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10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG);Norm
B-VG Art130 Abs2;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kremla und die Hofräte Dr. Nowakowski, Dr. Pelant, Dr. Köller und Dr. Thoma als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Stieger, über die Beschwerden von 1. FS, 2. AS, 3. HS, 4. KS und 5. SS, alle in D und alle vertreten durch Mag. Klaus P. Pichler, Rechtsanwalt in 6850 Dornbirn, Schillerstraße 17, gegen den Bescheid der Vorarlberger Landesregierung von 25. März 2002, Zl. Ia 370-1168/2000, betreffend Verleihung der Staatsbürgerschaft und Erstreckung derselben, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Das Land Vorarlberg hat den Beschwerdeführern Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.088,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde den Antrag der beschwerdeführenden Parteien, türkische Staatsangehörige, auf Verleihung der Staatsbürgerschaft an den Erstbeschwerdeführer und auf Erstreckung der Verleihung auf seine Ehefrau (Zweitbeschwerdeführerin) sowie auf die drei gemeinsamen Kinder (dritt- bis fünftbeschwerdeführende Parteien) gemäß §§ 10, 11, 11a, 12, 13, 14, 16, 17 und 18 Staatsbürgerschaftsgesetz 1985 (StbG) ab.
Begründend führte sie aus, der Erstbeschwerdeführer sei am 1. Mai 1973 in der Türkei geboren worden und habe dort die Volksschule besucht. Seit 27. Jänner 1989 habe er ununterbrochen seinen Hauptwohnsitz in Österreich, sei zunächst bei verschiedenen Arbeitgebern beschäftigt gewesen, ab April 1991 in einer Spenglerei. Seit 17. Mai 1990 sei er mit der Zweitbeschwerdeführerin verheiratet; aus dieser Ehe entstammten die dritt- bis fünftbeschwerdeführenden Parteien. Erhebungen der Bezirkshauptmannschaft D. hätten ergeben, dass eine mündliche Verständigung mit dem Erstbeschwerdeführer zwar möglich sei, teilweise jedoch nur mit Mühe. Darüber hinaus gehende Fähigkeiten, etwa ein Gespräch zu führen, das für den Gesprächspartner nicht als mühevoll empfunden werde, oder "gar einen vorgegebenen Text zu lesen und eine schriftliche Ausarbeitung zu verfassen, sind nicht vorhanden". Eine Vorsprache des Erstbeschwerdeführers und der Zweitbeschwerdeführerin bei der belangten Behörde hätten dasselbe Ergebnis gebracht. Eine Verbesserung der Sprachkenntnisse habe nicht festgestellt werden können. Die beschwerdeführende Familie habe auch mitgeteilt, dass sie nichts unternommen habe, um ihre Sprachkenntnisse zu verbessern. Der Erstbeschwerdeführer spreche mit den übrigen Familienmitgliedern ausschließlich türkisch; privat habe die beschwerdeführende Familie keinen Kontakt mit der österreichischen Bevölkerung.
Der Erstbeschwerdeführer sei im Jahr 1997 wegen Übertretung der Straßenverkehrsordnung mit einer Geldstrafe von S 2.000,--, im Jahr 1998 wegen einer Übertretung nach dem Führerscheingesetz mit einer Geldstrafe von S 5.000,-- bestraft worden.
In rechtlicher Hinsicht bejahte die belangte Behörde das Vorliegen der Verleihungsvoraussetzungen nach § 10 Abs. 1 StbG, übte jedoch das Ermessen gemäß § 11 StbG zum Nachteil des Beschwerdeführers. Zu Letzterem meinte die belangte Behörde, für den Beschwerdeführer falle positiv ins Gewicht, dass er sich bereits mehr als dreizehn Jahre in Österreich aufhalte und seit fast 10 Jahren beim selben Arbeitgeber beschäftigt sei, sowie dass Verwandte seiner Ehefrau bereits die österreichische Staatsbürgerschaft erhalten hätten. Andererseits sei festgestellt worden, dass der Beschwerdeführer nur über sehr schlechte Deutschkenntnisse verfüge. Kenntnisse der deutschen Sprache, die über die Beantwortung von Fragen hinaus gingen, sodass ein Gespräch mit dem Antragsteller geführt werden könnte, oder gar weiterreichende Fähigkeiten, etwa einen vorgegebenen Text zu lesen oder etwas Schriftliches auszuarbeiten, seien nicht vorhanden. Kontakte zur österreichischen Bevölkerung oder andere Umstände, die in besonderer Weise auf eine Integration hinwiesen, seien nicht geltend gemacht worden und seien auch im Verfahren nicht hervorgekommen. Auf Grund der mangelnden Integration des Erstbeschwerdeführers sei eine Ermessensübung zu seinen Gunsten nicht möglich. Da die Erstreckung der Verleihung der Staatsbürgerschaft nur gemeinsam mit der Verleihung selbst erfolgen könne, seien auch die Erstreckungsanträge abzuweisen gewesen.
Über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde, zu der die belangte Behörde eine Gegenschrift erstattete, hat der Verwaltungsgerichtshof erwogen:
Die belangte Behörde ging davon aus, dass der Erstbeschwerdeführer die Verleihungsvoraussetzungen des § 10 Abs. 1 StbG erfülle. Sie vertrat allerdings die Ansicht, dass sie das ihr damit offen stehende Ermessen im Hinblick auf die Sprachkenntnisse des Erstbeschwerdeführers und der Zweitbeschwerdeführerin nicht zu deren Gunsten üben könne.
Gemäß § 10a StbG sind unter Bedachtnahme auf die Lebensumstände des Fremden jedenfalls entsprechende Kenntnisse der deutschen Sprache Voraussetzungen jeglicher Verleihung.
Bei § 10a StbG handelt es sich um eine - im vorliegenden Fall zu erfüllende -Verleihungsvoraussetzung. Ob sie gegeben ist, ist von der Staatsbürgerschaftsbehörde in "gebundener" Entscheidung zu beurteilen, ein Ermessen kommt ihr insoweit nicht zu. Liegt diese Verleihungsvoraussetzung nicht vor, so kommt eine Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft nicht in Betracht. Umgekehrt steht die Frage dieser Ermessensübung nur dann im Raum, wenn alle sachverhaltsbezogen notwendigen Verleihungsvoraussetzung vorliegen.
Die belangte Behörde hat sich zur Frage, ob die Verleihungsvoraussetzung des § 10a StbG vorliegt, nicht geäußert, sondern die Sprachkenntnisse ausschließlich im Rahmen der Ermessensübung beurteilt. Aus diesem Umstand ist der Schluss zu ziehen, dass die belangte Behörde von der Erfüllung der in Rede stehenden Voraussetzung durch den Erstbeschwerdeführer ausgegangen ist und auf dieser Grundlage ihre Ermessensentscheidung getroffen hat.
Gemäß § 11 StbG hat sich die Behörde unter Bedachtnahme auf das Gesamtverhalten des Fremden bei der Ausübung des ihr in § 10 eingeräumten freien Ermessens von Rücksichten auf das allgemeine Wohl, die öffentlichen Interessen und das Ausmaß der Integration des Fremden leiten zu lassen.
Vom Verwaltungsgerichtshof ist nunmehr zu überprüfen, ob die belangte Behörde von dem ihr durch § 11 StbG eingeräumten Ermessen innerhalb der vom Gesetzgeber gezogenen Grenzen Gebrauch gemacht hat (vgl. etwa das Erkenntnis vom 17. Juni 2000, Zl. 98/01/0120, mwN).
Im Beschwerdefall hat die belangte Behörde eine Reihe integrationsbegründender Umstände festgestellt. Dazu gehört, dass der Erstbeschwerdeführer seit vielen Jahren in einem Beschäftigungsverhältnis steht, dass seine Ehefrau und die drei gemeinsamen Kinder mit ihm in Österreich leben und dass - nach der Aktenlage - "eine westliche Orientierung ... auf Grund seiner Wohnungseinrichtung gegeben zu sein (scheint)". Zudem haben auch noch Verwandte der Zweitbeschwerdeführerin bereits die österreichische Staatsbürgerschaft erhalten. Insgesamt vermag der Erstbeschwerdeführer damit auf ein hohes Maß an Integration zu verweisen, was in Anbetracht der klar geäußerten Absichten des Gesetzgebers der Staatsbürgerschaftsgesetz-Novelle 1998 gewichtig für die Verleihung der Staatsbürgerschaft spricht (vgl. das Erkenntnis vom 18. Februar 2003, Zl. 2002/01/0014).
Als Integrationshindernis sieht die belangte Behörde jedoch die von ihr als "schlecht" beurteilten Deutschkenntnisse des Erstbeschwerdeführers, obwohl nach den Feststellungen eine "mündliche Verständigung" mit ihm möglich sei, "teilweise jedoch nur mit Mühe". Nach der Aktenlage müsste der Erstbeschwerdeführer "für geringfügige Amtsgeschäfte" keinen Dolmetscher beiziehen. Solche Kenntnisse der deutschen Sprache sind aber - auch in Anbetracht seines beruflichen Umfeldes - nicht geeignet, einer Integration des Erstbeschwerdeführers entgegen zu stehen. Anders als die belangte Behörde meint, bedarf es nicht der Fähigkeit eines Einbürgerungswerbers, ein Gespräch zu führen, das für den Gesprächspartner nicht als mühevoll empfunden wird. Nicht nachvollziehbar ist die Einschätzung der belangten Behörde, dem Erstbeschwerdeführer mangle es auch an den Fähigkeiten "einen vorgegebenen Text zu lesen und eine schriftliche Ausarbeitung zu verfassen", zumal er nach der Aktenlage zum vorgegebenen Thema "Ein Arbeitstag" einen durchaus verständlichen und zum Thema passenden kurzen Aufsatz niederschrieb; eine nähere Begründung für das angebliche Fehlen der erstgenannten Fähigkeit findet sich im angefochtenen Bescheid nicht.
Nach dem Gesagten hat die belangte Behörde im Rahmen ihrer Erwägungen zur Ermessensübung den Maßstab für das Ausmaß der Sprachkenntnisse im Hinblick auf die Integration des Beschwerdeführers verkannt, weshalb - andere integrationshindernde Umstände sind nicht hervorgekommen - das Ermessen nicht im Sinne des Gesetzes geübt wurde.
Der angefochtene Bescheid ist demnach sowohl hinsichtlich der Abweisung des Verleihungsantrages des Erstbeschwerdeführers als auch hinsichtlich der - daraus abgeleiteten - Abweisung der Erstreckungsanträge der zweit- bis fünftbeschwerdeführenden Parteien mit Rechtswidrigkeit seines Inhaltes belastet, weshalb er gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben war.
Der Spruch über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2001.
Wien, am 16. Juli 2003
Schlagworte
Ermessen besondere RechtsgebieteEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2003:2002010186.X00Im RIS seit
18.08.2003