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10/07 Verwaltungsgerichtshof;Norm
AVG §56;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Sauberer und die Hofräte Dr. Robl, Dr. Pelant, Dr. Sulzbacher und Dr. Grünstäudl als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Winter, über die Beschwerde des H, vertreten durch Dr. Michael Kreuz, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Herrengasse 6- 8/3/1, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 3. Juni 2002, Zl. 508.150/13-III/16/02, betreffend 1. § 44 FrG und
2. Zurückweisung einer Berufung wegen entschiedener Sache, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird in beiden Spruchpunkten wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von 1.171,20 EUR binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der nach dem Akteninhalt 1985 nach Österreich eingereiste Beschwerdeführer, ein chinesischer Staatsangehöriger, war mit rechtskräftigem Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 11. Mai 1993 wegen einer am 6. Mai 1992 begangenen Tat nach §§ 83 Abs. 1, 84 Abs. 1 StGB zu einer (teilbedingten) 20-monatigen Freiheitsstrafe verurteilt worden. Im Hinblick auf diese Verurteilung erließ die Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien mit im Instanzenzug ergangenem Bescheid vom 4. Oktober 1996 ein zehnjähriges Aufenthaltsverbot gegen den Beschwerdeführer. Eine dagegen erhobene Beschwerde wies der Verwaltungsgerichtshof mit Erkenntnis vom 28. November 1996, Zl. 96/18/0524, als unbegründet ab.
Mit Beschluss vom 10. März 1997 hob das Landesgericht für Strafsachen Wien in Stattgebung eines Wiederaufnahmeantrages des Beschwerdeführers das Strafurteil vom 11. Mai 1993 auf, weil aufgrund eines psychiatrischen Sachverständigengutachtens nicht ausgeschlossen werden könne, dass beim Beschwerdeführer zum Tatzeitpunkt ein Schuldausschließungsgrund (akute Geisteskrankheit) vorgelegen habe. Mit Urteil vom 11. Oktober 1999 wurde der Beschwerdeführer schließlich von der wider ihn erhobenen Anklage, er habe am 6. Mai 1992 das Vergehen der schweren Körperverletzung nach § 84 Abs. 1 StGB begangen, gemäß § 259 Z 3 StPO freigesprochen. Gestützt auf diese strafgerichtlichen Entscheidungen beantragte der Beschwerdeführer zunächst mit Schriftsatz vom 28. Oktober 1997 und in weiterer Folge mit Schriftsatz vom 8. November 1999 die Aufhebung des über ihn verhängten Aufenthaltsverbotes. Dies ua. mit der Begründung, dass er sich seit September 1996 zunächst stationär und dann ambulant in psychiatrischer Behandlung (Krankenhaus Baumgartner Höhe) befunden habe bzw. befinde und dass eine Gefährlichkeit infolge der intensiven psychiatrischen Therapie jedenfalls weggefallen sei (so im ersten Aufhebungsantrag) bzw. dass die in der Hauptverhandlung vom 11. Oktober 1999 beigezogenen gerichtlich beeideten Sachverständigen eine Gefährlichkeitsprognose verneint hätten (so im zweiten Aufhebungsantrag).
Die jeweils im Devolutionsweg zur Entscheidung berufene Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien wies den ersten Aufhebungsantrag mit Bescheid vom 9. Juni 1998 ab und den zweiten mit Bescheid vom 13. Oktober 2000 gemäß § 68 Abs. 1 AVG wegen entschiedener Sache zurück. Die erstgenannte Entscheidung begründete sie im Wesentlichen damit, dass aufgrund der vom Beschwerdeführer gesetzten Tathandlungen, auch wenn sie durch Geisteskrankheit entschuldigt seien, eine ebenso schwere oder eine noch schwerer wiegende Gefährdung der öffentlichen Sicherheit wie im Fall einer Verurteilung gegeben sei. Die Tatsache, dass sich der Beschwerdeführer in psychiatrischer Behandlung befinde, bedeute keinesfalls, dass die Gefährdung der öffentlichen Sicherheit weggefallen sei. Dem Bescheid vom 13. Oktober 2000 legte die Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien zugrunde, dass mangels Änderung der maßgeblichen Umstände Identität der Sache vorliege.
Der Beschwerdeführer erhob gegen die beiden letztgenannten Bescheide jeweils Berufung. Hierüber erkannte der Bundesminister für Inneres mit Bescheid vom 3. Juni 2002 dergestalt, dass er in einem Spruchpunkt 1. der Berufung gegen den Bescheid vom 9. Juni 1998 gemäß § 66 Abs. 4 AVG iVm § 44 FrG keine Folge gab; unter Spruchpunkt 2. sprach er aus, dass die Berufung gegen den Bescheid vom 13. Oktober 2000 gemäß § 68 Abs. 1 AVG wegen entschiedener Sache zurückgewiesen werde. Zu Spruchpunkt 1. verwies der Bundesminister für Inneres auf die Ausführungen der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien, denen er sich vollinhaltlich anschließe und die er zum Inhalt seines Bescheides erhebe; selbst wenn man davon ausgehe, dass der Beschwerdeführer zum Tatzeitpunkt nicht zurechnungsfähig gewesen sei, könne aufgrund der von ihm begangenen Tat davon ausgegangen werden, dass sein Aufenthalt im Bundesgebiet eine massive Gefährdung der öffentlichen Ruhe, Ordnung und Sicherheit darstelle. Spruchpunkt 2. begründete der Bundesminister für Inneres damit, dass bezogen auf die Entscheidung zu Spruchpunkt 1. keine Änderung der maßgeblichen Sach- und Rechtslage eingetreten sei.
Über die gegen beide Spruchpunkte des Bescheides vom 3. Juni 2002 erhobene Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof erwogen:
Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass der vor rechtskräftigem Abschluss des Verfahrens über den ersten Aufhebungsantrag gestellte zweite Aufhebungsantrag bei richtiger Betrachtung keine selbstständige Erledigung hätte erfahren dürfen (vgl. sinngemäß etwa den hg. Beschluss vom 11. März 1998, Zl. 97/01/0481). Vielmehr wäre er als Ergänzung zu der bei seiner Einbringung noch offenen Berufung gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom 9. Juni 1998, mit dem der erste Aufhebungsantrag abgewiesen worden war, zu behandeln gewesen. Das bedeutet in weiterer Folge, dass die belangte Behörde bei Entscheidung über diese Berufung (Spruchpunkt 1. des bekämpften Bescheides) auch auf das Vorbringen im zweiten Aufhebungsantrag hätte Rücksicht nehmen müssen. Das hat sie nicht getan und sich über dieses Vorbringen, wonach gemäß den im wiederaufgenommenen strafgerichtlichen Verfahren beigezogenen Sachverständigen keine Gefährlichkeitsprognose gegeben sei, kommentarlos hinweggesetzt; dies ungeachtet dessen, dass sich in dem dem Antrag beigelegten Auszug aus dem Protokoll über die Hauptverhandlung vom 11. Oktober 1999 ua. folgende gutachterliche Stellungnahme betreffend den Beschwerdeführer findet:
"Die Prognose hat sich nur bestätigt u. ist noch günstiger. Er ist ruhiger geworden durch die Medikamente. Es sind beruhigende, stabilisierende Medikamente.
Meine Prognose hat zugetroffen, dass keine Gefährlichkeit zum Tatzeitpunkt vorgelegen ist für eine Maßnahmenunterbringung u. das bewahrheitet sich auch jetzt.
Ich kenne ihn jetzt schon seit 1997. Hier ist ein durchaus integrierter Mensch wieder vor Ihnen."
Schon angesichts dieser Vorgangsweise ist die Entscheidung der belangten Behörde zu Spruchpunkt 1. jedenfalls mit Rechtswidrigkeit behaftet.
Was die Entscheidung zu Spruchpunkt 2. anlangt, so hätte die belangte Behörde nach dem eingangs Gesagten den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom 13. Oktober 2000, mit dem der zweite Aufhebungsantrag des Beschwerdeführers gemäß § 68 Abs. 1 AVG zurückgewiesen worden war, ersatzlos zu beheben gehabt. Indem sie demgegenüber die gegen diesen Bescheid erhobene Berufung "zurückwies" - welche Überlegungen die belangte Behörde zur Zurückweisung der Berufung gemäß § 68 Abs. 1 AVG ( und nicht etwa ihrer Intention nach zur Abweisung der Berufung) veranlassten, ist nicht nachvollziehbar - verkannte sie auch insoweit die Rechtslage. Damit ist der bekämpfte Bescheid in beiden Spruchpunkten gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003.
Wien, am 4. September 2003
Schlagworte
Anspruch auf bescheidmäßige Erledigung und auf Zustellung, Recht der Behörde zur Bescheiderlassung konstitutive Bescheide Besondere RechtsgebieteEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2003:2002210114.X00Im RIS seit
23.09.2003