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10/07 Verwaltungsgerichtshof;Norm
FSG 1997 §24 Abs1 idF 2002/I/129;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Waldner und die Hofräte Dr. Graf, Dr. Gall, Dr. Pallitsch und Dr. Schick als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Runge, über die Beschwerde des K in S, vertreten durch Dr. Wilfried Ludwig Weh, Rechtsanwalt in 6900 Bregenz, Wolfeggstraße 1, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates des Landes Vorarlberg vom 25. April 2003, Zl. 3- 79-19/03/E4, betreffend Verbot des Lenkens von Motorfahrrädern, vierrädrigen Leichtkraftfahrzeugen und Invalidenkraftfahrzeugen, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.171,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Im Zuge eines Berufungsverfahrens wegen Entziehung der Lenkberechtigung für die Klasse B erfolgte am 16. Oktober 2002 eine verkehrspsychologische Untersuchung des Beschwerdeführers beim Kuratorium für Verkehrssicherheit in Innsbruck. Nach der "Zusammenfassung der Befunde/Gutachten" zeige die verkehrspsychologische Untersuchung beim Beschwerdeführer insgesamt stärker verminderte und verringerte kraftfahrspezifische Leistungsfunktionen (visuelle Strukturierungsfähigkeit, Überblicksgewinnung, periphere Wahrnehmung, Entscheidungszeit, Reaktionszeit, reaktive Belastbarkeit, Konzentrationsleistung). In Verbindung mit den ebenfalls uneinheitlichen persönlichkeitsbedingten Gegebenheiten, wobei sich Hinweise auf kompensatorische Mechanismen nicht ableiten ließen, diesbezüglich sich auch keine positiven Veränderungen im Vergleich zur Voruntersuchung ergäben, wie auch teilweise die Leistungsdefizite vergleichsweise zur Voruntersuchung zugenommen hätten, erscheine der Beschwerdeführer vom Standpunkt verkehrspsychologischer Diagnostik aus zum Lenken von Kraftfahrzeugen der Klasse B nicht geeignet.
Auf der Grundlage dieser verkehrspsychologischen Stellungnahme erstellte der Amtsarzt des Amtes der Vorarlberger Landesregierung, Dr. B, am 29. November 2002 ein amtsärztliches Gutachten. In einem mit "Beurteilung" überschriebenen Teil führt der Amtssachverständige ua. aus, auf Grund der gravierenden Defizite des Beschwerdeführers in allen für eine Verkehrsteilnahme wesentlichen Bereichen sei er auch zum Lenken von Motorfahrrädern, vierrädrigen Leichtkraftfahrzeugen oder Invalidenkraftfahrzeugen nicht geeignet.
In Erledigung der Vorstellung des Beschwerdeführers gegen ihren Mandatsbescheid vom 31. Jänner 2003 verbot die Bezirkshauptmannschaft Bregenz mit Bescheid vom 18. Februar 2003 dem Beschwerdeführer das Lenken von Motorfahrrädern, vierrädrigen Leichtkraftfahrzeugen und Invalidenfahrzeugen.
Die dagegen erhobene Berufung wurde vom Unabhängigen Verwaltungssenat des Landes Vorarlberg (im Folgenden: UVS) mit Bescheid vom 25. April 2003 gemäß § 66 Abs. 4 AVG abgewiesen und der angefochtene Bescheid bestätigt. Begründend führte der UVS aus, er habe zur Frage, ob die vom Beschwerdeführer in seiner Berufung gegen den angefochtenen Bescheid ins Treffen geführten äußeren Umstände bei der verkehrspsychologischen Untersuchung am 16. Oktober 2002 in Innsbruck (Übermüdung, Föhn) für ein für den Beschwerdeführer negatives Testergebnis ausschlaggebend gewesen sein könnten, ein ergänzendes medizinisches Gutachten eingeholt. In diesem Gutachten habe Dr. B. die Auffassung vertreten, dass es grundsätzlich möglich sei, dass ungünstige exogene Faktoren am Untersuchungstag eine negative Beeinflussung der Testergebnisse verursachen könnten. Aus diesem Grund werde jeder Proband vor Beginn der Untersuchung befragt, ob er sich körperlich und geistig in der Lage fühle, die Untersuchung zu absolvieren. Er müsse dies auch durch seine Unterschrift bestätigen. Im vorliegenden Fall entspreche das Zurückführen des schlechten Testergebnisses auf äußere Umstände aus medizinischer Sicht einem Kausalitätsbedürfnis des Beschwerdeführers, zumal die Untersuchung vom 16. Oktober 2002 im Einklang mit der ersten verkehrspsychologischen Testung am 12. Februar 2002 stehe, die ebenfalls unzureichend ausgeprägte kraftfahrspezifische Leistungsfunktionen erbracht habe. Wie bereits im Gutachten vom 29. November 2002 ausgeführt, seien die Defizite (vom Psychologen mit Bezug auf Prozentränge schlüssig und nachvollziehbar dargestellt) derart ausgeprägt, dass eine Verkehrsteilnahme aus verkehrsmedizinischer Sicht nicht verantwortet werden könne. Dieses ergänzende Gutachten sei schlüssig und nachvollziehbar. Nach Wiedergabe des § 32 Abs. 1 erster Satz FSG führte der UVS in rechtlicher Sicht aus, unter Hinweis auf die obigen Ausführungen komme er zur Ansicht, dass das dem Beschwerdeführer gegenüber ausgesprochene Verbot des Lenkens von Motorfahrrädern, vierrädrigen Leichtkraftfahrzeugen und Invalidenkraftfahrzeugen für die Dauer seiner gesundheitlichen Nichteignung zu Recht ausgesprochen worden sei.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde.
Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde als unbegründet beantragt.
Der Verwaltungsgerichtshof hat über die Beschwerde erwogen:
1.1. Im Hinblick auf den Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides (seine Zustellung erfolgte am 7. Mai 2003) ist für die Überprüfung seiner Rechtmäßigkeit durch den Verwaltungsgerichtshof das FSG in der Fassung der Novelle BGBl. I Nr. 129/2002 sowie die FSG-GV in der Fassung der Verordnung BGBl. II Nr. 427/2002 maßgeblich.
1.2. Die einschlägigen Bestimmungen des FSG lauten (auszugsweise):
"Allgemeine Voraussetzungen für die Erteilung einer Lenkberechtigung
§ 3. (1) Eine Lenkberechtigung darf nur Personen erteilt werden, die:
...
3. gesundheitlich geeignet sind, ein Kraftfahrzeug zu lenken (§§ 8 und 9),
4. fachlich zum Lenken eines Kraftfahrzeuges befähigt sind (§§ 10 und 11) und
...
Gesundheitliche Eignung
§ 8. (1) Vor der Erteilung einer Lenkberechtigung hat der Antragsteller der Behörde ein ärztliches Gutachten vorzulegen, dass er zum Lenken von Kraftfahrzeugen gesundheitlich geeignet ist. Das ärztliche Gutachten hat auszusprechen, für welche Klassen von Lenkberechtigungen der Antragsteller gesundheitlich geeignet ist, darf im Zeitpunkt der Entscheidung nicht älter als ein Jahr sein und ist von einem im örtlichen Wirkungsbereich der Behörde, die das Verfahren zur Erteilung der Lenkberechtigung durchführt, in die Ärzteliste eingetragenen sachverständigen Arzt gemäß § 34 zu erstellen.
(2) Sind zur Erstattung des ärztlichen Gutachtens besondere Befunde oder im Hinblick auf ein verkehrspsychologisch auffälliges Verhalten eine Stellungnahme einer verkehrspsychologischen Untersuchungsstelle erforderlich, so ist das ärztliche Gutachten von einem Amtsarzt zu erstellen; der Antragsteller hat diese Befunde oder Stellungnahmen zu erbringen. Wenn im Rahmen der amtsärztlichen Untersuchung eine sichere Entscheidung im Hinblick auf die gesundheitliche Eignung nicht getroffen werden kann, so ist erforderlichenfalls eine Beobachtungsfahrt anzuordnen.
...
Entziehung, Einschränkung und Erlöschen der Lenkberechtigung Allgemeines
§ 24. (1) Besitzern einer Lenkberechtigung, bei denen die Voraussetzungen für die Erteilung der Lenkberechtigung (§ 3 Abs. 1 Z 2 bis 4) nicht mehr gegeben sind, ist von der Behörde entsprechend den Erfordernissen der Verkehrssicherheit
1.
die Lenkberechtigung zu entziehen oder
2.
die Gültigkeit der Lenkberechtigung durch Auflagen, Befristungen, zeitliche, örtliche oder sachliche Beschränkungen einzuschränken. Diese Einschränkungen sind gemäß § 13 Abs. 2 in den Führerschein einzutragen.
...
(4) Bestehen Bedenken, ob die Voraussetzungen der gesundheitlichen Eignung noch gegeben sind, ist ein von einem Amtsarzt erstelltes Gutachten gemäß § 8 einzuholen und gegebenenfalls die Lenkberechtigung einzuschränken oder zu entziehen. Bei Bedenken hinsichtlich der fachlichen Befähigung ist ein Gutachten gemäß § 10 einzuholen und gegebenenfalls die Lenkberechtigung zu entziehen. ... .
...
Dauer der Entziehung
§ 25.
...
(2) Bei einer Entziehung wegen mangelnder gesundheitlicher Eignung ist die Dauer der Entziehung auf Grund des gemäß § 24 Abs. 4 eingeholten Gutachtens für die Dauer der Nichteignung festzusetzen.
...
Verbot des Lenkens von Motorfahrrädern, vierrädrigen Leichtkraftfahrzeugen oder Invalidenfahrzeugen
§ 32. Personen, die ... nicht gesundheitlich geeignet sind, ein Motorfahrrad, ein vierrädriges Leichtkraftfahrzeug oder ein Invalidenkraftfahrzeug zu lenken, hat die Behörde unter Anwendung der §§ 24 Abs. 3 und 4, 25, 26 und 29 entsprechend den Erfordernissen der Verkehrssicherheit das Lenken eines derartigen Kraftfahrzeuges
1. ausdrücklich zu verbieten,
..."
1.3. Die einschlägigen Bestimmungen der FSG-GV lauten (auszugsweise):
"Allgemeine Bestimmungen über die gesundheitliche Eignung zum Lenken von Kraftfahrzeugen
§ 3. (1) Als zum Lenken von Kraftfahrzeugen einer bestimmten Fahrzeugklasse im Sinne des § 8 FSG gesundheitlich geeignet gilt, wer für das sichere Beherrschen dieser Kraftfahrzeuge und das Einhalten der für das Lenken dieser Kraftfahrzeuge geltenden Vorschriften
1.
die nötige körperliche und psychische Gesundheit besitzt,
2.
die nötige Körpergröße besitzt,
3.
ausreichend frei von Behinderungen ist und
4.
aus ärztlicher Sicht über die nötige kraftfahrspezifische Leistungsfähigkeit verfügt.
...
(4) Besitzern einer Lenkberechtigung, bei denen Erkrankungen oder Behinderungen festgestellt wurden, die nach den nachfolgenden Bestimmungen die Eignung zum Lenken von Kraftfahrzeugen ausschließen würden, gelten dann als geeignet zum Lenken von Kraftfahrzeugen der Gruppe 1 wenn sie
1) während der, der Feststellung der Erkrankung oder Behinderungen unmittelbar vorangehenden zwei Jahre Kraftfahrzeuge tatsächlich gelenkt haben und
2) die Annahme gerechtfertigt ist, dass ein Ausgleich des bestehenden Mangels durch erlangte Geübtheit eingetreten ist.
Der Eintritt dieses Ausgleichs und die Dauer des Vorliegens dieser Eignung ist durch das ärztliche Gutachten nötigenfalls im Zusammenhang mit einer Beobachtungsfahrt festzustellen und darf nur auf höchstens fünf Jahre ausgesprochen werden. Bestehen trotz der durchgeführten Beobachtungsfahrt noch Bedenken über die Eignung des zu Untersuchenden, ist zusätzlich eine verkehrspsychologische Stellungnahme zu seiner kraftfahrspezifischen Leistungsfähigkeit einzuholen.
...
Verkehrspsychologische Stellungnahme
§ 17
...
(2) Die Vorlage einer verkehrspsychologischen Stellungnahme ist im Hinblick auf das Lebensalter jedenfalls zu verlangen, wenn auf Grund der ärztlichen Untersuchung geistige Reifungsmängel oder ein Leistungsabbau im Vergleich zur Altersnorm zu vermuten sind; hiebei ist auch die Gruppe der Lenkberechtigung zu berücksichtigen.
..."
2. Die belangte Behörde hat das Lenkverbot auf die von ihr angenommene mangelnde gesundheitliche Eignung des Beschwerdeführers gestützt und, in Übernahme der Ausführungen des amtsärztlichen Sachverständigen des Amts der Vorarlberger Landesregierung, die Auffassung vertreten, dem Beschwerdeführer ermangle es an der erforderlichen kraftfahrspezifischen Leistungsfähigkeit sowie der Bereitschaft zur Verkehrsanpassung. Die belangte Behörde übernimmt dabei die Auffassung des amtsärztlichen Sachverständigen, wonach der Beschwerdeführer zum Lenken von Motorfahrrädern, vierrädrigen Leichtkraftfahrzeugen oder Invalidenkraftfahrzeugen nicht geeignet sei. Wie sowohl die belangte Behörde, als auch die Erstbehörde und der Amtssachverständige des Amts der Vorarlberger Landesregierung übersehen haben, bezog sich die verkehrspsychologische Stellungnahme vom 27. November 2002, wie bereits die vorgegebene Fragestellung ("Eignung zum Lenken von Kraftfahrzeugen der Klasse B") zeigt, nur darauf, ob der Beschwerdeführer zum Lenken von Kraftfahrzeugen der Klasse B geeignet sei. Auch die oben wieder gegebene Zusammenfassung der Befunde und das Gutachten der verkehrspsychologischen Untersuchungsstelle spricht ausdrücklich nur von einer Nichteignung des Beschwerdeführers zum Lenken von Kraftfahrzeugen der Klasse B.
Die bei der Untersuchung des Beschwerdeführers durch die verkehrspsychologische Untersuchungsstelle zu Tage tretenden Beeinträchtigungen des Beschwerdeführers hätten freilich nach § 17 Abs. 2 FSG-GV dazu führen müssen, vom Beschwerdeführer die Vorlage einer verkehrspsychologischen Stellungnahme im Hinblick auf seine Eignung zum Lenken von Motorfahrrädern, vierrädrigen Leichtkraftfahrzeugen und Invalidenkraftfahrzeugen zu verlangen, dies deshalb, weil die festgestellten Beeinträchtigungen des Beschwerdeführers ohne Zweifel im Zusammenhang mit seinem Alter (im Zeitpunkt der verkehrspsychologischen Untersuchung 79 Jahre) standen.
Der Verzicht auf die Einholung einer verkehrspsychologischen Stellungnahme hinsichtlich der genannten Fahrzeuge als maßgebliche Entscheidungsgrundlage für das vom Amtsarzt zu erstellende Gutachten stellt eine Verletzung von Verfahrensvorschriften dar, die den angefochtenen Bescheid mit Rechtswidrigkeit belastet (vgl. das hg. Erkenntnis vom 23. Mai 2003, Zl. 2003/11/0059).
Der angefochtene Bescheid war aus diesen Erwägungen gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG aufzuheben, ohne dass auf das weitere Beschwerdevorbringen eingegangen zu werden brauchte.
3. Von der Durchführung einer Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z. 3 VwGG abgesehen werden.
4. Bei diesem Ergebnis erübrigt sich ein Abspruch über den Antrag, der Verwaltungsgerichtshof wolle der Beschwerde aufschiebende Wirkung zuerkennen.
5. Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003, BGBl. II Nr. 333.
Wien, am 13. August 2003
Schlagworte
Begründung Begründungsmangel Besondere RechtsgebieteEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2003:2003110178.X00Im RIS seit
08.10.2003