TE Vwgh Erkenntnis 2003/6/17 2000/21/0130

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Veröffentlicht am 17.06.2003
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Index

E1E;
E2D Assoziierung Türkei;
E2D E02401013;
E2D E05204000;
E2D E11401020;
E3L E05204020;
10/07 Verwaltungsgerichtshof;
24/01 Strafgesetzbuch;
41/02 Melderecht;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;
59/04 EU - EWR;
82/02 Gesundheitsrecht allgemein;

Norm

11997E234 EG Art234;
31964L0221 Koordinierung-RL EWGVArt56 ordre public Art8;
31964L0221 Koordinierung-RL EWGVArt56 ordre public Art9;
ARB1/80 Art6;
ARB1/80 Art7;
FrG 1993 §37;
FrG 1993 §39;
FrG 1993 §82 Abs1 Z4;
FrG 1997 §36 Abs1;
FrG 1997 §36 Abs2 Z1;
FrG 1997 §36 Abs2 Z2;
MeldeG 1972 §22 Abs1 Z1;
SGG §16 Abs1;
SGG §27 Abs1;
StGB §105 Abs1;
StGB §73;
VwGG §42 Abs2 Z3 litb;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;
VwGG §47;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Sauberer und die Hofräte Dr. Robl, Dr. Pelant, Dr. Sulzbacher und Dr. Grünstäudl als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Winter, über die Beschwerde des T in Bregenz, vertreten durch Mag. German Bertsch, Rechtsanwalt in 6800 Feldkirch, Saalbaugasse 2, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Vorarlberg vom 10. Mai 2000, Zl. Fr-4250a-176/99, betreffend Erlassung eines befristeten Aufenthaltsverbotes, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.089,68 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem zitierten, im Instanzenzug ergangenen Bescheid erließ die belangte Behörde gegen den Beschwerdeführer, einen türkischen Staatsangehörigen, gemäß § 36 Abs. 1 Z. 1 und Abs. 2 Z. 1 und Z. 2 und Abs. 3 sowie den §§ 37 und 39 des Fremdengesetzes 1997 - FrG, BGBl. I Nr. 75, ein auf fünf Jahre befristetes Aufenthaltsverbot.

Zur Begründung dieser Maßnahme führte die belangte Behörde im Wesentlichen aus: Der Beschwerdeführer sei mit Urteil des Landesgerichtes Feldkirch vom 12. Juli 1995 wegen des Vergehens nach § 16 Abs. 1 Suchtgiftgesetz zu einer Geldstrafe, mit Urteil des Amtsgerichtes Tettnang vom 28. Mai 1998 wegen des Vergehens der Körperverletzung sowie der schweren Körperverletzung zu einer Geldstrafe, mit Urteil des Amtsgerichtes Kempten/Allgäu vom 8. Juli 1998 wegen des Vergehens gegen das Waffengesetz zu einer bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe von zehn Monaten, mit Urteil des Landesgerichtes Feldkirch vom 15. Juni 1999 wegen § 27 Abs. 1 SGG unter Bedachtnahme auf das Urteil des Amtsgerichtes Kempten/Allgäu ohne Zusatzstrafe und mit Urteil des Landesgerichtes Feldkirch vom 9. September 1999 wegen des Vergehens der Nötigung nach § 105 Abs. 1 StGB zu einer Geldstrafe jeweils rechtskräftig verurteilt worden. Die den Verurteilungen zu Grunde liegenden strafbaren Handlungen seien jeweils in zwei Fällen gegen die gleichen Rechtsgüter gerichtet gewesen, somit sei der Beschwerdeführer mehr als einmal wegen einer auf der gleichen schädlichen Neigung beruhenden strafbaren Handlung rechtskräftig verurteilt worden; zudem sei er einmal zu einer zehnmonatigen bedingten Freiheitsstrafe verurteilt worden, weshalb die Voraussetzungen des § 36 Abs. 2 Z. 1 FrG vorlägen. Die Verurteilungen durch die deutschen Gerichte seien zweifellos gemäß § 73 StGB einer Verurteilung durch ein inländisches Gericht gleichzuhalten.

Weiters listete die belangte Behörde insgesamt 32 gegen den Beschwerdeführer verhängte Verwaltungsstrafen auf, darunter rechtskräftige Bestrafungen vom 2. Mai 1995 nach § 82 Abs. 1 Z. 4 FrG und § 22 Abs. 1 Z. 1 Meldegesetz zu einer Geldstrafe von jeweils S 1.000,--. Da der Beschwerdeführer ua. einmal wegen einer Übertretung nach dem Meldegesetz und einmal wegen einer Übertretung nach dem Fremdengesetz 1992 rechtskräftig bestraft worden sei, lägen auch die Voraussetzungen des § 36 Abs. 2 Z. 2 FrG vor. Die Annahme nach § 36 Abs. 1 FrG werde durch den Umstand verstärkt, dass gegen den Beschwerdeführer ein unbefristetes Waffenverbot habe erlassen werden müssen. Durch sein wiederholtes strafbares Verhalten habe der Beschwerdeführer zum Ausdruck gebracht, dass er nicht gewillt sei, sich an die österreichische Rechtsordnung zu halten.

Das Aufenthaltsverbot sei auf Grund seines strafbaren Verhaltens seit dem Jahr 1995 erlassen worden. Zu diesem Zeitpunkt habe sich der Beschwerdeführer zwar schon sechs Jahre in Österreich aufgehalten, doch habe er erst seit dem 11. Jänner 1993 durchgehend (mit einer kurzen Ausnahme im Jahr 1995) über entsprechende Aufenthaltstitel verfügt. Er sei zeitweise einer Beschäftigung nachgegangen und habe erstmals am 9. Mai 1990 einen Sichtvermerk erhalten. In Österreich lebten auch seine Eltern und Geschwister. Der Beschwerdeführer sei geschieden. Auf Grund seiner familiären Situation und seines langjährigen Aufenthaltes in Österreich sei davon auszugehen, dass das Aufenthaltsverbot einen schweren Eingriff in sein Privat- und Familienleben bilde.

Nach Darstellung der strafbaren Handlungen des Beschwerdeführers gelangte die belangte Behörde zum Ergebnis, dass dieser Eingriff dringend geboten sei und das in hohem Maß bestehende öffentliche Interesse an der Erlassung des Aufenthaltsverbotes das gegenteilige private Interesse des Beschwerdeführer in den Hintergrund dränge.

Der Verwaltungsgerichtshof hat über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde nach Vorlage der Verwaltungsakten und Erstattung einer Gegenschrift durch die belangte Behörde erwogen:

Mit hg. Beschluss vom 18. März 2003, Zlen. 99/21/0018 und 2002/21/0067 (EU 2003/0001 und 0002), wurde dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften die Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt, ob die Rechtsschutzgarantien der Art. 8 und 9 der Richtlinie 64/221/EWG auf türkische Staatsangehörige anzuwenden sind, denen die Rechtsstellung nach Art. 6 oder Art. 7 des Beschlusses Nr. 1/80 des durch das Abkommen zur Gründung einer Assoziation zwischen der EWG und der Türkei errichteten Assoziationsrates vom 19. September 1980 (ARB) zukommt. Der angefochtene Bescheid enthält keine Feststellungen, die eine Beurteilung zulassen, ob der Beschwerdeführer eine Berechtigung aus dem ARB erlangt hat. Bei Zutreffen dieser Voraussetzung ist aber nicht auszuschließen, dass die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes durch die belangte Behörde wegen Nichtbeachtung der Rechtsschutzgarantien der genannten Richtlinie unzulässig war; zur weiteren Begründung wird gemäß § 43 Abs. 2 VwGG auf das genannte Vorabentscheidungsersuchen verwiesen.

Da bei einer neuerlichen Entscheidung über das Aufenthaltsverbot eine aktuelle Gefährdungsprognose nach § 36 Abs. 1 FrG zu stellen und eine Interessenabwägung anhand der wegen des Zeitablaufes bis dahin wesentlich geänderten Umstände durchzuführen sein wird, kann eine diesbezügliche Prüfung des angefochtenen Bescheides unterbleiben. Anzumerken ist jedoch, dass die einheitliche Bestrafung des Beschwerdeführers vom 2. Mai 1995 nach § 82 Abs. 1 Z. 4 Fremdengesetz 1992 und § 22 Abs. 1 Z. 1 Meldegesetz keine mehr als einmalige rechtskräftige Bestrafung im Sinn der Voraussetzungen des § 36 Abs. 2 Z. 2 FrG bildet.

Nach dem Vorgesagten war der Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2001.

Wien, am 17. Juni 2003

Schlagworte

Besondere Rechtsgebiete

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2003:2000210130.X00

Im RIS seit

11.08.2003
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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