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40/01 Verwaltungsverfahren;Norm
AsylG 1997 §4;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kremla und die Hofräte Dr. Nowakowski, Dr. Sulzbacher, Dr. Grünstäudl und Dr. Berger als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Trefil, über die Beschwerde des Bundesministers für Inneres, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 26. Mai 1999, Zl. 207.420/0-IX/25/99, betreffend § 4 AsylG (mitbeteiligte Partei: M alias S, geboren 1974), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Begründung
Der Mitbeteiligte, ein Staatsangehöriger des Irak, reiste am 19. Dezember 1998 in das Bundesgebiet ein und stellte am 28. Dezember 1998 einen Asylantrag. Dieser Antrag wurde mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 28. Dezember 1998 gemäß § 4 Abs. 1 AsylG als unzulässig zurückgewiesen. Das Bundesasylamt begründete seine Entscheidung im Wesentlichen damit, dass der Mitbeteiligte von der Slowakei kommend in das Bundesgebiet eingereist sei und es sich bei der Slowakischen Republik um einen sicheren Drittstaat im Sinne des § 4 AsylG handle.
Der Mitbeteiligte erhob Berufung und führte darin aus, er habe bei seiner Ersteinvernahme vor dem Bundesasylamt ausgesagt, er wisse lediglich, dass er in der Türkei gewesen sei; er wisse hingegen nicht, in welchem Land er sich vor seiner Einreise nach Österreich aufgehalten habe. Sollte er auf seiner Flucht durch die Slowakei gereist sein, so verweise er darauf, dass aufgrund der bisherigen Erfahrungen des UNHCR nicht gewährleistet sei, dass ein in die Slowakei ab- bzw. zurückgeschobener Asylwerber dort Zugang zu einem Asylverfahren erhalte.
Mit Schreiben vom 28. Jänner 1999 brachte die belangte Behörde den Verfahrensparteien insgesamt dreizehn die Rechtslage und Asylpraxis in der Slowakischen Republik betreffende Dokumente zur Kenntnis und räumte die Gelegenheit zur Abgabe einer Stellungnahme ein.
Sowohl der Mitbeteiligte als auch das Bundesasylamt erstatteten zum Schreiben vom 28. Jänner 1999 eine Stellungnahme.
Mit einem weiteren Schreiben vom 7. Mai 1999 übermittelte die belangte Behörde dem Bundesasylamt ein Schreiben der Bezirkshauptmannschaft Neusiedl/See vom 29. April 1999, in dem bezogen auf den Mitbeteiligten sowie zwei weitere namentlich genannte Asylwerber Folgendes ausgeführt wird:
"Bezüglich der do. Anfrage betreffend Zurückschiebung in die Slowakei wird mitgeteilt, dass grundsätzlich alle illegalen Grenzgänger unverzüglich den slowakischen Grenzbeamten über die SID Niederösterreich zur Rückübernahme angeboten werden, wobei ersucht wird, den Zurückschiebetermin zu einem späteren Zeitpunkt zu vereinbaren.
Eine Zurückschiebung wäre daher jederzeit möglich.
Die Durchführung der Zurückschiebung ist äußerst mühsam, zumal die slowakischen Behörden den illegalen Grenzgänger bei der beabsichtigten Rückstellung niederschriftlich befragen. Eine Übernahme durch die slowakischen Beamten erfolgt in der Regel nur, wenn der Genannte genau sagen kann, wann, wo und wie er auf österr. Gebiet gelangt ist. Da für den slowakischen Grenzbeamten die Angaben des illegalen Grenzgängers immer unglaubwürdig erscheinen, wird der Fremde nicht übernommen.
Die Tatsache, dass der i.G. bei der illegalen Einreise beobachtet wurde, zählt für die slowakischen Behörden nicht als Beweis.
Zusammenfassend kann gesagt werden, dass eine Zurückschiebung in die Slowakei aus bisheriger Erfahrung aussichtslos erscheint."
Das Bundesasylamt nahm hiezu mit Schreiben vom 17. Mai 1999 Stellung und übermittelte mit seiner Stellungnahme ein Schreiben der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Burgenland vom 12. Mai 1999, in dem auf "in der letzten Zeit gehäuft aufgetretene Schwierigkeiten beim Vollzug des österreichisch-slowakischen Schubabkommens" hingewiesen und unter anderem Folgendes ausgeführt wird:
"(...) die im ho. Wirkungsbereich etablierten erstinstanzlichen Fremdenpolizeibehörden, so auch die Bezirkshauptmannschaft Neusiedl/See, (sind) ungeachtet der aufgetretenen Probleme bei der Rückstellung in die Slowakei beauftragt, in jedem Einzelfall ein Rücknahmeersuchen gemäß
Artikel 3 Absatz 2 des österreichisch-slowakischen Schubabkommens i. V.m. Abschnitt C der derzeit geltenden Durchführungsvereinbarung zu stellen. Eine Aussage gemäß § 57 Absatz 7 FrG (...) kann von der zuständigen Fremdenpolizeibehörde erst nach definitiver Entscheidung über das Rücknahmeersuchen durch die slowakischen Behörden getroffen werden.
Weiter führte das Bundesasylamt in seiner Stellungnahme vom 17. Mai 1999 aus, dass im vorliegenden Fall noch kein Rückstellungsversuch der Fremdenpolizeibehörde vorgenommen worden sei. Bei dem Schreiben der Bezirkshauptmannschaft Neusiedl/See vom 29. April 1999 handle es sich um eine undifferenzierte Prognose betreffend die Umsetzung des Schubabkommens.
In der Folge gab die belangte Behörde der Berufung des Mitbeteiligten mit dem angefochtenen Bescheid gemäß § 32 Abs. 2 AsylG Folge, behob den bekämpften Bescheid und verwies die Angelegenheit zur neuerlichen Durchführung des Verfahrens und Erlassung eines Bescheides an das Bundesasylamt zurück. Die belangte Behörde stellte fest, dass der Beschwerdeführer aus der Slowakei kommend in das Bundesgebiet illegal eingereist sei und nicht beabsichtige, freiwillig in die Slowakei auszureisen. Er könne zu seinem Aufenthalt in der Slowakei bzw. zu seiner Durchreise durch die Slowakei "keine zweckdienlichen Angaben machen". Eine Zurückschiebung des Mitbeteiligten durch österreichische Behörden sei "rechtlich möglich, tatsächlich jedoch aufgrund der bisherigen Erfahrungswerte mit den slowakischen Behörden nicht durchführbar". Die Mitteilung der Bezirkshauptmannschaft sei nicht als Mitteilung im Sinne des § 57 Abs. 7 FrG zu werten, sodass der "Sonderfall" des § 4 Abs. 5 AsylG (Außerkrafttreten des Bescheids, mit dem der Asylantrag zurückgewiesen wurde) nicht vorliege, jedoch ergebe sich aus dieser Mitteilung eindeutig, dass eine Zurückschiebung in die Slowakei aus bisheriger Erfahrung aussichtslos erscheine. Da der Mitbeteiligte vor dem Bundesasylamt und in der Berufung zu seinem Fluchtweg keine genauen Angaben machen konnte, stehe zu vermuten, dass er auch im Falle einer versuchten Zurückschiebung in die Slowakische Republik seine Angaben diesbezüglich nicht ändern werde, zumal er eine Rückschiebung in die Slowakei jedenfalls verhindern wolle. Der Asylantrag sei daher mit dem mit Berufung bekämpften Bescheid des Bundesasylamtes zu Unrecht gemäß § 4 Abs. 1 AsylG zurückgewiesen worden. Da im vorliegenden Fall keine Beurteilung der persönlichen Glaubwürdigkeit des Mitbeteiligten vorzunehmen gewesen sei, sei die Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung durch die belangte Behörde entbehrlich gewesen.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Amtsbeschwerde des Bundesministers für Inneres, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:
Die belangte Behörde hat im vorliegenden Fall richtig erkannt, dass in der Mitteilung der Bezirkshauptmannschaft Neusiedl/See keine Mitteilung gemäß § 57 Abs. 7 FrG, welche gemäß § 4 Abs. 5 AsylG zum Außerkrafttreten des den Asylantrag wegen Drittstaatsicherheit zurückweisenden Bescheides des Bundesasylamtes geführt hätte.
Die belangte Behörde hat jedoch die die Aufhebung des erstinstanzlichen Bescheides tragende Feststellung der tatsächlichen Unmöglichkeit einer Zurückschiebung des Mitbeteiligten in die Slowakische Republik nicht schlüssig begründet. Aus der vorliegenden Mitteilung der Bezirkshauptmannschaft Neusiedl/See vom 29. April 1999 kann weder für sich allein noch im Zusammenhang mit dem Schreiben der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Burgenland vom 12. Mai 1999 schlüssig abgeleitet werden, dass bereits feststehe, dass der Mitbeteiligte nicht in diesen Staat reisen und auch durch fremdenpolizeiliche Maßnahmen nicht dazu verhalten werden könne, sich in diesen Staat zu begeben.
Insoweit gleicht der vorliegende Fall in dem für die Entscheidung maßgeblichen Punkt jenem, der dem Erkenntnis vom 24. Februar 2000, Zl. 99/20/0341, zugrunde lag, sodass auf die Begründung dieses Erkenntnisses gemäß § 43 Abs. 2 VwGG verwiesen wird.
Ergänzend ist darauf hinzuweisen, dass die belangte Behörde im vorliegenden Fall auch ihre Verhandlungspflicht verletzt hat. Entgegen der in der Gegenschrift von der belangten Behörde vertretenen Auffassung handelt es sich bei einer Entscheidung gemäß § 4 AsylG trotz der vom Gesetz als negative Prozessvoraussetzung konstruierten Drittstaatsicherheit nicht um einen Bescheid, dem nur verfahrensrechtliche Wirkung zukommt. Die sich auf den rein verfahrensrechtlichen Bescheid beziehende Ausnahme von der Pflicht zur Durchführung einer Berufungsverhandlung gemäß § 67d Abs. 3 AVG in der hier anzuwendenden Fassung vor der Novelle BGBl. I Nr. 137/2001 kommt daher im vorliegenden Fall nicht zum Tragen (vgl. die Erkenntnisse vom 15. März 2001, Zl. 99/20/0352, sowie vom 25. November 1999, Zl. 99/20/0162).
Im vorliegenden Fall kommt nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch ein Absehen von der mündlichen Verhandlung nach Art. II Abs. 2 Z. 43a EGVG nicht in Betracht, weil die belangte Behörde ergänzende Ermittlungen zur Rechtslage in der Slowakei und zur Praxis der Abschiebung Fremder in die Slowakei durchgeführt und daraus für ihre Entscheidung maßgebliche Feststellungen getroffen hat; außerdem hat sie Feststellungen hinsichtlich des (von ihr bloß vermuteten) Verhaltens des Mitbeteiligten im Falle einer versuchten Abschiebung getroffen, was eine Verhandlung vorausgesetzt hätte (vgl. zur Verhandlungspflicht etwa die Erkenntnisse vom 25. November 1999, Zl. 99/20/0162, vom 31. Mai 2001, Zl. 99/20/0526, und vom 12. Dezember 2002, Zl. 99/20/0551, u.v.a.).
Da die belangte Behörde somit Verfahrensvorschriften außer Acht gelassen hat, bei deren Einhaltung sie zu einem anderen Ergebnis hätte kommen können, war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
Wien, am 3. Juli 2003
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2003:1999200350.X00Im RIS seit
05.08.2003