unabhängigen Bundesasylsenat nach Art. II Abs. 2 Z 43a EGVG weiterhin nur bei geklärtem Sachverhalt vor, so kommt bei dieser Rechtslage dem letztgenannten Kriterium (Vorliegen eines geklärten Sachverhaltes) nunmehr für die Fälle, in denen keine Verhandlung beantragt wurde, die Bedeutung eines Maßstabes für die Ausübung des Ermessens des unabhängigen Bundesasylsenates bei Anwendung des § 67d Abs. 1 AVG idF der Verwaltungsverfahrensnovelle 2001 zu.

Bei der im vorliegenden Beschwerdefall zu prüfenden Frage, ob die belangte Behörde den Sachverhalt als geklärt ansehen und angesichts des fehlenden Parteienantrages auf Durchführung einer Verhandlung in Ausübung ihres Ermessens von einer solchen Abstand nehmen durfte, ist die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur (wie ausgeführt, weiterhin in der Stammfassung geltenden) Bestimmung des Art. II Abs. 2 Z 43a EGVG nach wie vor anwendbar. Nach dieser Judikatur ist der Sachverhalt im Verfahren vor dem unabhängigen Bundesasylsenat u.a. nur dann als aus der Aktenlage in Verbindung mit der Berufung geklärt anzusehen, wenn er nach Durchführung eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens und schlüssiger Beweiswürdigung der Behörde erster Instanz festgestellt wurde und in der Berufung kein dem Ergebnis des Ermittlungsverfahrens der Behörde erster Instanz entgegenstehender oder darüber hinausgehender Sachverhalt - erstmalig und mangels Bestehens eines Neuerungsverbotes zulässigerweise - neu und in konkreter Weise behauptet wird (vgl. das hg. Erkenntnis vom 21. Jänner 1999, Zl. 98/20/0339, und die daran anschließende Judikatur). Wie erwähnt hat der Beschwerdeführer in seiner Berufung erstmals geltend gemacht, die Haftbedingungen in Ghana, von denen er nach den obigen Ausführungen betroffen sein könnte, verstießen gegen Art. 3 EMRK.

Schon vor dem Hintergrund des im Berufungsverfahren solcher Art erstmals eingewendeten Abschiebungshindernisses im Sinn des § 8 AsylG iVm § 57 Abs. 1 FrG durfte die belangte Behörde den maßgeblichen Sachverhalt nicht als geklärt ansehen und hätte sich daher, wie die Beschwerde zu Recht einwendet, mit dem genannten Berufungsvorbringen im Rahmen einer Verhandlung auseinander setzen müssen. Abgesehen davon ist im vorliegenden Beschwerdefall ein wesentlicher Verstoß gegen Verfahrensvorschriften auch darin zu erblicken, dass die belangte Behörde ihre (auch für die Refoulemententscheidung relevanten) Ausführungen über die Unabhängigkeit der Justiz in Ghana auf "im Verwaltungsakt aufliegende Quellen" gestützt hat, die sich dort in Wirklichkeit nicht finden.

Wenn die belangte Behörde in diesem Zusammenhang davon spricht, es gebe in Ghana keine "besonders" unmenschlichen oder unverhältnismäßigen Strafen, so verkennt sie darüber hinaus offenbar den in § 57 Abs. 1 FrG in Verbindung mit § 8 AsylG vorgegebenen, keine "besondere" Unmenschlichkeit voraussetzenden Maßstab für die Gewährung von Abschiebungsschutz (vgl. dazu schon das hg. Erkenntnis vom 21. März 2002, Zl. 2001/20/0373).

Wegen der zuletzt genannten, vom Verwaltungsgerichtshof vorrangig wahrzunehmenden inhaltlichen Rechtswidrigkeit war der angefochtene Bescheid in seinem zweiten Spruchteil gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2001. Das Mehrbegehren war abzuweisen, weil dieses in den genannten Bestimmungen keine Grundlage findet.

Wien, am 12. Juni 2003

Schlagworte

Besondere Rechtsgebiete Ermessen

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2003:2002200336.X00

Im RIS seit

05.09.2003

Zuletzt aktualisiert am

07.10.2008
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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