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27 RechtspflegeNorm
EMRK Art6 Abs1 / VerfahrensgarantienLeitsatz
Keine Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte durch Verhängung einer Disziplinarstrafe über einen Rechtsanwalt wegen der Behauptung eines Vertretungsverhältnisses gegenüber einer Tageszeitung ohne Mandat oder VollmachtSpruch
Der Beschwerdeführer ist durch den angefochtenen Bescheid weder in einem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht noch wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in seinen Rechten verletzt worden.
Die Beschwerde wird abgewiesen.
Begründung
Entscheidungsgründe:
I. 1. Der Beschwerdeführer ist Rechtsanwalt in Wien. Mit Erkenntnis des Disziplinarrates der Rechtsanwaltskammer Wien (im folgenden: Disziplinarrat) vom 13. Dezember 1996 wurde er des Disziplinarvergehens der Berufspflichtenverletzung und der Beeinträchtigung von Ehre und Ansehen des Standes für schuldig erkannt, weil er sich ohne Mandat und Vollmacht der Maria H und ohne deren Genehmigung am 30. November 1993 gegenüber einem Redakteur einer österreichischen Tageszeitung als der "mit der Anspruchsstellung betraute Rechtsanwalt der Maria H" bezeichnet hatte. Der Beschwerdeführer wurde hiefür zu einer Geldstrafe von
S 10.000,- verurteilt.
2.1. Der gegen diesen Bescheid erhobenen Berufung des Beschwerdeführers gab die Oberste Berufungs- und Disziplinarkommission für Rechtsanwälte und Rechtsanwaltsanwärter (im folgenden: OBDK) mit Erkenntnis vom 30. März 1998 mit der Ergänzung keine Folge, daß die verhängte Geldbuße gemäß den §§31 und 40 StGB (§16 Abs5 Disziplinarstatut 1990) als Zusatzstrafe zum Erkenntnis des Disziplinarrates der Rechtsanwaltskammer Wien vom 24. April 1997 ausgesprochen werde.
2.2. Die OBDK ging dabei von folgendem - bereits vom Disziplinarrat festgestellten - Sachverhalt aus:
Der zwölfjährige Sohn der Maria H war von einem zu lebenslanger Haftstrafe verurteilten Straftäter während eines Freiganges getötet worden. Am 30. November 1993 rief eine männliche Person in der Kanzlei des Beschwerdeführers an und gab sich dem Beschwerdeführer gegenüber als Bruder der Maria H aus, der im Auftrag seiner Schwester anrufe, da diese der deutschen Sprache nicht ausreichend mächtig wäre. Er ersuchte den Beschwerdeführer im Auftrag der Maria H, ihre Vertretung zu übernehmen, und vereinbarte einen Besprechungstermin für den 2. Dezember 1993. Der Beschwerdeführer sollte auch Pressevertreter zu diesem Gespräch beiziehen, damit den Forderungen der Maria H durch Druck der öffentlichen Meinung nachgeholfen werde. Ohne sich über die Identität des Anrufers zu vergewissern oder Vollmacht und Auftrag direkt von Maria H einzuholen, nahm der Beschwerdeführer Kontakt mit einem Redakteur einer österreichischen Tageszeitung auf und teilte diesem mit, daß er Maria H vertrete und beabsichtige, sie als Privatbeteiligte in einem Strafverfahren gegen die Anstaltsleitung der Justizanstalt, von welcher der Straftäter freigegangen war, zu vertreten. Maria H hat jedoch weder direkt noch über ihren Bruder dem Beschwerdeführer Vollmacht oder Auftrag zu irgendwelchen Handlungen erteilt. Nach ihren Angaben habe ihr Bruder zu diesem Zeitpunkt nur äußerst schlecht Deutsch gesprochen, sodaß auch er als Anrufer in der Kanzlei des Beschwerdeführers nicht in Betracht käme. Aufgrund der Information des Beschwerdeführers erschien in einer österreichischen Tageszeitung am 1. Dezember 1993 ein Artikel, in welchem ausgeführt wurde, daß sich der Beschwerdeführer namens der Mutter des getöteten Buben einem möglichen Prozeß gegen die Justizanstalt angeschlossen habe und Begräbniskosten fordere.
3. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung des durch Art6 Abs1 EMRK garantierten Rechts auf ein faires Verfahren geltend gemacht und die kostenpflichtige Aufhebung des bekämpften Bescheides begehrt wird.
4. Die OBDK hat die Verwaltungsakten vorgelegt, jedoch von der Erstattung einer Gegenschrift abgesehen.
II. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:
1. Der Beschwerdeführer bringt gegen die dem angefochtenen Bescheid zugrundeliegenden Rechtsvorschriften keine verfassungsrechtlichen Bedenken vor. Aus der Sicht des Verfassungsgerichtshofes sind solche aus Anlaß dieses Beschwerdefalles nicht entstanden.
Der Beschwerdeführer wurde deshalb nicht wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in seinen Rechten verletzt.
2.1. Im Hinblick auf die Verletzung des Art6 Abs1 EMRK führt der Beschwerdeführer aus:
"Im Zuge des Vorverfahrens wurde weiters Maria H, die Mutter
des ermordeten Knaben, vernommen, die aussagte, keiner ihrer Brüder
habe die Kanzlei des Beschwerdeführers kontaktiert. Einer der beiden
sei damals in der Slowakei gewesen, der andere habe sich zwar in
Österreich aufgehalten, sei jedoch der deutschen Sprache kaum
mächtig, sodaß eine Verständigung, wie sie der Beschwerdeführer
behaupte, mit ihm nicht möglich gewesen wäre. Sie habe durch den
Artikel Nachteile erlitten, da sie sowohl von ihrem Chef als auch von
Personen ihres Lebensumfeldes mehrfach darauf angesprochen wurde,
warum sie nunmehr gegen das Gefangenenhaus ..... vorgehen wolle, was
ihr sehr unangenehm gewesen sei. Der Mann ihrer Schwester, ein
Österreicher, habe ihr in der Angelegenheit Vorwürfe gemacht und ihr
vorgehalten, daß sie am Tode ihres Sohnes mitschuldig sei. Dieser
Schwager sei gegen ihre Beziehung zum Freigänger ..... gewesen,
weshalb ihre Beziehung zu ihm nicht sehr innig gewesen und nach dem Vorfall (gemeint dem Tod ihres Sohnes) gänzlich abgebrochen sei. Sie habe ihren Schwager nicht danach gefragt, ob allenfalls er in der Kanzlei des Beschwerdeführers angerufen habe. Dieser Schwager sei allerdings sehr auf Geld aus, weshalb sie nicht ausschließen könne, daß er ihr vorgreifend eine solche Vorgangsweise gewählt haben könnte.
Sie habe, nachdem sie von dem beanstandeten Artikel ..... Kenntnis erlangt hatte, in der Kanzlei des Beschwerdeführers angerufen und dort mit einer Frau gesprochen, die ihr mitgeteilt habe, daß ihr Bruder sehr gut deutsch gesprochen habe, weshalb ihr die Anzeigerin erklärte, daß dies dann eben nicht ihr Bruder gewesen sein könnte. Unter einem habe sie mitgeteilt, daß sie mit der Angelegenheit nicht mehr zu tun haben wolle und daher in dieser auch nichts mehr unternommen werden soll. Der Schwager der Anzeigerin habe - nach der ... von ihm erteilten Auskunft - die Kanzlei des Beschwerdeführers ebenfalls nicht kontaktiert. .....
Die von der OBDK getroffenen Feststellungen verwerten die Ergebnisse des Beweisverfahrens nicht zur Gänze, sondern übergehen wesentliche Tatumstände, die im Verfahren hervorgekommen sind, mit Stillschweigen, die - wären sie festgestellt worden - im Bezug auf §3 Disziplinarstatut eine andere und für den Beschwerdeführer günstigere rechtliche Beurteilung des vorliegenden Disziplinarfalles ermöglicht hätten.
Aufgrund der Aussage der Maria H im Vorverfahren hätte festgestellt werden müssen, daß es sich bei dem Anrufer mit höchster Wahrscheinlichkeit um den Schwager der Zeugin (Maria H), Herrn N, handelte. Diese Feststellung hätte zu der weiteren Feststellung Anlaß geben können, daß der Beschwerdeführer den Anrufer für seriös halten und somit davon ausgehen durfte, daß er am 02.12.1993 von Maria H den ihm vom Anrufer vorangekündigten Auftrag und die zu dessen Geltendmachung erforderliche Vollmacht erhalten würde. Aufgrund der Äußerung des Beschwerdeführers wäre festzustellen gewesen, daß mit der im Disziplinarverfahren erforderlichen Sicherheit nicht auszuschließen ist, daß der Anrufer in der Kanzlei des Beschwerdeführers - vermutlich Herr N - tatsächlich im Auftrag der Zeugin Maria H angerufen hat und daß diese erst nach dem 30.11.1993 von ihrem ursprünglichen Vorhaben, sich dem Strafverfahren gegen die Anstaltsleitung der Justizanstalt ..... durch den Beschwerdeführer als Privatbeteiligte anzuschließen, Abstand nahm. Des weiteren wäre aufgrund der Äußerung des Beschwerdeführers und im Zusammenhalt mit den getroffenen Feststellungen festzustellen gewesen, daß der Beschwerdeführer dann, wenn er dem ihm erteilten Auftrag, zur Besprechung am 02.12.1993 Pressevertreter beizuziehen, entsprechen wollte, im Hinblick auf die für 1.12.1993 beim Landesgericht Klagenfurt anberaumte Gerichtsverhandlung und den Umstand, daß auch Pressevertreter nicht immer sofort verfügbar sind, Herrn P sofort verständigen mußte, um gegebenenfalls dessen Erscheinen zur Besprechung am 2.12.1993 in seiner Kanzlei zu ermöglichen. Diese - durch die Ergebnisse des Beweisverfahrens indizierte - Feststellung hätte jedoch die weitere Feststellung nach sich gezogen, daß der Beschwerdeführer bei sofortiger Kontaktaufnahme mit Herrn P gar nicht anders konnte, als diesem von dem ihm übermittelten Auftrag der Maria H Kenntnis zu geben, da er Herrn P den Grund für seine Kontaktaufnahme nennen mußte. Durch entsprechende - im angefochtenen Bescheid jedoch unterlassene - Feststellungen wäre eine für den Beschwerdeführer günstigere Tatsachengrundlage für die Beurteilung des Grades des ihm anzulastenden Verschuldens vorgelegen. Von maßgebender Bedeutung für die Beurteilung des dem Beschwerdeführer anzulastenden Verschuldens wäre die im Rahmen seiner Äußerung relevierte Verständigung durch die Zeugin Maria H vom 2.12.1993 geworden, wonach diese ihre Erklärung, daß sie eine Vertretung durch den Beschwerdeführer nicht wünsche, damit begründete, daß sie durch die ganze Sache so belastet sei und von der ganzen Sache nichts mehr hören wolle. Dieser Umstand, der eindeutig in die Richtung weist, daß die Zeugin Maria H ursprünglich mit einem Anschluß als Privatbeteiligte einverstanden war und erst nachträglich von ihrem Entschluß, sich einem Strafverfahren gegen die Anstaltsleitung der Justizanstalt ..... anzuschließen, Abstand nahm, wäre der Zeugin Maria H im Zuge ihrer Vernehmung vorzuhalten gewesen - was nicht erfolgte - jedenfalls aber als Grundlage einer Feststellung heranzuziehen gewesen, welche für die rechtliche Beurteilung der Disziplinarsache im Hinblick auf §3 Disziplinarstatut von ausschlaggebender Bedeutung hätte sein können.
Die Unterlassung von Feststellungen aufgrund der vorstehend wieder gegebenen Teile der Aussage der Maria H und der Äußerung des Beschwerdeführers bewirkte, daß die Sache des Beschwerdeführers von der OBDK nicht in billiger Weise im Sinne des Artikel 6 Abs1 MRK gehört wurde. 'In billiger Weise' bedeutet, daß sämtliche vorliegenden Beweisergebnisse zugunsten und zu Lasten des Beschuldigten - hier des Beschwerdeführers - ausgewertet und als Grundlage von Tatsachenfeststellungen herangezogen werden, zumal nur eine vollständige Auswertung der Beweisergebnisse im Rahmen der Feststellungen dem Grundsatz des Parteiengehörs entspricht, welches wiederum die primäre und unabdingbare Voraussetzung eines rechtsstaatlichen Verfahrens überhaupt ist. Da die OBDK in ihrem angefochtenen Erkenntnis wesentliche Beweisergebnisse, die zu Feststellungen hätten führen können, die - wären sie getroffen worden - eine günstigere Beurteilung des Grades des dem Beschwerdeführer angelasteten Verschuldens ermöglicht hätten, übergangen hat, verletzt das angefochtene Erkenntnis den Beschwerdeführer in seinem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Anhörung seiner Sache in billiger Weise gem. Artikel 6 Abs1 MRK."
2.2.1. Der Vorwurf der Verletzung des durch Art6 Abs1 EMRK gewährleisteten Rechts auf ein faires Verfahren ist unbegründet:
2.2.2. Nach Durchsicht der Verwaltungsakten ist nichts hervorgekommen, was das Verfahren vor den Disziplinarbehörden insgesamt als nicht fair erscheinen ließe. Es wurden in Anwesenheit des Beschwerdeführers öffentliche mündliche Verhandlungen sowohl vor dem Disziplinarrat (13. Dezember 1996) als auch vor der OBDK (30. März 1998) durchgeführt. Dem Beschwerdeführer wurde ausreichend Gelegenheit geboten, seinen Standpunkt darzulegen und sich zu verteidigen.
Der Beschwerdeführer bekämpft im einzelnen die Richtigkeit der Tatsachenfeststellungen und die Beweiswürdigung des angefochtenen Bescheides. Diesem Vorbringen ist zu erwidern, daß es allenfalls Verstöße gegen einfachgesetzliche Regelungen aufzeigt, aber nicht geeignet ist, einen in die Verfassungssphäre reichenden Vollzugsfehler zu erweisen.
Wenn der Beschwerdeführer behauptet, daß im Verfahren der Grundsatz des Parteiengehörs verletzt wurde, weil sich die Behörde nicht mit einem bestimmten Vorbringen auseinandergesetzt hat, ist ihm zu entgegnen, daß in einer solchen Unterlassung keine Verletzung des Parteiengehörs liegt. Der Verfassungsgerichtshof kann nicht finden, daß der belangten Behörde in der Beurteilung des Berufungsvorbringens des Beschwerdeführers ein in die Verfassungssphäre reichender Fehler unterlaufen wäre.
Ob der Bescheid in jeder Hinsicht dem Gesetz entspricht, ist vom Verfassungsgerichtshof nicht zu prüfen, und zwar auch dann nicht, wenn sich die Beschwerde - wie im vorliegenden Fall - gegen eine Entscheidung einer Kollegialbehörde nach Art133 Z4 B-VG richtet, die beim Verwaltungsgerichtshof nicht bekämpft werden kann (vgl. etwa VfSlg. 13419/1993; 14408/1996; VfGH 8.6.1999, B788/99).
2.3. Die behauptete Verletzung des aus Art6 EMRK abzuleitenden Rechtes auf ein faires Verfahren hat sohin nicht stattgefunden.
3. Das Verfahren hat auch nicht ergeben, daß der Beschwerdeführer in von ihm nicht geltend gemachten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten verletzt wurde.
Die Beschwerde war daher abzuweisen.
4. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VerfGG 1953 ohne vorangegangene mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.
Schlagworte
Rechtsanwälte, Disziplinarrecht Rechtsanwälte, Verwaltungsverfahren, ParteiengehörEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:2000:B1579.1998Dokumentnummer
JFT_09999387_98B01579_00