TE Vwgh Erkenntnis 2003/7/3 2000/20/0536

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Veröffentlicht am 03.07.2003
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Index

10/07 Verwaltungsgerichtshof;
40/01 Verwaltungsverfahren;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

AsylG 1997 §7;
AsylG 1997 §8;
AVG §60;
VwGG §42 Abs2 Z3 lita;
VwGG §42 Abs2 Z3 litb;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kremla und die Hofräte Dr. Nowakowski und Dr. Sulzbacher als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Trefil, über die Beschwerde des S in W, geboren 1976, vertreten durch Dr. Karl Hochhaltinger, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Stallburggasse 2, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 21. September 2000, Zl. 216.130/0-II/39/00, betreffend §§ 7 und 8 AsylG (weitere Partei: Bundesminister für Inneres), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 908,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger Indiens, reiste am 27. Oktober 1999 in das Bundesgebiet ein und beantragte am 29. Oktober 1999 Asyl. Das Bundesasylamt wies diesen Antrag mit Bescheid vom 17. März 2000 gemäß § 7 AsylG ab und erklärte die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach Indien gemäß § 8 AsylG für zulässig.

Die vom Beschwerdeführer dagegen erhobene Berufung wurde von der belangten Behörde mit dem angefochtenen Bescheid "gemäß §§ 7, 8 AsylG abgewiesen".

Dagegen richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen hat:

Der Beschwerdeführer hat zu seinem Asylantrag in erster Instanz im Wesentlichen vorgebracht, militante Sikhs hätten ihn gezwungen, Waffen in seinem Geschäft zu verstecken. Die Polizei habe dies beobachtet, den Beschwerdeführer festgenommen, eine Woche lang festgehalten und geschlagen und ihn anschließend auf Grund einer Intervention des Bürgermeisters wieder freigelassen. Sie habe ihm vorgeworfen, mit "diesen Personen" zusammenarbeiten, und deren Namen wissen wollen. In weiterer Folge seien die "Militanten" verhaftet worden. Sie hätten angegeben, Waffen beim Beschwerdeführer zu verstecken, woraufhin der Beschwerdeführer in einen anderen Ort geflüchtet sei, wo er zwei Jahre lang bei einem Landwirt gearbeitet habe. Während dessen seien seine Eltern wiederholt von der Polizei aufgesucht worden. Sie hätten behauptet, nicht zu wissen, wo der Beschwerdeführer sei. Als sein Arbeitgeber gedroht habe, ihn bei der Polizei anzuzeigen, sei er nach New Delhi und von dort aus ins Ausland geflüchtet. Im Falle einer Rückkehr würde ihn die Polizei umbringen. Würde er anderswo in Indien leben, würde ihn vielleicht ein Dorfbewohner sehen und bei der Polizei anzeigen. Er fürchte sich nur vor der "örtlichen Polizei".

Das Bundesasylamt ging in seiner Entscheidung ausdrücklich davon aus, dass die Behauptungen des Beschwerdeführers glaubwürdig seien, stellte das Vorgebrachte als zu beurteilenden Sachverhalt fest und wies den Asylantrag deshalb ab, weil die befürchteten Verfolgungsmaßnahmen "lediglich im Zusammenhang mit dem Verdacht der Begehung einer strafbaren Handlung" stünden und ein solches Einschreiten "nicht als Verfolgung anzusehen" sei. Dass der Beschwerdeführer beim Verhör geschlagen worden sei, bedeute außerdem "keinen ernsthaften Nachteil".

In der Berufung brachte der Beschwerdeführer u.a. vor, die Polizei habe seinen Eltern gesagt, dass sie den Beschwerdeführer suche. Verdächtigt werde er auf Grund seiner Zugehörigkeit zur ethnischen und religiösen Gruppe der Sikh. Mehrfache schwere Schläge seien eine ausreichend intensive Menschenrechtsverletzung. In Indien gebe es, wie in der ?erufung näher dargestellt wurde, eine "unglaubliche Serie von Polizeimisshandlungen, Folter und Mord an Angehörigen der religiösen und ethnischen Minderheit der Sikh". Zahlreiche Sikh würden in Haft genommen und verschwänden dann für immer.

In der mündlichen Berufungsverhandlung ergänzte der Beschwerdeführer, die Polizei habe ihm im Zuge der Misshandlungen zwei Vorderzähne ausgeschlagen. Der Beschwerdeführer werde von der Polizei gesucht, weil diese ihn verdächtige, Waffen zu besitzen und mit den Terroristen zusammen zu arbeiten. Dies wisse er von seiner Mutter. Ob ein Haftbefehl gegen ihn bestehe, wisse er nicht. Für gerichtliche Schritte gegen die Polizei habe er kein Geld, und außerdem würden "die Gerichte nicht gegen Polizisten entscheiden". Einen "Nachweis" für sein Vorbringen habe er nicht. Den ihm vorgehaltenen Berichtsteilen hinsichtlich einer "inländischen Fluchtalternative" halte er entgegen, dass ihn die Polizei überall gefunden hätte. Die Polizei habe sogar seine Mutter geschlagen, um seinen Aufenthaltsort zu erfahren. Er müsse immer in der Angst leben, dass die Polizei ihn finde.

Trotz dieses Vorbringens hat die belangte Behörde im angefochtenen Bescheid weder Feststellungen zum Sachverhalt getroffen noch erkennen lassen, ob sie das Vorbringen - wie dies, bezüglich des bereits vor dem Bundesasylamt erstatteten Vorbringens, im erstinstanzlichen Bescheid geschehen war - als glaubwürdig erachte. Sie hat "festgestellt", der Beschwerdeführer habe "keine Beweise für sein Vorbringen vorlegen" können und "nicht aufgezeigt, aus welchem Grund er die Befürchtung hegt, die indische Polizei werde ihn ... noch verfolgen". Wie bereits die Erstbehörde zutreffend ausgeführt habe, sei "das unsubstantiierte Vorbringen des Berufungswerbers nicht geeignet" gewesen, "eine Verfolgung im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention glaubhaft zu machen. Um Wiederholungen zu vermeiden, bezieht sich die erkennende Behörde daher zustimmend auf die Begründung des angefochtenen Bescheides und erhebt diese zur Begründung im gegenständlichen Bescheid." Darüber hinaus habe der Beschwerdeführer die Vorhalte hinsichtlich einer inländischen Fluchtalternative "nicht entkräften" können. Trotz mehrmaligem Nachfragen habe er "keine Angaben darüber machen" können, "aus welchem Grund die Polizei ihn auch in einem anderen Landesteil Indiens suchen solle, wenn kein Haftbefehl gegen ihn" bestehe, zumal er seinen eigenen Angaben nach weder Mitglied einer Partei noch sonst politisch tätig gewesen und "somit nicht in exponierter Weise bekannt" geworden sei. Es habe sich "somit jedoch kein Verfolgungsgrund im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention ergeben".

Diese Ausführungen enthalten keinerlei inhaltliche Auseinandersetzung mit dem vom Beschwerdeführer im Berufungsverfahren erstatteten Vorbringen zu den Fragen des Zusammenhanges der befürchteten Verfolgung mit der Zugehörigkeit des Beschwerdeführers zu einer ethnischen und religiösen Minderheit, zu den in diesem Zusammenhang zu erwartenden Polizeiexzessen und zur - vom Bundesasylamt verneinten - Intensität der von ihm schon erlittenen Misshandlungen. In Bezug auf die Behauptung, der Beschwerdeführer habe für das Interesse der Polizei an seiner Person keine Gründe genannt, sind die Ausführungen aktenwidrig. Der Beschwerdeführer hat auch nicht angegeben, dass "kein Haftbefehl gegen ihn" bestehe, sondern in der Berufungsverhandlung lediglich ausgesagt, dass er nicht wisse, ob dies der Fall sei. Was schließlich die Frage einer "inländischen Fluchtalternative" anlangt, so wird auch in diesem Zusammenhang über das dazu erstattete Vorbringen stillschweigend hinweg gegangen.

Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. a, b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2001.

Wien, am 3. Juli 2003

Schlagworte

Besondere Rechtsgebiete Verfahrensbestimmungen Beweiswürdigung Antrag

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2003:2000200536.X00

Im RIS seit

31.07.2003
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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