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L8 Boden- und VerkehrsrechtNorm
B-VG Art144 Abs1 / AnlaßfallLeitsatz
Anlaßfallwirkung der Aufhebung des §25 Abs2 letzter Satz Tir BauO 1998, LGBl 15/1998, mit E v 01.10.99, G73/99.Spruch
Der Beschwerdeführer ist durch die angefochtenen Bescheide wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes in seinen Rechten verletzt worden.
Die Bescheide werden aufgehoben.
Die Landeshauptstadt Innsbruck ist schuldig, dem Beschwerdeführer zu Handen seines Rechtsvertreters jeweils die mit S 27.000,- bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei Exekution zu bezahlen.
Begründung
Entscheidungsgründe:
I. 1.1. Dem Verfahren B 1621/99 liegt folgender Sachverhalt zu Grunde: Mit Bescheid vom 22. Juni 1999 erteilte der Stadtmagistrat Innsbruck die (nachträgliche) Baubewilligung zum Teilabbruch und zur Durchführung von Zu- und Umbauten auf dem Grundstück Nr. 2035/4, KG Arzl. Der Nachbar und nunmehrige Beschwerdeführer erhob gegen diesen Bescheid Berufung, die mit dem angefochtenen Bescheid des Stadtsenates Innsbruck unter Berufung auf §25 Abs2 und §26 Tiroler Bauordnung 1998 als unbegründet abgewiesen wurde. Die belangte Behörde führt aus, dass Abstandsvorschriften gemäß §6 leg. cit. nicht verletzt wurden und weitere Einwendungen in §25 Abs2 leg. cit. nicht vorgesehen seien, weshalb diese "zurückzuweisen waren".
1.2. Dagegen wendet sich die auf Art Art144 Abs1 B-VG gestützte Beschwerde, in der die "Gesetzwidrigkeit des Flächenwidmungsplanes Nr. AL-F 22 sowie des kombinierten Bebauungsplanes Nr. AL-B 25" und die Verletzung im "Recht als Partei des Bauverfahrens auf Abweisung des Bauansuchens" behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheids beantragt wird.
Der Stadtsenat der Landeshauptstadt Innsbruck als belangte Behörde legte die Verwaltungsakten vor und verzichtete auf die Erstattung einer Gegenschrift.
2.1. Dem Verfahren B 1622/99 liegt folgender Sachverhalt zugrunde: Der Stadtmagistrat Innsbruck erteilte mit Bescheid vom 16. August 1999 die nachträgliche Baubewilligung zur Errichtung eines Wohnhauses samt Geräteschuppen auf dem Grundstück Nr. 1953/5, KG Arzl. Mit dem angefochtenen Bescheid hat der Stadtsenat der Landeshauptstadt Innsbruck mit einer im Wesentlichen gleich lautenden Begründung wie im Verfahren B 1621/99 die Berufung des Nachbarn als unbegründet abgewiesen.
2.2. Dagegen wendet sich die vorliegende, auf Art Art144 Abs1 B-VG gestützte Beschwerde, in der der Beschwerdeführer substantiiert die Verletzung in den verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter (Art Art83 Abs2 B-VG) und auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz (Art Art2 StGG) sowie die Verletzung in Rechten wegen Anwendung rechtswidriger genereller Normen behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheids beantragt.
2.3. Der Stadtsenat der Landeshauptstadt Innsbruck als belangte Behörde legte die Verwaltungsakten vor und erstattete eine Gegenschrift, in der er die Abweisung der Beschwerde beantragt.
4. Der Verfassungsgerichtshof hat die genannten Beschwerdeverfahren in sinngemäßer Anwendung der §§187 und 404 Abs2 ZPO iVm §35 Abs1 VerfGG 1953 zur gemeinsamen Beratung und Entscheidung verbunden.
5. Mit amtswegigem Beschluss vom 27. Februar 1999, B 2126/98, leitete der Verfassungsgerichtshof das Verfahren zur Prüfung der Verfassungsmäßigkeit des §25 Abs2 letzter Satz Tiroler Bauordnung 1998, LGBl. Nr. 15/1998, ein. Mit Erkenntnis vom 1. Oktober 1999,
G 73/99, hat der Verfassungsgerichtshof diese Bestimmung als verfassungswidrig aufgehoben.
II. 1. Gemäß Art Art140 Abs7 B-VG wirkt die Aufhebung eines Gesetzes auf den Anlassfall zurück. Es ist daher hinsichtlich des Anlassfalles so vorzugehen, als ob die als verfassungswidrig erkannte Norm bereits zum Zeitpunkt der Verwirklichung des dem Bescheid zugrundegelegten Tatbestandes nicht mehr der Rechtsordnung angehört hätte.
Dem in Art Art140 Abs7 B-VG genannten Anlassfall (im engeren Sinn), anlässlich dessen das Gesetzesprüfungsverfahren tatsächlich eingeleitet worden ist, sind all jene Beschwerdefälle gleichzuhalten, die zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung im Gesetzesprüfungsverfahren (bei Unterbleiben einer mündlichen Verhandlung zu Beginn der nichtöffentlichen Beratung) beim Verfassungsgerichtshof bereits anhängig waren (VfSlg. 10.616/1985, 11.711/1988).
Die nichtöffentliche Beratung im Gesetzesprüfungsverfahren zu G 73/99 begann am 1. Oktober 1999. An diesem Tag begann die Beratung des Verfassungsgerichtshofes um 8.30 Uhr. Die Anträge auf Bewilligung der Verfahrenshilfe zur Einbringung der vorliegenden Beschwerden sind beim Verfassungsgerichtshof am 1. Oktober 1999 um
8.15 Uhr eingelangt, waren also zum Zeitpunkt des Beginns der nichtöffentlichen Beratung im Verfahren zu G 73/99 schon anhängig; der Fall ist somit einem Anlassfall gleichzuhalten (vgl. dazu VfSlg. 11.748/1988).
Die belangte Behörde wendete bei Erlassung der angefochtenen Bescheide die als verfassungswidrig aufgehobene Gesetzesbestimmung an. Es ist nach Lage des Falles offenkundig, dass diese Gesetzesanwendung für die Rechtsstellung des Beschwerdeführers nachteilig war. Der Beschwerdeführer wurde somit wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes in seinen Rechten verletzt.
Die Bescheide sind daher aufzuheben.
2. Von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung wurde gemäß §19 Abs4 Z3 VerfGG 1953 abgesehen.
3. Die Kostenentscheidung gründet sich auf §88 VerfGG 1953. In den zuerkannten Kosten sind Umsatzsteuer in der Höhe von
S 4.500,-.
Schlagworte
VfGH / AnlaßfallEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:2000:B1621.1999Dokumentnummer
JFT_09999685_99B01621_00