TE Vwgh Erkenntnis 2003/7/11 2003/06/0047

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Veröffentlicht am 11.07.2003
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Index

10/07 Verwaltungsgerichtshof;
40/01 Verwaltungsverfahren;

Norm

AVG §71 Abs1;
VwGG §46 Abs1;

Beachte

Miterledigung (miterledigt bzw zur gemeinsamen Entscheidung verbunden): 2003/06/0048

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident DDr. Jakusch und die Hofräte Dr. Händschke und Dr. Rosenmayr als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Hofer, über die Beschwerde des B in J, vertreten durch Dr. Herbert Schöpf, Rechtsanwalt in 6020 Innsbruck, Maria-Theresien-Straße 34, gegen die Bescheide der Tiroler Landesregierung 1. vom 14. Oktober 2002, Zl. Ve1-550-3099/1-5, betreffend Abweisung eines Antrages auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Frist zur Erhebung einer Vorstellung gegen die Untersagung der Benützung eines Raumes als Wohnraum nach der Tiroler Bauordnung, und 2. vom 15. Oktober 2002, Zl. Ve1-550-3099/1-6vA, betreffend Zurückweisung der besagten Vorstellung gegen die Untersagung der Benützung eines Raumes als Wohnraum nach der Tiroler Bauordnung (mitbeteiligte Partei: Gemeinde V, vertreten durch den Bürgermeister), zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Land Tirol Aufwendungen in der Höhe von EUR 332,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Nach dem Inhalt der Beschwerde, den vorgelegten Akten des Verwaltungsverfahrens und den unbestrittenen Feststellungen der angefochtenen Bescheide steht folgender Sachverhalt fest:

Mit dem im Instanzenzug ergangenen, dem Vertreter des Beschwerdeführers am 12. Juli 2002 zugestellten Bescheid des Gemeindevorstandes der Gemeinde V vom 8. Juli 2002 wurde dem Beschwerdeführer gemäß § 37 Abs. 4 der Tiroler Bauordnung - TBO. LGBl. 94/2001, "die Benützung des im Mindestabstandsbereich liegenden Raumes über der Garage auf Bp 627 KG. V als Wohnraum" untersagt. Der Beschwerdeführer erhob eine gegen diesen Bescheid an die Tiroler Landesregierung adressierte und an diese gerichtete, von seinem Rechtsvertreter unterfertigte Vorstellung, die am 24. Juli 2002 zur Post gegeben wurde. Vom Amt der Landesregierung dorthin weitergeleitet, langte sie am 6. September 2002 im Gemeindeamt der mitbeteiligten Gemeinde ein.

Der Beschwerdeführer wurde auf die verspätete Einbringung seiner (binnen zweier Wochen beim Gemeindeamt der mitbeteiligten Partei einzubringenden) Vorstellung aufmerksam und stellte den an das Gemeindeamt der mitbeteiligten Gemeinde gerichteten Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Darin führte er aus, dass sein Vertreter zur Vorstellung ein Begleitschreiben an das Gemeindeamt V diktiert habe, mit welchem seine Vorstellung dem Gemeindeamt vorgelegt werden sollte. Die Vorstellung hätte gemeinsam mit diesem Begleitschreiben zur Post gehen sollen und somit wäre die gegenständliche Vorstellung rechtzeitig beim Gemeindeamt V erhoben worden. Dem Vertreter des Beschwerdeführers sei noch erinnerlich, dass er das Begleitschreiben persönlich unterfertigt habe. Im Zuge der Kuvertierung sei es jedoch zu einem Fehler gekommen und die Vorstellung sei irrtümlich ohne Begleitschreiben ins Kuvert gegeben worden. In Folge sei die Vorstellung direkt an die Tiroler Landesregierung zugestellt worden und nicht, wie vom Vertreter des Beschwerdeführer beabsichtigt, mit Begleitschreiben an das Gemeindeamt V. Die Kuvertierung sei von einem äußerst verlässlichen Kanzleibediensteten des Vertreters des Beschwerdeführers vorgenommen worden und es sei dem Vertreter des Beschwerdeführers unerklärlich, weshalb es zu diesem Fehler bei der Kuvertierung gekommen sei. Für den Beschwerdeführer sei dieser Fehler bei der Kuvertierung ein unvorhergesehenes und unabwendbares Ereignis, und es treffe ihn bzw. seinen Vertreter ein nicht über einen minderen Grad des Versehens hinausgehendes Verschulden.

Mit dem erstangefochtenen Bescheid wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 71 Abs. 1 und 4 AVG als unbegründet abgewiesen. Diese Entscheidung wurde nach Wiedergabe des Verfahrensganges sowie der Erörterung der Rechtsgrundlagen im Wesentlichen damit begründet, dass das Vorliegen von Wiedereinsetzungsgründen nur in jenem Rahmen zu untersuchen sei, der durch die Behauptungen des Antragstellers innerhalb der Wiedereinsetzungsfrist vorgegeben werde. Nun habe der Rechtsfreund des Beschwerdeführers keinerlei Behauptungen darüber aufgestellt, ob und in welcher Weise seine Kanzleikräfte kontrolliert würden bzw. in welcher Weise er den ihm obliegenden Aufsichts- und Kontrollpflichten nachgekommen sei bzw. nachkomme. Grundsätzlich stehe auch fest, dass die eingebrachte Vorstellung im Briefkopf direkt an die Tiroler Landesregierung adressiert gewesen sei. Weiters stehe fest, dass die Rechtsmittelbelehrung des Bescheides des Gemeindevorstandes der mitbeteiligten Gemeinde vom 8. Juli 2002 ausdrücklich und unmissverständlich die ausschließliche Einbringung der Vorstellung beim Gemeindeamt der mitbeteiligten Gemeinde enthalten habe. Eine allfällige Irreführung durch die Rechtsmittelbelehrung sei somit auszuschließen. Faktum sei, dass die Vorstellungsschrift direkt an die Tiroler Landesregierung adressiert gewesen sei. Es habe im gesamten Vorbringen nicht glaubhaft dargetan werden können, dass tatsächlich ein Begleitschreiben, welches an das Gemeindeamt der mitbeteiligten Gemeinde adressiert gewesen sei, verfasst worden sei. Auch bei Zutreffen dieser Behauptung sei jedoch nach Ansicht der belangten Behörde nicht davon auszugehen, dass ein minderer Grad des Versehens vorliege. Vielmehr liege ein Verstoß gegen die Sorgfaltspflichten seitens des Rechtsfreundes des Beschwerdeführers vor. Durch die beschriebene Vorgehensweise - nämlich Vorstellungen an die zur Entscheidung berufene Behörde im Schriftsatz zu adressieren und zusätzlich ein Begleitschreiben an die Einbringungsbehörde zu verfassen - würden Fehlerquellen wie die gegenständliche geradezu begünstigt. Eine ordnungsgemäße Organisation der Kanzlei sei darin eben nicht zu erblicken. Die Versäumung der Frist zur Erhebung der Vorstellung könne allein dem Beschwerdeführer zugerechnet werden, wobei nach Ansicht der belangten Behörde ein über den Grad des Versehens hinaus gehender Sorgfaltsverstoß vorliege.

Mit dem zweitangefochtenen Bescheid vom 15. Oktober 2002 wurde die Vorstellung des Beschwerdeführers gemäß § 120 Abs. 2 und 5 der Tiroler Gemeindeordnung 2001 als verspätet zurückgewiesen. In der Begründung wird ausgeführt, dass der Bescheid des Gemeindevorstandes der mitbeteiligten Gemeinde vom 8. Juli 2002 sowohl dem Beschwerdeführer selbst als auch seinem Rechtsanwalt am 12. Juli 2002 zugestellt worden sei. Die dagegen vom Beschwerdeführer erhobene Vorstellung sei am 30. Juli 2002 im Amt der Tiroler Landesregierung eingelangt und von dort an das Gemeindeamt der mitbeteiligten Gemeinde weitergeleitet worden, wo sie am 6. September 2002 eingelangt sei. Die Rechtsmittelbelehrung des Bescheides des Gemeindevorstandes der mitbeteiligten Gemeinde führe inhaltlich als Einbringungsbehörde ausdrücklich die Gemeinde bzw. das Gemeindeamt an. Innerhalb der Rechtsmittelfrist sei die Vorstellung nicht bei der im Gesetz vorgesehenen Einbringungsstelle eingebracht worden, weshalb die Vorstellung als verspätet zurückzuweisen gewesen sei.

Gegen diese Bescheide richtet sich die vorliegende, zunächst beim Verfassungsgerichtshof erhobene und von diesem mit Beschluss vom 24. Februar 2003, B 1774/02, 1844/02-6, dem Verwaltungsgerichtshof abgetretene Beschwerde mit dem Begehren, die Bescheide wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit sowie wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor, erstattete eine Gegenschrift und beantragte die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde. Auch die mitbeteiligte Gemeinde erstattete eine Gegenschrift.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Der Beschwerdeführer hält den erstangefochtenen Bescheid deswegen für rechtswidrig, weil die fehlerhafte Kuvertierung der Vorstellung für den Beschwerdeführer ein unvorhersehbares und unabwendbares Ereignis gewesen sei. Auf die richtige Kuvertierung - eine manipulative Tätigkeit - habe sich der Vertreter des Beschwerdeführers grundsätzlich verlassen können, dies jedenfalls dann, wenn diese Tätigkeit von einem sonst verlässlichen Kanzleibediensteten vorgenommen wurde. Die belangte Behörde habe es dem Beschwerdeführer trotz geeigneten Antrages auf seine Einvernahme und jene seines Vertreters nicht ermöglicht, seine Behauptungen über das Vorliegen eines unvorhersehbaren Ereignisses glaubhaft zu machen, dass nämlich der Vertreter des Beschwerdeführers ein bezügliches Begleitschreiben verfasst habe, dass die postalische Abfertigung von Schriftstücken des Vertreters des Beschwerdeführers organisatorisch - abgesehen von dem in Rede stehenden Kuvertierungsfehler - einwandfrei ablaufe und dass es sich bei der die Kuvertierung vornehmenden Person um eine äußerst verlässliche Kanzleikraft handle. Der Beschwerdeführer hätte die Behörde über die Verlässlichkeit der Kanzleikraft durch Einvernahme des Vertreters des Beschwerdeführers überzeugen können. Mechanische Vorgänge aber, wie etwa das Kuvertieren oder die Postaufgabe, fielen in einen Bereich, der grundsätzlich der alleinigen Erledigung der Kanzlei überlassen werden könne.

Den zweitangefochtenen Bescheid hält der Beschwerdeführer deswegen für rechtswidrig, weil dieser infolge der bescheidmäßigen Abweisung des Wiedereinsetzungsantrages ergangen sei und der die Vorstellung zurückweisende Bescheid nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes mit Bewilligung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand von Gesetzes wegen außer Kraft trete. Im Fall der Aufhebung des erstangefochtenen Bescheides verletze der zweitangefochtene Bescheid den Beschwerdeführer in seinem Recht, eine Vorstellung zu erheben.

Gemäß § 120 Abs. 2 der Tiroler Gemeindeordnung 2001 - TGO ist die Vorstellung innerhalb von zwei Wochen nach der Zustellung der schriftlichen Ausfertigung des Bescheides beim Gemeindeamt einzubringen.

Gemäß § 71 Abs. 1 des im Grunde des § 127 Abs. 1 erster Satz TGO im aufsichtsbehördlichen Verfahren anzuwendenden § 71 Abs. 1 AVG ist auf Antrag der Partei, die durch die Versäumung einer Frist oder einer mündlichen Verhandlung einen Rechtsnachteil erleidet, die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen, wenn 1. die Partei glaubhaft macht, dass sie durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis verhindert war, die Frist einzuhalten oder zur Verhandlung zu erscheinen und sie kein Verschulden oder nur ein minderer Grad des Versehens trifft, oder

2. die Partei die Rechtsmittelfrist versäumt hat, weil der Bescheid keine Rechtsmittelbelehrung, keine Rechtsmittelfrist oder fälschlich die Angabe enthält, dass kein Rechtsmittel zulässig sei.

Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist ein Verschulden des Rechtsvertreters einem Verschulden der Partei selbst gleichzusetzen. Wenn einem Angestellten des Rechtsvertreters im Zusammenhang mit der Einhaltung einer Frist ein Fehler unterläuft, hat das die Partei selbst nur dann nicht zu vertreten, wenn ihr Rechtsvertreter der ihm zumutbaren und nach der Sachlage gebotenen Überwachungspflicht gegenüber seinen Angestellten nachgekommen ist. Rein technische Vorgänge beim Abfertigen von Schriftstücken kann ein Rechtsanwalt ohne nähere Beaufsichtigung einer verlässlichen Kanzleikraft überlassen. Es ist ihm nicht zuzumuten, sich nach der Übergabe der Poststücke an die Kanzleikraft in jedem Fall noch von der tatsächlichen Durchführung der Expedierung der Sendung zu überzeugen (vgl. das hg. Erkenntnis vom 25. September 1996, Zl. 95/01/0543). Ein Rechtsanwalt ist als berufsmäßiger Parteienvertreter verpflichtet, die Organisation seiner Kanzlei so einzurichten, dass die fristgerechte Setzung von notwendigen Handlungen gewährleistet ist, wobei durch Kontrollen dafür vorzusorgen ist, dass Unzulänglichkeiten durch menschliches Versagen aller Voraussicht nach auszuschließen sind. Es würde aber selbst die Überwachungspflichten eines Anwaltes überspannen, die näheren Umstände der Postaufgabe, wie das Kuvertieren, Beschriften des Kuverts und die tatsächliche Übergabe an die Post zu überprüfen (vgl. etwa die hg. Erkenntnisse vom 19. September 1991, Zl. 91/06/0067, und vom 2. September 1999, Zl. 96/18/0211).

Die belangte Behörde hat im vorliegenden Fall zwar verkannt, dass sich die Kontrollpflichten des Rechtsanwaltes nicht auf die zuletzt angeführten rein manipulativen, durch erfahrene Kanzleikräfte durchgeführten Vorgänge bezieht. Auch bei Richtigkeit des Vorbringens im Antrag wurde darin das Vorliegen der Voraussetzungen für die Gewährung der Wiedereinsetzung dennoch nicht dargetan, weil es sich bei der Kuvertierung und Postaufgabe der gegenständlichen Schriftstücke im vorliegenden Fall nicht um solche rein manipulative Vorgänge gehandelt hat. Die Kanzleikraft des Vertreters des Beschwerdeführers musste im vorliegenden Fall nämlich die Entscheidung treffen, an welche der beiden in den beiden Schreiben unterschiedlich genannten Adressen die Sendung zu richten und diese dementsprechend in das mit einem Sichtfenster ausgestattete Kuvert einzulegen waren. Der Wiedereinsetzungsantrag enthält keine Ausführungen darüber, dass der Vertreter des Beschwerdeführers eine diesbezügliche Anweisung gegeben und deren Einhaltung kontrolliert hätte, weshalb es im Ergebnis nicht als rechtswidrig angesehen werden kann, wenn der Antrag mit dem erstangefochtenen Bescheid abgewiesen wurde.

Da die Vorstellung des Beschwerdeführers unbestritten nach Ablauf der zweiwöchigen Rechtsmittelfrist des § 120 Abs. 2 TGO eingebracht wurde, erfolgte auch deren mit dem zweitangefochtenen Bescheid bewirkte Zurückweisung zu Recht.

Nach dem Gesagten war die Beschwerde gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG i.V.m. der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2001, BGBl. II Nr. 501.

Wien, am 11. Juli 2003

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2003:2003060047.X00

Im RIS seit

11.08.2003
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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