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41/02 Staatsbürgerschaft;Norm
StbG 1985 §10 Abs1 Z1 idF 1998/I/124;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kremla und die Hofräte Dr. Nowakowski, Dr. Pelant, Dr. Köller und Dr. Thoma als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Stieger, über die Beschwerde des K in G, vertreten durch Dr. Klaus Kocher, Rechtsanwalt in 8010 Graz, Sackstraße 36/II, gegen den Bescheid der Steiermärkischen Landesregierung vom 6. April 2001, Zl. 2-11.K/678 - 00/16, betreffend Verleihung der Staatsbürgerschaft, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Das Land Steiermark hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 908,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der Beschwerdeführer, ein türkischer Staatsangehöriger, stellte am 14. April 2000 bei der belangten Behörde einen Antrag auf Verleihung der österreichische Staatsbürgerschaft, den er unter Hinweis auf die Bestimmung des § 10 Abs. 5 Z 4 Staatsbürgerschaftsgesetz 1985 (StbG) erkennbar damit begründete, dass ihm mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 24. März 1995 gemäß § 3 Asylgesetz 1991 in Österreich Asyl gewährt worden sei.
Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde diesen Antrag "gemäß §§ 10 Abs. 4 Ziffer 1 des Staatsbürgerschaftsgesetzes 1985, i.d.g.F., in Verbindung mit § 39 des Staatsbürgerschaftsgesetzes 1985, i.d.g.F.," ab.
Begründend führte sie aus, der am 1. Jänner 1971 geborene Beschwerdeführer sei erstmals am 13. April 1995 im Bundesgebiet zur Anmeldung gelangt. Aus der Bestätigung über seine Versicherungszeiten gehe hervor, dass der Beschwerdeführer seit 1995 eine reine Beschäftigungszeit von etwa dreieinhalb Jahren nachweisen könne; vom 18. Jänner 1997 bis 22. Februar 1998 sei er keiner Beschäftigung nachgegangen und seit 16. März 2000 sei er beim sechsten Arbeitgeber beschäftigt. Zwischen dem 19. April 1999 und dem 9. Februar 2000 sei er wegen - im angefochtenen Bescheid nicht näher dargestellter - Übertretungen der Straßenverkehrsordnung mit je S 700,-- (insgesamt 18 Mal) bestraft worden.
In rechtlicher Hinsicht ging die belangte Behörde offensichtlich davon aus, dass mangels eines mindestens zehnjährigen ununterbrochenen Hauptwohnsitzes im Bundesgebiet für die Verleihung der Staatsbürgerschaft an den Beschwerdeführer ein besonders berücksichtigungswürdiger Grund im Sinne des § 10 Abs. 5 StbG vorliegen müsse. Zwar könne der Beschwerdeführer den besonders berücksichtigungswürdigen Grund des § 10 Abs. 5 Z 4 StbG für sich ins Treffen führen, weil er anerkannter Flüchtling sei; auf Grund der zahlreichen Verwaltungsübertretungen, der häufigen Arbeitsplatzwechsel und der langen Unterbrechungen zwischen den einzelnen Dienstverhältnissen sei eine nachhaltige persönliche und berufliche Integration des Beschwerdeführers in Österreich aber noch nicht gegeben.
Über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof erwogen:
Die im Beschwerdefall maßgeblichen Bestimmungen des StbG, in der Fassung BGBl. I Nr. 124/1998, lauten auszugsweise:
"§ 10. (1) Die Staatsbürgerschaft kann einem Fremden verliehen werden, wenn
1. er seit mindestens zehn Jahren seinen Hauptwohnsitz ununterbrochen im Bundesgebiet hat;
...
(4) Von der Voraussetzung des Abs. 1 Z 1 kann abgesehen werden
1. aus besonders berücksichtigungswürdigem Grund, sofern es sich um einen Minderjährigen, der seit mindestens vier Jahren, oder um einen Fremden handelt, der seit mindestens sechs Jahren seinen Hauptwohnsitz ununterbrochen im Bundesgebiet hat, es sei denn, es wäre in Abs. 5 hinsichtlich dieser Wohnsitzdauer anderes vorgesehen;
...
(5) Als besonders berücksichtigungswürdiger Grund (Abs. 4 Z 1) gilt insbesondere
1. der Verlust der Staatsbürgerschaft anders als durch Entziehung
(§§ 33 und 34) oder
2. bereits erbrachte und zu erwartende besondere Leistungen auf wissenschaftlichem, wirtschaftlichem, künstlerischem oder sportlichem Gebiet oder
3. der Nachweis nachhaltiger persönlicher und beruflicher Integration oder
4. die Gewährung von Asyl nach dem Asylgesetz 1997, BGBl. I Nr. 76, einschließlich der Asylberechtigung (§ 44 Abs. 6 AsylG) nach einer Wohnsitzdauer von vier Jahren oder
5. der Besitz der Staatsangehörigkeit einer Vertragspartei des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum (EWR-Abkommen), BGBl. Nr. 909/1993, nach einer Wohnsitzdauer von vier Jahren oder
6. die Geburt im Bundesgebiet.
...
§ 11. Die Behörde hat sich unter Bedachtnahme auf das Gesamtverhalten des Fremden bei der Ausübung des ihr in § 10 eingeräumten freien Ermessens von Rücksichten auf das allgemeine Wohl, die öffentlichen Interessen und das Ausmaß der Integration des Fremden leiten zu lassen."
Gemäß § 44 Abs. 6 Asylgesetz 1997 gelten unter Anderem Fremde, die nach dem Asylgesetz 1991 asylberechtigt waren, auch im Sinne dieses Bundesgesetzes als Asylberechtigte.
Die belangte Behörde verneinte in der Begründung des angefochtenen Bescheides wegen des erst seit 1995 bestehenden Hauptwohnsitzes des Beschwerdeführers im Bundesgebiet das Vorliegen der Verleihungsvoraussetzung des § 10 Abs. 1 Z 1 StbG, ging aber durch das Abstellen auf das Fehlen eines "besonders berücksichtigungswürdigen Grundes" implizit vom Vorliegen der vorab zu prüfenden weiteren Verleihungsvoraussetzungen nach § 10 Abs. 1 Z 2 bis 8 StbG aus. Von der Verleihungsvoraussetzung des mindestens zehnjährigen ununterbrochenen Hauptwohnsitzes im Bundesgebiet kann aus einem besonders berücksichtigungswürdigen Grund im Sinne des § 10 Abs. 5 StbG abgesehen werden, sodass bei Vorliegen eines solchen Grundes kein Verleihungshindernis mehr gegeben ist. Die belangte Behörde erkannte zwar, dass als solcher Grund der Umstand, dass dem Beschwerdeführer in Österreich Asyl gewährt wurde, in Frage kommt, nahm aber als tragend für ihre abweisende Entscheidung an, die "nachhaltige berufliche und private Integration (des Beschwerdeführers sei) noch nicht abgeschlossen". Anhaltspunkte dafür, dass die belangte Behörde bei dieser Betrachtung das im Rahmen der Ermessensübung nach § 11 StbG zu berücksichtigende Ausmaß der Integration des Fremden im Auge hatte, lassen sich weder dem Spruch noch der Begründung des angefochtenen Bescheides entnehmen (zur Abgrenzung zwischen dem besonders berücksichtigungswürdigen Grund der nachhaltigen persönlichen und beruflichen Integration einerseits und dem erforderlichen Ausmaß der Integration gemäß §§ 11 StbG andererseits (vgl. das Erkenntnis vom 3. Dezember 2002, Zl. 2002/01/0002). Erst in der Gegenschrift beruft sich die belangte Behörde auf das "ihr im § 11 StbG aufgetragene ... Verhalten." Allerdings hätte die Berufung auf diese Bestimmung im angefochtenen Bescheid an der aufzuzeigenden Rechtswidrigkeit insofern nichts geändert, als die von der belangten Behörde getroffenen Feststellungen für eine Beurteilung des Ausmaßes der Integration des Beschwerdeführers nicht ausreichend sind; insbesondere fehlen Feststellungen zu den persönlichen Lebensverhältnissen des Beschwerdeführers.
Mit ihrer Begründung, die "nachhaltige berufliche und private Integration (des Beschwerdeführers sei) noch nicht abgeschlossen", verkannte die belangte Behörde, dass der Beschwerdeführer seinen Antrag ausdrücklich auf den besonders berücksichtigungswürdigen Grund der Asylberechtigung (nach einer Wohnsitzdauer von vier Jahren) gestützt hat, während er den besonders berücksichtigungswürdigen Grund, in Österreich nachhaltig persönlich und beruflich integriert zu sein, gar nicht behauptete. Liegt aber - alternativ - einer der besonders berücksichtigungswürdigen Gründe für ein Absehen von der gemäß § 10 Abs. 1 Z 1 StbG geforderten mindestens zehnjährigen Wohnsitzdauer vor, ist - bei Vorliegen auch aller übrigen Verleihungsvoraussetzungen - eine Beurteilung nach dem Maßstab des § 11 StbG vorzunehmen. Bejahte die belangte Behörde das Vorliegen der Verleihungsvoraussetzung des § 10 Abs. 5 Z 4 StbG, hätte sie demnach in einem weiteren Schritt im Rahmen einer Ermessensübung das Vorliegen von Integration gemäß § 11 StbG prüfen müssen. Diese Rechtslage hat die belangte Behörde insofern verkannt, als sie trotz Vorliegens der Verleihungsvoraussetzungen nach § 10 Abs. 1 Z 2 bis 8 StbG und nach § 10 Abs. 5 Z 4 StbG das Fehlen eines weiteren - nicht mehr zu prüfenden - berücksichtigungswürdigen Grund, nämlich die nachhaltige persönliche und berufliche Integration gemäß § 10 Abs. 5 Z 3 StbG, als Verleihungshindernis wertete und die Abweisung des Antrages des Beschwerdeführers darauf gestützt hat.
Der angefochtene Bescheid war nach dem Gesagten gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufzuheben.
Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2001.
Wien, am 24. Juni 2003
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2003:2001010226.X00Im RIS seit
21.07.2003