TE Vfgh Beschluss 2000/3/15 V83/96

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Veröffentlicht am 15.03.2000
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Index

66 Sozialversicherung
66/01 Allgemeines Sozialversicherungsgesetz

Norm

B-VG Art139 Abs1 / Individualantrag
ASVG §31 Abs5 Z10
ASVG §344 ff
Richtlinien über die Berücksichtigung ökonomischer Grundsätze bei der Krankenbehandlung gem §31 Abs5 Z10 ASVG

Leitsatz

Zurückweisung des Individualantrags eines Arztes auf Aufhebung der Richtlinien über die Berücksichtigung ökonomischer Grundsätze bei der Krankenbehandlung infolge Zumutbarkeit des Verwaltungsrechtsweges bzw mangels Eingriff in die berufsrechtliche Rechtssphäre des Antragstellers

Spruch

Der Antrag wird zurückgewiesen.

Begründung

Begründung:

I. 1. Der Antragsteller, der nach seinen eigenen Angaben seit dem Jahr 1973 in einem Kassenarztverhältnis zu allen Kassen steht, begehrt gestützt auf Art139 B-VG die Aufhebung der von der Verbandskonferenz des Hauptverbandes der österreichischen Sozialversicherungsträger beschlossenen Richtlinien über die Berücksichtigung ökonomischer Grundsätze bei der Krankenbehandlung gemäß §31 Abs5 Z10 ASVG (RÖK), Amtliche Verlautbarung Nr. 40/1996, SoSi 1996 zur Gänze, in eventu deren §2 Abs2, §3, der Wortfolge 'vom Vertragspartner' in deren §4 Abs1, sowie weiters deren §4 Abs2, §§6 - 9, 11 Abs2 und 12 Satz 2 und 3 sowie die Z7 der Anlage. Weiters wird in eventu beantragt, zumindest in §8 der angefochtenen Richtlinie das Wort 'erheblichen' als gesetzwidrig aufzuheben.

2. Die Richtlinien über die Berücksichtigung ökonomischer Grundsätze bei der Krankenbehandlung gemäß §31 Abs5 Z10 ASVG (RÖK), kundgemacht in der Amtlichen Verlautbarung Nr. 40/1996, SoSi 1996, haben den folgenden Wortlaut:

"Richtlinien über die Berücksichtigung ökonomischer Grundsätze bei

der Krankenbehandlung gemäß §31 Abs5 Z10 ASVG (RÖK)

1. Abschnitt

Allgemeine Bestimmungen

Geltungsbereich

§1. (1) Die Richtlinien regeln

1. die ökonomischen Grundsätze, nach denen

a) die ärztliche Hilfe,

b) die der ärztlichen Hilfe gleichgestellten Leistungen,

c) die im Zusammenhang mit Leistungen gemäß lita und b veranlaßten Maßnahmen,

d) die Abgabe von Heilbehelfen durch andere Vertragspartner als Apotheker und hausapothekenführende Ärzte

als ausreichend, zweckmäßig, das Maß des Notwendigen nicht übersteigend zu beurteilen sind sowie

              2.              die Maßnahmen, die die Einhaltung dieser Grundsätze sicherstellen sollen.

(2) Für die Verordnung von Heilmitteln und Heilbehelfen und die Abgabe durch Apotheker und hausapothekenführende Ärzte sind die Richtlinien über die ökonomische Verschreibweise von Heilmitteln und Heilbehelfen anzuwenden.

Verbindlichkeit

§2. (1) Die Richtlinien sind für die im Hauptverband der österreichischen Sozialversicherungsträger zusammengefaßten Krankenversicherungsträger mit der Maßgabe verbindlich, daß der

3. Abschnitt nur vom abrechnenden Krankenversicherungsträger anzuwenden ist.

(2) Die §§1 bis 4 und der 2. Abschnitt sind auch für die in Betracht kommenden Vertragspartner verbindlich.

Ökonomische Grundsätze

§3. (1) Durch die Krankenbehandlung sollen die Gesundheit, die Arbeitsfähigkeit und die Fähigkeit, für die lebenswichtigen persönlichen Bedürfnisse zu sorgen, nach Möglichkeit wiederhergestellt, gefestigt oder gebessert werden.

(2) Die Krankenbehandlung muß ausreichend und zweckmäßig sein, sie darf jedoch das Maß des Notwendigen nicht überschreiten. Sie ist nach dem jeweiligen und aktuellen Stand der medizinischen Wissenschaft zu erbringen. Innerhalb dieses Rahmens erfüllt die Krankenbehandlung unter Beachtung des Wohles und der Betroffenheit des Versicherten (Angehörigen) die ökonomischen Grundsätze, wenn sie geeignet ist,

-

einen ausreichenden therapeutischen und diagnostischen Nutzen zu erzielen und

-

die Kosten im Verhältnis zum Erfolg der Maßnahme möglichst gering zu halten.

(3) Eine Maßnahme ist dabei nicht nur für sich allein zu betrachten, sondern es sind die im überblickbaren Behandlungs- und Untersuchungsverlauf gesetzten bzw. zu setzenden Maßnahmen zu berücksichtigen.

(4) Dabei ist insbesondere darauf Bedacht zu nehmen,

1.

daß von mehreren gleichwertig geeigneten

Möglichkeiten die ökonomisch günstigste Möglichkeit gewählt wird;

2.

ob andere, z.B. hygienische oder diätetische Maßnahmen auch ökonomischer wären als Maßnahmen der Krankenbehandlung;

              3.              ob anstelle der Einweisung zu einem stationären Krankenhausaufenthalt die Behandlung im ambulanten

Bereich (z.B. Krankenhausambulanz, Betreuung durch den Hausarzt, medizinische Hauskrankenpflege)

ökonomischer wäre;

              4.              ob anstelle von ambulant serienweise angewendeten Behandlungsmethoden die Unterbringung in Kur- oder Rehabilitationseinrichtungen ökonomischer wäre.

Chef(Kontroll)ärztliche Bewilligung

§4. (1) In der Anlage sind jene Leistungen angeführt, die entweder allgemein oder unter bestimmten Voraussetzungen erst nach einer chef(kontroll)ärztlichen Bewilligung auf Rechnung des Krankenversicherungsträgers vom Vertragspartner angewendet werden dürfen.

(2) Für einzelne Vertragspartner oder für bestimmte Gruppen von Vertragspartnern können die Krankenversicherungsträger - allenfalls zeitlich befristet - vorsehen, daß für in der Anlage angeführte Leistungen keine chef(kontroll)ärztliche Bewilligung erforderlich ist oder daß die chef(kontroll)ärztliche Bewilligung nur bei Vorliegen besonderer Voraussetzungen notwendig ist, wenn bei diesem Vertragspartner oder bei dieser Gruppe von Vertragspartnern die ökonomische Krankenbehandlung gemäß §3 sichergestellt ist.

(3) Aus Gründen der Zweckmäßigkeit kann festgelegt werden, daß die Physikotherapie ab der 31. Anwendung, jedenfalls aber ab der 11. Sitzung, einer vorherigen chef(kontroll)ärztlichen Bewilligung bedarf.

Kostenerstattung, Kostenzuschuß, Kostenersatz

§5. Die §§1, 3 und 4 gelten sinngemäß für die Fälle

-

der Erstattung von Kosten der Krankenbehandlung,

-

der Kostenzuschüsse,

-

der Kostenersätze.

2. Abschnitt

Bestimmungen für den Vertragspartner

Beachtung der ökonomischen Grundsätze

§6. (1) Der Vertragspartner ist verpflichtet, die Krankenbehandlung so zu erbringen und zu veranlassen, daß diese den ökonomischen Grundsätzen gemäß §3 entspricht.

(2) Gibt der Versicherte (Angehörige) z.B. durch Vorlage eines Krankenscheines zu erkennen, daß er auf Rechnung der Sozialversicherung behandelt werden will, ist für bewilligungspflichtige Maßnahmen ein Antrag auf vorherige chefärztliche Bewilligung auszustellen.

Aufklärungspflicht durch den Vertragspartner

§7. (1) Der Vertragspartner hat den Versicherten (Angehörigen) bei Veranlassung, spätestens vor der Anwendung einer bewilligungspflichtigen Behandlungs- oder Untersuchungsmethode ausdrücklich darauf hinzuweisen, daß vor Durchführung dieser Methode die chef(kontroll)ärztliche Bewilligung einzuholen ist und der Krankenversicherungsträger im Falle einer Ablehnung keine Kosten übernimmt.

(2) Die chef(kontroll)ärztliche Bewilligung ist entweder vom Versicherten (Angehörigen) oder in seinem Namen vom Vertragspartner beim Krankenversicherungsträger vor Durchführung dieser Methode einzuholen. Der Vertragspartner hat die beabsichtigte Anwendung dieser Behandlungs- oder Untersuchungsmethode so zu begründen, daß der Krankenversicherungsträger in der Regel ohne zusätzliche Erhebung darüber entscheiden kann.

Keine chef(kontroll)ärztliche Bewilligung

§8. Eine chef(kontroll)ärztliche Bewilligung ist nicht erforderlich, wenn die Anwendung der bewilligungspflichtigen Behandlungs- oder Untersuchungsmethode in Fällen der Ersten Hilfe oder zur Abwendung einer erheblichen Gesundheitsbeeinträchtigung unverzüglich notwendig war. Dies ist vom Vertragspartner auf dem jeweiligen Abrechnungsbeleg schriftlich zu begründen.

Überweisungen oder Zuweisungen

§9. (1) Die Maßnahmen des Vertragspartners haben im Rahmen des §3 alle Leistungen zu umfassen, die aufgrund der medizinischen Ausbildung und der dem Vertragspartner zu Gebote stehenden Hilfsmittel sowie zweckmäßigerweise außerhalb einer stationären Krankenhausbehandlung durchgeführt werden können. Für erforderliche Leistungen, die der Vertragspartner nicht selbst erbringen kann, hat er Überweisungen oder Zuweisungen unter Berücksichtigung der ökonomischen Grundsätze vorzunehmen, wobei er sich auch zu vergewissern hat, ob und inwieweit entsprechende maßgebliche Vorbefunde vorhanden sind.

(2) Im Falle einer notwendigen Überweisung oder Zuweisung ist grundsätzlich zu Vertragspartnern zu überweisen oder zuzuweisen. Eine Zuweisung oder Überweisung zu Wahlbehandlern soll nur dann erfolgen, wenn ein Vertragspartner unter Berücksichtigung der Dringlichkeit der Behandlung oder Untersuchung in zumutbarer Entfernung nicht vorhanden ist.

3. Abschnitt

Bestimmungen für den Krankenversicherungsträger

Prüfung der Einhaltung der ökonomischen Grundsätze

§10. (1) Der Krankenversicherungsträger hat die Tätigkeit der Vertragspartner bezüglich der Einhaltung der Grundsätze der ökonomischen Krankenbehandlung zu prüfen.

(2) Die vertragspartnerbezogene Prüfung erfolgt

1.

nach Durchschnittswerten;

2.

auf der Grundlage von Stichproben;

3.

in Einzelfällen.

(3) Die Prüfung umfaßt insbesondere:

-

ärztliche Leistungen,

-

ärztlich verordnete Leistungen,

-

der ärztlichen Hilfe gleichgestellte Leistungen,

-

die Häufigkeit von Überweisungen,

-

Krankenhauseinweisungen,

-

die Feststellungen der Arbeitsunfähigkeit,

-

die Ausstellung von Reise(Fahrt)- und Transportaufträgen.

Vertragspartnerbezogene Prüfung nach Durchschnittswerten

§11. (1) Für jede Vertragspartnergruppe sind statistische Durchschnittswerte für den Honorar- und Folgekostenbereich zu ermitteln.

(2) Wird vom Krankenversicherungsträger eine maßgebliche Überschreitung relevanter Durchschnittswerte festgestellt, soll mit dem Vertragspartner ein Gespräch geführt werden. Dies gilt jedenfalls bei Überschreitungen von mehr als 50 %. Der Krankenversicherungsträger hat dabei den Vertragspartner über die ökonomischen Aspekte seiner Tätigkeit zu informieren. Erforderlichenfalls sind vom Krankenversicherungsträger die vertraglich und gesetzlich vorgesehenen Schritte zu setzen.

Vertragspartnerbezogene Prüfung auf der Grundlage von Stichproben

oder in Einzelfällen

§12. Der Krankenversicherungsträger hat regelmäßig im Wege von Stichproben sowie in begründeten Einzelfällen die Einhaltung der ökonomischen Grundsätze und die Richtigkeit der Abrechnung zu prüfen. Ergibt sich aus einer solchen Überprüfung die Vermutung unökonomischen Verhaltens, soll mit dem Vertragspartner ein Gespräch geführt werden. Erforderlichenfalls sind vom Krankenversicherungsträger die vertraglich und gesetzlich vorgesehenen Schritte zu setzen.

4. Abschnitt

Wirksamkeit

§13. Die Richtlinien treten mit dem Monatsersten in Kraft, der auf die Verlautbarung in der Fachzeitschrift 'Soziale Sicherheit' folgt.

ANLAGE

Leistungen, für die zur Sicherstellung des gesetzlichen

Wirtschaftlichkeitsgebotes eine vorherige chef(kontroll)ärztliche

Bewilligung erforderlich ist

Folgende Leistungen bedürfen vor ihrer Anwendung einer chef(kontroll)ärztlichen Bewilligung:

1.

Logopädische Behandlung ab der 2. Sitzung

2.

Ergotherapie ab der 2. Behandlungseinheit

3.

- Physikotherapie ab der 21. Anwendung, jedenfalls ab der 7. Sitzung; die Verordnung ist bei Beginn der Behandlung vom Vertragspartner oder Versicherten (Angehörigen) der Kasse vorzulegen

- Physikotherapie in Form von Hausbesuchen ab der 1. Sitzung

4.

Psychotherapie ab der 11. Sitzung

5.

Medizinische Hauskrankenpflege ab der 5. Woche

6.

Geplante Behandlung und Untersuchung im Ausland

7.

Computertomographie, Kernspintomographie, nuklearmedizinische Untersuchungen

8.

Kosmetische Behandlung

9.

Sterilisation, Schwangerschaftsunterbrechung, Geschlechtsumwandlung

10.

HELP-Therapie

11.

Operative Maßnahmen zur Gewichtsreduktion

12.

Flugtransporte

13.

Transporte bei Serienbehandlungen (ausgenommen Transport zur Dialyse und Chemo-Strahlentherapie) ab dem 5. Transport

14.

Heimdialyse"

              3.              Zur Antragslegitimation wird ausgeführt, daß in die zivilrechtlichen Vertragsverhältnisse zwischen dem Antragsteller und den Sozialversicherungsträgern durch die angefochtene Verordnung nachträglich und in erheblicher Weise eingegriffen worden sei. Insbesondere §8 der RÖK verbiete es dem Antragsteller als Vertragsarzt bei sonstigen Rechtsnachteilen, in Fällen von evidenten Gesundheitsbeeinträchtigungen - soweit sie nicht bereits das Niveau "erhebliche(r)" Gesundheitsbeeinträchtigungen erreichten - unverzüglich Abhilfe zu schaffen. Diese Rechtslage sei auch mit den dem Antragsteller aus §22 Ärztegesetz (1984) erwachsenden Berufspflichten schlechthin unvereinbar. Eine massive Beeinträchtigung der Rechtsstellung des Antragstellers erfolge auch durch §7 der RÖK, wonach er den Versicherten vor Anwendung einer (angeblich) bewilligungspflichtigen Behandlungs- oder Untersuchungsmethode auf das Erfordernis der chefärztlichen Bewilligung hinzuweisen habe, obwohl der Versicherte dem Krankenversicherungsträger gegenüber einen gesetzlichen Anspruch auf die notwendige Heilbehandlung habe. Eine Bindung dieses Anspruches an eine vorherige chefärztliche Bewilligung sei gesetzlich nicht vorgesehen. Zudem habe der Vertragsarzt nach seiner eigenen medizinischen Einschätzung die notwendige Heilbehandlung vorzunehmen.

Der Eingriff sei für den Antragsteller insoweit unmittelbar wirksam, als es kein Behördenverfahren gebe, in dem er die zentrale Frage, ob der Hauptverband befugt sei, mittels Verordnung einseitig in bestehende Vertragsbeziehungen und in das ärztliche Berufsrecht einzugreifen, zu einem Verfahrensgegenstand machen könne. Die Anrufung der Paritätischen Schiedskommission gemäß §344 ASVG komme schon deshalb nicht in Frage, weil die gegenständliche Streitfrage in keinem rechtlichen oder tatsächlichem Zusammenhang mit dem Einzelvertrag stehe. Der Inhalt der Einzelverträge habe sich in der Vergangenheit als hinreichend klar erwiesen und stehe außer Streit. Es gehe allein um die Frage der Rechtmäßigkeit und Rechtsgültigkeit der angefochtenen RÖK. Der Antragsteller habe nur die Möglichkeit, gegen die RÖK zu verstoßen und in einem nachfolgenden Prozeß über den Honorarabzug oder gar über seine Kündigung die Frage der Rechtsgültigkeit der Richtlinie zu thematisieren. Ein solcher "Umweg" gelte aber nach ständiger Judikatur als "unzumutbar".

Im übrigen werden Bedenken gegen die angefochtene Richtlinie im ganzen und gegen einzelne ihrer Bestimmungen dargelegt.

4. Der Bundesminister für Arbeit und Soziales sowie der Hauptverband der österreichischen Sozialversicherungsträger, nicht aber die zur Abgabe einer Äußerung aufgeforderte verordnungserlassende Verbandskonferenz des Hauptverbandes haben eine Äußerung abgegeben, in der sie den Bedenken des Antragstellers - der Hauptverband auch der Antragslegitimation - entgegentreten.

Der Antragsteller hat auf die Äußerungen repliziert. Der Bundesminister für Arbeit und Soziales hat daraufhin noch eine ergänzende Äußerung abgegeben.

II. Der Antrag ist unzulässig.

1.1. Gemäß Art139 B-VG erkennt der Verfassungsgerichtshof über die Gesetzwidrigkeit von Verordnungen auch auf Antrag einer Person, die unmittelbar durch diese Gesetzwidrigkeit in ihren Rechten verletzt zu sein behauptet, sofern die Verordnung ohne Fällung einer gerichtlichen Entscheidung oder ohne Erlassung eines Bescheides für diese Person wirksam geworden ist. Wie der Verfassungsgerichtshof in seiner mit VfSlg. 8058/1977 beginnenden ständigen Rechtsprechung ausgeführt hat, ist daher grundlegende Voraussetzung für die Antragslegitimation, daß die Verordnung in die Rechtssphäre der betroffenen Person unmittelbar eingreift und sie - im Fall ihrer Gesetzwidrigkeit - verletzt. Hiebei hat der Verfassungsgerichtshof vom Antragsvorbringen auszugehen und lediglich zu prüfen, ob die vom Antragsteller ins Treffen geführten Wirkungen solche sind, wie sie Art139 Abs1 letzter Satz B-VG als Voraussetzung für die Antragslegitimation fordert (vgl. zB VfSlg. 8594/1979, 10.353/1985, 11.730/1988).

1.2. Ein derartiger Eingriff ist jedenfalls nur dann anzunehmen, wenn dieser nach Art und Ausmaß durch die Verordnung selbst eindeutig bestimmt ist, wenn er die (rechtlich geschützten) Interessen des Antragstellers nicht bloß potentiell, sondern aktuell beeinträchtigt und wenn dem Antragsteller kein anderer zumutbarer Weg zur Abwehr des - behaupteter Weise - rechtswidrigen Eingriffes zu Verfügung steht (VfSlg. 11.726/1988, VfGH 28.12.1994 V125/94).

2. Letzteres ist hier aber der Fall:

2.1. Die im vorliegenden Zusammenhang maßgeblichen Rechtsvorschriften lauten:

2.1.1. §341 ASVG lautet auszugsweise:

"(1) Die Beziehungen zwischen den Trägern der Krankenversicherung und den freiberuflich tätigen Ärzten werden durch Gesamtverträge geregelt, die für die Träger der Krankenversicherung durch den Hauptverband mit den örtlich zuständigen Ärztekammern abzuschließen sind. Die Gesamtverträge bedürfen der Zustimmung des Trägers der Krankenversicherung, für den der Gesamtvertrag abgeschlossen wird. Die Österreichische Ärztekammer kann mit Zustimmung der beteiligten Ärztekammer den Gesamtvertrag mit Wirkung für diese abschließen.

...

(3) Der Inhalt des Gesamtvertrages ist auch Inhalt des zwischen dem Träger der Krankenversicherung und dem Arzt abzuschließenden Einzelvertrages. Vereinbarungen zwischen dem Träger der Krankenversicherung und dem Arzt im Einzelvertrag sind rechtsunwirksam, insoweit sie gegen den Inhalt eines für den Niederlassungsort des Arztes geltenden Gesamtvertrages verstoßen.

..."

2.1.2. §§344 bis 345 ASVG lauten auszugsweise:

"Paritätische Schiedskommission

§344. (1) Zur Schlichtung und Entscheidung von Streitigkeiten, die in rechtlichem oder tatsächlichem Zusammenhang mit dem Einzelvertrag stehen, ist im Einzelfall in jedem Land eine paritätische Schiedskommission zu errichten. Antragsberechtigt im Verfahren vor dieser Behörde sind die Parteien des Einzelvertrages.

(...)

(3) Die paritätische Schiedskommission ist verpflichtet, über einen Antrag ohne unnötigen Aufschub, spätestens aber sechs Monate nach dessen Einlangen, mit Bescheid zu entscheiden. Wird der Bescheid dem Antragsteller innerhalb dieser Frist nicht zugestellt oder wird dem Antragsteller schriftlich mitgeteilt, daß wegen Stimmengleichheit keine Entscheidung zustande kommt, geht auf schriftliches Verlangen einer der Parteien die Zuständigkeit zur Entscheidung an die Landesberufungskommission über. Ein solches Verlangen ist unmittelbar bei der Landesberufungskommission einzubringen. Das Verlangen ist abzuweisen, wenn die Verzögerung nicht auf Stimmengleichheit oder nicht ausschließlich auf ein Verschulden der Behörde (§73 AVG 1950) zurückzuführen ist.

(4) Gegen einen Bescheid der paritätischen Schiedskommission kann Berufung an die Landesberufungskommission erhoben werden.

Landesberufungskommission

§345. (1) Für jedes Land ist auf Dauer eine Landesberufungskommission zu errichten. Diese besteht aus einem Richter des Dienststandes als Vorsitzenden und aus vier Beisitzern. Der Vorsitzende ist vom Bundesminister für Justiz zu bestellen; der Vorsitzende muß ein Richter sein, der im Zeitpunkt seiner Bestellung bei einem Gerichtshof in Arbeits- und Sozialrechtssachen tätig ist. Je zwei Beisitzer werden von der zuständigen Ärztekammer und dem Hauptverband entsendet.

(2) Die Landesberufungskommission ist zuständig:

1. zur Entscheidung über Berufungen gegen Bescheide der paritätischen Schiedskommission und

2. zur Entscheidung auf Grund von Devolutionsanträgen gemäß §344 Abs3.

(3) §346 Abs3 bis 7 gelten sinngemäß auch für die Landesberufungskommission und deren Mitglieder."

2.2. Die paritätische Schiedskommission und in weiterer Folge die Landesberufungskommission sind zuständig, mit - beim Verfassungsgerichtshof gemäß Art144 B-VG bekämpfbarem - Bescheid über Streitigkeiten zu entscheiden, die in rechtlichem oder tatsächlichem Zusammenhang mit dem Einzelvertrag stehen. Es ist für die Zuständigkeit der genannten Kommissionen demnach nicht Voraussetzung, daß es sich um einen Streit aus dem Einzelvertrag handelt, es genügt vielmehr ein (rechtlicher oder tatsächlicher) Zusammenhang mit diesem Vertrag (§344 Abs1 ASVG vgl. dazu näher VfGH vom 28. September 1999, B3652/96 und vom 17. Dezember 1999, B1678/98 und B1749/98).

2.3.1. Der Antragsteller hält die Zulässigkeit der Anrufung der paritätischen Schiedskommission nach §344 ASVG schon deshalb für ausgeschlossen, weil die "hier gegenständliche Streitfrage in keinem rechtlichen oder tatsächlichen Zusammenhang mit dem Einzelvertrag" stehe. Insoweit, als diese Behauptung zuträfe, wäre der Antragsteller in seiner Rechtssphäre durch die angefochtene Verordnung auch nicht unmittelbar betroffen.

Der Antragsteller begründet aber selbst den Eingriff in seine Rechtssphäre damit, daß die angefochtene Verordnung in seine zivilrechtlichen Vertragsverhältnisse zu den Krankenversicherungsträgern eingreife, mit denen er einen Einzelvertrag abgeschlossen hat. Soweit dies zutrifft, dh soweit die angefochtene Verordnung in die durch Einzelvertrag gestalteten Rechtsverhältnisse zwischen dem Antragsteller und seinen Vertragspartnern eingreift, kann aber die in einem Streitfall über die Anwendung dieser Richtlinien zulässige Anrufung der paritätischen Schieds- und in weiterer Folge der Landesberufungskommission zu einer Entscheidung führen, im Zuge von deren weiterer Bekämpfung der Antragsteller in der Lage ist, die Frage der Gesetzmäßigkeit der angefochtenen Verordnung an den Verfassungsgerichtshof im Wege einer Beschwerde nach Art144 B-VG heranzutragen. Es ist dabei nicht, wie der Antragsteller offenbar meint, erforderlich, daß die angerufene Kommission selbst die Gesetzmäßigkeit der angefochtenen Verordnung (in der Hauptsache) zu beurteilen hätte; es genügt vielmehr, daß sie sich bei Fällung ihrer Entscheidung auf diese Verordnung zu stützen hätte. Angesichts dieser Umstände ist es auch unerheblich, daß die Landesberufungskommission keine nach Art89 i.V.m. 139 B-VG zur Antragstellung vor dem Verfassungsgerichtshof berechtigte Behörde ist.

2.3.2. Die Beschreitung des aufgezeigten Weges ist dem Antragsteller - entgegen seiner Auffassung - auch zumutbar: Der Antragsteller geht nämlich zu Unrecht davon aus, daß es ihm die angefochtene Verordnung verbiete, seinen Patienten jene gebotene Versorgung anzubieten, zu deren Leistung er aus berufsrechtlichen Gründen verpflichtet sei. Der Antragsteller leitet daraus nicht nur die Unzumutbarkeit des aufgezeigten Weges ab, sondern leitet - in weiterer Linie - seine Antragslegitimation auch daraus ab, daß durch die angegriffene Verordnung auch in seine berufsrechtliche Pflichtensphäre unmittelbar eingegriffen würde.

2.4. Der Antragsteller ist zum Zwecke der Beschreitung des im Gesetz vorgesehenen Rechtsweges weder gezwungen, seine berufsrechtlichen Pflichten zu verletzen, noch wird durch die angefochtene Verordnung überhaupt in die Sphäre seiner Berufspflichten eingegriffen:

2.4.1. Soweit Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung als Sachleistung durch niedergelassene Vertragsärzte erbracht werden, entscheiden diese nicht nur in Erfüllung ihrer Behandlungspflicht über die für den Patienten medizinisch gebotene Leistung, sondern sie bewirken überdies gleichzeitig die Erfüllung des von ihnen selbst beurteilten sozialversicherungsrechtlichen Leistungsanspruchs des Versicherten gegenüber dem Versichungsträger. Soweit sie daher Leistungen selbst erbringen, verschreiben oder sonst veranlassen entscheiden sie zugleich über den Versicherungsanspruch des Versicherten anstelle des Versicherungsträgers.

2.4.2. Dieses System wird in den Fällen der chefärztlichen Bewilligungspflicht nun lediglich insoweit durchbrochen, als nicht - wie im Regelfall - der Vertragsarzt anstelle des Sozialversicherungsträgers tätig wird, sondern zuvor ausnahmsweise der Krankenversicherungsträger selbst durch seinen Chef- oder durch einen Kontrollarzt über die Verpflichtung zur Leistungserbringung einer Sachleistung der Krankenversicherung gegenüber dem Versicherten befindet. Verneint der Versicherungsträger die Notwendigkeit der Behandlung, so sind solche Streitigkeiten über die Kostentragung für medizinische Maßnahmen im Verhältnis zwischen Patient und Krankenversicherungsträger - ohne Bindung an die Beurteilung durch den Chefarzt - vor den Arbeits- und Sozialgerichten auszutragen. Hat der Vertragsarzt die Leistung dennoch erbracht, so entscheidet über seinen Honoraranspruch gegenüber dem Versicherungsträger die paritätische Schieds- und in weiterer Folge die Landesberufungskommission.

2.4.3. Die Verordnung läßt somit die aus berufsrechtlichen Gründen und aus dem ärztlichen Behandlungsvertrag bestehenden Untersuchungs- und Behandlungspflichten gänzlich unberührt; sie normiert an keiner Stelle Untersuchungs- oder Behandlungsverbote, insbesondere auch nicht in den vom Antragsteller genannten Bestimmungen der §§7 ff. Auch hat der Verfassungsgerichtshof - in Übereinstimmung mit der auch vom Beschwerdeführer zitierten Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes - in seiner Rechtsprechung klargestellt, daß Vorschriften, die einem Arzt die Verpflichtung auferlegen, seine Patienten über bestehende Bewilligungspflichten zu informieren, bei gesetzeskonformer Deutung keine wie auch immer gearteten Beschränkungen des Anspruches der Patienten auf medizinische Versorgung statuieren (VfSlg. 13.571/1993; zuletzt wieder im Erkenntnis B2461/97 vom 16. Dezember 1999). Die angefochtenen Verordnungsbestimmungen machen - als Ausnahme von der Regel - nur eine definitive, schon im vorhinein feststehende Kostentragung der Kasse für bestimmte Untersuchungen oder Behandlungen von der chefärztlichen Bewilligung abhängig.

2.4.4. Wenn der Antragsteller in diesem Zusammenhang behauptet, daß durch die chefärztliche Bewilligungspflicht und die in diesem Zusammenhang von der Richtlinie normierten Aufklärungspflichten des Vertragsarztes medizinisch indizierte Untersuchungen oder Behandlungen "unterbunden" würden, so verweist er damit zwar auf denkbare gesundheitspolitisch nachteilige Effekte, zeigt aber keinen aktuellen Eingriff der Norm in seine Rechtssphäre auf. Der (ebenfalls als bloß gesundheitspolitisch zu wertenden) Befürchtung des Antragstellers, ein Patient könnte in Kenntnis der chefärztlichen Bewilligungspflicht eine bestimmte Untersuchung oder Behandlung (gemeint: von vornherein) ablehnen, ist überdies zu entgegnen, daß in einem solchen Fall keine Behandlungspflicht bestünde und die befürchtete Wirkung des Unterbleibens einer notwendigen Untersuchung oder Behandlung daher weder der angefochtenen Verordnung anzulasten wäre, noch sie in der beruflichen Rechtssphäre des Antragstellers als Arzt entfaltet würde.

2.5. Auch in den übrigen Bestimmungen der angefochtenen Verordnung können keine Verbote erblickt werden, bestimmte Untersuchungen oder Behandlungen vorzunehmen. Es kann lediglich bei der Vornahme bestimmter Untersuchungen oder Behandlungen der Honoraranspruch des Arztes des Patienten ganz oder teilweise strittig werden.

Der Antragsteller ist daher durch die angefochtene Verordnung nicht daran gehindert, jene Untersuchungen oder Behandlungen vorzunehmen, die er, seinen - durch die angefochtene Verordnung unberührt gebliebenen - berufsrechtlichen Pflichten entsprechend als notwendig erachtet, um seine Patienten im Rahmen des Behandlungsvertrages in adäquater Weise ärztlich zu versorgen.

Im Falle mit dem Krankenversicherungsträger entstehender Honorarstreitigkeiten steht es dem Antragsteller sodann frei, in einem darüber abzuführenden Verfahren vor der paritätischen Schieds- und in weiterer Folge vor der Landesberufungskommission die Gesetzwidrigkeit der angefochtenen Verordnung zu behaupten bzw. diese Frage mit einer gemäß Art144 B-VG zu erhebenden Beschwerde gegen den Bescheid der Landesberufungskommission an den Verfassungsgerichtshof heranzutragen. Dies verlangt vom Antragsteller weder die Inkaufnahme eines Strafverfahrens, noch muß sich der Antragsteller sonstigen unzumutbaren Rechtsnachteilen aussetzen, um diesen Weg beschreiten zu können.

2.6. Da somit einerseits die angegriffene Verordung in die berufsrechtliche Rechtssphäre des Antragstellers nicht unmittelbar und aktuell eingreift, andererseits hinsichtlich der Rechtssphäre seines Vertrages mit dem Krankenversicherungsträger ein dem Antragsteller zumutbarer Weg besteht, die Frage der Gesetzmäßigkeit der angefochtenen Verordnung an den Verfassungsgerichtshof anders als im Wege des - als bloß subsidiärer Rechtsbehelf ausgestalteten - Individualantrages heranzutragen, erweist sich der Antrag als unzulässig.

3. Der Antrag war daher zurückzuweisen, was gemäß §19 Abs3 Z2 lite VerfGG in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen werden konnte.

Schlagworte

Ärzte, Berufsrecht Ärzte, Sozialversicherung, VfGH / Individualantrag

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2000:V83.1996

Dokumentnummer

JFT_09999685_96V00083_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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