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10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG);Norm
B-VG Art131;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Bernard und die Hofräte Dr. Müller, Dr. Sulyok, Dr. Strohmayer und Dr. Köller als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Müller, über die Beschwerde der B & Co AG in G, vertreten durch Dr. Franz Unterasinger, Rechtsanwalt in 8010 Graz, Radetzkystraße 8/1, gegen den Bescheid der Bundesministerin für soziale Sicherheit und Generationen vom 13. Juli 2000, Zl. 122.072/4-7/2000, betreffend Beitragsnachverrechnung (mitbeteiligte Partei: Steiermärkische Gebietskrankenkasse, 8011 Graz, Josef-Pongratz-Platz 1), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Unzuständigkeit der belangten Behörde aufgehoben.
Der Bund (Bundesminister für soziale Sicherheit, Generationen und Konsumentenschutz) hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 991,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen; das Mehrbegehren wird abgewiesen.
Begründung
Mit Bescheid vom 13. Mai 1996 verpflichtete die Steiermärkische Gebietskrankenkasse die Beschwerdeführerin auf Grund der im Zuge einer Beitragsprüfung vom 13. Oktober 1994 festgestellten Meldedifferenzen für die in der Beitragsnachverrechnungsanzeige vom 26. Juli 1995 ausgewiesenen Dienstnehmer entsprechend der diesen zugeordneten Beitragsgrundlagen allgemeine Beiträge, Sonderbeiträge und Nebenumlagen im Gesamtbetrag von S 329.363,61 nachzuentrichten. Die beschwerdeführende Gesellschaft habe den in der Beitragsnachverrechnungsanzeige genannten Arbeitnehmern während Auslandsentsendungen zu Unrecht keine Montagezulage im Sinne des Abschnittes XIV Punkt 7 des Kollektivvertrages für Arbeiter in der eisen- und metallerzeugenden und -verarbeitenden Industrie gewährt.
Der gegen diesen Bescheid erhobene Einspruch wurde mit Bescheid des Landeshauptmannes von Steiermark vom 7. August 1997, Zl. 5 - S26n22/12 - 96, als unbegründet abgewiesen und der erstinstanzliche Bescheid bestätigt. Gegen diesen Bescheid erhob die beschwerdeführende Gesellschaft Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof.
Der Verwaltungsgerichtshof hat diese Beschwerde mit Beschluss vom 14. Oktober 1997, Zl. 97/08/0540, zurückgewiesen. Dieser Beschluss wurde damit begründet, dass die dem Verwaltungsgerichtshof von der beschwerdeführenden Gesellschaft als angefochtener Bescheid vorgelegte Erledigung der belangten Behörde vom 7. August 1997 im Anschluss an die Begründung und die Rechtsmittelbelehrung sowie einen Hinweis auf die Beschwerdemöglichkeit vor dem Verwaltungsgerichtshof und vor dem Verfassungsgerichtshof eine Aufstellung jener Personen enthalte, denen dieses Schriftstück augenscheinlich zugestellt worden sei, darunter der Beschwerdeführerin. Dem Bescheid aber sei weder zu entnehmen, von welcher Behörde er erlassen worden sei noch enthalte er (weder urschriftlich noch abschriftlich) eine Unterschrift des Genehmigenden. Die Fertigungsklausel fehle vielmehr zur Gänze. Diesem Schriftstück mangle daher der Charakter eines Bescheides.
Im fortgesetzten Verfahren stellte die beschwerdeführende Gesellschaft - nach Zurückweisung einer Säumnisbeschwerde durch den Verwaltungsgerichtshof (vgl. den Beschluss vom 13. April 1999, Zl. 99/08/0032) - am 7. Juni 1999 (Datum des Einlangens) einen Devolutionsantrag an die belangte Behörde.
Mit dem nunmehr in Beschwerde gezogenen Bescheid hat die belangte Behörde dem Einspruch der beschwerdeführenden Gesellschaft keine Folge gegeben und festgestellt, dass die beschwerdeführende Gesellschaft die in der Beilage ausgewiesenen Beiträge im Gesamtbetrag von S 329.363,61 nachzuentrichten habe.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machende Beschwerde.
Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt, erklärt, von der Erstattung einer Gegenschrift Abstand zu nehmen, und beantragt, die Beschwerde kostenpflichtig abzuweisen. Einen solchen Antrag stellte auch die mitbeteiligte Gebietskrankenkasse in ihrer vor dem Verwaltungsgerichtshof erstatteten Gegenschrift.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Die belangte Behörde war zur neuerlichen Entscheidung über den Einspruch der beschwerdeführenden Gesellschaft deshalb nicht zuständig, weil über diesen Einspruch der Landeshauptmann von Steiermark mit Bescheid vom 7. August 1997 bereits rechtskräftig entschieden hatte:
Der erwähnte Bescheid vom 7. August 1997 besteht - wie das im vorliegenden Verwaltungsakt des Landeshauptmannes befindliche Original zeigt - insgesamt aus 12 Seiten. Davon entfallen die ersten sechs Seiten auf Spruch und Begründung. Auf der sechsten Seite der Begründung (im Anschluss an die auf dieser Seite enthaltene Rechtsmittelbelehrung und dem daran anschließenden Hinweis auf die Beschwerdemöglichkeit vor dem Verwaltungs- und vor dem Verfassungsgerichtshof) enthält dieser Bescheid eine Zustellverfügung, beginnend mit der beschwerdeführenden Gesellschaft (Punkt 1), der mitbeteiligten Gebietskrankenkasse (Punkt 2) und - zunächst - 4 weiteren Personen (Punkt 3 bis 6). Auf Seite 7 bis 12 findet sich in Fortsetzung der auf Seite 6 begonnenen Zustellverfügung eine Liste von 82 weiteren Personen, augenscheinlich Arbeitnehmern der beschwerdeführenden Gesellschaft, denen der Einspruchsbescheid ebenfalls zugestellt worden ist. Auf Seite 12 (nach Punkt 88 der Zustellverfügung) findet sich schließlich eine Fertigungsklausel
"Für den Landeshauptmann:
Der Abteilungsvorstand:
Mag. W eh.
(Hofrat)"
samt Unterschrift. Die im Verwaltungsakt auf das Original des Bescheides folgende Ausfertigung dieses Bescheides enthält an Stelle der Unterschrift des Genehmigenden eine (unterschriebene) Kanzleibeglaubigung "Für die Richtigkeit der Ausfertigung".
Soweit weitere Ausfertigungen dieses Bescheides auf Grund von Zustellanständen an den Landeshauptmann zurückgelangt sind, konnte sich der Verwaltungsgerichtshof nach Öffnung der im Akt des Landeshauptmannes liegenden Kuverts davon überzeugen, dass auch diese Ausfertigungen jeweils aus 12 Seiten, einschließlich der letzten Seite des Bescheides mit der Fertigungsklausel und der Kanzleibeglaubigung bestanden haben.
Dies trifft aber auch für jene Ausfertigung zu, welche die beschwerdeführende Gesellschaft erhalten hat:
Nach dem Inhalt der vorgelegten Verwaltungsakten hat die Einspruchsbehörde auf Grund des Zurückweisungsbeschlusses des Verwaltungsgerichtshofes vom 14. Oktober 1997, Zl. 97/08/0540, ein ergänzendes Ermittlungsverfahren durchgeführt und darüber einen Aktenvermerk vom 10. Dezember 1997 angelegt, der wie folgt lautet:
"Laut Rücksprache mit Kzl Dr. U (dem Beschwerdevertreter) wurden dem RA vom Klienten nur die Seiten 1 - 6 des ha. Bescheides vom 7.8.97 übermittelt. Hr. W der Firma B & Co AG teilte dem Gefertigten über Anfrage tel. mit (NSt. 218), dass er alle Bescheidseiten 1 bis 12 erhalten habe. Über Ersuchen wird er die Seiten 7 bis 12 anher faxen. Aus den übermittelten Seiten geht eindeutig hervor, dass die (Beschwerdeführerin) alle Seiten des Bescheides erhalten hat; auch die Seite 12, auf der sich die Unterschriftsklausel befindet. Der Bescheid ist daher ordnungsgemäß ausgefertigt worden."
Auf diesen Aktenvermerk folgen die Seite 6 des Bescheides, gefaxt aus der Kanzlei des Beschwerdevertreters (wie das Deckblatt zeigt), sowie die Seiten 7 bis 12 des Bescheides des Landeshauptmanns vom 7. August 1997, gefaxt am 10. Dezember 1997 von einem als Absender die Beschwerdeführerin nennenden Anschluss "+43(...)".
Aus dieser Aktenlage erweist sich aber, dass der Bescheid des Landeshauptmannes vom 7. August 1997 in einer ordnungsgemäß angefertigten Ausfertigung von 12 Seiten, einschließlich der Bezeichnung der belangten Behörde und der ordnungsgemäß beglaubigten Fertigungsklausel, der beschwerdeführenden Gesellschaft (die im Einspruchsverfahren noch nicht anwaltlich vertreten gewesen ist) am 13. August 1997 (Datum des Rückscheins) zugestellt wurde und daher in Rechtskraft erwachsen ist.
Der von der Beschwerdeführerin erhobene Devolutionsantrag wäre daher von der belangten Behörde zurückzuweisen gewesen; dadurch, dass die belangte Behörde in Stattgebung des Devolutionsantrages neuerlich in der Sache selbst entschieden hat, hat sie eine Zuständigkeit in Anspruch genommen, die ihr (funktionell) nicht zukam.
An diesem rechtlichen Ergebnis ändert auch nichts der Umstand, dass der Verwaltungsgerichtshof mit Beschluss vom 14. Oktober 1997 die Beschwerde der beschwerdeführenden Gesellschaft mit der Begründung als unzulässig zurückgewiesen hat, es liege kein Bescheid vor: Gemäß § 28 Abs. 5 VwGG ist Beschwerden nach Art. 131 B-VG, sofern dem Beschwerdeführer der Bescheid zugestellt worden ist, eine Ausfertigung, Gleichschrift oder Kopie des angefochtenen Bescheides anzuschließen. Der Verwaltungsgerichtshof ist, wie die Bestimmungen der §§ 34 Abs. 1 und 35 VwGG zeigen, grundsätzlich berechtigt, auf der Grundlage der ihm vorliegenden Beschwerde samt Bescheidausfertigung über die Frage der Zulässigkeit der Beschwerde, allenfalls auch die Frage der Begründetheit der Beschwerde ohne Durchführung eines Vorverfahrens zu erkennen. Sofern der Verwaltungsgerichtshof dabei auf Grund einer von der beschwerdeführenden Partei unvollständig vorgelegten Bescheidkopie (diese enthielt nur die ersten sechs Seiten des angefochtenen Bescheides) davon ausgehen muss, dass ein Bescheid wirksam noch nicht erlassen wurde, vermag eine solche Erledigung eine - tatsächlich mittlerweile bereits eingetretene - Rechtskraftwirkung eines Bescheides nicht zu beseitigen. Die Rechtskraftwirkung eines solchen Beschlusses reicht nämlich nicht weiter, als damit die Unzulässigkeit der Beschwerde ausgesprochen wurde. Der für diesen Beschluss maßgebende Umstand, dass nach der an Hand des vorgelegten Bescheidexemplares gebildeten Auffassung des Verwaltungsgerichtshofes eine (wirksame) Bescheiderlassung noch nicht erfolgt sei, ist zwar Tatbestandsmoment für jenen (gedachten) Rechtssatz, der für diesen Fall die Unzulässigkeit der Beschwerde begründet, nicht aber selbst Gegenstand eines der Rechtskraft fähigen Abspruchs geworden.
Es kann im hier maßgebenden Zusammenhang auf sich beruhen, ob die Feststellung des Verwaltungsgerichtshofes, die ihm vorliegende Ausfertigung sei kein Bescheid, auch Elemente tatsächlicher Natur enthielt, die den Verwaltungsgerichtshof hätten veranlassen müssen, vor Erlassung seines Beschlusses vom 14. Oktober 1997 der Beschwerdeführerin Parteiengehör zu gewähren: selbst eine für das Ergebnis des Verfahrens relevante Unterlassung des Parteiengehörs, welche den Verwaltungsgerichtshof zu einem Irrtum über die Tatsache der Bescheiderlassung geführt hat, hätte nämlich von der beschwerdeführenden Partei nur im Wege eines auf § 45 Abs. 1 Z. 4 VwGG gestützten Wiederaufnahmsantrages geltend gemacht werden können (vgl. das Erkenntnis eines verstärkten Senates vom 24. November 1998, Slg. Nr. 15.035/A). Einen solchen Wiederaufnahmsantrag hat die beschwerdeführende Gesellschaft nach Zustellung des Zurückweisungs-beschlusses vom 14. Oktober 1997, Zl. 97/08/0540, - und ungeachtet der Aufklärung des Sachverhaltes durch die Ermittlungstätigkeit der Einspruchsbehörde - aber nicht gestellt.
Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 2 VwGG aufzuheben.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. II Nr. 333/2003. Das auf den Ersatz der Beschwerdegebühr gerichtete Mehrbegehren wird wegen der auch im verwaltungsgerichtlichen Verfahren geltenden sachlichen Abgabenfreiheit gemäß § 110 ASVG abgewiesen.
Wien, am 13. August 2003
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2003:2000080146.X00Im RIS seit
11.09.2003Zuletzt aktualisiert am
22.09.2014