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41/02 Passrecht Fremdenrecht;Norm
AsylG 1997 §7;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kremla und die Hofräte Dr. Nowakowski und Dr. Sulzbacher als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Trefil, über die Beschwerde des K in W, geboren 1976, vertreten durch Dr. Michael Velik, Rechtsanwalt in 1090 Wien, Alserstraße 14, gegen den am 27. Juni 2000 verkündeten und am 5. Juli 2000 schriftlich ausgefertigten Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates, Zl. 213.234/4-II/04/00, betreffend §§ 7 und 8 AsylG (weitere Partei: Bundesminister für Inneres), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 908,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.
Begründung
Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger Indiens, reiste am 4. April 1999 in das Bundesgebiet ein und beantragte am 7. April 1999 Asyl. Das Bundesasylamt wies diesen Antrag mit Bescheid vom 30. September 1999 gemäß § 7 AsylG ab und erklärte die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach Indien gemäß § 8 AsylG für zulässig.
Die vom Beschwerdeführer dagegen erhobene Berufung wurde von der belangten Behörde mit dem angefochtenen Bescheid "gemäß §§ 7, 8 AsylG abgewiesen".
Dagegen richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen hat:
Der Beschwerdeführer hat zu seinem Asylantrag in erster Instanz im Wesentlichen vorgebracht, einer seiner Kunden habe unbekannte bewaffnete Männer in sein Geschäft gebracht, die ihn gezwungen hätten, sie dort übernachten zu lassen. Ende 1995 sei der Kunde des Beschwerdeführers verhaftet worden. Er habe vermutlich angenommen, dass der Beschwerdeführer ihn angezeigt habe, und deshalb zur Polizei gesagt, dass der Beschwerdeführer "auch ein Mitglied von Extremisten" sei. Der Beschwerdeführer sei verhaftet und noch am selben Tag wieder freigelassen worden. 1996 sei er noch einmal für einen Tag festgenommen und einvernommen worden. Danach hätten "mehrere Männer" beim Wohnhaus des Beschwerdeführers nach diesem gefragt. Aus Angst, von diesen Männern umgebracht zu werden, habe der Beschwerdeführer sich zunächst zu Verwandten nach Jalandhar begeben. Als er von seinen Eltern erfahren habe, dass die Polizei Ende 1998 wieder nach ihm gefragt habe und ihm vorwerfe, ein "Mitglied von Extremisten" zu sein, sei er nach Neu-Delhi gefahren, von wo aus er das Land verlassen habe. Im Fall der Rückkehr werde er "von der Polizei oder von den Extremisten umgebracht". In Neu-Delhi habe er einen der Männer, die ihn "damals bedroht" gehabt hätten, "gesehen", und dieser hätte ihn (gemeint offenbar: bei einem weiteren Verbleib in Neu-Delhi) "umbringen können".
In der Berufung fügte der Beschwerdeführer hinzu, die Männer seien "Mitglieder einer Untergrundorganisation" gewesen und die Freilassung des Beschwerdeführers aus der Polizeihaft sei jeweils nur durch Bestechung zu Stande gekommen. Bei einer Rückkehr in sein Elternhaus drohe ihm die Ermordung durch die Extremisten. Im Fall einer Abschiebung nach Indien würde er sofort verhaftet werden und liefe Gefahr, unmenschlich behandelt zu werden.
In der Berufungsverhandlung - welche von der belangten Behörde am 27. Juni 2000 für eine Mehrzahl indischer Asylwerber gemeinsam abgehalten wurde - kam der Beschwerdeführer ("BW VI") nach dem Inhalt des Verhandlungsprotokolls nur kurz zu Wort. Er gab an, die Extremisten wollten ihn deshalb umbringen, weil er "diesen Leuten" vor ihrer Verhaftung damit gedroht habe, die Polizei zu verständigen, falls sie ihre Besuche nicht einstellten. Der Frage, ob er sich vor Verhafteten fürchte, hielt er entgegen, es seien "nicht sämtliche Mitglieder dieser Gruppe verhaftet worden". Nunmehr suche ihn auch die Polizei wegen vermuteter Zusammenarbeit mit "dieser Gruppe". Der Beschwerdeführer sei "von Angehörigen dieser Gruppe auch in Delhi bedroht worden". Delhi sei von seinem Heimatort etwa 400 Kilometer entfernt.
Die belangte Behörde vertritt im angefochtenen Bescheid die Auffassung, es könne "in der Tat dahingestellt bleiben, inwieweit die Sachverhaltsschilderung des nunmehrigen Berufungswerbers vor dem Bundesasylamt bzw. in seiner Berufung Glaubwürdigkeit verdiene". Den Ausführungen des der Berufungsverhandlung beigezogenen Sachverständigen sei nämlich zu entnehmen, dass Personen, die nur Terroristen Unterschlupf gewährt hätten, selbst in ihrer engeren Heimat von staatlichen Behörden "nicht (mehr) verfolgt" würden und dass dem Sachverständigen trotz diesbezüglicher Recherchen keine Fälle bekannt geworden seien, in denen politisch motivierte Terroristen von ihnen gesuchte Personen auch in anderen Teilen Indiens aufgespürt hätten. Damit sei sowohl die geltend gemachte Verfolgung durch staatliche Organe als auch, jedenfalls außerhalb des Punjab, die von nichtstaatlicher Seite befürchtete Verfolgung "jedenfalls pro futuro" nachhaltig unwahrscheinlich.
Diese Ausführungen vermögen den angefochtenen Bescheid deshalb nicht zu tragen, weil es die belangte Behörde verabsäumt hat, sich unter Beiziehung des ihr zur Verfügung stehenden Sachverständigen ausreichend konkret mit dem Fall des Beschwerdeführers auseinander zu setzen. Dies gilt zunächst schon hinsichtlich der behaupteten Verfolgung durch staatliche Organe, weil die belangte Behörde nicht den Versuch unternommen hat, die ihrer Entscheidung zu Grunde gelegten Ausführungen des Sachverständigen mit der gleichfalls - zumindest hypothetisch - zu Grunde gelegten Darstellung des Beschwerdeführers widerspruchsfrei zu kombinieren. Hiezu wäre es erforderlich gewesen, darzustellen, dass für den Zeitraum, auf den sich die Angaben des Beschwerdeführers über die letzten Versuche der Polizei, seiner habhaft zu werden, bezogen, derartige Behauptungen auch aus der Sicht des Sachverständigen nicht in Widerspruch zu dessen Erkenntnissen stünden, mit einer Fortsetzung oder Wiederholung solcher Nachforschungen aber nicht zu rechnen sei. Im Ergebnis hätte die belangte Behörde bei der Wahl eines derartigen Begründungsduktus daher auf Art 1 Abschnitt C Z 5 FlKonv abstellen müssen. Was die behauptete Verfolgung durch Extremisten anlangt, so steht der begründende Hinweis auf die (nicht konkret zum Fall des Beschwerdeführers erteilte) Auskunft des Sachverständigen, ihm seien keine Fälle von Nachstellungen durch Extremisten in anderen Landesteilen bekannt geworden, in direktem Widerspruch zur Aussage des Beschwerdeführers in der Berufungsverhandlung, er sei "von Angehörigen dieser Gruppe auch in Delhi bedroht worden". Der Versuch der belangten Behörde, das Vorbringen des Beschwerdeführers durch die allgemein gehaltenen Ausführungen des Sachverständigen zu relativieren, ohne ihm aber die Glaubwürdigkeit abzusprechen, führt daher im angefochtenen Bescheid zu keiner insgesamt nachvollziehbaren Darstellung der Gründe, aus denen die belangte Behörde eine asylrelevante Bedrohung des Beschwerdeführers im Falle einer Rückkehr nach Indien nicht als ausreichend wahrscheinlich erachtete.
Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2001. Das Mehrbegehren findet in diesen Vorschriften keine Deckung.
Wien, am 3. Juli 2003
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2003:2000200419.X00Im RIS seit
29.07.2003