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90/02 Führerscheingesetz;Norm
FSG 1997 §24 Abs4 idF 2002/I/065;Beachte
Miterledigung (miterledigt bzw zur gemeinsamen Entscheidung verbunden): 2002/11/0162Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Waldner und die Hofräte Dr. Graf, Dr. Gall, Dr. Pallitsch und Dr. Schick als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Runge, über die Beschwerden des H in G, vertreten durch Dr. Peter Hoffmann-Ostenhof, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Seilergasse 16, gegen 1.) den Bescheid des Landeshauptmannes von Steiermark vom 24. August 2001, Zl. 11 - 39 - 1347/01 - 14, betreffend Aufforderung zur Beibringung eines amtsärztlichen Gutachtens (hg. Zl. 2002/11/0103), und 2.) den Bescheid des Landeshauptmannes von Steiermark vom 12. Juni 2002, Zl. FA 13B - 39 - 1347/01 - 27, betreffend Entziehung der Lenkberechtigung (hg. Zl. 2002/11/0162), zu Recht erkannt:
Spruch
Die angefochtenen Bescheide werden wegen Rechtswidrigkeit ihres Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von jeweils EUR 1.171,20, insgesamt also EUR 2.342,40, binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Am 11. Oktober 2000 erstattete die Bundespolizeidirektion Graz, Wachzimmer Lendplatz, eine Anzeige gegen den Beschwerdeführer, der ein Vorfall vom 26. September 2000 zu Grunde lag. Danach habe der Beschwerdeführer seinen Pkw vor einer deutlich erkennbaren Grundstückseinfahrt zum Halten abgestellt und sich in ein nahe gelegenes Geschäft begeben. Eine Person, die sich dadurch an der Ausfahrt gehindert sah, verständigte ein in der Nähe auf Streife befindliches Organ der Bundespolizeidirektion Graz. Als der Beschwerdeführer nach wenigen Minuten zu seinem Pkw zurückgekommen sei, habe ihn der Polizeibeamte zur Aushändigung des Führerscheines und des Zulassungsscheines aufgefordert, worauf der Beschwerdeführer erwidert habe, er händige nicht jedem seine Papiere aus. Erst als ihm zu verstehen gegeben worden sei, dass er von der Polizei kontrolliert werde, habe er die Dokumente ausgehändigt und angegeben, er habe den einschreitenden Polizeibeamten nicht an der Uniform erkannt. In der Anzeige wird daraus der Schluss gezogen, dass der Beschwerdeführer schlecht sehe. Der Beschwerdeführer habe "objektiv gesehen" laut gesprochen, was ebenfalls auf ein körperliches Gebrechen (Schwerhörigkeit) schließen lasse. Der Beschwerdeführer habe sich uneinsichtig gezeigt und die Aufforderung, wegzufahren bzw. ein Stück vorzufahren, damit die Anzeigerin endlich die Ausfahrt ungehindert benützen könne, nicht sofort befolgt, sondern ein Blatt Papier und einen Kugelschreiber aus dem Fahrzeug genommen und das Kennzeichen der Anzeigerin notiert. Nach Wiederholung der Aufforderung habe er auf der Bekanntgabe der Dienstnummer des einschreitenden Polizeibeamten bestanden und diese notiert. Es seien ca. zwei Minuten vergangen, bis der Beschwerdeführer weggefahren sei. Auf Grund des geschilderten Sachverhaltes sei die gesundheitliche Eignung im Sinne des § 8 FSG fraglich und werde die Überprüfung durch den Amtsarzt angeregt.
Auf der Anzeige findet sich ein handschriftlicher Vermerk des Polizeiarztes, wonach die Sehleistung und die ausreichende gesundheitliche Eignung fraglich seien.
Mit Bescheid vom 20. Oktober 2000 forderte die Bundespolizeidirektion Graz den Beschwerdeführer auf, innerhalb von vier Monaten ab Rechtskraft des Bescheides ein von einem Amtsarzt erstelltes Gutachten gemäß § 8 FSG beizubringen. In der Begründung wurde auf die Anzeige vom 11. Oktober 2000 hingewiesen, die dem Amtsarzt vorgelegt worden sei. Dieser erachte die amtsärztliche Untersuchung wegen des Verdachtes einer fraglichen gesundheitlichen Eignung sowie einer fraglichen herabgesetzten Sehleistung für notwendig. Es bestünden daher begründete Bedenken, ob die Voraussetzungen für die Erteilung der Lenkberechtigung noch gegeben seien.
Der Beschwerdeführer erhob gegen diesen Bescheid Berufung, in der er u.a. ausführte, ihm sei die Anzeige nicht vorgelegt worden. Der Bescheid sei zudem nicht nachvollziehbar begründet. Die Ausfahrt aus dem Grundstück wäre möglich gewesen. Aus der gesamten Anzeige ergebe sich, dass der Beschwerdeführer keinesfalls schlecht sehe oder höre. Er gehe regelmäßig zur ärztlichen Kontrolle. Er habe in den letzten Jahren zwei erfolgreiche Augenoperationen gegen grauen Star durchführen lassen. Er brauche keine Brille zu tragen. Die letzte Kontrolle der Augen sei durch den Facharzt Dr. F. im Jänner 2000 erfolgt.
Mit Schreiben vom 11. November 2000 legte der Beschwerdeführer einen Laborbefund eines Facharztes für Innere Medizin vom 18. Jänner 2000 sowie eine Bestätigung des Augenfacharztes Dr. F. vom 10. November 2000 vor, wonach das Sehvermögen bei der letzten Kontrolle am 11. Jänner 2000 rechts mit + 1,25s 0,8 und links mit + 1,0s 0,8 betragen habe.
Über Ersuchen der belangten Behörde wurde am 5. Februar 2001 der Meldungsleger als Zeuge vernommen. Dabei erklärte er, die Angaben in der Anzeige vollinhaltlich aufrecht zu erhalten.
Die belangte Behörde ersuchte mit Schreiben vom 25. April 2001 die Fachabteilung für Gesundheitswesen um eine ärztliche Stellungnahme, "ob die Aufforderung gemäß § 24 Abs. 4 FSG 1997 medizinischerseits gerechtfertigt ist".
Die ärztliche Amtssachverständige Dr. W. führte in ihrer Stellungnahme vom 20. Juni 2001 aus, nach der Anzeige und den Angaben des Meldungslegers habe der Beschwerdeführer außergewöhnlich laut gesprochen und habe offenbar die Polizeiuniform nicht erkannt. Dies lasse den Verdacht einer Minderung des Hörvermögens und der Sehkraft zu, was bei einem 81- Jährigen auch nicht ungewöhnlich wäre. Der vorgelegte augenfachärztliche Befund datiere vom 11. Jänner 2000 und sei somit mehr als ein Jahr alt. Es werde darin auch nur ein Sehvermögen von 0,8 auf beiden Augen attestiert, ansonsten fänden sich keine Angaben, insbesondere fänden sich keine Hinweise auf einen grauen Star (der z.B. auch bei normgerechter Sehleistung das Dämmerungssehen massiv beeinträchtigen könne) bzw. stattgefundene Staroperationen. Abklärungswürdig sei auch das Verhalten des Beschwerdeführers, das keinesfalls der Norm entspreche, für reduziertes Normenbewusstsein, verminderte soziale Rücksichtnahme, erhöhte Konfliktbereitschaft, Uneinsichtigkeit mit fehlender Selbstkritik, Gleichgültigkeit gegenüber negativen Verhaltenskonsequenzen spreche und durchaus den Verdacht auf ein verkehrspsychologisch auffälliges Verhalten erwecke. Die Aufforderung erscheine auf Grund der vorliegenden Fakten gerechtfertigt.
Der Beschwerdeführer führte dazu in seiner Äußerung vom 13. Juli 2001 aus, der Sachverhalt werde unrichtig wiedergegeben. Er habe stets behauptet, dass seiner Ansicht nach genügend Platz zum Wegfahren vorhanden gewesen sei. Der Umstand, dass die angeblich behinderte Lenkerin ihm gegenüber aggressiv geworden sei, werde von der Sachverständigen völlig missachtet. Das Vorbringen seines Vertreters im Verfahren könne nicht als Grund für das Fehlen der verkehrspsychologischen Zuverlässigkeit des Beschwerdeführers angesehen werden. Selbst wenn der Beschwerdeführer die ihm angelasteten Übertretungen begangen hätte, bestünde die Konsequenz in einer Verwaltungsstrafe. Die Vorwürfe des Gutachtens stünden zudem im Widerspruch zum tadellosen Verhalten des Beschwerdeführers vor und seit dem Vorfall vom 26. September 2000.
Mit dem erstangefochtenen Bescheid vom 24. April 2001 (dem Vertreter des Beschwerdeführers zugestellt am 4. September 2001) wies die belangte Behörde die Berufung des Beschwerdeführers gegen den Bescheid der Bundespolizeidirektion Graz vom 20. Oktober 2000 ab. In der Begründung führte sie aus, hinsichtlich der Frage, ob durch den Pkw des Beschwerdeführers die Ausfahrt aus dem Grundstück unmöglich gemacht worden sei, schließe sie sich den Angaben des als Zeugen vernommenen Meldungslegers an. Die vom Beschwerdeführer beigebrachten Befunde Dris. G. und Dris. F. könnten eine amtsärztliche Untersuchung nicht ersetzen, zumal diese Bestätigungen bzw. Befunde nur einen Teilbereich der gesundheitlichen Eignung zum Lenken von Kraftfahrzeugen abdeckten. Die Stellungnahme der ärztlichen Amtssachverständigen sei schlüssig und nachvollziehbar. Der in der Stellungnahme des Beschwerdeführers vom 13. Juli 2001 enthaltene Hinweis auf die Auskunftserteilung durch Dr. G. sei nicht geeignet, die Beurteilung der gesundheitlichen Eignung durch den Amtsarzt zu ersetzen. Außerdem ergebe sich aus der ärztlichen Stellungnahme, dass ein verkehrspsychologisch auffälliges Verhalten vorliege, "das nur im Rahmen einer verkehrspsychologischen Untersuchung festgestellt werden kann". Das Gleiche gelte für die vorgelegten Laborbefunde. Das Verhalten der Lenkerin des anderen Fahrzeuges bei dem Vorfall vom 26. September 2000 sei für das vorliegende Verfahren nicht relevant.
Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer zunächst Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof. Mit Beschluss vom 7. November 2001, B 1388/01-5, wies der Verfassungsgerichtshof den Antrag auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung ab, weil der Beschwerdeführer sein Interesse an der Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung nicht hinreichend konkretisiert habe.
Am 4. Jänner 2002 erschien der Beschwerdeführer in Begleitung seines Vertreters beim Amtsarzt der Erstbehörde zur Untersuchung. Nach dem Inhalt eines Aktenvermerkes von diesem Tag wurde dem Beschwerdeführer mitgeteilt, dass das Studium des Aktes erforderlich sei und er zu einem anderen Termin bestellt werde.
Mit Bescheid vom 17. Jänner 2002 entzog die Bundespolizeidirektion Graz dem Beschwerdeführer gemäß § 26 Abs. 5 FSG die Lenkberechtigung für die Klassen A, B, C1, F und G bis zur Beibringung des Gutachtens gemäß § 8 FSG. In der Begründung wurde ausgeführt, dass dem im Instanzenzug ergangenen rechtskräftigen Aufforderungsbescheid keine Folge geleistet worden sei, weshalb gemäß § 26 Abs. 5 FSG mit der Entziehung der Lenkberechtigung vorzugehen gewesen sei.
Mit Beschluss vom 26. Februar 2002, B 1388/01-7, lehnte der Verfassungsgerichtshof die Behandlung der Beschwerde gegen den Bescheid der belangten Behörde vom 24. August 2001 ab und trat die Beschwerde mit Beschluss vom 7. Mai 2002, B 1388/01-9, gemäß Art. 144 Abs. 3 B-VG dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung ab.
Diese (zu hg. Zl. 2002/11/0103 protokollierte) Beschwerde wurde vom Beschwerdeführer im Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof ergänzt.
Mit Bescheid vom 12. Juni 2002 wies die belangte Behörde die Berufung des Beschwerdeführers gegen den erstinstanzlichen Entziehungsbescheid vom 17. Jänner 2002 ab. In der Begründung führte die belangte Behörde aus, der Beschwerdeführer sei am 4. Jänner 2002, somit am letzten Tag der gemäß § 26 Abs. 5 FSG zur Verfügung stehenden Frist von vier Monaten, bei der Amtsärztin erschienen. Nach der Äußerung der Amtsärztin vom 29. März 2002 sei ihm die Notwendigkeit der Beibringung eines augenfachärztlichen Befundes mitgeteilt worden. Da der Beschwerdeführer erst am letzten Tag der Frist beim Amtsarzt erschienen sei, sei es ihm zuzurechnen, dass es ihm trotz nachgewiesener Aufforderung zur Beibringung eines augenfachärztlichen Befundes nicht gelungen sei, am letzten Tag dieser Frist diesen vorzulegen. Sache einer Entziehung der Lenkberechtigung gemäß § 26 Abs. 5 FSG sei ausschließlich die Klärung der Frage, ob der Betreffende der Aufforderung nachgekommen ist. Eine verspätete Vorlage von Befunden könne nichts an der Tatsache ändern, dass die Erstbehörde nach Ablauf der Frist die Entziehung der Lenkberechtigung auszusprechen hatte.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die zu Zl. 2002/11/0162 protokollierte Beschwerde.
Die belangte Behörde hat die Akten des Verwaltungsverfahrens vorgelegt und im Verfahren Zl. 2002/11/0103 eine Gegenschrift erstattet.
Der Verwaltungsgerichtshof hat die Beschwerdefälle wegen ihres sachlichen Zusammenhanges zur gemeinsamen Beratung und Entscheidung verbunden und darüber erwogen:
Für die Beschwerdefälle sind folgende Bestimmungen des Führerscheingesetzes - FSG (in der von der belangten Behörde anzuwendenden Fassung vor der 5. Führerscheingesetz-Novelle, BGBl. Nr. 81/2002) maßgebend:
"Allgemeine Voraussetzungen für die Erteilung einer Lenkberechtigung
§ 3. (1) Eine Lenkberechtigung darf nur Personen erteilt werden, die:
...
3. gesundheitlich geeignet sind, ein Kraftfahrzeug zu lenken (§§ 8 und 9),
...
Gesundheitliche Eignung
§ 8. ...
...
(2) Sind zur Erstattung des ärztlichen Gutachtens besondere Befunde oder im Hinblick auf ein verkehrspsychologisch auffälliges Verhalten eine Stellungnahme einer verkehrspsychologischen Untersuchungsstelle erforderlich, so ist das ärztliche Gutachten von einem Amtsarzt zu erstellen; der Antragsteller hat diese Befunde oder Stellungnahmen zu erbringen. Wenn im Rahmen der amtsärztlichen Untersuchung eine sichere Entscheidung im Hinblick auf die gesundheitliche Eignung nicht getroffen werden kann, so ist erforderlichenfalls eine Beobachtungsfahrt anzuordnen.
...
(6) Der Bundesminister für Wissenschaft und Verkehr hat im Einvernehmen mit dem Bundesminister für Arbeit, Gesundheit und Soziales nach den Erfordernissen der Verkehrs- und Betriebssicherheit, dem jeweiligen Stand der medizinischen Wissenschaft und der Technik entsprechend, durch Verordnung die näheren Bestimmungen festzusetzen über:
1. die ärztliche Untersuchung und die Erstellung des ärztlichen Gutachtens (Abs. 1 und 2); hiebei ist auch festzusetzen, unter welchen Bedingungen oder Beschränkungen Personen, bei denen bestimmte Leiden oder Gebrechen vorliegen, als zum Lenken von Kraftfahrzeugen geeignet zu gelten haben (Abs. 3 Z 2 und 3);
2. die verkehrspsychologische Untersuchung (Abs. 2) und die zu erfüllenden Mindesterfordernisse für den Nachweis der verkehrspsychologischen Eignung;
...
5. Abschnitt
Entziehung, Einschränkung und Erlöschen der Lenkberechtigung
Allgemeines
§ 24. (1) Besitzern einer Lenkberechtigung, bei denen die Voraussetzungen für die Erteilung der Lenkberechtigung (§ 3 Abs. 1 Z 2 bis 4) nicht mehr gegeben sind, ist von der Behörde entsprechend den Erfordernissen der Verkehrssicherheit
1.
die Lenkberechtigung zu entziehen oder ...
2.
die Gültigkeit der Lenkberechtigung durch Bedingungen, Befristungen oder zeitliche, örtliche oder sachliche Beschränkungen einzuschränken. Diese Einschränkungen sind gemäß § 13 Abs. 2 in den Führerschein einzutragen.
...
(4) Vor der Entziehung oder Einschränkung der Gültigkeit der Lenkberechtigung wegen mangelnder gesundheitlicher Eignung ist ein von einem Amtsarzt erstelltes Gutachten gemäß § 8, vor der Entziehung wegen mangelnder fachlicher Befähigung ein Gutachten gemäß § 10 einzuholen.
...
Sonderfälle der Entziehung
§ 26. ...
(5) Leistet der Besitzer einer Lenkberechtigung einem rechtskräftigen Bescheid mit der Aufforderung, die Gutachten gemäß § 24 Abs. 4 beizubringen, innerhalb von vier Monaten nach Zustellung des Bescheides keine Folge, so ist ihm die Lenkberechtigung jedenfalls bis zur Beibringung der Gutachten zu entziehen.
..."
Weiters sind folgende Bestimmungen der Führerscheingesetz-Gesundheitsverordnung - FSG-GV (in der Fassung vor der 3. Novelle zur FSG-GV BGBl. II Nr. 427/2002) von Bedeutung:
"Allgemeine Bestimmungen über die gesundheitliche Eignung zum Lenken von Kraftfahrzeugen
§ 3. (1) Als zum Lenken von Kraftfahrzeugen einer bestimmten Fahrzeugklasse im Sinne des § 8 FSG gesundheitlich geeignet gilt, wer für das sichere Beherrschen dieser Kraftfahrzeuge und das Einhalten der für das Lenken dieser Kraftfahrzeuge geltenden Vorschriften
1. die nötige körperliche und psychische Gesundheit besitzt,
2.
die nötige Körpergröße besitzt,
3.
ausreichend frei von Behinderungen ist und
4.
aus ärztlicher Sicht über die nötige kraftfahrspezifische Leistungsfähigkeit verfügt.
Kraftfahrzeuglenker müssen die für ihre Gruppe erforderlichen gesundheitlichen Voraussetzungen gemäß den nachfolgenden Bestimmungen erfüllen. Um die gesundheitliche Eignung nachzuweisen, ist der Behörde ein ärztliches Gutachten gemäß § 8 Abs. 1 oder 2 FSG vorzulegen.
...
Behinderungen
§ 6. (1) Als zum Lenken von Kraftfahrzeugen hinreichend frei von Behinderungen gilt eine Person, bei der keine der folgenden Behinderungen vorliegt:
...
6. mangelhaftes Sehvermögen oder
7. mangelhaftes Hörvermögen oder Störungen des Gleichgewichtes.
...
Sehvermögen
§ 7. (1) Alle Bewerber um eine Lenkberechtigung müssen sich einer Untersuchung unterziehen, um sicherzustellen, dass sie ein für das sichere Lenken von Kraftfahrzeugen ausreichendes Sehvermögen haben. In Zweifelsfällen ist der Bewerber von einem Facharzt für Augenheilkunde und Optometrie zu untersuchen. Bei dieser Untersuchung ist unter anderem die Sehschärfe, das Gesichtsfeld sowie die Fähigkeit zum Dämmerungssehen zu untersuchen und auf fortschreitende Augenkrankheiten zu achten.
(2) Die im § 6 Abs. 1 Z 6 angeführte mangelhafte Sehschärfe liegt vor, wenn nicht erreicht wird eine Sehschärfe mit oder ohne Korrektur
1. für das Lenken von Kraftfahrzeugen der Gruppe 1 von mindestens 0,5 auf einem Auge und von mindestens 0,4 auf dem anderen Auge;
2. für das Lenken von Kraftfahrzeugen der Gruppe 2 von mindestens 0,8 auf einem Auge und von mindestens 0,5 auf dem anderen.
...
Hörvermögen
§ 9. Das in § 6 Abs. 1 Z 7 angeführte mangelhafte Hörvermögen liegt vor, wenn ohne Verwendung von Hörbehelfen nicht erreicht wird ein Hörvermögen bei beidohriger Prüfung
1. für das Lenken von Kraftfahrzeugen der Gruppe 1 für Konversationssprache auf eine Entfernung von mindestens 1 m,
2. für das Lenken von Kraftfahrzeugen der Gruppe 2 für Konversationssprache auf eine Entfernung von 6 m.
...
Verkehrspsychologische Stellungnahme
§ 17. (1) Die Stellungnahme einer verkehrspsychologischen Untersuchungsstelle gemäß § 8 Abs. 2 FSG ist im Hinblick auf ein verkehrspsychologisch auffälliges Verhalten insbesondere dann zu verlangen, wenn der Bewerber um eine Lenkberechtigung oder der Besitzer einer Lenkberechtigung Verkehrsunfälle verursacht oder Verkehrsverstöße begangen hat, die den Verdacht
1. auf verminderte kraftfahrspezifische Leistungsfähigkeit oder
2. auf mangelnde Bereitschaft zur Verkehrsanpassung erwecken. Mangelnde Bereitschaft zur Verkehrsanpassung ist
jedenfalls dann anzunehmen, wenn einem Lenker innerhalb eines Zeitraumes von fünf Jahren die Lenkberechtigung dreimal entzogen wurde, oder wenn ein Lenker wegen einer Übertretung gemäß § 99 Abs. 1 lit. b oder c StVO 1960 bestraft wurde.
(2) Die Vorlage einer verkehrspsychologischen Stellungnahme ist im Hinblick auf das Lebensalter jedenfalls zu verlangen, wenn auf Grund der ärztlichen Untersuchung geistige Reifungsmängel oder ein Leistungsabbau im Vergleich zur Altersnorm zu vermuten sind; hierbei ist auch die Gruppe der Lenkberechtigung zu berücksichtigen.
..."
Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist ein Aufforderungsbescheid nach § 24 Abs. 4 in Verbindung mit § 26 Abs. 5 FSG nur dann zulässig, wenn begründete Bedenken in der Richtung bestehen, dass der Inhaber der Lenkberechtigung die gesundheitliche Eignung zum Lenken von Kraftfahrzeugen derjenigen Klassen, die von seiner Lenkberechtigung erfasst werden, nicht mehr besitzt. Hiebei geht es zwar noch nicht darum, konkrete Umstände zu ermitteln, aus denen bereits mit Sicherheit auf das Fehlen einer Erteilungsvoraussetzung geschlossen werden kann, es müssen aber genügend begründete Bedenken in dieser Richtung bestehen, die die Prüfung des Vorliegens solcher Umstände geboten erscheinen lassen (siehe dazu unter anderem die hg. Erkenntnisse vom 10. November 1998, Zl. 98/11/0120, vom 22. Oktober 2002, Zl. 2001/11/0248, und vom 18. März 2003, Zl. 2002/11/0230). Unter Berücksichtigung der Begründung des erstangefochtenen Aufforderungsbescheides wäre dieser dann rechtens, wenn im Zeitpunkt seiner Erlassung ausreichende Anhaltspunkte für den Verdacht bestanden hätten, der Beschwerdeführer sei wegen mangelhaften Sehvermögens oder mangelhaften Hörvermögens nicht hinreichend frei von Behinderungen oder ihm fehle die Bereitschaft zur Verkehrsanpassung. Eine ausreichende Begründung für einen solchen Verdacht enthält der erstangefochtene Bescheid aus folgenden Erwägungen nicht:
Die belangte Behörde gründete ihren Verdacht auf mangelhaftes Hörvermögen des Beschwerdeführers auf den in der Anzeige erwähnten und vom Meldungsleger als Zeugen bestätigten Umstand, dass der Beschwerdeführer bei der Amtshandlung am 26. September 2000 sehr laut gesprochen habe. Dieser Umstand findet aber eine zwanglose Erklärung in der aktenkundigen Tatsache, dass der Beschwerdeführer über die Amtshandlung - ob zu Recht oder zu Unrecht ist für die Frage der Beurteilung seines Hörvermögens unerheblich - aufgebracht war. Weder in der Anzeige noch im übrigen Akteninhalt findet sich ein Hinweis, dass der Beschwerdeführer bei der Amtshandlung am 26. September 2000 oder bei seiner Vorsprache bei der Erstbehörde am 8. November 2000 Schwierigkeiten gehabt hätte, die Äußerungen seiner Gesprächspartner zu verstehen. Ausreichende Anhaltspunkte für den Verdacht auf mangelhaftes Hörvermögen des Beschwerdeführers liegen demnach nicht vor.
Was den Verdacht auf mangelhaftes Sehvermögen betrifft, enthält der angefochtene Bescheid keine Feststellungen. Ihm ist aber mit hinreichender Deutlichkeit zu entnehmen, dass sich die belangte Behörde die Stellungnahme der ärztlichen Amtssachverständigen zu Eigen gemacht hat, die den Verdacht der Minderung der Sehfähigkeit äußerte, weil der Beschwerdeführer "offenbar auch die Polizeiuniform" nicht habe erkennen können. Auch in diesem Zusammenhang darf die emotionale Lage des Beschwerdeführers bei der Amtshandlung vom 26. September 2000 nicht außer Acht gelassen werden, wenn er zunächst gesagt hat, er gebe nicht jedem seine Papiere. Wenn er dann schließlich doch seine Papiere ausgehändigt und seine vorherige Weigerung damit zu entschuldigen versucht hat, er habe den Polizisten zunächst nicht an der Uniform erkannt, durfte auf diesen Umstand allein nicht der Verdacht auf mangelhaftes Sehvermögen gegründet werden, zumal der Beschwerdeführer einen augenfachärztlichen Befund vorgelegt hat, der ihm ausreichende Sehschärfe im Sinne des § 7 Abs. 2 in Verbindung mit § 6 Abs. 2 Z. 6 FSG-GV attestiert. Dass dieser Befund keine weiteren Ausführungen enthält, kann nicht den Verdacht auf mangelhaftes Sehvermögen des Beschwerdeführers begründen. Die allein auf Grund der Aktenlage abgegebene Stellungnahme der Amtssachverständigen enthält außer dem Hinweis auf die Amtshandlung vom 26. September 2000 keine Begründung für den Verdacht auf mangelhaftes Sehvermögen des Beschwerdeführers, insbesondere ist ihr nicht zu entnehmen, dass die vom Beschwerdeführer berichteten erfolgreichen Staroperationen einen Verdacht auf mangelhaftes Sehvermögen begründen sollen. Für die Annahme, der Beschwerdeführer leide an grauem Star, der auch bei normgerechter Sehleistung das Dämmerungssehen massiv beeinträchtigen könne, bietet die amtsärztliche Stellungnahme gleichfalls keine Begründung.
Die von der amtsärztlichen Sachverständigen in ihrer Stellungnahme dargelegte - und von der belangten Behörde offenbar übernommene - Auffassung, das nicht der Norm entsprechende Verhalten des Beschwerdeführers sei "abklärungswürdig", im Zusammenhang mit den in der Stellungnahme folgenden Ausführungen können als Äußerung des Verdachtes auf mangelnde Bereitschaft des Beschwerdeführers zur Verkehrsanpassung aufgefasst werden. Diesbezüglich hat die belangte Behörde die Rechtsfrage verkannt. Zunächst ist festzuhalten, dass die belangte Behörde keine Feststellungen betreffend das strafbare Verhalten des Beschwerdeführers am 26. September 2000 getroffen hat und daher nicht von bestimmten Verkehrsverstößen des Beschwerdeführers ausgegangen ist. Nach dem vom Beschwerdeführer vorgelegten rechtskräftigen Straferkenntnis der Bundespolizeidirektion Graz vom 3. Juni 2002, dessen Inhalt in der Gegenschrift der belangten Behörde nicht in Frage gestellt wird, wurde wegen der vom Beschwerdeführer am 26. September 2000 begangenen Übertretungen gemäß § 23 Abs. 3 StVO 1960 und gemäß § 97 Abs. 4 StVO 1960 jeweils eine Ermahnung gemäß § 21 Abs. 1 VStG ausgesprochen. Selbst wenn die belangte Behörde schon von der Begehung dieser Übertretungen durch den Beschwerdeführer hätte ausgehen können, wäre für einen Standpunkt nichts gewonnen. Die mangelnde Bereitschaft zur Verkehrsanpassung wird zwar in der FSG-GV nicht definiert, aus § 17 Abs. 1 zweiter Satz FSG-GV ergibt sich aber hinlänglich, dass von einer mangelnden Bereitschaft zur Verkehrsanpassung nur bei einem Verhalten gesprochen werden kann, bei dem es zu relativ schwer wiegenden Verstößen gegen straßenverkehrsrechtliche Vorschriften gekommen ist oder das bereits innerhalb eines bestimmten Zeitraums zu mehreren Vorentziehungen geführt hat (siehe dazu das hg. Erkenntnis vom 30. September 2002, Zl. 2002/11/0120, m.w.N). Allenfalls ungehöriges Verhalten des Besitzers einer Lenkberechtigung rechtfertigt noch nicht den Verdacht, ihm fehle die Bereitschaft zur Verkehrsanpassung (siehe dazu das hg. Erkenntnis vom 21. April 1998, Zl. 96/11/0170, und das zuvor zitierte Erkenntnis vom 30. September 2002). Unter Zugrundelegung des aus § 17 Abs. 1 zweiter Satz FSG-GV ableitbaren Maßstabes ist es rechtswidrig, auf anlässlich (nur) eines Vorfalles begangene Übertretungen von Verkehrsvorschriften den Vorwurf der mangelnden Bereitschaft zur Verkehrsanpassung zu gründen, wenn den Übertretungen - wie im Beschwerdefall - nur geringes Gewicht zukommt und die Übertretungen mit dem sonstigen Verhalten des Betreffenden im Widerspruch stehen. Der Beschwerdeführer weist nach der Aktenlage keine Vorstrafen auf. Der Verdacht, ihm fehle die Bereitschaft zur Verkehrsanpassung, war nach dem Gesagten nicht begründet.
Aus den dargelegten Erwägungen war der erstangefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
Im Hinblick auf die Aufhebung des Aufforderungsbescheides ist zufolge § 42 Abs. 3 VwGG auch der gemäß § 26 Abs. 5 FSG auf die Nichtbefolgung dieser Aufforderung gestützte (zweitangefochtene) Entziehungsbescheid inhaltlich rechtswidrig, weshalb auch dieser gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben war.
Für das fortzusetzende Verfahren sei darauf hingewiesen, dass der Beschwerdeführer im Berufungsverfahren gegen den erstinstanzlichen Entziehungsbescheid einen augenfachärztlichen Befund Dris. F. vom 5. Februar 2002 vorgelegt hat, der zum Ergebnis kommt, dass ophtalmologischerseits kein Einwand zur Ausstellung einer Lenkberechtigung für die Gruppe 1 besteht. Im Berufungsverfahren gegen den auf § 26 Abs. 5 FSG gestützten Entziehungsbescheid hatte die Berufungsbehörde im Rahmen der Sache gemäß § 66 Abs. 4 AVG allein die Frage, ob der Betreffende die Aufforderung befolgt hat, zu prüfen, nicht aber den allfälligen Wegfall der Erteilungsvoraussetzungen - im Beschwerdefall damit auch nicht die gesundheitliche Eignung - zu beurteilen (vgl. dazu das hg. Erkenntnis vom 23. Jänner 2001, Zl. 2000/11/0217). Der augenfachärztliche Befund vom 5. Februar 2002 kann der amtsärztlichen Sachverständigen jedoch allenfalls die Beurteilung der Frage ermöglichen, ob nunmehr ein begründeter Verdacht oder gar Gewissheit besteht, dass das Sehvermögen des Beschwerdeführers nicht ausreiche - in diesem Fall wird in einem allfälligen neuerlichen Aufforderungsbescheid gemäß § 26 Abs. 5 FSG oder in einem auf § 24 Abs. 1 FSG gestützten Entziehungsbescheid insbesondere auszuführen sein, welchen Inhalt die im augenfachärztlichen Befund enthaltenen handschriftlichen Eintragungen haben und warum der fachärztlichen Beurteilung in Bezug auf das ausreichende Sehvermögen für die Gruppe 1 nicht gefolgt wird -, oder ob nunmehr ein solcher Verdacht nicht mehr geäußert wird.
Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. II Nr. 333/2003.
Wien, am 13. August 2003
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2003:2002110103.X00Im RIS seit
15.09.2003Zuletzt aktualisiert am
07.10.2008