TE Vwgh Erkenntnis 2003/6/24 2001/01/0495

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Veröffentlicht am 24.06.2003
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Index

40/01 Verwaltungsverfahren;
41/02 Staatsbürgerschaft;

Norm

AVG §60;
StbG 1985 §10 Abs1 Z6;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kremla und die Hofräte Dr. Nowakowski, Dr. Pelant, Dr. Köller und Dr. Thoma als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Stieger, über die Beschwerde des S in M, vertreten durch Mag. Bernhard Graf, Rechtsanwalt in 6800 Feldkirch, Liechtensteinerstaße 27, gegen den Bescheid der Vorarlberger Landesregierung vom 1. August 2001, Zl. Ia 370- 394/2001, betreffend Verleihung der Staatsbürgerschaft, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Das Land Vorarlberg hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.089,68 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde den Antrag des Beschwerdeführers auf Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft gemäß §§ 10, 11, 11a, 12, 13 und 14 des Staatsbürgerschaftsgesetzes 1985 (StbG) ab.

Begründend führte sie aus, der Beschwerdeführer sei am 17. Dezember 1980 in Feldkirch geboren worden und besitze die Staatsangehörigkeit der (ehemaligen) Bundesrepublik Jugoslawien. Seit seiner Geburt habe der Beschwerdeführer ununterbrochen den Hauptwohnsitz in Österreich; er habe die Pflichtschule in Österreich absolviert und sei nach Abschluss des Polytechnischen Lehrganges bei verschiedenen Arbeitgebern beschäftigt gewesen, zuletzt seit Mai 2001 als Textilarbeiter. Weiters stellte die belangte Behörde wörtlich fest:

"Am 14.04.1999 hat (der Beschwerdeführer) einen Schlüsselanhänger gestohlen. Er wurde deswegen am 19.04.1999 vom Gendarmerieposten Feldkirch-Stadt zur Anzeige gebracht. Das Strafverfahren wurde am 01.06.1999 vom Bezirksgericht Feldkirch, Zl. 33-415/99d, gemäß § 6 Abs. 1 und 2 Jugendgerichtsgesetz eingestellt. Mit Schreiben vom 08.06.1999 wurde er gemäß § 6 Abs. 2 Jugendgerichtsgesetz über das Unrecht seiner Handlungen und die möglichen strafrechtlichen Folgen belehrt.

Am 25.10.1999 wurde (der Beschwerdeführer) vom Gendarmerieposten Feldkirch-Gisingen wegen Begünstigung zur Anzeige gebracht. Der Antragsteller hatte bei der Einvernahme beim Gendarmerieposten Rankweil wahrheitswidrig angegeben, dass sich S. versehentlich selbst am Unterarm verletzt hatte, statt wahrheitsgemäß anzugeben, dass dieser von M. vorsätzlich verletzt worden ist. Das Strafverfahren wegen § 299 StGB (Begünstigung) wurde am 08.11.1999 vom Landesgericht Feldkirch unter der Zl. 28 Vr 1523/99 gemäß § 9 Abs. 1 Z 1 Jugendgerichtsgesetz unter Bestimmung einer Probezeit von einem Jahr vorläufig eingestellt.

Von der Bezirkshauptmannschaft Feldkirch wurde er wie folgt bestraft:

mit Bescheid Zl. X-alt-1996/10750, wegen einer Übertretung nach § 24 Abs. 1 Schulpflichtgesetz mit einer Geldstrafe von S 700,--;

mit Bescheid vom 06.08.1999, Zl. X-alt-1999/12501, wegen einer Übertretung nach § 6 Abs. 1 lit. a des Gesetzes gegen Lärmstörungen, LGBl. 1/1987, mit einer Geldstrafe von S 400,--;

mit Bescheid vom 12.09.1999, Zl. X-alt-1999714639, wegen Übertretungen nach den §§ 52 lit. a Z 1 und 99 Abs. 3 lit. a StVO mit einer Geldstrafe von S 500,--;

mit Bescheid vom 02.03.2000, Zl. X-alt-1999/17234, wegen einer Übertretung nach § 20 Abs. 1 in Verbindung mit § 52a Z 10a StVO mit einer Geldstrafe von S 400,--, weil er als Lenker eines Pkws durch das überlaute Abspielen des Autoradios ungebührlicherweise störenden Lärm verursachte;

mit Bescheid vom 02.03.2000, Zl. X-alt-1999/17234, wegen einer Übertretung nach § 20 Abs. 1 in Verbindung mit § 52a Z 10a StVO mit einer Geldstrafe von S 1.300,--, weil er mit dem von ihm gelenkten Pkw die zulässige Höchstgeschwindigkeit von 40 km/h erheblich überschritten hatte;

mit Bescheid Zl. X-9-2001/04064, wegen einer Übertretung nach § 20 Abs. 2 StVO mit einer Geldstrafe von S 2.000,--, weil er am 22.01.2001 um 19.25 Uhr mit dem von ihm gelenkten PKW die zulässige Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h um 27 km/h überschritten hatte."

In der Folge führte die belangte Behörde nach Wiedergabe der Bestimmung des § 10 Abs. 1 Z 6 StbG in rechtlicher Hinsicht aus, der Beschwerdeführer habe zwei gerichtlich strafbare Handlungen begangen und sei wegen sechs Verwaltungsübertretungen bestraft worden. Bei den gerichtlich strafbaren Handlungen habe es sich jeweils um Vorsatztaten gehandelt, bei den Verwaltungsübertretungen seien besonders die beiden Geschwindigkeitsübertretungen bedeutsam. Am 26. November 1999 habe der Beschwerdeführer bei Dunkelheit die zulässige Höchstgeschwindigkeit von 40 km/h an einer Straßenstelle, an der auf Grund der örtlichen Gegebenheiten die im Ortsgebiet zulässige Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h bereits herabgesetzt gewesen sei, erheblich überschritten. Am 22. Jänner 2001 habe er wiederum bei Dunkelheit, somit bei eingeschränkten Sichtverhältnissen, die im Ortsgebiet zulässige Höchstgeschwindigkeit um mehr als 50 % überschritten. Damit seien Vorschriften, die zum Schutz von Leib und Leben Dritter erlassen worden seien, in hohem Maße missachtet worden. Unter anderem führten überhöhte Fahrgeschwindigkeiten regelmäßig zu folgenschweren Verkehrsunfällen. Die Art der Begehung und die Tatsache, dass der Beschwerdeführer bis in die jüngste Vergangenheit Übertretungen begangen habe, ließen den Schluss zu, dass er möglicherweise auch in Zukunft wesentliche Vorschriften missachten werde, die zur Abwehr und Unterdrückung von Gefahren für die öffentliche Ruhe, Ordnung und Sicherheit bzw. für die anderen in Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten öffentlichen Interessen erlassen worden seien. Es könne daher derzeit nicht davon ausgegangen werden, dass der Beschwerdeführer Gewähr dafür biete, keine Gefahr für die öffentliche Ruhe, Ordnung und Sicherheit und die anderen in Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten öffentlichen Interessen zu sein. Der Beschwerdeführer erfülle daher die Voraussetzung des § 10 Abs. 1 Z 6 StbG nicht. Diese Voraussetzung müsse - mit Ausnahme eines im vorliegenden Fall nicht in Frage kommenden Tatbestandes - für alle im Staatsbürgerschaftsgesetz vorgesehenen Verleihungstatbestände gegeben sein. Der Antrag auf Verleihung der Staatsbürgerschaft sei daher abzuweisen gewesen.

In der Folge stellt die belangte Behörde Überlegungen dahin an, dass selbst bei Vorliegen der zuletzt genannten Verleihungsvoraussetzung eine Ermessensübung gemäß § 11 StbG zu Lasten des Beschwerdeführers ausfallen würde und auch dahin, dass im Hinblick auf den zumindest 15-jährigen ununterbrochenen Hauptwohnsitz des Beschwerdeführers in Österreich ein Anspruch auf Verleihung der Staatsbürgerschaft nicht begründet worden sei, weil der Beschwerdeführer weder beruflich noch persönlich in Österreich nachhaltig integriert sei.

Die Behandlung der gegen diesen Bescheid erhobenen Beschwerde hat der Verfassungsgerichtshof mit Beschluss vom 25. September 2001, B 1284/01, abgelehnt und die Beschwerde dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abgetreten. Der Verwaltungsgerichtshof hat über die Beschwerde erwogen:

Die im vorliegenden Fall maßgeblichen Bestimmungen des Staatsbürgerschaftsgesetzes 1985 in der Fassung der Staatsbürgerschaftsgesetznovelle 1998, BGBl. I Nr. 124, lauten auszugsweise:

"Verleihung

§ 10. (1) Die Staatsbürgerschaft kann einem Fremden verliehen werden, wenn

...

6. er nach seinem bisherigen Verhalten Gewähr dafür bietet, dass er zur Republik bejahend eingestellt ist und weder eine Gefahr für die öffentliche Ruhe, Ordnung und Sicherheit darstellt noch andere in Art. 8 Abs. 2 EMRK genannte öffentliche Interessen gefährdet.

...

§ 11. Die Behörde hat sich unter Bedachtnahme auf das Gesamtverhalten des Fremden bei der Ausübung des ihr in § 10 eingeräumten freien Ermessens von Rücksichten auf das allgemeine Wohl, die öffentlichen Interessen und das Ausmaß der Integration des Fremden leiten zu lassen.

§ 12. Einem Fremden ist unter den Voraussetzungen des § 10 Abs. 1 Z 2 bis 8 und Abs. 3 die Staatsbürgerschaft zu verleihen, wenn er

1. nicht infolge der Entziehung der Staatsbürgerschaft (§§ 33 oder 34) oder des Verzichtes auf die Staatsbürgerschaft (§ 37) Fremder ist und entweder

a) seit mindestens 30 Jahren ununterbrochen seinen Hauptwohnsitz im Bundesgebiet hat oder

b) seit mindestens 15 Jahren ununterbrochen seinen Hauptwohnsitz im Bundesgebiet hat und seine nachhaltige persönliche und berufliche Integration nachweist oder..."

Die belangte Behörde hat die Versagung der Verleihung der Staatsbürgerschaft zunächst mit dem Mangel der Verleihungsvoraussetzung nach § 10 Abs. 1 Z 6 StbG begründet und sodann den Sachverhalt hilfsweise auch dahin untersucht, ob bei Vorliegen der genannten Voraussetzung eine Ermessensübung im Sinne des § 11 StbG zu Gunsten des Beschwerdeführers erfolgen kann bzw. ob ein Rechtsanspruch auf Verleihung der Staatsbürgerschaft wegen langer Wohnsitzdauer gemäß § 12 Z 1 lit. b StbG besteht. Beide Fragen verneinte die belangte Behörde.

Bei der Klärung der Frage, ob die Verleihungsvoraussetzung nach § 10 Abs. 1 Z 6 StbG gegeben ist, ist vom Gesamtverhalten des Einbürgerungswerbers auszugehen. Dieses ist wesentlich (auch) durch das sich aus der Art, Schwere und Häufigkeit der von ihm begangenen Straftaten ergebende Charakterbild bestimmt. Hiebei stellt der Gesetzgeber nicht auf formelle Gesichtspunkte ab, sondern es ist lediglich maßgebend, ob es sich um Rechtsbrüche handelt, die den Schluss rechtfertigen, der Betreffende werde auch in Zukunft wesentliche, zum Schutz vor Gefahren für das Leben, die Gesundheit, die Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung - oder andere in Art. 8 Abs. 2 EMRK genannte Rechtsgüter - erlassene Vorschriften missachten. Aus der Art, der Schwere und der Häufigkeit solcher Verstöße kommt die - allenfalls negative - Einstellung des Betreffenden gegenüber den zur Hintanhaltung von Gefahren für Leben, Gesundheit und Sicherheit der Allgemeinheit erlassenen Gesetzen in deutlicher Weise zum Ausdruck. Dies gilt auch für Verstöße gegen Schutznormen, die der Ordnung und Sicherheit des Straßenverkehrs dienen. Übertretungen der zulässigen Höchstgeschwindigkeit in erheblichem Ausmaß stellen schwer wiegende Verstöße gegen derartige Schutznormen dar (vgl. aus der ständigen Rechtsprechung etwa das Erkenntnis vom 11. Juni 2002, Zl. 2000/01/0190, m.w.N.).

Es bedarf unter dem Blickwinkel des § 10 Abs. 1 Z 6 StbG einer materiellen Prüfung der Persönlichkeit des Einbürgerungswerbers. Eine solche Prüfung gebietet einen Rückgriff auf die den rechtskräftigen Verurteilungen zu Grunde liegenden Taten, weil nur so ein Rückschluss auf das Charakterbild des Staatsbürgerschaftswerbers möglich ist. Im Einzelnen heißt das, dass die Behörde die maßgeblichen Handlungen, die näheren Umstände und den Zeitpunkt der Tatbegehung zu ermitteln hat (vgl. das Erkenntnis vom 24. November 1999, Zl. 99/01/0323).

Als tragend für ihre negative Prognose hat die belangte Behörde den Diebstahl und die Begünstigung sowie die beiden Geschwindigkeitsübertretungen gewertet. Allerdings vermögen die Feststellungen über die von der belangten Behörde für ihre Beurteilung herangezogenen gerichtlich strafbaren Handlungen bzw. Verwaltungsstraftaten die Prognose der belangten Behörde über das zukünftige Verhalten des Beschwerdeführers im Hinblick auf § 10 Abs. 1 Z 6 StbG nicht zu stützen. Dem angefochtenen Bescheid sind vor allem bei der Beschreibung der beiden gerichtlich strafbaren Handlungen keine näheren Umstände zu entnehmen, etwa zur Frage, weshalb es zu einer Belehrung bzw. zu einer Einstellung der Strafverfahren nach näher genannten Bestimmungen des Jugendgerichtsgesetzes gekommen ist und der Beschwerdeführer nicht bestraft wurde. Bei der ersten Geschwindigkeitsübertretung ist im Übrigen aktenkundig, aber nicht festgestellt, dass der Vorwurf einer "erheblichen" Geschwindigkeitsübertretung auf die Einschätzung eines in einem Spannungsverhältnis zum Beschwerdeführer stehenden Anzeigers zurückzuführen ist ("die Ex-Freundin (des Beschwerdeführers) ist jetzt mit mir enger befreundet"), der die Höchstgeschwindigkeit von 40 km/h als vom Beschwerdeführer "mindestens um das doppelte überschritten" beurteilt hat.

Ohne Feststellungen über die - teilweise dargestellten - näheren Umstände der Begehung der einzelnen Delikte ist aber eine verlässliche Prognoseentscheidung nicht möglich. Die fehlenden Feststellungen insbesondere über das gerichtlich strafbare Verhalten des Beschwerdeführers verwehren dem Verwaltungsgerichtshof die nachprüfende Kontrolle der von der belangten Behörde vertretenen Ansicht, der Beschwerdeführer erfülle nicht die Verleihungsvoraussetzung nach § 10 Abs. 1 Z 6 StbG, weshalb der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben war.

Abschließend ist festzuhalten, dass im vorliegenden Fall wegen der mehr als fünfzehnjährigen Wohnsitzdauer nur der Verleihungstatbestand gemäß § 12 Z 1 lit. b StbG in Frage kommt.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2001. Die im Betrag von S 2.500,-- entrichtete Gebühr nach § 24 Abs. 3 VwGG war im Betrag von EUR 181,68 zuzusprechen.

Wien, am 24. Juni 2003

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2003:2001010495.X00

Im RIS seit

28.07.2003
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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