TE Vwgh Erkenntnis 2003/6/13 2001/12/0196

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Veröffentlicht am 13.06.2003
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Index

40/01 Verwaltungsverfahren;
64/03 Landeslehrer;
65/01 Allgemeines Pensionsrecht;

Norm

AVG §52;
AVG §59 Abs1;
LDG 1984 §106;
PG 1965 §62j Abs2 idF 2001/I/086;
PG 1965 §9 Abs1 idF 1985/426;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Germ und die Hofräte Dr. Zens, Dr. Bayjones, Dr. Schick und Dr. Thoma als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Lamprecht, über die Beschwerde der K in G, vertreten durch Riedl & Ringhofer, Rechtsanwälte in 1010 Wien, Franz Josefs-Kai 5, gegen den Bescheid der Steiermärkischen Landesregierung vom 31. Juli 2001, Zl. 13-368/III Ko 170/34-2001, betreffend Zurechnung von Jahren nach § 9 Abs. 1 des Pensionsgesetzes 1965, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Das Land Steiermark hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1089,68 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Die im Jahre 1940 geborene Beschwerdeführerin steht seit 1. Februar 1996 als Volkschuloberlehrerin in einem öffentlichrechtlichen Ruhestandverhältnis zum Land Steiermark. Zur Darstellung des bisherigen Verfahrensganges wird zur Vermeidung von Wiederholungen in sinngemäßer Anwendung des § 43 Abs. 2 zweiter Satz VwGG auf das in dieser Sache ergangene hg. Erkenntnis vom 18. Oktober 2000, Zl. 96/12/0365, verwiesen; mit dem genannten Erkenntnis hob der Verwaltungsgerichtshof den Bescheid der belangten Behörde vom 25. Oktober 1996, mit dem eine Zurechnung von Jahren gemäß § 9 Abs. 1 des Pensionsgesetzes 1965 versagt worden war, wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften auf, weil das von der belangten Behörde verwertete medizinische Sachverständigengutachten nur am Rande die Frage der (vorübergehenden) Dienstunfähigkeit der Beschwerdeführerin behandelt, das für das gegenständliche Verfahren ausschlaggebende Sachverhaltselement der (zumutbaren) Erwerbsfähigkeit jedoch nur beiläufig erwähnt habe. Sollte sich - so das genannte Erkenntnis - herausstellen, dass die Beschwerdeführerin aus medizinischer Sicht eingeschränkt erwerbsfähig sei, wäre die Einholung eines berufskundlichen Sachverständigengutachtens erforderlich. Davon könnte nur dann abgesehen werden, wenn aus anderen Umständen (wie etwa wegen einer tatsächlich ausgeübten Erwerbstätigkeit) verlässliche Rückschlüsse auf den rechtserheblichen Sachverhalt gewonnen werden könnten.

Hierauf holte die belangte Behörde im fortgesetzten Verfahren vorerst von Dr. Gert K, Facharzt für innere Medizin und Nuklearmedizin, ein weiteres internistisches Gutachten ein, das zu folgender Schlussfolgerung gelangte:

"Zusammenfassende Beurteilung:

Bei der Beschwerdeführerin bestand bis Ende 1995 eine coronare Gefäßerkrankung mit dokumentierter Zweigefäßerkrankung. Bisher ist es gelungen, den subtotalen Verschluss der mittleren linken Herzkranzarterie aufzudehnen, wodurch ein stabiles Befinden mit nur zeitweise auftretendem Herzdruckgefühl erreicht werden konnte (stabile Postinfarktangina).

Die Belastungsuntersuchung vor bzw. nach der Aufdehnung des Herzkranzgefäßes (April 1996) zeigten jeweils eine gute Leistungsfähigkeit bei cardialer Beschwerdefreiheit und angepasstem Blutdruckverhalten.

Abschließende Beurteilung:

Im Zeitraum Ende 1995 bzw. Anfang 1996 wäre laut den vorliegenden Unterlagen die Beschwerdeführerin durchaus in der Lage gewesen, leichte Arbeiten durchzuführen, sodass aus interner Sicht eine Dienstunfähigkeit, aber keine Erwerbsunfähigkeit gegeben war. Leichtere Arbeiten - wie Arbeiten ohne Stress und ohne körperliche Belastung (zB Bibliothekarin) - wären damals möglich gewesen."

Dieses Gutachten leitete die belangte Behörde dem Christian H, Sachverständigen für Arbeitstechnik und Berufskunde zu; die belangte Behörde - so  ihr Ersuchen an diesen Sachverständigen - sei nach dem genannten Erkenntnis des Verwaltungsgerichthofes verpflichtet, zu prüfen, ob zum Zeitpunkt der Ruhestandsversetzung (der Beschwerdeführerin) Erwerbsunfähigkeit vorgelegen habe. Nunmehr wäre zu prüfen, zu welchem zumutbaren Erwerb die Beschwerdeführerin zum Zeitpunkt der Ruhestandversetzung noch fähig gewesen sei.

Der genannte Sachverständige führte in seinem berufskundlichen Sachverständigengutachten unter anderem aus:

"Dieses Gutachten wird im Auftrag der Rechtsabteilung 13 des Amtes der Stmk. Landesregierung zur Frage der Zurechnung von Jahren nach §§ 4 und 9 des Pensionsgesetzes nach

-

Auswertung der zur Verfügung gestellten medizinischen Sachverständigengutachten,

-

und

-

in Kenntnis der vom Dienstgeber übermittelten Unterlagen (Med. SVG Dr. K, VwGH Erk. vom 18.10.2000 und Bescheid des Amtes der Stmk. LRG vom 25.10.1996) erstellt.

...

Medizinisches Leistungskalkül der Antragswerberin:

Nach Ansicht des ärztlichen Sachverständigen sind der Antragswerberin offensichtlich im Freien sowie in geschlossenen Räumen zwar keine mittelschweren und schweren, jedoch weiterhin leichte körperliche Arbeiten zumutbar.

Einschränkungen im Leistungskalkül der Beschwerdeführerin in Bezug auf die Arbeitshaltung Stehen, Gehen und Sitzen sowie gebückte oder vorgebeugte Arbeiten wurden vom med. Sachverständigen nicht getroffen.

Die Fingergeschicklichkeit und das Feingefühl der Hände sind nach dem med. Sachverständigengutachten nicht eingeschränkt.

Arbeiten ohne Stress (vglb. einer Bibliothekarin) können der Beschwerdeführerin zugemutet werden.

Zur Frage der Verweisbarkeit:

              1.)              Ist die Beschwerdeführerin in der Lage, eine ihrer Berufsgeschichte nach billigerweise sozial zumutbare Tätigkeit - somit unter Bedachtnahme auf die bisherige berufliche Position und die Stellung in der Gesellschaft - in Voll- oder Teilzeitbeschäftigung auszuführen?

Nein. Die Beschwerdeführerin ist zufolge des eingeschränkten Leistungskalküls einerseits sowie der speziellen Ausbildung andererseits nicht in der Lage, eine ihr nach dem bisherigen Berufsverlauf billigerweise sozial zumutbare Beschäftigung auszuführen. Dies einerseits, weil solche Tätigkeiten mit 'Stressbelastungen' (z.B. Zeitdruck) und andererseits mit speziellen Ausbildungen verbunden sind.

              2.)              Werden auf dem allgemeinen Arbeitmarkt - somit unter Außerachtlassung auf die bisherige berufliche Position und die Stellung in der Gesellschaft - Tätigkeiten angeboten, welche die Beschwerdeführerin mit ihrer körperlichen und geistigen Leistungsfähigkeit verdienstbringend verrichten kann?

Ja und zwar die Tätigkeiten als Aufseherin, Verpackerin/Adjustiererin, Kontrollarbeiterin, Kanzlei- oder Bibliotheksgehilfin, Mikroficheverfilmerin, Botengängerin im innerbetrieblichen Bereich, Parkgaragenkassiererin u.a.m. Beispielhaft für die genannten Verweisungstätigkeiten wird die der Aufseherin näher ausgeführt:

Berufsbild der Aufseher:

...

Tätigkeiten:

Aufseher werden beispielsweise in Museen, bei Ausstellungen oder in Verkaufshäusern beschäftigt. Sie öffnen und verschließen allenfalls die ihnen zugeteilten Räume/Bereiche, achten innerhalb der ihnen zugeteilten Territorien darauf, dass die Besucher die vom Veranstalter/Eigentümer erstellte Ordnung einhalten (z.B. Objektschutz, Berührungs-, Rauch- oder Photographierverbot, Einhalten der vorgegebenen Wege), sammeln verlorene Gegenstände ein, verkaufen oder verteilen eventuell Broschüren, Prospekte, sofern hierfür nicht eigene Verkaufsstände eingerichtet sind, und übernehmen auch kleinere Informationsaufgaben (über Öffnungszeiten, das Auffinden von diversen Abteilungen oder dem Ausgang u.ä.).

..."

In ihrer dazu abgegebenen Stellungnahme vom 13. Juli 2001 verwies die Beschwerdeführerin auf die Ausführungen des berufskundlichen Sachverständigen, wonach sie - zusammengefasst - nicht mehr in der Lage sei, eine ihr billigerweise sozial zumutbare Beschäftigung auszuführen. Sie sei daher der Ansicht, dass gemäß § 9 des Pensionsgesetzes 1965 ihre Erwerbsunfähigkeit festgestellt werden müsse.

Ohne dass den vorgelegten Verwaltungsakten weitere Erhebungsschritte zu entnehmen wären, wies die belangte Behörde mit dem angefochtenen Ersatzbescheid die Berufung der Beschwerdeführerin vom 3. September 1996 gegen den Bescheid des Landesschulrates für Steiermark vom 20. August 1996 "hinsichtlich der Ablehnung der Zurechnung von Jahren gemäß § 9 Abs. 1 des Pensionsgesetzes 1965, BGBl. Nr. 240, in der geltenden Fassung, in Verbindung mit § 4 Abs. 3 Pensionsgesetz" ab. Begründend führte die belangte Behörde nach Darstellung des Verfahrensganges und der Ermittlungsergebnisse sowie nach Wiedergabe der Bestimmungen der §§ 4 Abs. 3, Abs. 4 Z. 3 und § 9 Abs. 1 des Pensionsgesetzes 1965 aus, gemäß § 62j Abs. 2 leg. cit. seien auf Personen, die vor dem 1. Oktober 2000 Anspruch auf eine monatlich wiederkehrende Leistung nach diesem Bundesgesetz (BGBl. I Nr. 95/2000), hätten, unter anderem die §§ 4 und 9 in der am 30. September 2000 geltenden Fassung weiterhin anzuwenden. Der Stellungnahme der Beschwerdeführerin zum ärztlichen Gutachten sei entgegenzuhalten, dass sich auf Grund der Untersuchungen eine Verbesserung ihrer Leistungsfähigkeit im Zeitraum vom 8. Februar 1995 bis 4. April 1996 eingestellt habe. Die gesundheitliche Entwicklung 1995/1996 habe durchaus Anlass zur Hoffnung gegeben, dass sich ihr Gesundheitszustand nicht nur stabilisiere, sondern sogar verbessere. Der neuerliche Herzinfarkt im Jahr 2000 sei im Jahr 1996 nicht vorhersehbar gewesen und könne nicht als Grundlage für die Behauptung herangezogen werden, dass die Beschwerdeführerin bereits 1996 erwerbsunfähig gewesen wäre. Unter Berücksichtigung dieses Sachverhaltes sei festzustellen, dass zum Zeitpunkt der Ruhestandsversetzung auf Grund der ärztlichen Befunde keine Erwerbsunfähigkeit vorgelegen habe.

Erwerbsunfähigkeit liege nach Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofes dann vor, wenn die dem dienstunfähigen Landeslehrer verbliebene Arbeitskraft nicht mehr ausreiche, eine Beschäftigung auszuüben, die auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt an sich begehrt und honoriert werde. Ob dem Landeslehrer aber eine Beschäftigung, die Gegenstand des allgemeinen Arbeitsmarktes sei, tatsächlich vermittelt werden könne oder nicht, sei für die Erwerbsunfähigkeit ohne Bedeutung. Würde der Verwaltungsgerichtshof die tatsächliche Vermittelbarkeit einer Arbeit berücksichtigen, müsste er in unterschiedlichen wirtschaftlichen Konjunkturlagen auch unterschiedlich rechtlich entscheiden, was nicht vertretbar erscheine. Außerdem vertrete der Verwaltungsgerichtshof in ständiger Rechtsprechung zu § 9 Abs. 1 des Pensionsgesetzes 1965 die Auffassung, dass die Behörde die in einem Verfahren nach dem genannten Gesetz entscheidende Rechtsfrage, ob der Beamte noch zu einem zumutbaren Erwerb fähig sei, nach den Verhältnissen im Zeitpunkt der Versetzung des Beamten (Landeslehrers) in den Ruhestand zu lösen habe. Zu der von der Beschwerdeführerin angesprochenen "sozialen zumutbaren Beschäftigung" sei festzustellen, dass der Gesetzgeber grundsätzlich nur von einem zumutbaren Erwerb spreche. Als eine Tätigkeit, die - wie der Verwaltungsgerichtshof feststelle - der sozialen Geltung der Beschwerdeführerin nach ihrer früheren Beschäftigung entspreche, sei nach Ansicht der belangten Behörde etwa die Mitarbeit in Bibliotheken oder Kanzleien anzusehen. Diese Tätigkeiten seien auch vom Lehrer im Rahmen seiner beruflichen Aufgaben durchzuführen. So sehe etwa das Landeslehrer-Dienstrechtsgesetz sogar zusätzliche Abschlagsstunden für Bibliothekstätigkeiten an den Hauptschulen vor. Auch Verwaltungstätigkeiten seien im Rahmen des Lehrerberufes wahrzunehmen und daher sozial zumutbar. Unter Berücksichtigung dieser Sach- und Rechtslage sowie der Entscheidungspraxis des Verwaltungsgerichtshofes sei - wie im Spruch ersichtlich - zu entscheiden und der Bescheid der Erstbehörde zu bestätigen gewesen.

Dieser Bescheid wurde der Beschwerdeführerin am 7. August 2001 zugestellt.

In ihrer zur hg. Zl. 2001/12/0170 protokollierten, am 17. August 2001 bei Gericht eingelangten Säumnisbeschwerde machte die Beschwerdeführerin die Verletzung der Entscheidungspflicht durch die belangte Behörde betreffend die Zurechnung von Zeiten nach § 9 Abs. 1 des Pensionsgesetzes 1965 geltend. Diese Beschwerde wurde mit Beschluss vom 17. Oktober 2001 gemäß § 34 Abs. 1 VwGG zurückgewiesen, weil im Zeitpunkt der Erhebung der Beschwerde eine Verletzung der Entscheidungspflicht nicht mehr vorlag.

Gegen den Bescheid vom 31. Juli 2001 richtet sich die vorliegende Beschwerde, in der die Aufhebung des angefochtenen Bescheides wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes und wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften begehrt wird. Die Beschwerdeführerin erachtet sich durch den angefochtenen Bescheid in ihrem Recht auf Zurechnung von Jahren zur ruhegenussfähigen Dienstzeit nach § 9 Abs. 1 des Pensionsgesetzes 1965 verletzt. Unter dem Gesichtspunkt der inhaltlichen Rechtswidrigkeit bringt sie vor, die belangte Behörde sei offensichtlich zutreffend davon ausgegangen, dass der im medizinischen Sachverständigengutachten enthaltene Hinweis auf den Beruf der Bibliothekarin "keine taugliche Beweisgrundlage darstelle" und dass die vom berufskundlichen Sachverständigen genannten Verweisungsberufe aus Zumutbarkeitsgründen nicht in Betracht kämen. Die belangte Behörde stütze sich einzig und allein darauf, dass der Beschwerdeführerin die Mitarbeit in Bibliotheken oder Kanzleien möglich gewesen wäre. Das entbehre der erforderlichen Bestimmtheit, weil damit kein existierender Beruf identifiziert werde. Unter wörtlicher Zugrundelegung des medizinischen Sachverständigengutachtens hätte jede Möglichkeit einer Berufstätigkeit verneint werden müssen, weil es bei jeder Berufstätigkeit eine Leistungsanforderung und damit automatisch auch bis zu einem gewissen Grad Stress gebe.

Die belangte Behörde hat die Akten des Verwaltungsverfahrens vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in der sie die Abweisung der Beschwerde als unbegründet beantragt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Zur Darstellung der im Beschwerdefall maßgeblichen Rechtslage sei vorerst gemäß § 43 Abs. 2 zweiter Satz VwGG wiederum auf das in dieser Sache ergangene hg. Erkenntnis vom 18. Oktober 2000, Zl. 96/12/0365, verwiesen.

Gemäß § 62j Abs. 2 des Pensionsgesetzes 1965 in der Fassung des Pensionsreformgesetzes 2001, BGBl. I Nr. 86, kundgemacht am 31. Juli 2001, sind auf Personen, die vor dem 1. Oktober 2000 Anspruch auf eine monatlich wiederkehrende Leistung nach diesem Bundesgesetz haben, die §§ 4, 9, 12, 15a bis 15d, 20, 22, 55, 56 Abs. 3b und 62b Abs. 1 Z. 4 in der am 30. September 2000 geltenden Fassung weiterhin anzuwenden.

Da die Beschwerdeführerin ihren Anspruch auf Ruhegenuss vor dem 1. Oktober 2000 erworben hatte, gelangt im vorliegenden Fall § 9 Abs. 1 des Pensionsgesetzes 1965 in der Fassung der 8. Pensionsgesetz-Novelle, BGBl. Nr. 426/1985, zur Anwendung.

Dieser lautet:

"Ist der Beamte ohne sein vorsätzliches Verschulden zu einem zumutbaren Erwerb unfähig geworden, so hat ihm seine oberste Dienstbehörde aus Anlass der Versetzung in den Ruhestand den Zeitraum, der für die Erlangung des Ruhegenusses im Ausmaß der Ruhegenussbemessungsgrundlage erforderlich ist, höchstens jedoch zehn Jahre, zu seiner ruhegenussfähigen Bundesdienstzeit zuzurechnen."

Der Abspruch des angefochtenen Bescheides leidet von vornherein daran, dass die belangte Behörde - entgegen der sie nach § 59 Abs. 1 des nach § 1 Abs. 1 DVG anwendbaren AVG treffenden Verpflichtung - die angewendeten Gesetzesbestimmungen teils unzutreffend, teils gar nicht angegeben hat (zur Verpflichtung zur Angabe der angewendeten Gesetzesbestimmungen vgl. das hg. Erkenntnis vom 21. November 2001, Zl. 2000/12/0300). Entgegen der im zitierten Erkenntnis vom 18. Oktober 2000 überbundenen Rechtsansicht überging die belangte Behörde vorerst die Rezeptionsnorm des § 106 des Landeslehrer-Dienstrechtsgesetzes, BGBl. Nr. 302/1984, die u.a. auch auf das Pensionsgesetz 1965, BGBl. Nr. 340, in seiner jeweils geltenden Fassung verweist.

Erwies sich daher schon die Angabe des "§ 9 Abs. 1 des Pensionsgesetzes 1965, BGBl. Nr. 240," als unzutreffend, so widersprach auch die Beifügung "in der geltenden Fassung" dem genannten Gebot nach § 59 Abs. 1 AVG, weil damit vor dem Hintergrund der mehrfachen Änderung des § 9 des Pensionsgesetzes 1965 für den Bescheidadressaten nicht mehr nachvollziehbar war, welche Fassung dieser Bestimmung dem Bescheid zu Grunde gelegt wurde.

Schließlich erwies sich - im Lichte der eingangs dargestellten, im vorliegenden Fall zur Anwendung gelangenden Rechtslage - die Nennung des § 4 Abs. 3 des Pensionsgesetzes 1965 für die zu beantwortende Frage der Zurechnung von Jahren nach § 9 Abs. 1 leg. cit. als unzutreffend (zur Unterscheidung des Begriffes der dauernden Erwerbsunfähigkeit nach § 4 Abs. 3 des Pensionsgesetzes 1965 von dem Begriff der Unfähigkeit zu einem zumutbaren Erwerb nach § 9 Abs. 1 leg. cit. vgl. das hg. Erkenntnis vom 20. Februar 2002, Zl. 2000/12/0058, mwN).

Die Vermengung der Begriffe zeigte sich schon im Vorfeld der Erlassung des angefochtenen Bescheides darin, dass die belangte Behörde in ihrem Ersuchen an den berufskundlichen Sachverständigen sowohl von der Prüfung der Erwerbsunfähigkeit der Beschwerdeführerin im Zeitpunkt ihrer Ruhestandsversetzung als auch von der Prüfung eines zumutbaren Erwerbes sprach und sich dieser Sachverständige folglich veranlasst sah, "zur Frage der Zurechnung von Jahren nach §§ 4 und 9 des Pensionsgesetzes" gutachtlich Stellung zu nehmen.

Wie der Verwaltungsgerichtshof in ständiger Rechtsprechung wie auch im zitierten hg. Erkenntnis vom 18. Oktober 2000 zu § 9 Abs. 1 des Pensionsgesetzes 1965 in der Fassung bis zum In-Kraft-Treten des Pensionsreformgesetzes 2000, BGBl. I Nr. 95, bzw. des in Korrektur inhaltsgleich ergangenen Pensionsreformgesetzes 2001, BGBl. I Nr. 86, ausführt, hat die Behörde die in einem Verfahren nach der genannten Gesetzesstelle entscheidende Rechtsfrage, ob der Beamte noch "zu einem zumutbaren Erwerb" fähig ist, nach den Verhältnissen im Zeitpunkt der Versetzung des Beamten in den Ruhestand zu lösen; hiebei hat sie zunächst auf der Grundlage eines mängelfreien und schlüssigen ärztlichen Gutachtens die Frage zu beantworten, ob der Beamte überhaupt noch zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit befähigt ist; bejahendenfalls hat sie sodann auf der Grundlage dieses sowie eines mängelfreien und schlüssigen berufskundlichen Gutachtens die Frage zu klären, ob dem Beamten jene Erwerbstätigkeiten, die er nach seiner körperlichen und geistigen Leistungsfähigkeit vom medizinischen Standpunkt aus noch auszuüben vermag, zugemutet werden können; letzteres ist dann der Fall, wenn diese Tätigkeiten ihrer sozialen Geltung nach der früheren Beschäftigung, der dienstlichen Stellung und der Fortbildung des Beamten annähernd gleichkommen und wenn die Aufnahme solcher Tätigkeiten vom Beamten auch nach seinen sonstigen persönlichen Lebensumständen billigerweise erwartet werden kann. Ob dem Beamten eine solche Beschäftigung, die an sich Gegenstand des allgemeinen Arbeitsmarktes ist, tatsächlich vermittelt werden kann, ist für die abstrakt vorzunehmende Beurteilung der Erwerbsfähigkeit ohne Bedeutung. In einem dem Standpunkt des Beamten nicht vollinhaltlich Rechnung tragenden Bescheid nach § 9 Abs. 1 des Pensionsgesetzes 1965 hat die Behörde entsprechend den §§ 58 Abs. 2, 60 AVG und § 1 DVG in einer sowohl die Wahrnehmung der Rechte durch den Beamten als auch die nachprüfende Kontrolle durch den Verwaltungsgerichtshof ermöglichenden Art und Weise die Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens, die bei der Beweiswürdigung maßgebenden Erwägungen und die darauf gestützte Beurteilung der Rechtsfrage klar und übersichtlich zusammenzufassen (vgl. etwa die hg. Erkenntnisse vom 19. Februar 1992, Zl. 90/12/0140, sowie vom 24. Jänner 2001, Zl. 2000/12/0211, je mwN).

Zur Beantwortung der Frage, ob der Beamte noch zu einem zumutbaren Erwerb fähig ist, hat daher vorerst ein medizinischer Sachverständiger - tunlichst ein Arbeitsmediziner - ein Gutachten darüber zu erstatten, ob der Beamte aus medizinischer Sicht überhaupt noch zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit befähigt ist. Die Bejahung dieser Frage setzt voraus, dass der Beamte zumindest einen "Grenzgesundheitszustand" aufweist, der ihn befähigt, (irgend) einen Erwerb auszuüben. Hiebei hat der medizinische Sachverständige all jene arbeitsmedizinischen Rahmenkriterien abzustecken, innerhalb derer eine Erwerbstätigkeit des Beamten in Frage kommt. Aufgabe des berufskundlichen Sachverständigen ist es sodann, darauf aufbauend zu klären, ob innerhalb des vom (arbeits-)medizinischen Sachverständigen abgesteckten Rahmens möglicher Erwerbstätigkeit konkrete Arbeitsplätze (Berufsbilder) zugänglich sind. Gelangt der berufskundliche Sachverständige zum Ergebnis, dass im Hinblick auf das arbeitsmedizinische Kalkül bestimmte Arbeitsplätze (Berufsbilder) in Frage kommen, hat sodann die Behörde die Rechtsfrage zu beantworten, ob und bejahendenfalls welcher dieser Arbeitsplätze dem Beamten im Sinn des § 9 Abs. 1 des Pensionsgesetzes 1965 zumutbar ist.

Insoweit erweist sich das Gutachten des medizinischen Sachverständigen, der aus seiner Sicht "Arbeiten ohne Stress und ohne körperliche Belastung (z.B. Bibliothekarin)" als (medizinisch) möglich erachtete, einerseits im Hinblick auf das Leistungskalkül als konkretisierungsbedürftig, andererseits - in seinem Hinweis auf das Berufsbild der Bibliothekarin - als Vorgriff auf das berufskundliche Gutachten. Schließlich beschränkte der berufskundliche Sachverständige sein Gutachten - offenbar auch infolge seines Verständnisses, ein Gutachten zur Frage der Erwerbsunfähigkeit nach § 4 Abs. 3 des Pensionsgesetzes 1965 zu erstatten, und infolge seiner unzulässigen Stellungnahme zur Rechtsfrage der Zumutbarkeit von Erwerbstätigkeiten - auf das Berufsbild des Aufsehers, das er beispielhaft für Tätigkeiten als Aufseherin, Verpackerin/Adjustiererin, Kontrollarbeiterin, Kanzlei- oder Bibliotheksgehilfin, Microficheverfilmerin, Botengängerin im innerbetrieblichen Bereich, Parkgaragenkassiererin etc. darlegte.

Dagegen ließ die belangte Behörde zutreffend den Beruf des Aufsehers als offensichtlich von seiner sozialen Geltung her nicht zumutbar außer Betracht (zu für Landeslehrer zumutbaren Verweisungsberufen vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 24. Jänner 2001, Zl. 2000/12/0211, mwN, hinsichtlich des Berufes der Bibliothekarin sowie der administrativen Tätigkeit in einem dem Lehrberuf verwandten Bereich).

Da die belangte Behörde in Verkennung der ihr mit dem Vorerkenntnis vom 18. Oktober 2000 überbundenen Rechtsansicht die Vervollständigung des Verfahrens unterließ, belastete sie den angefochtenen Bescheid mit Rechtswidrigkeit seines Inhaltes, weshalb er gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben war.

Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2001, BGBl II Nr. 501. Die im Betrag von S 2.500,-- entrichtete Gebühr nach § 24 Abs. 3 VwGG war im Betrag von EUR 181,68 zuzusprechen.

Wien, am 13. Juni 2003

Schlagworte

Sachverständiger Erfordernis der Beiziehung Besonderes FachgebietInhalt des Spruches Allgemein Angewendete Gesetzesbestimmung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2003:2001120196.X00

Im RIS seit

05.09.2003

Zuletzt aktualisiert am

01.06.2010
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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