TE Vfgh Erkenntnis 2000/6/13 B2236/98 ua

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Veröffentlicht am 13.06.2000
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Index

41 Innere Angelegenheiten
41/02 Staatsbürgerschaft, Paß- und Melderecht, Fremdenrecht

Norm

B-VG Art144 Abs1 / Anlaßfall

Leitsatz

Anlaßfallwirkung der Aufhebung einer Wortfolge in §28 Abs2 FremdenG 1997 mit E v 08.03.00, G1/00.

Spruch

Die Beschwerdeführer sind durch den jeweils angefochtenen Bescheid wegen Anwendung einer verfassungswidrigen Gesetzesbestimmung in ihren Rechten verletzt worden.

Die Bescheide werden aufgehoben.

Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, den Beschwerdeführern die mit je 27.000 S bestimmten Prozeßkosten zuhanden ihres Rechtsvertreters binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Mit den im Instanzenzug ergangenen Bescheiden des Bundesministers für Inneres je vom 8. September 1998 wurden die am 13. Juni 1996 bzw. am 10. Juli 1997 eingebrachten Anträge der durch ihre Eltern (wobei nur der Vater über einen gültigen Aufenthaltstitel verfügt) vertretenen mj. Beschwerdeführer (am 6. Mai 1996 bzw. am 29. Oktober 1994 in Wien geborene türkische Staatsangehörige) auf Erteilung einer Niederlassungsbewilligung abgewiesen. Dies wurde - sinngemäß zusammengefaßt - damit begründet, daß eine Inlandsantragstellung gem. §14 Abs2 FremdenG 1997 nicht zulässig sei, da die Mutter der Beschwerdeführer über einen Aufenthaltstitel nur bis Mai 1995 verfügte; die Beschwerdeführer könnten somit keinen Rechtsanspruch im Sinne des §28 Abs2 FremdenG 1997 ableiten.

2. Diese beiden Berufungsbescheide sind Gegenstand der vorliegenden Verfassungsgerichtshofbeschwerden, in welchen die Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte geltend gemacht sowie die Prüfung der Verfassungmäßigkeit des §28 Abs2 FremdenG 1997 angeregt wird.

3. Der Bundesminister für Inneres hat als belangte Behörde die Verwaltungsakten vorgelegt, von der Erstattung einer Gegenschrift jedoch Abstand genommen.

II. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässigen - Beschwerden erwogen:

1. Aus Anlaß der Beschwerde B1017/98 leitete der Verfassungsgerichtshof nach Art140 Abs1 B-VG von Amts wegen ein Verfahren zur Prüfung der Verfassungsmäßigkeit der in §28 Abs2 FremdenG 1997, BGBl. I 75, enthaltenen Wortfolge ", sofern die Mutter über einen Aufenthaltstitel verfügt oder Sichtvermerks- und Niederlassungsfreiheit genießt; dies gilt jedoch nur, solange das Aufenthaltsrecht der Mutter weiterhin besteht" ein und hob sie mit Erkenntnis vom 8. März 2000, G1/00, als verfassungswidrig auf.

2. Gemäß Art140 Abs7 B-VG wirkt die Aufhebung eines Gesetzes auf den Anlaßfall zurück. Es ist daher hinsichtlich des Anlaßfalles so vorzugehen, als ob die als verfassungswidrig erkannte Norm bereits zum Zeitpunkt der Verwirklichung des dem Bescheid zugrundegelegten Tatbestandes nicht mehr der Rechtsordnung angehört hätte.

Dem in Art140 Abs7 B-VG genannten Anlaßfall (im engeren Sinn), anläßlich dessen das Gesetzesprüfungsverfahren tatsächlich eingeleitet worden ist, sind all jene Beschwerdefälle gleichzuhalten, die zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung im Gesetzesprüfungsverfahren (bei Unterbleiben einer mündlichen Verhandlung zu Beginn der nichtöffentlichen Beratung) beim Verfassungsgerichtshof bereits anhängig waren (VfSlg. 10.616/1985, 11.711/1988).

3. Die nichtöffentliche Beratung des Verfassungsgerichtshofes im Gesetzesprüfungsverfahren (G1/00) fand am 8. März 2000 statt. Die vorliegenden Beschwerden langten beim Verfassungsgerichtshof am 2. Dezember 1998 ein, waren also zu Beginn der nichtöffentlichen Beratung schon anhängig; die ihnen zugrundeliegenden Fälle sind somit einem Anlaßfall gleichzuhalten.

4. Die belangte Behörde wendete bei Erlassung der angefochtenen Bescheide die als verfassungswidrig aufgehobene Gesetzesbestimmung an. Es ist nach Lage des Falles nicht von vornherein ausgeschlossen, daß diese Gesetzesanwendung für die Rechtsstellung der Beschwerdeführer nachteilig war. Die Beschwerdeführer wurden somit wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes in ihren Rechten verletzt.

Die Bescheide sind daher aufzuheben.

III. Die Kostenentscheidung gründet sich auf §88 VerfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von je 4.500 S enthalten.

IV. Von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung wurde gemäß §19 Abs4 Z3 VerfGG abgesehen.

Schlagworte

VfGH / Anlaßfall

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2000:B2236.1998

Dokumentnummer

JFT_09999387_98B02236_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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