TE Vwgh Erkenntnis 2003/6/24 2001/01/0177

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Veröffentlicht am 24.06.2003
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Index

41/01 Sicherheitsrecht;

Norm

SPG 1991 §38a Abs1 idF 1999/I/146;
SPG 1991 §38a Abs2 idF 1996/759;
SPG 1991 §38a Abs2 idF 1999/I/146;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kremla und die Hofräte Dr. Nowakowski, Dr. Pelant, Dr. Köller und Dr. Thoma als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Stieger, über die Beschwerde der T in Wien, vertreten durch Dr. Charlotte Böhm, Mag. Marina Breitenecker, Dr. Christine Kolbitsch, Dr. Heinrich Vana, Rechtsanwältinnen und Rechtsanwalt in 1020 Wien, Taborstraße 10/2, gegen den am 1. März 2001 mündlich verkündeten und am 8. März 2001 schriftlich ausgefertigten Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates Wien, Zl. UVS-02//12/6923/2000/22, betreffend Wegweisung und Rückkehrverbot nach § 38a Sicherheitspolizeigesetz (weitere Partei: Bundesminister für Inneres), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.089,68 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

In ihrer bei der belangten Behörde gegen die Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt erhobenen Beschwerde vom 4. August 2000 brachte die Beschwerdeführerin zusammengefasst vor, sie habe sich am 5. Juli 2000 mit ihrem damals neun Tage alten Kind zur Wohnung ihres Ehemannes in 1040 Wien - die Beschwerdeführerin wohne mit dem gemeinsamen Kind in 1200 Wien - begeben, um diesen wegen eines gegen sie gerichteten Vorwurfs zur Rede zu stellen. Als Reaktion habe der Ehemann der Beschwerdeführerin (in der Folge: Ehemann) diese die Treppe hinunter gestoßen, sie auf dem Boden "hin und her gezerrt" und ihr ein Büschel Haare ausgerissen. Sie habe ihren Ehemann in Notwehr in den Arm gebissen, woraufhin er der Beschwerdeführerin mit der Faust in die Bauchgegend geschlagen habe. Nach Eintreffen der von ihrem Ehemann verständigten Polizei sei die Beschwerdeführerin verstört gewesen und habe geweint. Aus ihr nicht nachvollziehbaren Gründen sei sie von einem Polizeibeamten weg gewiesen worden. Wegen Schmerzen in der Bauchgegend sei sie ins Krankenhaus gebracht worden, wo sie zwei Tage stationär aufhältig gewesen sei. Die Polizeibeamten seien zur Wegweisung und zu dem in der Folge getätigten Ausspruch eines Verbotes des Betretens der Ehewohnung nicht berechtigt gewesen, weil die Beschwerdeführerin ihren Ehemann weder tätlich angegriffen habe noch anzunehmen gewesen sei, es stehe ein unmittelbar drohender gefährlicher Angriff der Beschwerdeführerin auf Leben, Gesundheit und Freiheit bevor. Der Umstand, dass die Beschwerdeführerin ihren Ehemann aus reiner Notwehr und aus Furcht vor weiteren Misshandlungen in den Oberarm gebissen habe, könne die genannten Anordnungen nicht rechtfertigen.

Im Zuge der von der belangten Behörde durchgeführten Verhandlung wurden die Beschwerdeführerin, ihr Ehemann, die einschreitenden Polizeibeamten sowie zwei Bewohnerinnen des vom Ehemann bewohnten Hauses einvernommen.

Mit dem angefochtenen Bescheid hat die belangte Behörde über die Beschwerde entschieden, dass diese hinsichtlich der Wegweisung zurückgewiesen, hinsichtlich der Verhängung eines Betretungsverbotes als unbegründet abgewiesen werde und dass die Beschwerdeführerin die Verfahrenskosten zu ersetzen habe.

Begründend gab die belangte Behörde den Inhalt der Beschwerde sowie Teile der Angaben der einvernommenen Personen wieder und fasste dann zusammen:

"Auf Grund des durchgeführten Verfahrens und der Angaben der einvernommenen Zeugen geht der Unabhängige Verwaltungssenat Wien davon aus, dass die Beschwerdeführerin im Stiegenhaus (Adresse) vor der Wohnung des (Ehemannes) diesen verbal und körperlich attackiert hatte. Die diesbezüglichen Angaben des (Ehemannes) und der Zeugen (Namen) sind schlüssig und in sich frei von Widersprüchen.

Noch vom Vorfallsort ist die Beschwerdeführerin in ein Spital verschafft worden, nachdem zuvor von den Sicherheitsorganen ein Betretungsverbot im Sinne des § 38a Abs. 2 SPG über die Beschwerdeführerin verhängt worden ist. Für eine Wegweisung nach § 38a Abs. 1 SPG bleibt bei dieser Sachverhaltsfeststellung kein Platz und deckt sich diese Feststellung auch mit der schriftlichen polizeilichen Meldung durch RvI (Name). Es wurde somit lediglich das Betretungsverbot ausgesprochen und war eine Wegweisung wegen der Einlieferung der Beschwerdeführerin in ein Spital gar nicht notwendig. Die Beschwerdeführerin ersuchte um Intervention des Rettungsdienstes, das bedeutet de facto, dass sie den Vorfallsort aus freien Stücken verlassen hat."

In rechtlicher Hinsicht führte die belangte Behörde aus, dass nach dem Gesagten keine Wegweisung angeordnet worden sei, weshalb die Beschwerde insoweit zurückzuweisen gewesen sei. Zur Verhängung des Betretungsverbotes werde ausgeführt,

"dass auf Grund des Verfahrens und der Aktenlage die intervenierenden Polizeibeamten vertretbarer Weise davon ausgehen konnten, dass von der Beschwerdeführerin eine Gefahr ausgegangen ist bzw. ausgeht oder ausgehen wird. Unter der Voraussetzung der Verhältnismäßigkeit gemäß § 29 SPG ist daher das Betretungsverbot rechtmäßig verhängt worden. Zum Einen wurde die Beschwerdeführerin vom Vorfallsort durch ihre Einlieferung in ein Spital weggebracht, zum Anderen war die Beschwerdeführerin in der verfahrensgegenständlichen Wohnung gar nicht wohnhaft, sondern besaß eine Unterkunft in Wien 20. Sie selbst war in der (Adresse) vor der Wohnung ihres Gatten erschienen, wo es dann zu den Auseinandersetzungen gekommen war."

Diesen Überlegungen schloss die belangte Behörde weitere Rechtsausführungen zum Betretungsverbot sowie die Begründung des Kostenspruches an.

Über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof erwogen:

Die im Beschwerdefall anzuwendende Bestimmung des § 38a SPG in der Fassung BGBl. I Nr. 146/1999 lautet:

"Wegweisung und Betretungsverbot bei Gewalt in Wohnungen

§ 38a. (1) Ist auf Grund bestimmter Tatsachen, insbesondere wegen eines vorangegangenen gefährlichen Angriffs, anzunehmen, es stehe ein gefährlicher Angriff auf Leben, Gesundheit oder Freiheit bevor, so sind die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes ermächtigt, einen Menschen, von dem die Gefahr ausgeht, aus einer Wohnung, in der ein Gefährdeter wohnt, und deren unmittelbarer Umgebung wegzuweisen. Sie haben ihm zur Kenntnis zu bringen, auf welchen räumlichen Bereich sich die Wegweisung bezieht; dieser Bereich ist nach Maßgabe der Erfordernisse eines wirkungsvollen vorbeugenden Schutzes zu bestimmen.

(2) Unter den Voraussetzungen des Abs. 1 sind die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes ermächtigt, einem Menschen das Betreten eines nach Abs. 1 festzulegenden Bereiches zu untersagen; die Ausübung von Zwangsgewalt zur Durchsetzung dieses Betretungsverbotes ist jedoch unzulässig..."

Die Beschwerdeführerin rügt in ihrer Beschwerde, dass sich die belangte Behörde mit ihrer Aussage nicht beweiswürdigend auseinander gesetzt habe, sondern ungeachtet von - in der Beschwerde näher behaupteten - Widersprüchen in bzw. zwischen den Angaben der vernommenen Personen begründungslos den Angaben des Ehemannes und einer Zeugin gefolgt sei.

Diese Verfahrensrüge ist im Ergebnis berechtigt, weil sich die belangte Behörde mit keinem Wort mit dem Vorbringen bzw. den Angaben der Beschwerdeführerin beschäftigt hat. Ohne Begründung bleibt auch die Annahme der belangten Behörde, eine Wegweisung sei nicht ausgesprochen worden, zumal einer der Polizeibeamten bei seiner Einvernahme bei der belangten Behörde mehrmals angab, das Betretungsverbot und die Wegweisung ausgesprochen zu haben.

Allerdings erschöpft sich der von der belangten Behörde angenommene Sachverhalt im Wesentlichen in den Feststellungen, die Beschwerdeführerin habe ihren Ehemann im Stiegenhaus "verbal und körperlich attackiert" und sei "in ein Spital verschafft worden", weshalb zu der in der Beschwerde aufgezeigten Unschlüssigkeit der Beweiswürdigung ein weiterer Verfahrensmangel tritt: für eine Beurteilung der Beschwerdesache fehlen konkrete Feststellungen.

Wollte die belangte Behörde durch den Verweis auf die "Schlüssigkeit" der Angaben des Ehemannes sowie jener einer Zeugin zum Ausdruck bringen, sie lege deren Angaben den Feststellungen zu Grunde, lässt sie - abgesehen von Ungereimtheiten in diesen Aussagen, die einer näheren Begründung in der Beweiswürdigung bedurft hätten - offen, ob sie die im angefochtenen Bescheid nur teilweise wiedergegebene Zusammenfassung der Aussagen oder den - im angefochtenen Bescheid nicht wiedergegeben - gesamten Inhalt dieser Aussagen feststellen wollte. Ein mehrdeutiger Verweis dieser Art kann konkrete Feststellungen nicht ersetzen.

Zur Frage, welche Feststellungen die belangte Behörde zu treffen gehabt hätte, um abschließend beurteilen zu können, ob die behaupteten Anordnungen rechtmäßig bzw. rechtswidrig waren, ist gemäß § 43 Abs. 2 VwGG auf das Erkenntnis vom 21. Dezember 2000, Zl. 2000/01/0003, zu verweisen. In dieser Entscheidung, die zur Rechtslage vor der genannten Novelle, die jedoch mit der im Beschwerdefall anzuwendenden Rechtslage vergleichbar ist (die durch die Novelle BGBl. I Nr. 146/1999 eingeführte Möglichkeit des Ausspruches eines Betretungsverbotes entspricht im Wesentlichen dem davor möglichen Ausspruch eines Rückkehrverbotes gemäß § 38a Abs. 2 SPG), erging, sind die für die Annahme der Rechtmäßigkeit einer Wegweisung notwendigen Voraussetzungen dargestellt; diese müssen gemäß § 38a Abs. 2 erster Satz SPG in der hier anzuwendenden Fassung auch für das Betretungsverbot vorliegen. Ob diese Voraussetzungen im Beschwerdefall vorliegen, kann aber erst beurteilt werden, wenn die belangte Behörde entsprechende Feststellungen getroffen hat.

Die aufgezeigten Verfahrensmängel führen zu einer Aufhebung des angefochtenen Bescheides wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2001. Die im Betrag von S 2.500,-- angefallene Gebühr nach § 24 Abs. 3 VwGG war im Betrag von EUR 181,68 zuzusprechen.

Wien, am 24. Juni 2003

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2003:2001010177.X00

Im RIS seit

28.07.2003
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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