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E3L E05204020;Norm
31964L0221 Koordinierung-RL EWGVArt56 ordre public;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Sauberer und die Hofräte Dr. Robl, Dr. Pelant, Dr. Sulzbacher und Dr. Grünstäudl als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Winter, über die Beschwerde des B in Dornbirn, vertreten durch Dr. Wilfried Ludwig Weh und Dr. Hanno Lecher, Rechtsanwälte in 6900 Bregenz, Wolfeggstraße 1, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Vorarlberg vom 2. März 2000, Zl. Fr-4250a-33/97, betreffend Erlassung eines befristeten Aufenthaltsverbotes, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 908,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit dem zitierten, im Instanzenzug ergangenen Bescheid erließ die belangte Behörde gegen den Beschwerdeführer, einen türkischen Staatsangehörigen, gemäß § 36 Abs. 1 und Abs. 2 Z. 2 und 7 iVm den §§ 37 und 39 des Fremdengesetzes 1997 - FrG, BGBl. I Nr. 75, ein auf fünf Jahre befristetes Aufenthaltsverbot.
Zur Begründung dieser Maßnahme führte sie im Wesentlichen aus: Der Beschwerdeführer sei vor Einführung des Sichtvermerkszwanges am 17. Februar 1989 über den Flughafen Wien-Schwechat sichtvermerksfrei in das österreichische Bundesgebiet eingereist. Am 6. August 1990 sei ihm erstmals eine Beschäftigungsbewilligung erteilt worden. Bis zum 31. Juli 1996 sei er im Besitz einer gültigen Aufenthaltsberechtigung gewesen. Sein fristgerecht gestellter Antrag auf Verlängerung der Bewilligung sei mit Bescheid vom 15. Jänner 1997 abgelehnt worden. Dieser Bescheid sei am 30. Jänner 1997 in Rechtskraft erwachsen, weshalb sich der Beschwerdeführer seit diesem Zeitpunkt unrechtmäßig in Österreich aufhalte. Bis zum Jahr 1996 sei er insgesamt nur ca. zweieinhalb Jahre einer geregelten Beschäftigung nachgegangen. Seither sei er nicht mehr beschäftigt gewesen.
Im Zeitraum 1994 bis 1999 sei der Beschwerdeführer insgesamt 45 Mal teilweise wegen schwerwiegender Verwaltungsübertretungen rechtskräftig bestraft worden.
Die belangte Behörde listete die Verwaltungsstrafen auf und hob die Bestrafungen vom 14. Dezember 1994 und vom 20. März 1997 jeweils nach § 22 Abs. 1 Z. 1 iVm den §§ 3 (Abs. 1) und 7 (Abs. 1) Meldegesetz und vom 10. Oktober 1996 und 20. März 1997 jeweils nach § 82 Abs. 1 Z. 4 iVm § 15 Abs. 1 Z. 2 und 3 Fremdengesetz 1992 hervor. Aus den jeweils zweimaligen Übertretungen nach dem Fremdengesetz 1992 und dem Meldegesetz schloss sie auf das Vorliegen der Voraussetzungen des § 36 Abs. 2 Z. 2 FrG. Da der Beschwerdeführer keiner erlaubten Erwerbstätigkeit nachgegangen sei und weder über ein eigenes Einkommen zur Sicherung seines Lebensunterhaltes noch über einen aufrechten Krankenversicherungsschutz verfüge, seien auch die Voraussetzungen des § 36 Abs. 2 Z. 7 FrG erfüllt. Beide Tatbestände stellten bestimmte Tatsachen im Sinn des § 36 Abs. 1 FrG dar, welche die Annahme rechtfertigten, dass sein weiterer Aufenthalt im Bundesgebiet die öffentliche Ruhe, Ordnung und Sicherheit gefährden oder anderen im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten öffentlichen Interessen zuwiderlaufen würde. Diese Annahme werde dadurch verstärkt, dass der Beschwerdeführer mit Urteil vom 29. Oktober 1992 wegen des Vergehens nach § 83 Abs. 1 StGB zu einer Geldstrafe rechtskräftig habe verurteilt werden müssen.
Grundlage für das Aufenthaltsverbot sei das strafbare Verhalten des Beschwerdeführers seit 1996; vor diesem Zeitpunkt sei er jedoch erst sechs Jahre ununterbrochen und rechtmäßig niedergelassen gewesen, weshalb auf ihn keine Aufenthaltsverfestigung zur Anwendung gelange. Die Eltern des Beschwerdeführers lebten in der Türkei; von seiner in der Türkei lebenden Frau sei er angeblich seit einem Jahr geschieden. Er lebe nunmehr mit seiner Lebensgefährtin und deren Kind in Vorarlberg zusammen. Weiters seien Verwandte in Vorarlberg wohnhaft. Auf Grund seines langjährigen Aufenthaltes in Österreich und der bestehenden Lebensgemeinschaft sei von einem Eingriff in sein Privat- und Familienleben auszugehen. Ein geordnetes Fremdenwesen sei aber für den österreichischen Staat von eminentem Interesse. Durch das bisherige Verhalten des Beschwerdeführers habe er nicht nur die österreichische Rechtsordnung erheblich verletzt, sondern eindeutig zum Ausdruck gebracht, dass er "in keinster Weise" gewillt sei, sich an diese zu halten. Dazu komme, dass der Beschwerdeführer seinen Unterhalt nicht selbst sichern könne und dadurch einerseits das wirtschaftliche Wohl des Landes gefährdet sei und andererseits die Gefahr bestehe, dass der Unterhalt auf illegale Weise gedeckt werde. Das Aufenthaltsverbot sei daher zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 der EMRK genannten Ziele, vor allem der Aufrechterhaltung bzw. des Schutzes der öffentlichen Ordnung und Sicherheit als auch des wirtschaftlichen Wohles des Landes sowie der Verhinderung von strafbaren Handlungen dringend geboten. Aus der Richtlinie 64/221/EWG könne der Beschwerdeführer als türkischer Staatsangehöriger keine Rechte geltend machen. Gerade die (von der belangten Behörde näher dargestellten) teils erheblichen Überschreitungen der im Ortsgebiet zulässigen Höchstgeschwindigkeiten würden zeigen, dass der Beschwerdeführer eine Gefahr für andere Verkehrsteilnehmer darstelle. Weiters sei er nicht bereit, beim selben Dienstgeber länger zu arbeiten und er habe sich auch nicht entsprechend um neue Beschäftigungsverhältnisse bemüht. Dies lasse in Verbindung mit der fehlenden arbeitsmarktrechtlichen Bewilligung und seiner derzeitigen Nichtintegration in den Arbeitsprozess den Schluss zu, dass er zukünftig auch bei allfälliger rechtlicher Erlaubtheit keiner geregelten Arbeit nachgehen werde. Bei Abwägung aller Umstände sei daher auf Grund des massiven öffentlichen Interesses davon auszugehen, dass die Auswirkungen des Aufenthaltsverbotes auf seine Lebenssituation weniger schwer wögen als die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von dessen Erlassung.
Der Verwaltungsgerichtshof hat über die gegen diesen Bescheid gerichtete Beschwerde nach Vorlage der Verwaltungsakten und Erstattung einer Gegenschrift durch die belangte Behörde erwogen:
Grundsätzlich stellen Übertretungen nach § 3 Abs. 1 iVm § 22 Abs. 1 Z. 1 Meldegesetz ebenso schwerwiegende Verwaltungsübertretungen im Sinn des § 36 Abs. 2 Z. 2 FrG dar wie die in § 107 Abs. 1 FrG genannten Übertretungen (vgl. das hg. Erkenntnis vom 22. Jänner 2002, Zl. 99/18/0227). Dies gilt auch für die Übertretungen nach § 82 Abs. 1 Fremdengesetz 1992 (vgl. das hg. Erkenntnis vom 31. Oktober 2002, Zl. 2002/18/0103). Zutreffend wertete die belangte Behörde daher den Tatbestand des § 36 Abs. 2 Z. 2 FrG als erfüllt, auch wenn es sich insgesamt nicht um vier, sondern um drei derartige Bestrafungen handelte.
Bei der Beurteilung der Frage, ob die in § 36 Abs. 1 FrG umschriebene Annahme gerechtfertigt ist, ist zu prüfen, ob sich aus dem gesamten Fehlverhalten des Fremden ableiten lässt, dass sein weiterer Aufenthalt die öffentliche Ruhe, Ordnung und Sicherheit oder andere in Art. 8 Abs. 2 EMRK genannte öffentliche Interessen gefährde. Dabei ist - anders als bei der Frage, ob der Tatbestand des § 36 Abs. 2 Z. 1 oder jener der Z. 2 FrG erfüllt ist - nicht auf die bloße Tatsache der Verurteilung bzw. Bestrafung des Fremden, sondern auf die Art und Schwere der zu Grunde liegenden Straftaten und das sich daraus ergebende Persönlichkeitsbild abzustellen (vgl. das hg. Erkenntnis vom 5. Oktober 2000, Zl. 98/21/0400).
Die belangte Behörde hat zwar Feststellungen zu den den rechtskräftigen Bestrafungen zu Grunde liegenden Überschreitungen der erlaubten Höchstgeschwindigkeit getroffen, nicht jedoch zu den allein als schwerwiegend einzustufenden Bestrafungen nach dem Fremdengesetz 1992 und dem Meldegesetz. Solche Feststellungen wären aber nach der genannten Rechtsprechung erforderlich, um die Gefährlichkeitsprognose nach § 36 Abs. 1 FrG begründen zu können. Die aus dem Jahr 1992 stammende rechtskräftige Verurteilung des Beschwerdeführers nach § 83 Abs. 1 StGB zu einer Geldstrafe wurde von der belangten Behörde zutreffend nicht als Grundlage für das Aufenthaltsverbot herangezogen; die von der belangten Behörde weiters aufgezeigte Gefährdung öffentlicher Interessen wegen der Mittellosigkeit des Beschwerdeführers wird dadurch relativiert, dass er in Österreich in einer Lebensgemeinschaft lebt.
Die vorhin aufgezeigten Feststellungen wären - abgesehen von der Beurteilung nach § 36 Abs. 1 FrG - jedenfalls aber auch erforderlich gewesen, um die von der belangten Behörde nach § 37 FrG vorgenommene Interessenabwägung auf ihre Richtigkeit prüfen zu können. Da sich der Beschwerdeführer zum maßgeblichen Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides bereits mehr als zehn Jahre in Österreich aufgehalten hat und hier in einer Lebensgemeinschaft lebt, ist zweifellos mit dem Aufenthaltsverbot ein sehr beträchtlicher Eingriff in sein Privatleben verbunden.
Wegen der beträchtlichen inländischen Integration des Beschwerdeführers reichen die Feststellungen bloß über den Straftatbestand und die verhängte Strafe nicht aus, um auf jeden Fall ein überwiegendes öffentliches Interesse an der Erlassung des Aufenthaltsverbotes annehmen zu können.
Der angefochtene Bescheid war somit wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG aufzuheben.
Die Durchführung der beantragten mündlichen Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z. 3 VwGG unterbleiben.
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2001.
Wien, am 17. Juni 2003
Schlagworte
Besondere RechtsgebieteEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2003:2000210100.X00Im RIS seit
28.07.2003