TE Vwgh Erkenntnis 2003/7/16 2000/01/0439

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 16.07.2003
beobachten
merken

Index

41/02 Passrecht Fremdenrecht;
49/01 Flüchtlinge;

Norm

AsylG 1997 §7;
AsylG 1997 §8;
FlKonv Art1 AbschnA Z2;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kremla und die Hofräte Dr. Nowakowski und Dr. Pelant als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Stieger, über die Beschwerde des P in M, geboren 1966, vertreten durch Dr. Rainer Mutenthaler, Rechtsanwalt in 3370 Ybbs, Herrengasse 23, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 4. Juli 2000, Zl. 215.085/0-IX/27/00, betreffend §§ 7 und 8 AsylG (weitere Partei: Bundesminister für Inneres), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 908,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein aus dem montenegrinischen Teil des Sandjak stammender, der muslimisch-slawischen Volksgruppe zugehöriger Staatsangehöriger der (ehemaligen) Bundesrepublik Jugoslawien, reiste am 2. Juni 1999 in das Bundesgebiet ein und beantragte am 8. Juni 1999 Asyl. Er legte eine unübersetzt gebliebene, in der Absenderzeile mit "Aug. 06 1999" datierte Faxkopie einer Urkunde vor, in der u.a. das Datum "19.04.1999" aufschien (AS 6 des erstinstanzlichen Aktes), und gab bei der Einvernahme zu seinen Fluchtgründen am 23. August 1999 an, seine Mutter habe für ihn am 19. April 1999 eine von einem Militärboten zugestellte Ladung übernommen, der zufolge er sich noch am selben Tag zur Militärdienstleistung hätte melden sollen, und er sei deshalb geflohen.

Das Bundesasylamt wies mit Bescheid vom 23. Dezember 1999 den Asylantrag des Beschwerdeführers gemäß § 7 AsylG ab und stellte gemäß § 8 AsylG fest, die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers "in die BR Jugoslawien" sei zulässig. Es stellte fest, das Vorbringen des Beschwerdeführers über seine versuchte Einziehung zum Militärdienst sei auf Grund seiner "widerspruchsfreien und nachvollziehbaren Angaben glaubwürdig", und hielt dem Beschwerdeführer entgegen, die "stattgefundene Verschärfung" der Straftatbestände wegen Verweigerung der Militärdienstleistung u.dgl. sei nach jugoslawischem Recht "im Kriegszustand oder in Zeiten einer Kriegsgefahr zulässig". Der Beschwerdeführer habe nicht vorgebracht, dass er auf Grund seiner "moslemischen Abstammung" einer härteren Bestrafung unterzogen werden würde als andere Staatsangehörige der Bundesrepublik Jugoslawien.

In seiner Berufung gegen diese Entscheidung brachte der Beschwerdeführer unter neuerlicher Vorlage einer Kopie der schon erwähnten Faxkopie u.a. vor, als Moslem aus dem Sandjak befürchte er, "dasselbe Schicksal zu erleiden wie die Kosovo-Albaner". Schon bei einer Militärübung 1994 habe er Lieder mitanhören müssen, denen zufolge es "keinen Tito" mehr gebe, "die Moslem zu retten". Derzeit fänden im Sandjak Durchsuchungen der Häuser von Moslems statt, wobei die Bewohner nicht selten misshandelt würden. Es gebe Schikanen und Beschimpfungen im Alltagsleben. Ein Verwandter des Beschwerdeführers sei grundlos eingesperrt und auf näher beschriebene Weise misshandelt worden. Dem Beschwerdeführer als gläubigem Moslem werde politische Untreue zum Regime Milosevics vorgeworfen. Er gehöre in den Augen der serbischen Militärs einer "Gruppe von Leuten an, welche, gleichgültig mit welchen Mitteln, aus ihrem Land verschwinden soll". In Bezug auf seine Nichtbefolgung des Einberufungsbefehls befürchte er, eine strengere Bestrafung zu erleiden als andere Staatsbürger. Er fürchte, dass die Verurteilung vor einem Militärtribunal dazu benutzt werden würde, ihn "ethnisch wegzusäubern". Er werde ein ähnliches Schicksal erleiden wie sein Verwandter, nur werde es ihm noch schlechter ergehen. Serbische Soldaten hätten schon dreimal zu Hause nach ihm gesucht.

Die belangte Behörde führte am 11. April 2000 ein mündliche Berufungsverhandlung durch, in der sie den Beschwerdeführer und dessen Ehegattin einvernahm, "das aktenkundige Fax" des "Einberufungsbefehls" erörterte und dem Beschwerdeführer für die Vorlage des Originals - von dem er angab, nicht sicher zu sein, ob es bei seinen Eltern noch vorhanden sei - eine Frist von vier Wochen setzte. Darüber hinaus wurde mit dem Beschwerdeführer die Situation der Muslime im Sandjak sowie die Frage einer innerstaatlichen "Fluchtalternative" erörtert und ihm zur Stellungnahme eine Frist von vier Wochen eingeräumt.

Der Beschwerdeführer legte mit Schreiben vom 4. Mai 2000 das Original einer im Vergleich zur Faxkopie vom August 1999 gleichartigen Urkunde vor, in der statt des Datums "19.04.1999" das Datum "23.05.1999" aufschien, und brachte dazu vor, die erste Ladung sei verloren gegangen. Erhalten geblieben sei die im Original vorgelegte zweite Ladung. Bei der dritten Suche nach dem Beschwerdeführer sei keine Ladung zurückgelassen worden.

Mit Schriftsatz vom 10. Mai 2000 nahm der Beschwerdeführer zu Fragen einer innerstaatlichen "Fluchtalternative" Stellung.

Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung des Beschwerdeführers gemäß §§ 7 und 8 AsylG ab. Sie stützte diese Entscheidung auf allgemein gehaltene Feststellungen über die "Lage der muslimischen Bevölkerung in Montenegro" sowie darauf, dass nicht festgestellt werden könne, dass der Beschwerdeführer "Einberufungsbefehle zum jugoslawischen Militär erhalten hat und deshalb Jugoslawien verlassen hat". Im Vorbringen des Beschwerdeführers seien "gravierende Widersprüche und Ungereimtheiten aufgetreten" und es lasse sich mit den Angaben seiner Ehegattin nicht in Einklang bringen. Auf Grund der "klaren Widersprüche und Ungereimtheiten" sei es "nicht erforderlich, den vom Berufungswerber vorgelegten Einberufungsbefehl zum 23.5.1999 auf seine Echtheit überprüfen zu lassen, zumal die maschinschriftlichen Eintragungen auf dem Einberufungsbefehlsformular deutlich erkennbar mit Bleistift vorgezeichnet sind".

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen hat:

Die "gravierenden Widersprüche und Ungereimtheiten" im "Vorbringen des Berufungswerbers selbst" beschränken sich - soweit es um die Frage geht, ob der Beschwerdeführer zum Militärdienst eingezogen werden sollte - in ihrer näheren Darstellung durch die belangte Behörde auf einen Unterschied zwischen dem in dieser Hinsicht konstanten Vorbringen des Beschwerdeführers im Asylverfahren vor dem Bundesasylamt und der belangten Behörde einerseits und einer am 2. Juni 1999 in Passau mit ihm aufgenommenen Niederschrift andererseits. Dieser Niederschrift zufolge habe der Beschwerdeführer am 21. April 1999 seine Einberufung zum Militär erhalten und sei er am 22. April 1999 von seiner "Heimat" aus zunächst nach Sarajevo gefahren, während er im Asylverfahren wiederholt angegeben habe, der Einberufungsbefehl sei am 19. April 1999 zugestellt worden und er habe am 21. April 1999 seinen Heimatort verlassen. Die Unvereinbarkeit der Aussagen des Beschwerdeführers und seiner Ehegattin bezieht sich darauf, ob die Arbeitsschicht des Beschwerdeführers am Tag der Übernahme des Einberufungsbefehls durch seine Mutter um 7.00 Uhr geendet (Nachtschicht) oder von 7.00 bis 15.00 gedauert habe. Dass die Ehegattin des Beschwerdeführers außerdem meinte, das sei am 21. April 1999 gewesen, sie sei sich dessen "aber nicht sicher", ist kein geeignetes Argument zur Begründung der Ansicht, die Aussagen ließen sich nicht in Einklang bringen.

Die dargestellten Abweichungen reichen nicht aus, um das der Verfolgungsbehauptung des Beschwerdeführers zugrunde liegende Vorbringen, er habe sich der Militärdienstleistung entzogen, ohne nähere Auseinandersetzung mit den vorgelegten Urkunden als gänzlich unglaubwürdig abzutun. Um ihre Beweiswürdigung schlüssig zu begründen, hätte sich die belangte Behörde auf der Grundlage des von ihr erwartbaren Hintergrundwissens über das Vorgehen der jugoslawischen Militärbehörden während des damaligen Höhepunktes der Auseinandersetzungen um den zur Heimatregion des Beschwerdeführers benachbarten Kosovo auch mit den von ihm in Faxkopie bzw. im Original vorgelegten Urkunden ausführlicher auseinander setzen müssen. Das Unterbleiben einer solchen Auseinandersetzung ist mit Rücksicht darauf, dass die belangte Behörde ihre Entscheidung nicht etwa auch darauf stützen konnte, dass ungeachtet der Nichtbefolgung einer Einberufung keine asylrelevante Verfolgung drohe, für den Verfahrensausgang von Bedeutung.

Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2001.

Wien, am 16. Juli 2003

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2003:2000010439.X00

Im RIS seit

11.08.2003
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten