TE Vwgh Erkenntnis 2003/6/18 2001/06/0157

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Veröffentlicht am 18.06.2003
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Index

L37156 Anliegerbeitrag Aufschließungsbeitrag Interessentenbeitrag
Steiermark;
L82006 Bauordnung Steiermark;
40/01 Verwaltungsverfahren;

Norm

AVG §39 Abs2 idF 1998/I/158;
AVG §42 idF 1998/I/158;
AVG §82 Abs7 idF 1998/I/158;
BauG Stmk 1995 §24 Abs1;
BauG Stmk 1995 §24 Abs2;
BauG Stmk 1995 §27 Abs1;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident DDr. Jakusch und die Hofräte Dr. Händschke, Dr. Bernegger, Dr. Waldstätten und Dr. Rosenmayr als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Hofer, über die Beschwerde des Dr. G in G, vertreten durch Dr. Richard Benda, Rechtsanwalt in 8010 Graz, Pestalozzistraße 3, gegen den Bescheid der Berufungskommission der Landeshauptstadt Graz vom 8. Februar 1999, Zl. A 17-C-23.844/1998-3, betreffend Zurückweisung einer Berufung gegen eine Baubewilligung (mitbeteiligte Partei: S in G, vertreten durch Dr. Nikolaus Kodolitsch, Dr. Wolfgang Nopp, Mag. Alexander Kodolitsch, Rechtsanwälte in 8010 Graz, Kaiserfeldgasse 1), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Die Landeshauptstadt Graz hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1089,68 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit Bescheid des Stadtsenates der Landeshauptstadt Graz vom 14. Mai 1998 wurde dem Mitbeteiligten gemäß § 29 Stmk. BauG die Bewilligung zur plan- und beschreibungsgemäßen Ausführung einer Nutzungsänderung des bestehenden Flachdaches zur Verwendung als Terrasse, die Errichtung eines untergeordneten Bauteils (Dachgaupe) beim bestehenden Satteldach und die Errichtung von Dachflächenfenstern in der südlichen Dachfläche auf dem Grundstück Nr. 143/2 KG L unter Vorschreibung von Auflagen erteilt.

Mit Eingabe vom 22. Juni 1998 ersuchte der Beschwerdeführer, der Eigentümer der nordwestlich vom Baugrundstück gelegenen Liegenschaft ist, um Zustellung des Baubewilligungsbescheides vom 14. Mai 1998. Dieser wurde ihm am 20. Juli 1998 zugestellt.

In seiner fristgerecht gegen diesen Bescheid erhobenen Berufung machte der Beschwerdeführer als "übergangene Partei" im Wesentlichen die Verletzung des gesetzlichen Mindestabstandes geltend. Die Behörde sei zu Unrecht von einem zweigeschossigen Bau ausgegangen, tatsächlich handle es sich bei dem Bestand des Mitbeteiligten um ein dreigeschossiges Gebäude, welche Feststellung für die Berechnung der zulässigen Mindestabstände, der Bebauungsdichte und des Bebauungsgrades relevant sei. Die bewilligte "Gaupe" sei keineswegs ein bloß untergeordneter Bauteil, da sie vom Dachfirst im Osten horizontal bis zum Dachrand im Westen reiche und einen Grenzabstand von 4 m und einen Gebäudeabstand von 8 m aufweisen müsste; tatsächlich reiche sie mit ihrem Mauerwerk bis 80 cm und ihrem Dachrand bis 40 cm vor die Grundgrenze, sei damit aber nur 5 m bzw. 4,60 m von der südseitigen Fensterfront des nachbarlichen Wohnhauses entfernt. Dadurch würden seine Nachbarrechte erheblich berührt.

Nach Einholung einer Stellungnahme des Stadtbauamtes vom 17. August 1998 wies die belangte Behörde mit dem angefochtenen Bescheid vom 8. Februar 1999 die Berufung des Beschwerdeführers als unzulässig zurück. Sie begründete dies wie folgt:

"a) Gemäß § 82 Abs. 7 AVG (idF BGBl I/1998/158) treten alle Vorschriften des Bundes und der Länder enthaltenen Bestimmungen, die (unter anderem) von § 42 AVG in der Fassung des Paranthese genannten Bundesgesetzes abweichen, mit Ablauf des 31. Dezember 1998 außer Kraft, was allerdings dann nicht gilt, wenn diese Bestimmungen nach dem 30. Juni 1998 kundgemacht worden sind. Eine Übergangsbestimmung für vor dem 31.12.1998 anhängige Verfahren traf der Bundesgesetzgeber im genannten Gesetz nicht, sodass § 82 Abs. 7 AVG auch auf alle bei der Behörde mit dem Inkrafttreten des genannten Bundesgesetzes anhängigen Verfahren anzuwenden sind, sieht man von der Vorschrift des § 44 f AVG (Ediktalzustellung im Großverfahren) ab.

b) Die eben dargestellte Rechtslage bedeutet, dass auf den gegenständlichen Berufungsfall die Bestimmung des § 42 Abs. 3 AVG in der genannten Fassung anzuwenden ist, und nicht etwa die mit Ablauf des 31.12.1998 außer Kraft getretene Bestimmung des § 27 des Steiermärkischen Baugesetzes, die freilich, das sei hier der Vollständigkeit halber festgehalten, auch bei unverändertem Weiterbestand des § 27 BauG nicht anzuwenden gewesen wäre, weil deren Anwendung nach dem diesbezüglich völlig eindeutigen Einleitungssatz des § 27 Abs. 1 leg. cit. die Kundmachung der Bauverhandlung voraussetzt, im Gegenstandsfall aber, wie schon dargestellt, gar keine Bauverhandlung stattfand.

c) Der nunmehrige Berufungswerber war - mangels Anwendbarkeit der Bestimmung des § 27 Abs. 1 BauG - zum Zeitpunkt des Einbringens der voran dargestellten Eingabe vom 22.6.1998 und zum Zeitpunkt des Einbringens seiner Berufung "klassische" übergangene Partei im Sinne der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu den Bauordnungen jener Bundesländer, die - anders als der Steiermärkische Gesetzgeber - keine Sonderregelungen für den übergangenen Nachbarn getroffen haben. Nach dieser ständigen Rechtsprechung konnte der übergangene Nachbar entweder gegen den ihm zur Kenntnis gelangten Baubewilligungsbescheid gleich Berufung einbringen oder aber zur Erkennung der Parteistellung (als übergangener Nachbar) und Bescheidzufertigung verlangen und sodann gegen den ihm zugefertigten Bescheid Berufung einbringen. Aber auch diese Rechtsfigur (nämlich die des 'klassischen' übergangenen Nachbarn) gehört nunmehr der Vergangenheit an.

d) In § 42 Abs. 3 AVG wird bestimmt, dass eine Person, die glaubhaft macht, dass sie durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis verhindert war, rechtzeitig Einwendungen zu erheben, und die kein Verschulden oder nur ein minderer Grad des Verschuldens trifft, binnen 2 Wochen nach Wegfall des Hindernisses, jedoch spätestens bis zum Zeitpunkt der rechtskräftigen Entscheidung der Sache bei der Behörde Einwendungen erheben kann. Solche Einwendungen gelten als rechtzeitig erhoben und sind von jener Behörde zu berücksichtigen, bei der das Verfahren anhängig ist.

e) Der Bundesgesetzgeber hat in der eben angeführten AVG-Bestimmung der übergangenen Partei (dem übergangenen Nachbarn), wie im Gegenstandsfall, ein undurchbrechbares Zeitlimit für sein (allenfalls erfolgreiches) Auftreten bzw. für seinen (allenfalls erfolgreichen) nachträglichen Eintritt in das bereits durchgeführte Bewilligungsverfahren gesetzt: nämlich das der Rechtskraft der Entscheidung (in) der Sache! Anders ausgedrückt:

eine übergangene Partei (ein übergangener Nachbar) kann nunmehr, und diese Rechtslage gilt ungeachtet des Auftretens des nunmehrigen Berufungswerbers vor Inkrafttreten des § 42 Abs. 3 AVG in der Fassung BGBl I/1998/158, nur so lange Einwendungen erstatten und damit in das Verfahren wieder eintreten, als die Entscheidung in der Sache nicht in Rechtskraft erwachsen ist. Noch einmal anders gewendet: eine übergangene Partei, die nach Rechtskraft des Bescheides in der Sache mit Einwendungen auftritt, hat ebenso ihre Rechtsstellung als Partei verloren, als jener Nachbar, der am Verfahren teilgenommen hat, aber nicht bis spätestens zum Schluss der mündlichen Verhandlung Einwendungen erstattete. Angesichts des Wortlautes des § 42 Abs. 3 AVG kann kein Zweifel daran obwalten, dass der Verlust der Parteistellung ab Rechtskraft des in der Sache ergehenden Bescheides auch dann eintritt, wenn die Baubehörde, wie im vorliegenden Fall, unter Gebrauchnahme des § 24 Abs. 2 Z. 2 Baugesetz gar keine Bauverhandlung ausgeschrieben und durchgeführt hat.

f) Hat aber der nunmehrige Berufungswerber wie festgehalten, erst nach Rechtskraft des Baubewilligungsbescheides Einwendungen erstattet, war er zufolge der Vorschrift des § 42 Abs. 3 AVG gar nicht in der Lage, Parteistellung überhaupt erst zu erwerben, weil, wie schon ausgeführt, der Zeitpunkt der Rechtskraft des Bescheides in der Sache der späteste Zeitpunkt ist, an dem eine übergangene Partei noch (allenfalls erfolgreich) als Partei auftreten kann und auch Partei ist.

g) Da das Recht Berufung zu erheben, eines der klassischen Parteienrechte ist, der nunmehrige Berufungswerber aber Parteistellung im durchgeführten Baubewilligungsverfahren, die nun ausführlich genug dargestellt, gar nicht zu erlangen zu vermochte, fehlte es ihm auch an der Berufungslegitimation gegen den erstinstanzlichen Baubewilligungsbescheid. Seine Berufung erwies sich daher als unzulässig."

Gegen diesen Bescheid richtet sich die zunächst an den Verfassungsgerichtshof gerichtete, von diesem nach Ablehnung ihrer Behandlung mit Beschluss vom 24. September 2001, B 410/99-6, gemäß Art. 144 Abs. 3 B-VG abgetretene und über Aufforderung des Verwaltungsgerichtshofes ergänzte Beschwerde, in welcher Rechtswidrigkeit des Inhaltes sowie Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend gemacht werden.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete - wie auch der Mitbeteiligte - eine Gegenschrift, in der sie die Abweisung der Beschwerde als unbegründet beantragte.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Der Beschwerdeführer macht geltend, die belangte Behörde habe die Bestimmung des § 42, insbesondere deren Abs. 3 AVG, unrichtig angewandt. Diese Bestimmung könne nur so verstanden werden, dass die Person, die glaubhaft mache, an rechtzeitigen Einwendungen gehindert gewesen zu sein, Kenntnis vom Bauverfahren gehabt haben müsse; das Wort "rechtzeitig" beziehe sich auf die Kundmachung der mündlichen Bauverhandlung bzw. auf die Verständigung von deren Durchführung, wobei Präklusionsfolgen nur eintreten könnten, wenn in der Kundmachung oder Verständigung darauf hingewiesen worden und die Verständigung rechtzeitig ergangen sei. Um so weniger könne Präklusion eintreten, wenn eine derartige Verständigung bzw. Kundmachung gar nicht erfolgt sei. Er sei Nachbar und als solcher Partei des Bauverfahrens, habe aber erst nach Eintritt der Rechtskraft des Bewilligungsbescheides vom Bauvorhaben Kenntnis erlangt. Die Behörde hätte daher über seine - rechtzeitige - Berufung inhaltlich entscheiden müssen.

Gemäß § 42 Abs. 1 AVG in der Fassung der Novelle BGBl. I Nr. 158/1998 hat, wenn eine mündliche Verhandlung gemäß § 41 Abs. 1 zweiter Satz und in einer in den Verwaltungsvorschriften vorgesehenen besonderen Form kundgemacht wurde, zur Folge, dass eine Person ihre Stellung als Partei verliert, soweit sie nicht spätestens am Tag vor Beginn der Verhandlung bei der Behörde oder während der Verhandlung Einwendungen erhebt. Wenn die Verwaltungsvorschriften über die Form der Kundmachung nichts bestimmen, so tritt die im ersten Satz bezeichnete Rechtsfolge ein, wenn die mündliche Verhandlung gemäß § 41 Abs. 1 zweiter Satz und in geeigneter Form kundgemacht wurde. Eine Kundmachungsform ist geeignet, wenn sie sicherstellt, dass ein Beteiligter von der Anberaumung der Verhandlung voraussichtlich Kenntnis erlangt.

Abs. 2 dieser Bestimmung legt fest, dass dann, wenn eine mündliche Verhandlung nicht gemäß Abs. 1 kundgemacht wurde, sich die darin bezeichnete Rechtsfolge nur auf jene Beteiligten erstreckt, die rechtzeitig die Verständigung von der Anberaumung der Verhandlung erhalten haben.

In Abs. 3 leg. cit. wird bestimmt, dass eine Person, die glaubhaft macht, dass sie durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis verhindert war, rechtzeitig Einwendungen zu erheben, und die kein Verschulden oder nur ein minderer Grad des Versehens trifft, binnen zwei Wochen nach dem Wegfall des Hindernisses, jedoch spätestens bis zum Zeitpunkt der rechtskräftigen Entscheidung der Sache bei der Behörde Einwendungen erheben kann. Solche Einwendungen gelten als rechtzeitig erhoben und sind von jener Behörde zu berücksichtigen, bei der das Verfahren anhängig ist.

Nach § 24 Abs. 1 des Steiermärkischen Baugesetzes, LGBl. Nr. 59/1995 hat die Behörde über jedes Ansuchen eine mündliche Bauverhandlung durchzuführen. Im Rahmen der Bauverhandlung hat ein Ortsaugenschein stattzufinden.

Abs. 2 leg. cit bestimmt, dass eine Bauverhandlung jedoch entfallen kann, wenn

1. sich aus der Aktenlage ergibt, dass das Vorhaben unzulässig ist und die Gründe der Unzulässigkeit sich nicht durch Auflagen beheben lassen oder

2. das Ansuchen allein auf Grund der Pläne und Unterlagen beurteilt werden kann und alle Nachbarn dem Bauvorhaben auf dem Bauplan schriftlich zugestimmt haben oder Nachbarrechte nicht berührt werden.

Nach § 27 Abs. 1 Stmk. BauG behalten, wenn eine Bauverhandlung kundgemacht wurde, nur die Nachbarn Parteistellung, die spätestens am Tag vor der Verhandlung bei der Behörde oder während der Verhandlung Einwendungen im Sinne des § 26 Abs. 1 erhoben haben.

Mangels Bauverhandlung konnte ein Verlust der Parteistellung weder nach § 27 Stmk. BauG noch - entgegen der Meinung der belangten Behörde - nach § 42 AVG nF eintreten.

Die Behörde erster Instanz hatte vielmehr von der Bestimmung des § 24 Abs. 2 Z. 2 zweiter Satz Stmk. BauG - (insoweit damals zulässigerweise, weil der Bauantrag am 7. Mai 1998 gestellt und der erstinstanzliche Bescheid vom 14. Mai 1998 noch vor Ablauf des 31.12.1998 erlassen wurde und daher die Regelungen des § 24 Abs 1 und Abs 2 Stmk BauG 1995 betreffend die Durchführung einer mündlichen Verhandlung im Bauverfahren als von der Regelung des § 39 Abs 2 AVG gemäß § 82 Abs 7 AVG abweichend noch nicht außer Kraft getreten waren) Gebrauch gemacht und - in der Meinung, nachbarliche Interessen würden nicht berührt - von der Durchführung einer Bauverhandlung abgesehen.

Aus diesen Gründen belastete die belangte Behörde den angefochtenen Bescheid mit Rechtswidrigkeit des Inhaltes, weshalb dieser gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben war.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG i.V.m. der Verordnung BGBl. II Nr. 501/2001.

Wien, am 18. Juni 2003

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2003:2001060157.X00

Im RIS seit

01.08.2003
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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