TE Vfgh Erkenntnis 2000/6/13 B552/98 ua

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Veröffentlicht am 13.06.2000
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Index

L7 Wirtschaftsrecht
L7200 Beschaffung, Vergabe

Norm

B-VG Art83 Abs2
EMRK Art6 Abs1 / Tribunal
Richtlinie des Rates vom 21.12.89. 89/665/EWG, zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften für die Anwendung der Nachprüfungsverfahren im Rahmen der Vergabe öffentl Liefer- u Bauaufträge
Wr LandesvergabeG §99 Abs1
Wr LandesvergabeG §101
EG-Vertrag Art234 (früher Art177)

Leitsatz

Verletzung im Recht auf ein Verfahren vor einem unabhängigen und unparteiischen Tribunal durch Entscheidungen des Vergabekontrollsenates (VKS) angesichts der Verquickung der Agenden des VKS mit Agenden der Vergabe von Aufträgen durch die Stadt Wien; Verletzung im Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter durch Zurückweisung von Anträgen auf Widerruf einer Ausschreibung wegen Unzuständigkeit des VKS mangels Vorlage der Frage der Interpretation einer Bestimmung der allgemeinen Rechtsmittelrichtlinie zur Vorabentscheidung an den EuGH

Spruch

Der Beschwerdeführer ist durch die angefochtenen Bescheide in seinem durch Art6 EMRK verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor einem unabhängigen und unparteiischen Tribunal verletzt worden.

Die Bescheide werden aufgehoben.

Das Land Wien ist verpflichtet, dem Beschwerdeführer zu Handen seines Rechtsvertreters die mit insgesamt S 59.000,-- bestimmten Prozeßkosten binnen vierzehn Tagen bei sonstiger Exekution zu bezahlen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Der Beschwerdeführer hat sich an dem zu KES/TL 152/97 im Amtsblatt der Stadt Wien ausgeschriebenen offenen Architekturwettbewerb betreffend den Neubau des chirurgischen OP-Traktes im Kaiserin Elisabeth-Spital der Stadt Wien beteiligt. Die Bewerbung des Beschwerdeführers wurde ausgeschieden.

2. Der so übergangene Bewerber beantragte daraufhin mit Schriftsatz vom 14. Jänner 1998 beim Vergabekontrollsenat beim Amt der Wiener Landesregierung (in der Folge: VKS) die Einleitung eines Nachprüfungsverfahrens und die Erlassung einer einstweiligen Verfügung.

Mit Bescheid vom 30. Jänner 1998 wies der Vergabekontrollsenat den Antrag auf Einleitung eines Nachprüfungsverfahrens zurück, da der gegenständliche Antrag vor Ablauf der gem. §97 Abs1 Wiener Landesvergabegesetz (in der Folge: WrLVergG) dem Auftraggeber zur Beseitigung gerügter Rechtswidrigkeiten längstenfalls zur Verfügung stehenden zweiwöchigen Frist gestellt worden war. Da die Einleitung eines Nachprüfungsverfahrens vor Ablauf dieser Frist als unzulässig zurückzuweisen war, habe es auch an den Voraussetzungen zur Erlassung einer einstweiligen Verfügung gefehlt.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die auf Art144 B-VG gestützte und zu B552/98 protokollierte Beschwerde, in der die Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte geltend gemacht und die kostenpflichtige Aufhebung des Bescheides beantragt wird.

Die belangte Behörde legte die Verwaltungsakten vor und erstattete eine Gegenschrift, in der sie den Beschwerdebehauptungen entgegentritt und die Abweisung der Beschwerde begehrt.

3. Am 3. Februar 1998 stellte der Beschwerdeführer einen neuerlichen Antrag auf Einleitung eines Nachprüfungsverfahrens und auf Erlassung einer einstweiligen Verfügung, der in der Folge mit Bescheid des Vergabekontrollsenates vom 20. März 1998 "zurückgewiesen" (abgewiesen) wurde: Die in diesem Antrag geltend gemachten Verstöße gegen das WrLVergG würden demnach nicht bestehen und es würde mangels Einleitung eines Nachprüfungsverfahrens auch an den "Voraussetzungen zur Erlassung der beantragten einstweiligen Verfügung" fehlen.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die auf Art144 B-VG gestützte und zu B912/98 protokollierte Beschwerde, in der ebenfalls die Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte geltend gemacht und die kostenpflichtige Aufhebung des Bescheides beantragt wird.

In diesem Verfahren verwies die belangte Behörde auf die zu B552/98 erstattete Gegenschrift und beantragte wie dort.

II. Der Verfassungsgerichtshof hat über die zulässigen Beschwerden erwogen:

1. Art6 EMRK verlangt, daß in Angelegenheiten, die als civil rights zu qualifizieren sind, ein unabhängiges und unparteiisches Tribunal tätig wird. Der Verfassungsgerichtshof hat dazu in Kongruenz mit der Judikatur des EGMR mehrfach ausgesprochen, daß ein Tribunal derart zusammengesetzt sein muß, daß keine berechtigten Zweifel an der Unabhängigkeit seiner Mitglieder entstehen; bei dieser Beurteilung ist auch der äußere Anschein von Bedeutung (vgl. etwa VfGH vom 10.6.1999,

B1809-1811/97 und VfGH vom 1.12.1999, B2835/96, beide mwH).

In seiner Entscheidung vom 10. Juni 1999, B1809-1811/97, hat der Verfassungsgerichtshof näher dargelegt, daß und warum der Vergabekontrollsenat zum Zeitpunkt der Erlassung der im damaligen verfassungsgerichtlichen Verfahren zu beurteilenden Bescheide diesen Anforderungen nicht genügt hat. Dafür waren insbesondere die organisatorische Stellung des Vergabekontrollsenates und seine Zuordnung zur Stadtbaudirektion maßgebend: Die Geschäfte des VKS wurden im Rahmen der Stadtbaudirektion geführt, was auch in den Aktenzahlen zum Ausdruck kommt. Die Geschäftsstelle des VKS war eine Gliederung der Stadtbaudirektion, und der Leiter der Geschäftsstelle war in anderer Funktion (und zwar als Leiter des Auftragnehmerkatasters der Stadt Wien) dem Stadtbaudirektor gegenüber weisungsgebunden.

Der Verfassungsgerichtshof sieht sich nicht veranlaßt, von seiner in der genannten Entscheidung zum Ausdruck kommenden Auffassung abzugehen und ist der Ansicht, daß diesen Bedenken Berechtigung auch im vorliegenden Fall zukommt. Auch zum Zeitpunkt der Erlassung der in diesen Verfahren bekämpften Bescheide war die in der zitierten Entscheidung beanstandete organisatorische Zuordnung des Vergabekontrollsenates gegeben.

Angesichts dieser Umstände konnten vom äußeren Anschein her Zweifel an der Unabhängigkeit und Unparteilichkeit des Kontrollorgans im Sinne des Art6 EMRK entstehen. Da die Fragen, über die der Vergabekontrollsenat in den vorliegenden Fällen entschieden hat, civil rights jenes Bewerbers betreffen, der im Vergabeverfahren ausgeschieden wurde, ist dieser Mangel verfassungsrechtlich relevant. Dieser Verfassungsverstoß ist nicht dem Gesetz zur Last zu legen, da die gesetzlichen Bestimmungen die Verquickung der Führung der Agenden des VKS mit Agenden der Vergabe von Aufträgen durch die Stadt keineswegs verlangt, ja nicht einmal nahe legt. Der festgestellte Verfassungsverstoß ist daher der Vollzugssphäre anzulasten (vgl. auch dazu VfGH vom 10.6.1999, B1809-1811/97).

Der Beschwerdeführer wurde daher durch die angefochtenen Bescheide in seinem aus Art6 EMRK abzuleitenden Recht auf ein Verfahren vor einem unabhängigen und unparteiischen Tribunal verletzt; die Bescheide waren daher aufzuheben, ohne daß geprüft zu werden brauchte, ob sie auch aus anderen Gründen mit Verfassungswidrigkeit behaftet sind.

2. Die Kostenentscheidung gründet sich auf §88 VerfGG und setzt sich aus den in beiden Verfahren verzeichneten Kosten zusammen. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von insgesamt S 9.000,--, sowie Eingabegebühren gemäß §17a VerfGG in der Höhe von jeweils S 2.500,-- enthalten.

3. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 Z2 VerfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen werden.

Schlagworte

Vergabewesen, Behördenzuständigkeit, EU-Recht, EU-Recht Richtlinie

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2000:B552.1998

Dokumentnummer

JFT_09999387_98B00552_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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