TE Vwgh Erkenntnis 2003/7/3 2001/20/0185

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Veröffentlicht am 03.07.2003
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Index

40/01 Verwaltungsverfahren;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

AsylG 1997 §23;
AsylG 1997 §6 Z3;
AsylG 1997 §8;
AVG §60;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kremla und die Hofräte Dr. Nowakowski und Dr. Moritz als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Trefil, über die Beschwerde des K in W, vertreten durch Mag. Georg Bürstmayr, Rechtsanwalt in 1090 Wien, Hahngasse 25, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 14. Juni 2000 (im Kopf: 13. Juni 2000), Zl. 217.193/0-III/07/00, betreffend § 6 Z 3 und § 8 Asylgesetz (weitere Partei: Bundesminister für Inneres), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 908,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, seinen Angaben zufolge ein Staatsangehöriger von Sierra Leone, reiste am 20. April 2000 in das Bundesgebiet ein und beantragte am 25. April 2000 Asyl. Mit Bescheid vom 23. Mai 2000 wies das Bundesasylamt den Asylantrag des Beschwerdeführers gemäß § 6 Z 3 Asylgesetz als offensichtlich unbegründet ab und erklärte seine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung nach Sierra Leone gemäß § 8 Asylgesetz für zulässig. Begründend wurde u.a. ausgeführt, dass der Beschwerdeführer im Zuge seiner Einvernahme vor dem Bundesasylamt am 12. Mai 2000 konkrete Fragen zu Sierra Leone nicht richtig habe beantworten können. Er habe zwar die Lage Sierra Leones in Afrika, die Hauptstadt, den Präsidenten, den Führer der Rebellen, den Namen der Währung sowie die Farben der Staatsflagge richtig angeben können, jedoch weder vermocht, den Großteil der Fragen über Sierra Leone, noch jene über seine Herkunft korrekt bzw. glaubwürdig beantworten zu können. Eine grobe Unkenntnis über notorische Tatsachen oder über Umstände, welche dem Beschwerdeführer - gemäß seinem Alter, seinem Bildungsgrad und seiner sozialen und kulturellen Herkunft - bekannt sein müssten, indiziere grundsätzlich die Unglaubwürdigkeit des gesamten Vorbringens. Der Beschwerdeführer habe nicht einmal elementarste Kenntnisse über sein angebliches Heimatland. So habe er das Staatswappen Sierra Leones überhaupt nicht beschreiben können. Er habe ferner weder gewusst, wann der Nationalfeiertag begangen werde, wie der Text der Nationalhymne laute, was die Abkürzung "AFRC" bedeute, noch habe er Provinzen, Flüsse oder Städte - mit Ausnahme von Freetown und Bo - nennen können. Der Beschwerdeführer habe die Nachbarstaaten von Sierra Leone nicht richtig aufzählen und Stämme - mit Ausnahme der Fula und seines angeblich eigenen Stammes - nicht angeben können. Obwohl der Beschwerdeführer behauptet habe, sein ganzes Leben in "Akuna" verbracht zu haben und dort auch sieben Jahre zur Schule gegangen zu sein, sei er nicht imstande gewesen, die Größe bzw. die Einwohnerzahl seines Heimatortes anzugeben. Das spreche zweifelsfrei dafür, dass er niemals in diesem Dorf gewesen sei. Der Beschwerdeführer habe nicht gewusst, dass der Stamm der Mende, dem er angehören wolle, Mende spreche, obgleich diese Sprache zu den wichtigsten Verkehrssprachen in Sierra Leone zähle. Er habe auch die Stammesgliederung der Mende und deren Unterstämme nicht gekannt. Das Wort "Chiefdom" habe der Beschwerdeführer nicht erklären können. Würde er wirklich aus Sierra Leone stammen, hätte er diesen Begriff kennen und erklären können müssen. Weiters habe der Beschwerdeführer nicht angeben können, was "Plassas" bedeute. Obwohl er gesagt habe, Farmarbeiter gewesen zu sein, habe er die jährlich stattfindende Regenzeit nicht richtig - d.h. den objektiven Gegebenheiten in Sierra Leone entsprechend - angeben können. Die Währungseinheit von Sierra Leone - Leone und Cent - habe der Beschwerdeführer richtig genannt, doch hätten seine Angaben bezüglich des Bargeldverkehrs nicht den tatsächlichen Verhältnissen in Sierra Leone entsprochen. Die von ihm genannten Werteinheiten würden teilweise in Sierra Leone nicht mehr verwendet. Die diesbezügliche Unwissenheit spreche zweifelsfrei dafür, dass der Beschwerdeführer niemals in Sierra Leone gewesen sein könne. Der Beschwerdeführer habe weiters angegeben, Englisch und Susu zu sprechen. Er sei aber nicht in der Lage gewesen, alltäglich gebrauchte Phrasen (Guten Morgen, Wie geht es Dir?, Danke) von Englisch in Susu zu übersetzen. Alle diesbezüglichen Angaben seien unrichtig gewesen. Ferner habe der Beschwerdeführer behauptet, das Friedensabkommen sei im Dezember 1999 unterzeichnet worden, was jedoch nicht den Tatsachen entspreche. Obwohl der Beschwerdeführer den Präsidenten, den Anführer der Rebellen, die Bezeichnung der Währung, die Hauptstadt, die Flagge und die Lage Sierra Leones in Afrika gekannt habe, sei nicht davon auszugehen, dass er aus Sierra Leone stamme. Der Beschwerdeführer habe offenbar Antworten auf einige typische Fragen gezielt vorbereitet.

In seiner Berufung gegen diesen Bescheid brachte der Beschwerdeführer vor, die erstinstanzliche Behörde habe den Asylantrag zu Unrecht als offensichtlich unbegründet abgewiesen. Hätte er sich zu Fragen vorbereitet, so hätte er dies auch zu den Fragen getan, die er nicht habe beantworten können.

Mit dem in Beschwerde gezogenen Bescheid hat die belangte Behörde, ohne zuvor eine mündliche Verhandlung durchzuführen, die Berufung des Beschwerdeführers abgewiesen. Begründend führte die belangte Behörde im Wesentlichen Folgendes aus:

"Bereits die Behörde erster Instanz hat im angefochtenen Bescheid zutreffend erkannt, dass aufgrund von gehäuften unrichtigen Angaben des Asylwerbers zu landesspezifischen Gegebenheiten mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit davon ausgegangen werden muss, dass der Asylwerber tatsächlich nicht aus Sierra Leone stammt. Diesbezüglich wird auf die einschlägigen Ausführungen der Behörde erster Instanz zur Beweiswürdigung im angefochtenen Bescheid Seite 10, 4. Absatz bis inklusive 13, 1. Absatz verwiesen und werden diese Erwägungen zur Beweiswürdigung auch zum Inhalt dieses Bescheides erhoben. Lediglich zur Verdeutlichung wird darauf hingewiesen, dass die im angefochtenen Bescheid aufgezeigten mangelnden Kenntnisse des Asylwerbers über grundlegende Gegebenheiten in Sierra Leone, die vom Asylwerber richtig beantworteten Fragen zu Sierra Leone bei weitem überwiegen, sodass bei einer Gesamtbetrachtung und Abwägung der Kenntnis bzw. Unkenntnis des Asylwerbers über sein angebliches Heimatland sich in klarer Weise ergibt, dass er nicht aus Sierra Leone stammen kann. Beispielhaft erscheint in diesem Zusammenhang besonders gravierend etwa, dass der Asylwerber, der dem Stamm der Mende angehören will, nicht gewusst hat, dass der Stamm der Mende die Sprache 'Mende' spricht, obgleich diese Sprache eine der beiden großen Sprachgruppen Sierra Leones darstellt.

Rechtlich folgt aus dem Umstand, dass es dem Asylwerber nicht gelungen ist, sein Vorbringen glaubhaft zu machen, dass auch jede von ihm behauptete vom Staat Sierra Leone ausgehende bzw. gebilligte Gefahr für seine Person völlig unglaubwürdig ist. In Anbetracht obiger Erwägungen ergibt sich, dass die vom Asylwerber geltend gemachte Bedrohungssituation im Sinne des § 6 Z 3 AsylG offensichtlich nicht den Tatsachen entspricht."

Über die gegen diesen Bescheid eingebrachte Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

Gemäß § 6 Z 3 Asylgesetz sind Asylanträge als offensichtlich unbegründet abzuweisen, wenn das Vorbringen der Asylwerber zu einer Bedrohungssituation offensichtlich den Tatsachen nicht entspricht. Der Verwaltungsgerichtshof hat in ständiger Rechtsprechung zu dieser Bestimmung ausgeführt, dass zwischen "schlichter" und "offensichtlicher" Tatsachenwidrigkeit zu unterscheiden ist und nur eine "offensichtliche" Tatsachenwidrigkeit zur Anwendung des § 6 Z 3 Asylgesetz führen kann (vgl. z.B. die hg. Erkenntnisse vom 21. August 2001, Zl. 2000/01/0214, und vom 20. Juni 2002, Zl. 2000/20/0443).

Die Darlegungen der belangten Behörde, dass sich bei einer Gesamtbetrachtung und Abwägung der Kenntnis bzw. Unkenntnis des Asylwerbers über sein angebliches Heimatland "in klarer Weise" ergebe, dass er nicht aus Sierra Leone stammen könne, sowie dass es dem Beschwerdeführer nicht gelungen sei, sein Vorbringen "glaubhaft" zu machen, vermögen in Bezug auf die Herkunft des Beschwerdeführers aus Sierra Leone "Offensichtlichkeit" im Sinne des § 6 Z 3 Asylgesetz nicht darzutun. Die belangte Behörde hat daher den Inhalt des § 6 Z 3 Asylgesetz verkannt, indem sie vermeinte, dass die in der Bescheidbegründung dargelegten Ergebnisse ihrer Beweiswürdigung eine Entscheidung nach dieser Bestimmung ermöglichen. Dass ausgehend davon, dass der Beschwerdeführer nicht aus Sierra Leone stamme, seine Behauptung einer ihm dort drohenden Verfolgungsgefahr "völlig unglaubwürdig" bzw. "offensichtlich" tatsachenwidrig sei, wie die belangte Behörde weiter ausführt, vermag entgegen der offenbaren Ansicht der belangten Behörde die Voraussetzungen der von ihr vorgenommenen Abweisung des Asylantrages gemäß § 6 Z 3 AsylG nicht zu erfüllen, wenn die Unglaubwürdigkeit der Herkunft aus Sierra Leone ihrerseits nicht "offensichtlich" ist, sondern in rechtlicher Hinsicht nur damit begründet wird, dass es dem Beschwerdeführer "nicht gelungen" sei, die Herkunft aus diesem Staat "glaubhaft zu machen" (vgl. insoweit etwa das hg. Erkenntnis vom 31. Jänner 2002, Zl. 99/20/0447).

Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Der Ausspruch über den Kostenersatz stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2001. Wien, am 3. Juli 2003

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2003:2001200185.X00

Im RIS seit

01.08.2003
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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