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40/01 Verwaltungsverfahren;Norm
AsylG 1991 §1 Z1;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kremla und die Hofräte Dr. Nowakowski, Dr. Pelant, Dr. Köller und Dr. Thoma als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Stieger, über die Beschwerde des B in W, geboren 1980, vertreten durch Dr. Thomas Würzl, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Sonnenfelsgasse 3/1/2b, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 12. Mai 2000, Zl. 213.087/0- IV/29/99, betreffend Zurückweisung eines Asylantrages wegen entschiedener Sache (weitere Partei: Bundesminister für Inneres), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 908,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung des Beschwerdeführers, eines am 26. Juli 1996 in das Bundesgebiet eingereisten, aus dem Kosovo stammenden und der albanischen Volksgruppe zugehörigen Staatsangehörigen der (ehemaligen) Bundesrepublik Jugoslawien, gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 3. September 1999, mit dem sein am 12. April 1999 eingelangter Asylantrag vom 8. April 1999 wegen entschiedener Rechtssache zurückgewiesen worden war, gemäß § 68 Abs. 1 AVG als unbegründet ab.
Zur Begründung dieser Entscheidung führte die belangte Behörde im Wesentlichen aus, der Beschwerdeführer habe am 29. Juli 1996 einen ersten Asylantrag gestellt, der mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 6. August 1996 rechtskräftig abgewiesen worden sei. In diesem Verfahren habe der damals 16-jährige Beschwerdeführer mit der politischen Tätigkeit seines Bruders zusammenhängende Verhöre und Misshandlungen durch die Polizei und das Fehlen einer Möglichkeit zum Schulbesuch im Kosovo geltend gemacht.
Am 7. Juli 1998 habe der Beschwerdeführer einen Zweitantrag gestellt, zu dem er im Wesentlichen angegeben habe, er suche um Asyl an, um in Österreich zur Schule gehen zu können. Dieser Antrag sei mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 18. August 1998 wegen entschiedener Sache zurückgewiesen worden.
Zum verfahrensgegenständlichen dritten Asylantrag vom April 1999 habe der Beschwerdeführer eine am 16. August 1999 eingelangte ergänzende Stellungnahme eingebracht. Bei seiner Einvernahme am 17. August 1999 seien ihm die im Juni 1999 eingetretenen Änderungen der Lage im Kosovo zur Kenntnis gebracht worden.
Das Vorbringen, auf das der Beschwerdeführer seinen dritten Antrag im erstinstanzlichen Verfahren gestützt habe, gab die belangte Behörde wie folgt wieder:
"Der Berufungswerber brachte im Wesentlichen vor, er habe das österreichische Bundesgebiet seit seiner Einreise am 26. Juli 1996 nicht mehr verlassen, er beabsichtige langfristig in Österreich zu bleiben, da er nur hier familiäre Bindungen hätte. Im Vordergrund stehe die Gefährdung in seinem Heimatland, er besuche derzeit in Österreich eine Schule und wolle seine Ausbildung nicht unterbrechen, es sei seine letzte Chance in Bezug auf die Schule. Er stelle diesen Asylantrag, weil sein Leben auf Grund der Minen in Gefahr sei, und er außerdem in Österreich in die Schule gehen möchte. Viele Leute seien bereits durch Minen umgekommen, die Häuser seien im Kosovo zerstört, alle Dörfer seien zerbombt. Weiters habe er nicht vor, in den Kosovo zurückzukehren, er wolle in Österreich bleiben."
Die belangte Behörde traf folgende Feststellungen zum Sachverhalt:
"Festgestellt wird, dass kein neuer entscheidungsrelevanter Sachverhalt gegenüber dem mit Bescheid vom 18.08.1998 rechtskräftig abgeschlossenen Asylverfahren festgestellt werden kann. Die Behörde erster Instanz ist in ihrem Bescheid vom 03.09.1999 hievon bereits richtigerweise ausgegangen."
In rechtlicher Hinsicht begründete die belangte Behörde ihre Entscheidung - im Anschluss an allgemein gehaltene Rechtsausführungen - wie folgt:
"Den Ausführungen des Bundesasylamtes, wonach sich die Situation der Ethnie der Kosovo-Albaner im Kosovo seit der Erlassung des ersten Asylbescheides zwar mehrfach verändert habe, und nur für den Zeitraum von Mitte März 1999 bis 09.06.1999 bis zum Ende der 'ethnischen Säuberungen' die Erlassung eines anders lautenden Bescheides rechtlich geboten gewesen wäre und das Hindernis der entschiedenen Sache damals weggefallen wäre, jedoch der Bescheid zu einem Zeitpunkt erlassen worden sei (03.09.1999), in dem sich der Sachverhalt gegenüber dem früheren Bescheid nicht wesentlich verändert habe, schließt sich der unabhängige Bundesasylsenat an. Für das gegenständliche Verfahren bedeutet dies, da kein neuer entscheidungsrelevanter geänderter Sachverhalt festgestellt werden konnte, dass die Behörde erster Instanz zu Recht den Asylantrag wegen entschiedener Sache zurückgewiesen hat.
Ergänzend wird auf das jüngste Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 03.05.2000, Zl. 99/01/0359-12, verwiesen, wonach der vollständige Abzug der serbischen Verbände im Zusammenwirken mit der militärischen Präsenz der KFOR und der Zeitdauer des UN-Sicherheitsmandates ab dem Zeitpunkt 20. Juni 1999 eine weitere asylrelevante Verfolgung von Angehörigen der albanischen Volksgruppe im Kosovo durch 'Serbien' bzw. die BR Jugoslawien als nachhaltig unwahrscheinlich erscheinen lassen und die für die Ansehung als Flüchtling im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK in der Vergangenheit vorgelegenen Umstände nicht mehr bestehen."
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:
Vorweg ist gegenüber den von der belangten Behörde als relevant erachteten Feststellungen anzumerken, dass als Vergleichsbescheid derjenige Bescheid heranzuziehen ist, mit dem zuletzt materiell in der Sache entschieden wurde (vgl. dazu die Nachweise bei Walter/Thienel, Verwaltungsverfahrensgesetze I2, E 104 und 182 zu § 68 AVG). Die Ansicht, es komme im vorliegenden Fall auf eine Änderung der Sachlage "gegenüber dem mit Bescheid vom 18.08.1998 rechtskräftig abgeschlossenen Asylverfahren" an, steht daher mit Rücksicht darauf, dass der Zweitantrag des Beschwerdeführers wegen entschiedener Sache zurückgewiesen wurde, im Widerspruch zur Rechtslage.
Davon abgesehen handelt es sich bei der Feststellung, es könne "kein neuer entscheidungsrelevanter Sachverhalt" festgestellt werden, aber von vornherein nicht um eine Feststellung, die sich zu dem - im angefochtenen Bescheid gleichfalls nicht ausreichend wiedergegebenen - Sachverhalt, auf den sich der Drittantrag des Beschwerdeführers stützte, inhaltlich in Beziehung setzen ließe. In dieser Hinsicht reicht auch die globale Lagebewertung in den Rechtsausführungen der belangten Behörde nicht aus, um den angefochtenen Bescheid nachvollziehbar zu begründen. Dies insbesondere angesichts des Umstandes, dass der Beschwerdeführer dem Vorhalt eines Wegfalls der asylrelevanten Verfolgungsgefahr für Kosovo-Albaner im Kosovo durch die Lageänderung im Juni 1999 bei seiner Einvernahme am 17. August 1999 wortreich widersprach und der im angefochtenen Bescheid erwähnte, am 16. August 1999 beim Bundesasylamt eingelangte Schriftsatz ein ausführliches, mit einem Konvolut von Beweismitteln verbundenes Vorbringen dazu enthielt, dass die Verfolgungsgefahr auch bei Bedachtnahme auf die Entwicklung im Juni 1999 noch aktuell sei.
Darüber hinaus war in der Berufung des Beschwerdeführers gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 3. September 1999 mit näherer Begründung der Standpunkt vertreten worden, der Beschwerdeführer sei durch die Eskalation der Lage im Kosovo im Zusammenhang mit den "ethnischen Säuberungsaktionen" ab Mitte März 1999, auf die sich sein Drittantrag bezogen habe (vgl. in diesem Zusammenhang das hg. Erkenntnis vom 12. Mai 1999, Zl. 98/01/0365), unabhängig von einem formellen Anerkennungsakt zum Flüchtling "sur place" geworden und verliere die Rechtsstellung als Flüchtling im Sinne der Flüchtlingskonvention - bezogen auf Lageänderungen der ihm vorgehaltenen Art - nur unter den Voraussetzungen des Art. 1 Abschnitt C Z 5 FlKonv (vgl. allgemein zur Bedeutung des Flüchtlingsbegriffs der Flüchtlingskonvention und der Beendigungstatbestände des Art. 1 Abschnitt C FlKonv für die Entscheidung über die Asylgewährung das Erkenntnis vom 15. Mai 2003, Zl. 2001/01/0499). Diese Fragen sind zwar im hg. Erkenntnis vom 3. Mai 2000, Zl. 99/01/0359, in einer die spezifische Situation im Kosovo unter etwas anderen Gesichtspunkten würdigenden Weise behandelt worden, doch lässt sich von einer Entwicklung des Sachverhalts, die solche Fragen aufwirft, nicht sagen, dass ein anderes Verfahrensergebnis "von vornherein ausgeschlossen" sei und die Partei daher auf die Rechtskraft der drei Jahre zuvor unter völlig anderen faktischen Verhältnissen ergangenen Entscheidung verwiesen werden könne (vgl. zum Maßstab für die Wesentlichkeit einer Sachverhaltsänderung etwa die Nachweise in dem hg. Erkenntnis vom 20. März 2003, Zl. 99/20/0480).
Aus spezifisch asylrechtlicher Sicht ist hinzuzufügen, dass die Rechtsfolgen, die das Gesetz an eine Annahme von "res judicata" im Asylverfahren knüpft, vom Gesetzgeber für den Fall einer doppelten Änderung des Sachverhaltes - nämlich zunächst im Sinne eines sich daraus ergebenden Anspruches auf inhaltliche Erledigung eines neuen Antrages und in weiterer Folge im Sinne einer zeitlichen Überholung dieser ersten Änderung - nicht beabsichtigt sein können. Ob die in diesem Sinn jeweils "zweite" Änderung wirklich eingetreten ist, kann in einem Fall wie dem vorliegenden nicht nach den für die Prüfung der Unzulässigkeit von Anträgen wegen entschiedener Sache vorgesehenen Bestimmungen - insbesondere ohne vorläufige Aufenthaltsberechtigung gemäß § 19 AsylG - zu klären sein.
Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2001.
Wien, am 16. Juli 2003
Schlagworte
Zurückweisung wegen entschiedener SacheEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2003:2000010440.X00Im RIS seit
14.08.2003