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20/01 Allgemeines bürgerliches Gesetzbuch (ABGB);Norm
ABGB §1151;Beachte
Miterledigung (miterledigt bzw zur gemeinsamen Entscheidung verbunden): 2000/08/0065Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Bernard und die Hofräte Dr. Müller, Dr. Sulyok, Dr. Köller und Dr. Moritz als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Müller, über die Beschwerden des M in W, vertreten durch Dr. Tassilo Neuwirth u.a., Rechtsanwälte in 1010 Wien, Petersplatz 3, gegen die auf Grund eines Beschlusses des Ausschusses für Leistungsangelegenheiten ausgefertigten Bescheide der Landesgeschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Wien vom 15. März 2000, jeweils Zl. LGSW Abt. 10-AlV/1218/56/1999- 362, betreffend Widerruf und Rückforderung von Notstandshilfe (hg. Zl. 2000/08/0064) sowie betreffend Widerruf und Rückforderung von Arbeitslosengeld (hg. Zl. 2000/08/0065), zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerden werden als unbegründet abgewiesen.
Der Beschwerdeführer hat dem Bund (Bundesminister für Wirtschaft und Arbeit) Aufwendungen in der Höhe von EUR 712,30 zu ersetzen; das Mehrbegehren wird abgewiesen.
Begründung
Mit den in Beschwerde gezogenen Berufungsbescheiden hat die belangte Behörde - in Bestätigung der erstinstanzlichen Bescheide und gestützt auf die §§ 24 Abs. 2 und 25 Abs. 1 AlVG - die Zuerkennung des Arbeitslosengeldes an den Beschwerdeführer für den Zeitraum vom 9. Mai 1993 bis 4. Dezember 1993 widerrufen und den unberechtigt empfangenen Betrag in der Höhe von S 87.045,-- zurückgefordert sowie die Zuerkennung von Notstandshilfe an den Beschwerdeführer im Zeitraum vom 5. Dezember 1993 bis 31. Juli 1995 widerrufen und den unberechtigt empfangenen Betrag an Notstandshilfe in der Höhe von S 185.476,-- zurückgefordert.
Der für die Entscheidung der belangten Behörde wesentliche - und auch in der Beschwerde nicht bestrittene - Sachverhalt lässt sich wie folgt zusammenfassen:
Der Beschwerdeführer war bei einem Versicherungsunternehmen beschäftigt, als sein Dienstverhältnis im Zuge einer Fusion dieses Unternehmens mit Wirkung vom 31. März 1993 durch Kündigung beendet wurde. Der Beschwerdeführer erhielt daran anschließend für 28,5 Arbeitstage Urlaubsentschädigung und im Anschluss daran - antragsgemäß - vom 9. Mai 1993 bis 4. Dezember 1993 Arbeitslosengeld sowie im Zeitraum vom 5. Dezember 1993 bis 31. Juli 1995 (auf Grund mehrerer Anträge) Notstandshilfe.
Der Beschwerdeführer hat gegen seine Kündigung Klage beim Arbeits- und Sozialgericht Wien erhoben, wobei er ein Feststellungsbegehren erhob, dass das Dienstverhältnis zum Versicherungsunternehmen über den 31. März 1993 hinaus in ungekündigtem Zustand weiter bestehe, hilfsweise auf Feststellung der Unwirksamkeit der am 29. September 1992 zum 31. März 1993 ausgesprochenen Kündigung. Mit Urteil des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien vom 15. Oktober 1993 wurde zunächst festgestellt, dass das Dienstverhältnis des Beschwerdeführers über den 31. März 1993 hinaus in ungekündigtem Zustand weiter aufrecht bestand. Dieses Urteil wurde mit Beschluss des Oberlandesgerichtes Wien vom 5. Dezember 1994 aufgehoben. Die Rechtssache wurde zur ergänzenden Verhandlung und neuerlichen Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen. Der gegen diesen Aufhebungsbeschluss erhobene Rekurs an den Obersten Gerichtshof blieb erfolglos.
Im fortgesetzten Verfahren wurde zunächst Ruhen des Verfahrens vereinbart und sodann zwischen dem Beschwerdeführer und der Versicherungsgesellschaft ein außergerichtlicher Vergleich des Inhaltes geschlossen, dass die Versicherungsgesellschaft an den Beschwerdeführer einen Bruttobetrag von S 1,2 Mio zu bezahlen hatte, womit sämtliche Rechtsansprüche zwischen den Parteien verglichen wurden; mit Zahlung dieses Betrages sollte im anhängig gewesenen Gerichtsverfahren ewiges Ruhen eintreten. Dieser Betrag wurde sowohl lohnversteuert als auch - so die belangte Behörde in ihrer Bescheidbegründung - der "Sozialversicherung unterworfen". Auf Grund dessen wurde - nach den insoweit von der belangten Behörde herangezogenen Daten beim Hauptverband der Sozialversicherungsträger - die Pflichtversicherung des Beschwerdeführers nach dem ASVG bis 31. Juli 1995 verlängert.
Auf der Grundlage dieses Sachverhaltes erachtete die belangte Behörde die Voraussetzungen des Widerrufs und der Rückforderung von Arbeitslosengeld und Notstandshilfe im Zeitraum der Verlängerung der Pflichtversicherung bis 31. Juli 1995 als rechtlich begründet.
Gegen diese Bescheide richten sich die vorliegenden, Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machenden Beschwerden.
Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und Gegenschriften erstattet, in denen sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerden beantragt.
Der Verwaltungsgerichtshof hat die Beschwerden auf Grund ihres sachlichen und persönlichen Zusammenhanges zur gemeinsamen Entscheidung verbunden und darüber erwogen:
Soweit der Beschwerdeführer unter dem Gesichtspunkt der Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend macht, dass die Bescheide vom 15. März 2000 nicht dem rechtsfreundlichen Vertreter, sondern unzulässigerweise dem Beschwerdeführer selbst zugestellt worden seien, räumt die Beschwerde selbst ein, dass die Bescheide in der Folge dem Beschwerdevertreter übergeben worden sind, womit ein allfälliger Zustellmangel gemäß § 7 des Zustellgesetzes geheilt und die Bescheide als ordnungsgemäß erlassen anzusehen sind. Die Beschwerden sind daher zulässig. Eine Rechtswidrigkeit der angefochtenen Bescheide könnte im Übrigen aus einem solchen Zustellmangel keinesfalls abgeleitet werden.
Unter dem Gesichtspunkt der Rechtswidrigkeit des Inhaltes bestreitet der Beschwerdeführer die Berechtigung des Widerrufs und der Rückforderung der in Rede stehenden Geldleistungen aus der Arbeitslosenversicherung im Wesentlichen mit der Begründung, dass gemäß § 12 Abs. 8 AlVG als arbeitslos gelte, wer auf Grund eines allenfalls auch ungerechtfertigten Ausspruches über die Lösung seines einen Kündigungs- oder Entlassungsschutz genießenden Dienstverhältnisses nicht beschäftigt wird, und zwar bis zu dem Zeitpunkt, in dem durch die zuständige Behörde das allfällige Weiterbestehen des Beschäftigungsverhältnisses rechtskräftig entschieden oder vor der zuständigen Behörde ein Vergleich geschlossen wurde. Der im Gesetz genannte Zeitpunkt sei im Falle des Beschwerdeführers niemals eingetreten, weil weder eine rechtskräftige Entscheidung über das Weiterbestehen eines Beschäftigungsverhältnisses vorliege noch vor einer Behörde ein Vergleich geschlossen worden sei.
Zunächst ist dem Beschwerdeführer entgegenzuhalten, dass die - in der Beschwerde richtig wiedergegebene - Bestimmung des § 12 Abs. 8 AlVG auf ihn nicht anwendbar gewesen ist, weil unter dem in dieser Bestimmung genannten Kündigungsschutz nur ein besonderer Kündigungsschutz, nicht aber auch der allgemeine Kündigungsschutz im Sinne des § 105 ArbVG zu verstehen ist. Die Materialien zur AlVG-Novelle BGBl. Nr. 261/1967, mit welcher diese Bestimmung (damals: als § 12 Abs. 10 AlVG 1958) erstmals in das AlVG eingeführt worden ist, führen nämlich dazu aus, dass "jedes Dienstverhältnis, das einen Kündigungs- und Entlassungsschutz genießt und - wenn auch ungerechtfertigt - gelöst wird, ... vorerst eine tatsächliche Beendigung der Beschäftigung" bewirke. Erst die Entscheidung der zuständigen Behörde bzw. ein Vergleich vor dieser Behörde schaffe endgültig Klarheit über den allfälligen Weiterbestand des Dienstverhältnisses. Sei ein "geschütztes Dienstverhältnis" gelöst worden, könne das Verfahren nicht bis zur Klärung der Rechtslage ausgesetzt, sondern es müsse das Vorliegen von Arbeitslosigkeit zunächst bejaht werden (vgl. 542 BlgNR, XI. GP, 5). Dem hat sich auch die Literatur angeschlossen (vgl. Dirschmied, Arbeitslosenversicherungsrecht3, § 12 Anm. 5.2.). Darüber hinaus garantiert § 12 Abs. 8 AlVG nicht, dass der betreffende Arbeitslose unter allen Umständen im Besitz einer in diesem Zeitraum gewährten Geldleistung aus der Arbeitslosenversicherung verbleiben muss, wenn sich nachträglich herausstellt, dass die Geldleistung nicht oder nicht in dieser Höhe gebührte.
§ 25 Abs. 1 zweiter Satz AlVG ordnete in seiner Stammfassung (Art. I Z. 6 des BGBl. Nr. 261/1967) zwar eine Rückzahlungsverpflichtung bezogen auf die Fälle des seinerzeitigen
§ 12 Abs. 10 AlVG 1958 nur für den Fall an, dass von der "zuständigen Behörde entschieden oder durch einen Vergleich vor der zuständigen Behörde festgestellt wurde, dass das Beschäftigungsverhältnis weiterbesteht". Diese Rückforderungsbestimmung wurde jedoch durch die AlVG-Novelle 1989 (Art. I Z. 11 des BGBl. Nr. 364/1989) dahin erweitert, dass die Verpflichtung zum Rückersatz nunmehr auch "in allen Fällen" besteht, "in denen rückwirkend das Bestehen eines Beschäftigungsverhältnisses festgestellt oder vereinbart wird". Die Materialien begründen dies damit, dass mit der früheren Formulierung "nicht alle möglichen Fälle einer Fortsetzung des Beschäftigungsverhältnisses erfasst werden und sohin für einen Zeitraum sowohl Entgelt als auch Arbeitslosengeld gebühren kann". Es solle daher nunmehr "jede rückwirkende Feststellung oder Vereinbarung über das Bestehen eines Beschäftigungsverhältnisses die Arbeitsmarktverwaltung zur Rückforderung der erbrachten Leistung" berechtigen (vgl. RV 986 BlgNR XVII. GP, 13).
In diesem Zusammenhang ist daher in rechtlicher Hinsicht wesentlich, dass nach den Feststellungen der belangten Behörde - ein gegenteiliges Vorbringen hat der Beschwerdeführer weder im Verwaltungsverfahren noch in der Beschwerde erstattet - die Parteien des gerichtlichen Verfahrens zwar keinen Vergleich darüber geschlossen haben, dass das Arbeitsverhältnis des Beschwerdeführers verlängert wurde (es blieb bei der Kündigung zum 31. März 1993), wohl aber wurde die Zahlung einer Entschädigungssumme in der Höhe von S 1,2 Mio brutto vereinbart, hinsichtlich derer der seinerzeitige Dienstgeber sowohl die Lohnsteuer als auch die Sozialversicherungsbeiträge entrichtet hat, und zwar - nach der Aktenlage - auf der Grundlage eines Entgeltfortzahlungsanspruches für den Zeitraum bis 31. Juli 1995.
Wird ein gerichtlicher oder außergerichtlicher Vergleich über den dem Dienstnehmer nach Beendigung des Dienstverhältnisses gebührenden Arbeitslohn oder Gehalt abgeschlossen, so verlängert sich gemäß § 11 Abs. 2 ASVG die Pflichtversicherung um den Zeitraum, der durch den Vergleichsbetrag (Pauschbetrag) nach Ausscheidung allfälliger gemäß § 49 ASVG nicht zum Entgelt im Sinne dieses Bundesgesetzes gehörender Bezügen, gemessen an den vor dem Ausscheiden aus der Beschäftigung gebührenden Bezügen, gedeckt ist. Die Pflichtversicherung besteht auch weiter für die Zeit eines Bezuges einer Ersatzleistung für Urlaubsentgelt sowie für die Zeit des Bezuges einer Kündigungsentschädigung.
Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes sind derartige Vergleichssummen als Entgelt aus dem Arbeitsverhältnis im Sinne des § 49 Abs. 1 ASVG anzusehen, sofern es sich nicht ausdrücklich um Entgelt im Sinne des § 49 Abs. 3 ASVG handelt, welches von der Beitragspflicht ausgenommen ist, wie etwa die Gewährung einer Abgangsentschädigung (vgl. dazu aus jüngster Zeit die Erkenntnisse vom 23. April 2003, Zl. 2000/08/0045, und vom 14. Mai 2003, Zl. 2000/08/0103).
Eine Widmung der Vergleichssumme als Abgangsentschädigung wurde von den Parteien des außergerichtlichen Vergleiches aber offenkundig nicht vorgenommen. Dies wird auch durch den Umstand erhärtet, dass der Beschwerdeführer im Verwaltungsverfahren nicht vorgebracht hat, dass sein ehemaliger Dienstgeber in der abgabenrechtlichen Behandlung der Vergleichssumme vereinbarungswidrig vorgegangen wäre.
War der Beschwerdeführer aber als Ergebnis dieser Vereinbarung im strittigen Bezugszeitraum gemäß § 11 Abs. 2 ASVG vollversichert, so ist schon aus diesem Grund die ursprünglich bestandene Arbeitslosigkeit nachträglich weggefallen (zur rechtlichen Unvereinbarkeit des Bestehens einer Pflichtversicherung nach ASVG neben Arbeitslosigkeit vgl. das Erkenntnis vom 30. Juni 1998, Zl. 98/08/0129).
Die belangte Behörde war daher berechtigt, auf Grund des vom Beschwerdeführer abgeschlossenen Vergleichs gemäß § 24 Abs. 2 AlVG die Geldleistungen aus der Arbeitslosenversicherung zu widerrufen.
Wie der Verwaltungsgerichtshof darüber hinaus bereits in seinem Erkenntnis vom 14. März 2001, Zl. 2000/08/0178, entschieden hat, muss in jenen Fällen, in denen der Gesetzgeber sogar die Rückforderung zuerkannter Leistungen erlaubt und dabei auch den Schutz des guten Glaubens nicht gewährt, auch die Richtigstellung der Leistung (bis hin zum Widerruf) zulässig sein. Dies ist auch bei einer Entgeltnachzahlung im Sinne des § 25 Abs. 1 zweiter Satz AlVG der Fall:
Es kann für einen Zeitraum, in dem ein Beschäftigungsverhältnis tatsächlich nicht bestanden hat, eine nachträgliche Vereinbarung eines Beschäftigungsverhältnisses im Sinne der vorgenannten Bestimmung nur in der Weise geschehen, dass entweder die Dauer des Arbeitsverhältnisses entsprechend verlängert wird (woraus sich dann der auf § 1151 ABGB gegründete Entgeltanspruch des Dienstnehmers ergibt) oder dass zwar am früheren Beendigungszeitpunkt festgehalten, der Dienstnehmer aber im Ergebnis so gestellt wird, als wäre er in einem weiteren Zeitraum beschäftigt gewesen, d.h. dass ihm sein Entgeltanspruch für diesen weiteren Zeitraum so gewährt wird, als ob eine Beschäftigung stattgefunden hätte oder nur aus einem Grund im Sinne des § 1155 ABGB unterblieben wäre.
So ist aber die zwischen dem Beschwerdeführer und der Versicherungsgesellschaft getroffene Vereinbarung zu deuten:
Ungeachtet dessen, dass die Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch Kündigung zum 31. März 1993 aufrecht erhalten wurde, hat die Versicherungsgesellschaft den Beschwerdeführer (vereinbarungskonform) so gestellt, als wäre er im Streitzeitraum bis 31. Juni 1995 in einem Beschäftigungsverhältnis gestanden. Damit wurde aber im Sinne des vorstehend Gesagten das Bestehen eines Beschäftigungsverhältnisses rückwirkend vereinbart, weshalb auch der Rückforderungstatbestand des § 25 Abs. 1 zweiter Satz AlVG vorliegt.
Die Beschwerden erweisen sich daher sowohl hinsichtlich des Widerrufs als auch hinsichtlich der Rückforderung der Geldleistungen als unbegründet; sie waren daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. II Nr. 333/2003. Das Mehrbegehren, gerichtet auf Ersatz des Vorlageaufwandes in beiden Beschwerdefällen war abzuweisen, da die belangte Behörde den Verwaltungsakt zu beiden Beschwerdefällen in einem Vorgang vorgelegt hat. Der Vorlageaufwand ist daher nur einmal entstanden.
Wien, am 13. August 2003
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2003:2000080064.X00Im RIS seit
11.09.2003Zuletzt aktualisiert am
07.10.2008