TE Vwgh Erkenntnis 2003/6/24 2002/01/0395

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Veröffentlicht am 24.06.2003
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Index

41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

AsylG 1997 §32;
AsylG 1997 §6 Z3;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kremla und die Hofräte Dr. Nowakowski, Dr. Pelant, Dr. Köller und Dr. Thoma als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Stieger, über die Beschwerde des 1985 geborenen N in Wien, vertreten durch Mag. Andreas J. O. Ulrich, Rechtsanwalt in 1020 Wien, Obere Donaustraße 63/3, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 15. Mai 2002, Zl. 224.585/0-XI/33/01, betreffend § 6 Z 1 und 3 sowie § 8 des Asylgesetzes 1997 (weitere Partei: Bundesminister für Inneres), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 908,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer - seinen Angaben zufolge ein Staatsangehöriger von Sierra Leone und am 18. März 2001 in das Bundesgebiet gelangt - beantragte am 19. März 2001 die Gewährung von Asyl.

Im Rahmen seiner Einvernahme durch das Bundesasylamt (die Erstbehörde) gab er auf Befragen zu seinem Fluchtgrund an, nachdem seine Mutter verschwunden sei, hätten "Kamajors", Rebellen, ihn und seinen Bruder entführt. Jedoch sei ihm und seinem Bruder die Flucht gelungen und sie seien nach Freetown gegangen; dort sei es zu keinen besonderen Vorfällen oder Problemen gekommen. Weiters wurde der Beschwerdeführer über Spezifika von Sierra Leone befragt. Die abschließende Frage des einvernehmenden Beamten, ob man zusammenfassend sagen könne, dass der Beschwerdeführer Sierra Leone verlassen habe, weil seine Eltern verstorben oder unbekannten Aufenthaltes seien und er niemand mehr habe, der sich um ihn kümmere und ihn verpflege, bejahte der Beschwerdeführer.

Nach Einholung einer Sprachanalyse wies die Erstbehörde den Asylantrag gemäß § 6 Z 3 des Asylgesetzes 1997 (AsylG) als offensichtlich unbegründet ab und sprach aus, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung (des Beschwerdeführers) nach Sierra Leone gemäß § 8 AsylG zulässig sei. Nach Wiedergabe der Ermittlungsergebnisse traf die Erstbehörde zunächst folgende Feststellungen:

"Situation in Sierra Leone - Stand Oktober 2000 Seit dem 1. Mai 2000 befindet sich Sierra Leone wieder in

kriegsähnlichem Zustand. Am Anfang der Kämpfe hat die britische Armee erfolgreich mit einer regierungsfreundlichen Allianz der "Sierra Leone Army" (SLA), ehemaligen Soldaten der SLA (ex-SLA oder "Armed Forces Revolutionary Council", AFRC) sowie verschiedenen Milizen der "Civil Defense Forces" (CDF) die "Revolutionary United Front" (RUF) ins Landesinnere zurück gedrängt. Seither haben sich die Allianzen verschoben und zum Teil aufgelöst.

Die Stationierung britischer Truppen in Freetown und auf der Lungi-Halbinsel hat maßgeblich zur Beruhigung der kritischen Sicherheitssituation vom Mai 2000 beigetragen. Nach Abzug der britischen Kampftruppen gelang es der UNAMSIL, für relativ stabile Verhältnisse in Freetown zu sorgen. Dennoch kam es zu einzelnen ernsthaften Zwischenfällen: Am 22.5.2000 führte eine bewaffnete Auseinandersetzung zwischen Mitgliedern des AFRC und UNO-Friedenssoldaten in den Wilberforce Barracks in Freetown zum Tod zweier nigerianischer Soldaten. Während dieses Angriffes in der Nähe der Residenz des Sicherheitschefs des Präsidenten starben auch zwei Angehörige der sierra-leonischen Armee. Mitglieder des AFRC waren in der Gegend von Juba Hill mit den "West Side Boys" ebenfalls in einen Streit um ein Fahrzeug involviert. Dank der UNAMSIL konnte die Situation entspannt werden. Am 17. Juni 2000 wurde in einer Schießerei nahe des Pademba Gefängnisses ein Zivilist getötet. Auch die CDF war an einigen Überfällen und Übergriffen auf Zivilisten beteiligt. Um die Sicherheit in Freetown zu verbessern wurde Mitte Juni 2000 von der Regierung ein Waffenverbot für die Hauptstadt ausgesprochen. Nur noch die reguläre Armee, die Polizei und die UNO-Truppen dürfen in der Stadt Waffen tragen. In der Folge zog die CDF ihre Kämpfer aus Freetown ab. Trotz dieser Maßnahmen der Regierung meldete die UNO am 7. August 2000, dass bei einer Schießerei in Freetown ein Soldat der sierra-leonischen Armee getötet worden sei.

Seit der abgewehrten Offensive auf Freetown konzentrierten sich die Kampfhandlungen vor allem auf die nördliche Provinz Sierra Leones, welche fast vollständig in der Hand der RUF ist. Die heftigsten Gefechte gab es um die strategisch wichtigen Ortschaften Lunsar und Rogberi, welche im Mai und Juni 2000 verschiedentlich die Hand wechselten. ...

Auch im August 2000 gingen die Kämpfe im Norden weiter. Am 17. August 2000 gelang es der RUF, in die Außenbezirke von Kabala einzudringen. Am 23. August 2000 attackierte die RUF Truppen der UNAMSIL in der Nähe von Port Loko. Am 25. August wurden von der Miliz "West Side Boys" elf britische Soldaten und ein sierraleonischer Armeeoffizier entführt. Die Geiseln wurden durch eine Kommandoaktion britischer Elitesoldaten am 10. September 2000 befreit.

...

Die allgemeine Sicherheitslage in der südlichen Provinz kann als relativ stabil bezeichnet werden. Im Zeitraum Mai bis September 2000 kam es zu keinerlei Kampfhandlungen. Der Süden wird von der CDF beherrscht, der Staat ist praktisch inexistent. Die UNAMSIL, die zwar an Schlüsselpositionen in der südlichen Provinz stationiert ist, ist nicht in der Lage, die effektive Kontrolle der Verkehrswege zu gewährleisten. Stattdessen fordert die CDF an unzähligen Straßensperren im Süden des Landes Gebühren ein. In den letzten Wochen mehrten sich die Berichte über Gewalttaten und Übergriffe gegen die Wohnbevölkerung des Südens.

Durch die erneute Aufnahme von Kämpfen und zunehmenden Übergriffen auf die Zivilbevölkerung sind die wenigen Fortschritte seit der Friedensvertragsunterzeichnung von Lome am 7. Juli 1999 weitgehend zunichte gemacht worden. Die Zahl der Binnenflüchtlinge hat sich mehr als verdoppelt. Die meisten der vertriebenen Personen strömten in die Region von Freetown und der Lungi Halbinsel, etwa 40.000 bis 50.000 "Internally displaced people" haben sich in Mile 91 niedergelassen.

...

Die gesamte Sicherheits- und Versorgungsanlage in Sierra Leone bleibt mit Ausnahme der Hauptstadt Freetown fragil. Die anhaltenden Kämpfe in vielen Regionen des Landes haben eine direkte Auswirkung auf die Zivilbevölkerung und führen zu schweren Menschenrechtsverletzungen durch alle kämpfenden Gruppen. Täglich werden Plünderungen und Überfälle auf Dörfer in vielen Teilen des Landes durch REF, CDF und "West Side Boys" bemeldet. Von IDPs werden laufend von Exekutionen, Amputationen, Verstümmelungen und Vergewaltigungen berichtet. Auch die Regierungsallianz ließ sich Menschenrechtsverletzungen zu Schulden kommen.

...

Mitte September 2000 herrscht in Sierra Leone eine eigentliche Pattsituation. Eine rein militärische Lösung des Konfliktes wird unter den gegebenen Umständen kaum realisierbar sein. Die RUF verfügt über genügend Ressourcen, den Krieg noch lange weiterzuführen. Die Ankündigung eines UNO-Gerichtshofes für Sierra Leone dürfte viele RUF-Kader abschrecken, ihre Waffen freiwillig abzugeben. Die sierra-leonische Armee hat bis jetzt noch nicht bewiesen, dass sie auf Dauer in der Lage ist, die Rebellen in die Knie zu zwingen. Der RUF gelingt es immer wieder, auch in der Nähe der Hauptstadt, Positionen der Regierungsallianz zu infiltrieren. Die UNAMSIL hat vereinzelt gezeigt, dass sie bereit ist, ihr Mandat auch unter Waffeneinsatz zu erfüllen. Ihr Einfluss beschränkt sich jedoch auf die von ihr gehaltenen Positionen und die Hauptstadt Freetown.

UNAMSIL berichtet, dass der Waffenstillstand bis jetzt hält und die Lage im Land relativ ruhig ist. Weiters haben sich die Kämpfe entlang der Grenze zu Guinea vermindert.

...

Weiters ergibt sich aus Berichten des österreichischen Konsulates in Freetown vom 10.06.2000, vom 16.07.2000, vom 30.09.2000, vom 15.10.2000 sowie vom 12.11.2000, dass die Hauptstadt Freetown und deren Umgebung sowie der Süden und Osten des Landes gegenwärtig und für die nähere Zukunft als sicher bezeichnet werden können.

Wie sich aus oben angeführten Pressemeldungen und Berichten zur aktuellen Situation in Sierra Leone zusammenfassend ergibt, ist davon auszugehen, dass jedenfalls in der Hauptstadt Freetown auf Grund der Ankunft von britischen Truppen und Kriegsschiffen sowie auf Grund der Präsenz von Regierungstruppen und UN-Soldaten die Lage sicher und die Staatsmacht soweit aufrecht ist, dass diese im Stande ist, Gefahren, die sich aus Übergriffen von Rebellen ergeben, wirksam zu begegnen. (siehe UBAS-Bescheid vom 02.03.2001, Zl. ...)."

Beweiswürdigend führte die Erstbehörde aus, dem Beschwerdeführer sei es nicht möglich gewesen, auch nur annähernd den Eindruck zu erwecken, dass seine Angaben den Tatsachen bzw. der Wirklichkeit entsprächen. Somit hätten die von ihm relevierten Umstände bzw. Ereignisse nicht als Sachverhalt festgestellt werden können, weil seiner Aussage die Glaubwürdigkeit zu versagen gewesen sei. Es sei somit nicht glaubhaft, dass Sierra Leone der tatsächliche Herkunftsstaat des Beschwerdeführers sei bzw. dass er Staatsangehöriger von Sierra Leone und dort der von ihm behaupteten Bedrohungssituation ausgesetzt gewesen sei. Nach Gesamtschau seiner mangelhaften und in krassem Widerspruch zu seinem angeblichen Lebensumfeld, seinem geltend gemachten mehrjährigen Aufenthalt in Freetown und seiner vorgegebenen Herkunft gemachten Angaben gelange die Erstbehörde zum Schluss, dass er über kein - von einem Einwohner Sierra Leones bzw. ehemaligen Bewohner von Freetown zu erwartendes, fundiertes - Wissen verfüge, sondern unrichtige Angaben zu seiner Person aufstelle und dieses Land nicht sein tatsächlicher Herkunftsstaat sei. Als zusätzliches Indiz dafür, dass er sein Vorbringen auf ein vorgeschobenes Herkunftsland stütze, sei das Ergebnis einer durchgeführten Sprachanalyse mit einzubeziehen. In Zusammenschau der vorliegenden Indizien, insbesondere der persönlichen Einvernahme, in der sein mangelndes Wissen über herkunftslandspezifische Gegebenheiten offensichtlich geworden sei, dem Fehlen jeglicher identitätsbezeugender Urkunden und der vorliegenden Sprachanalyse, müsse seinen Angaben zu seinem Herkunftsstaat die Glaubwürdigkeit versagt werden. Rechtlich folgerte die Erstbehörde daraus, es sei mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass der vorliegende Asylantrag auf einer vorsätzlichen Täuschung beruhe und einen Missbrauch des Asylverfahrens darstelle. Er entbehre eindeutig jeder Grundlage und sei daher als offensichtlich unbegründet abzuweisen. Es sei davon auszugehen, dass jedenfalls in der Hauptstadt Freetown auf Grund der Ankunft von britischen Truppen und Kriegsschiffen sowie auf Grund der Präsenz von Regierungstruppen und UN-Soldaten die Lage sicher und die Staatsmacht soweit aufrecht sei, dass diese im Stande seien, Gefahren, die sich aus Übergriffen von Rebellen ergäben, gegenwärtig und für die nähere Zukunft wirksam zu begegnen. Auf Grund der dargestellten Situation in der Hauptstadt Freetown könne derzeit keine derart extreme Gefahrenlage erblickt werden, dass praktisch jedem, der nach Freetown abgeschoben werde, Gefahr für Leib und Leben in einem Maße drohen würde, wodurch die Abschiebung im Lichte des Art. 3 EMRK unzulässig erschiene.

Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer Berufung, in der er sich gegen die Versagung seiner Glaubwürdigkeit und gegen die Qualifikation der Sprachanalyse als Gutachten wandte. In den herrschenden Bürgerkriegswirren in Sierra Leone fürchte er unmenschliche Behandlung, weil er von den Rebellen im ganzen Land gesucht werde. Betreffend den Abspruch nach § 8 AsylG brachte er vor, in Sierra Leone bestehe für ihn eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit. Die Erstbehörde habe eindeutig den Untersuchungsgrundsatz verletzt.

Mit dem angefochtenen Bescheid wies der unabhängige Bundesasylsenat (die belangte Behörde) die Berufung gemäß § 6 Z 1 und 3 AsylG ab und sprach gemäß § 8 AsylG in Verbindung mit § 57 des Fremdengesetzes 1997 die Feststellung aus, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach Sierra Leone zulässig sei. Begründend führte sie nach Darstellung des Verfahrensganges unter Wiedergabe des Vorbringens des Beschwerdeführers vor der Erstbehörde aus, auf der Grundlage des durchgeführten Ermittlungsverfahrens habe lediglich festgestellt werden können, dass der Beschwerdeführer am 19. März 2001 einen Asylantrag gestellt habe und dass er Englisch spreche. Seine Identität, Staatsangehörigkeit, sein Fluchtweg sowie die behaupteten Fluchtgründe hätten nicht festgestellt werden können. Beweiswürdigend führte die belangte Behörde aus, sie sei der Ansicht, dass im vorliegenden Fall allein das Durchlesen der niederschriftlichen Einvernahme (durch die Erstbehörde) die offensichtliche Unglaubwürdigkeit des Vorbringens des Beschwerdeführers klar aufzeige. Zur Verdeutlichung seien aber noch einige Punkte herausgestrichen: Die angebliche Heimatstadt des Beschwerdeführers ("Zerekule") existiere nicht. Die von ihm genannten Distrikte gebe es nicht. Die Unkenntnis der Begriffe "districts" und "provinces" erschienen nach fünf Jahren Schulbildung und der Behauptung des Beschwerdeführers, seine Eltern hätten gewollt, dass er gebildet werde, nicht nachvollziehbar. Ebenso erscheine es unglaubwürdig, dass der Beschwerdeführer nicht Mende spreche, obwohl er halb Mende sei und in deren Gebiet gelebt haben wolle. Seine Erklärung dafür sei gewesen, dass seine Eltern mit ihm nur Englisch gesprochen hätten. Dies sei die gängigste Schutzbehauptung vieler Asylwerber, die angeblich aus Sierra Leone stammten, aber entgegen allen Gepflogenheiten dieses Landes keine Stammessprache beherrschen wollten. Zur Behauptung, er spräche ein wenig Krio, habe die Sprachanalyse ergeben, dass der Beschwerdeführer keinen Dialekt Sierra Leones spreche und sein sprachlicher Hintergrund nicht dort, sondern wahrscheinlich in Ghana oder eventuell in Nigeria liege. Der Beschwerdeführer kenne weder das Nationalgericht von Sierra Leone noch das Wahrzeichen von Freetown oder andere Sehenswürdigkeiten noch Straßen dieser Stadt. Vom Beschwerdeführer angegebene Zeitungen hätten nicht verifiziert werden können. Die offensichtliche Unglaubwürdigkeit des Vorbringens des Beschwerdeführers sei augenscheinlich, weshalb § 6 Z 3 AsylG anzuwenden gewesen sei. Sein Vorbringen beinhalte - abgesehen davon, dass er nicht aus Sierra Leone stamme - keine sonstigen Hinweise auf Verfolgungsgefahr im Herkunftsstaat im Sinn des § 6 AsylG. Eine Verfolgung durch die "Kamajors" an seinem letzten Aufenthaltsort Freetown habe der Beschwerdeführer nicht behauptet. Aus diesem Grund sei der Asylantrag auch gemäß § 6 Z 1 AsylG als offensichtlich unbegründet abzuweisen gewesen. Betreffend die Feststellung nach § 8 AsylG führte die belangte Behörde aus, nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes habe der Antragsteller das Bestehen einer aktuellen, durch staatliche Stellen zumindest gebilligten Bedrohung der relevanten Rechtsgüter glaubhaft zu machen. Die aktuelle Bedrohungssituation sei mittels konkreter, die Person des Fremden betreffender, durch entsprechende Bescheinigungsmittel untermauerter Angaben darzutun. Die Mitwirkungspflicht des Antragstellers beziehe sich zumindest auf jene Umstände, die in der Sphäre des Antragstellers gelegen seien und deren Kenntnis sich die Behörde nicht von Amts wegen verschaffen könne. Hinsichtlich der Glaubhaftmachung des Vorliegens einer drohenden Gefahr im Sinn des § 57 FrG sei es erforderlich, dass der Fremde die für diese ihm drohende Behandlung oder Verfolgung sprechenden Gründe konkret und in sich stimmig schildere und dass diese Gründe objektivierbar seien. Wie bereits ausgeführt, habe der Beschwerdeführer seine Angaben keineswegs glaubhaft machen können, womit es ihm nicht gelungen sei, die behaupteten Gründe konkret und in sich stimmig zu schildern; deshalb sei auszusprechen gewesen, dass eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung nach Sierra Leone zulässig sei. Weiters begründete die belangte Behörde ihre Abstandnahme von einer mündlichen Verhandlung.

Über die gegen diesen Bescheid gerichtete Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof erwogen:

Die belangte Behörde gründete die Abweisung des Asylantrages - anders als die Erstbehörde - nicht nur auf § 6 Z 3 AsylG, sondern auch auf den Tatbestand des § 6 Z 1 AsylG. Ihre Beurteilung des Vorbringens des Beschwerdeführers zu seiner Bedrohungssituation als offensichtlich nicht den Tatsachen entsprechend sah sie - abweichend von der Beweiswürdigung der Erstbehörde, die dieses Urteil aus einer Gesamtschau aller von ihr herangezogenen Ermittlungsergebnisse ableitete - schon allein durch das "Durchlesen der niederschriftlichen Einvernahme" begründet, aus der sie zur Verdeutlichung einzelne Punkte hervorhob.

Die Beschwerde wendet sich vorerst gegen die Würdigung der Angaben des Beschwerdeführers als offensichtlich unglaubwürdig und verweist hiezu unter anderem darauf, dass eine Einsichtnahme in Landkarten die Existenz der Städte Taiama, Masuri und Masiaka - in unmittelbarer Umgebung von Moyamba - ergeben hätte.

Nun sah zwar die belangte Behörde nach Studium der niederschriftlichen Angaben des Beschwerdeführers dessen offensichtliche Unglaubwürdigkeit unter anderem darin tragend begründet, dass Distrikte namens Taiama, Masuri und Masiaka nicht existierten. Allerdings hätte die belangte Behörde hiebei den Umstand nicht übergehen dürfen, dass der Beschwerdeführer im Zuge seiner Einvernahme vor der Erstbehörde, aufgefordert zu erklären, was ein Distrikt sei, angab, dass "district" dasselbe wie eine Stadt sei, sodass - unter Bedachtnahme auf das Verständnis des Begriffes "district" durch den Beschwerdeführer - einem tragenden Argument gegen die Glaubwürdigkeit des Beschwerdeführers der Boden entzogen ist.

Soweit die belangte Behörde zur Untermauerung ihrer Würdigung des Vorbringens als offensichtlich unglaubwürdig - entgegen ihrer eigenen Ansicht, wonach sich die offensichtliche Unglaubwürdigkeit schon allein beim Durchlesen der Niederschrift ergebe - auf eine von der Erstbehörde eingeholte "Sprachanalyse" zurückgriff, verlässt sie damit den ihr nach § 6 Z 3 AsylG gesteckten Rahmen der Beweiswürdigung. Der Tatbestand des § 6 Z 3 AsylG kann nur dann als erfüllt angesehen werden, wenn Umstände vorliegen, die die Unrichtigkeit der erstatteten Angaben besonders deutlich vor Augen führen. Es muss unmittelbar einsichtig ("eindeutig", "offensichtlich") sein, dass die abgegebene Schilderung tatsächlich wahrheitswidrig ist. Dieses Urteil muss sich quasi "aufdrängen", der (die) dazu führende(n) Gesichtspunkt(e) muss (müssen) klar auf der Hand liegen, sei es allenfalls auch deshalb, weil nach einem Ermittlungsverfahren "Hilfstatsachen" (zB fehlende Kenntnis der behaupteten Stammessprache) substantiell unbestritten bleiben. Im Ergebnis setzt die im gegebenen Zusammenhang erforderliche "qualifizierte Unglaubwürdigkeit" somit voraus, dass es weder weitwendiger Überlegungen noch einer langen Argumentationskette bedarf, um zu erkennen, dass das Vorbringen eines Asylwerbers nicht den Tatsachen entspricht (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 21. August 2001, Zl. 2000/01/0214).

Allerdings wandte sich der Beschwerdeführer schon in seiner Berufung ausdrücklich gegen die Qualifikation der von der Erstbehörde eingeholten Sprachanalyse als Gutachten und damit gegen ihren Beweiswert, sodass im Sinne der zitierten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht mehr von einer unbestrittenen Hilfstatsache (mangelnder Sprachkenntnisse) gesprochen werden kann, aus der wiederum (offensichtlich) auf die Herkunft des Beschwerdeführers geschlossen werden könnte.

Dass die übrigen, von der belangten Behörde zur Stützung ihrer Ansicht hervorgehobenen Wissenslücken für sich genommen eine Einschätzung der Angaben des Beschwerdeführers als offensichtlich unglaubwürdig tragen könnten, vermag der Verwaltungsgerichtshof ebenso wenig zu erkennen wie die belangte Behörde im angefochtenen Bescheid.

Schließlich sieht die belangte Behörde die Abweisung des Asylantrages auch nach § 6 Z 1 AsylG begründet, weil sich den Behauptungen des Beschwerdeführers eine Verfolgung in seinem Herkunftsstaat nicht entnehmen lasse. Eine Verfolgung durch die "Kamajors" an seinem letzten Aufenthaltsort Freetown habe er nicht behauptet.

Mit diesem Argument versuchte die belangte Behörde offenbar auf das ergänzende Berufungsvorbringen Bedacht zu nehmen, wonach der Beschwerdeführer unmenschliche Behandlung fürchte, weil er von den Rebellen, die ihn seinerzeit entführt hatten, im ganzen Land gesucht werde. Damit behauptete der Beschwerdeführer - entgegen der Ansicht der belangten Behörde - jedoch ausdrücklich, dass ihm im (gesamten) Herkunftsstaat Verfolgung drohe. Die von der belangten Behörde implizit dagegen ins Treffen geführte Überlegung einer innerstaatlichen Schutzalternative vor den Rebellen in Freetown ist jedoch - abgesehen davon, dass das gegenteilige Vorbringen des Beschwerdeführers unbehandelt bleibt - nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht geeignet, das Vorliegen der Voraussetzungen nach § 6 Z 1 AsylG darzutun (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 22. Oktober 2002, Zl. 2001/01/0365, mwN).

Nach dem Gesagten war daher der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2001.

Wien, am 24. Juni 2003

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2003:2002010395.X00

Im RIS seit

21.07.2003
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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