TE Vwgh Erkenntnis 2003/9/9 2002/01/0243

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Veröffentlicht am 09.09.2003
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Index

41/02 Staatsbürgerschaft;

Norm

StbG 1985 §20 Abs1 idF 1998/I/124;
StbG 1985 §20 Abs2 idF 1998/I/124;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Höß und die Hofräte Dr. Nowakowski, Dr. Pelant, Dr. Köller und Dr. Thoma als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Stieger, über die Beschwerde der Y in W, vertreten durch Dr. Herbert Schöpf, Rechtsanwalt in 6020 Innsbruck, Arkadenhof, Maria-Theresien-Straße 34, gegen den Bescheid der Tiroler Landesregierung vom 23. April 2002, Zl. Ia- 17.885/2-2002, betreffend Verleihung der Staatsbürgerschaft, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Das Land Tirol hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.171,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Unbestritten ist, dass die Beschwerdeführerin, 1980 in W geboren, bis Oktober 1985 dort lebte, sodann in die Türkei verzog und am 25. Oktober 1999 wieder nach W zuzog.

Mit Bescheid vom 16. Februar 1998 sicherte die Tiroler Landesregierung (die belangte Behörde) der Beschwerdeführerin sowie ihren Eltern und Geschwistern, zum damaligen Zeitpunkt türkische Staatsangehörige, "gemäß § 20 des Staatsbürgerschaftsgesetzes 1985, BGBl. 311, ... die Verleihung der Staatsbürgerschaft bzw. die Erstreckung der Verleihung zunächst für den Fall zu, dass er (sie) binnen zwei Jahren aus dem Verband seines (ihres) bisherigen Heimatstaates ausscheidet (ausscheiden)".

Laut einer Bestätigung des türkischen Generalkonsulates in Salzburg vom 10. Mai 1999 hatten der Vater der Beschwerdeführerin, ihre Geschwister und die Beschwerdeführerin selbst ab dem genannten Ausstellungsdatum der Bestätigung die türkische Staatsbürgerschaft verloren.

Mit Bescheid vom 14. Jänner 2000 verlieh die belangte Behörde dem Vater der Beschwerdeführerin die österreichische Staatsbürgerschaft gemäß § 10 Abs. 1 des Staatsbürgerschaftsgesetzes 1985 (StbG) und erstreckte die Verleihung derselben gemäß § 16 StbG auf die Mutter der Beschwerdeführerin und gemäß § 17 leg. cit. auf deren Geschwister.

Mit Schriftsatz vom 28. Jänner 2002 beantragte die Beschwerdeführerin "die Verleihung" der österreichischen Staatsbürgerschaft. Die belangte Behörde habe mit Bescheid vom 16. Februar 1998 die Verleihung der Staatsbürgerschaft auch an die Beschwerdeführerin zugesichert. Mit Bescheid vom 14. Jänner 2000 habe sie den Eltern und Geschwistern der Beschwerdeführerin die Staatsbürgerschaft verliehen. Bei der Beschwerdeführerin lägen ebenfalls sämtliche Voraussetzungen für die Verleihung der Staatsbürgerschaft vor. Sie sei im Sinne des Zusicherungsbescheides vom 16. Februar 1998 aus dem türkischen Staatsverband ausgeschieden und habe ihren Hauptwohnsitz gemeinsam mit ihren Eltern in W begründet. Sie sei unbescholten und studiere seit 1999 an der Universität Innsbruck.

Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde den Antrag der Beschwerdeführerin "auf Verleihung" der Staatsbürgerschaft "auf Grund des § 39 mangels Vorliegens der Voraussetzung des § 10 Abs. 1 Z. 1, § 10 Abs. 4 und 5 Zi. 6 des Staatsbürgerschaftsgesetzes 1985, BGBl. 311, in der Fassung der Staatsbürgerschaftsgesetznovelle 1998, BGBl. I 124, ab". Begründend führte sie zunächst aus, dass der Beschwerdeführerin zwar die Erstreckung der Verleihung zugesichert worden sei, dies jedoch wegen Erreichens der Volljährlichkeit gegenstandslos geworden sei.

Nach Wiedergabe des § 10 Abs. 1 Z 1, Abs. 4 Z 1 StbG führte sie weiter aus, von den in § 10 Abs. 5 leg. cit. normierten besonders berücksichtigungswürdigen Gründen kämen beim gegebenen Sachverhalt nachhaltige persönliche und berufliche Integration (Z 3) oder Geburt in Österreich (Z 6) in Betracht, die jedoch jeweils einen ununterbrochenen Hauptwohnsitz von sechs Jahren voraussetzten. Eine Wohnsitzdauer von weniger als sechs Jahren sei nur bei Gewährung von Asyl (Z 4) oder beim Besitz der Staatsangehörigkeit einer Vertragspartei des EWR-Abkommens (Z 5) vorgesehen, wobei das Erfordernis einer bestimmten ununterbrochenen Wohnsitzdauer vom Zeitpunkt der Entscheidung zurückzurechnen sei und beide Kriterien nicht zuträfen. Anhaltspunkte für das Vorliegen des Staatsinteresses im Sinn des § 10 Abs. 6 StbG seien nicht zu erkennen und seien auch nicht geltend gemacht worden. Die gesetzliche Wohnsitzdauer sei nicht erfüllt.

Über die gegen diesen Bescheid gerichtete Beschwerde, zu der die belangte Behörde eine Gegenschrift und die Beschwerdeführerin einen weiteren Schriftsatz erstattet haben, hat der Verwaltungsgerichtshof erwogen:

Die Beschwerde erblickt die Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides darin, dass nach dem eindeutigen Wortlaut des § 20 Abs. 3 Z 1 StbG die Staatsbürgerschaft zu verleihen sei, sobald der Fremde aus dem Verband des bisherigen Heimatstaates ausgeschieden sei. Grundsätzlich habe zwar die Behörde von der Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der Entscheidung auszugehen, im vorliegenden Fall sei jedoch die Sachlage im Zeitpunkt der Bestätigung der türkischen Republik über das Ausscheiden der Beschwerdeführerin aus dem türkischen Staatsverband maßgeblich, weil mit dem Zusicherungsbescheid beim Staatsbürgerschaftswerber ein Vertrauenstatbestand gesetzt werde und dem Gesetz nicht der Inhalt beigemessen werden könne, dass das gesetzliche Ziel, nämlich bei Bedingungseintritt den Rechtsanspruch auf Verleihung (Erstreckung der Verleihung) der Staatsbürgerschaft zu realisieren, dadurch vereitelt werde, dass die Behörde mit ihrer Entscheidung so lange zuwarte, bis der Staatsbürgerschaftswerber volljährig geworden sei. Auch wenn in diesem Fall zwar die Möglichkeit bestünde, eine Verletzung der Entscheidungspflicht durch die Behörde geltend zu machen, so würde dieses Rechtsmittel fehlgehen, wenn immer auf die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der Entscheidung abgestellt würde.

In ihrer Äußerung zur Gegenschrift bringt die Beschwerdeführerin weiter vor, dass nur eine vom Staatsbürgerschaftswerber beeinflussbare Verleihungsvoraussetzung im Sinn des § 20 Abs. 2 StbG nachträglich wegfallen könne. Hingegen sei der bloße Umstand, dass die Beschwerdeführerin im Zeitpunkt der Zusicherung der Erstreckung der Verleihung noch minderjährig gewesen sei und bis zum Eintritt der Bedingung volljährig werde, nicht tatbestandsmäßig, weil die Beschwerdeführerin den Eintritt ihrer Volljährigkeit nicht beeinflussen, also verhindern könne. Weiters beziehe sich § 20 Abs. 2 StbG ausschließlich auf die Verleihungsvoraussetzungen, nicht jedoch auf die Erstreckungsvoraussetzung der "Minderjährigkeit", für die ausschließlich der Zeitpunkt der Zusicherung der Erstreckung der Verleihung der Staatsbürgerschaft maßgeblich sei.

Die im vorliegenden Fall maßgeblichen Bestimmungen des Staatsbürgerschaftsgesetzes 1985, BGBl. Nr. 311, in der Fassung der Staatsbürgerschaftsgesetznovelle 1998, BGBl. I Nr. 124, lauten auszugsweise:

"Verleihung

§ 10. (1) Die Staatsbürgerschaft kann einem Fremden verliehen werden, wenn

1. er seit mindestens zehn Jahren seinen Hauptwohnsitz ununterbrochen im Bundesgebiet hat;

...

(4) Von der Voraussetzung des Abs. 1 Z 1 kann abgesehen werden

1. aus besonders berücksichtigungswürdigem Grund, sofern es sich um einen Minderjährigen, der seit mindestens vier Jahren, oder um einen Fremden handelt, der seit mindestens sechs Jahren seinen Hauptwohnsitz ununterbrochen im Bundesgebiet hat, es sei denn, es wäre in Abs. 5 hinsichtlich dieser Wohnsitzdauer anderes vorgesehen;

...

(5) Als besonders berücksichtigungswürdiger Grund (Abs. 4 Z 1) gilt insbesondere

...

3. der Nachweis nachhaltiger persönlicher und beruflicher Integration oder

...

§ 17. (1) Die Verleihung der Staatsbürgerschaft ist unter den Voraussetzungen des § 10 Abs. 1 Z 2 bis 8 und Abs. 3 zu erstrecken auf

1.

die ehelichen Kinder des Fremden,

2.

die unehelichen Kinder der Frau,

3.

die unehelichen Kinder des Mannes, wenn seine Vaterschaft festgestellt oder anerkannt ist und ihm die Pflege und Erziehung der Kinder zustehen,

              4.              die Wahlkinder des Fremden,

sofern die Kinder minderjährig, ledig und nicht infolge der Entziehung der Staatsbürgerschaft nach § 33 Fremde sind.

...

(3) Die Voraussetzung der Minderjährigkeit entfällt bei einem behinderten Kind, wenn die Behinderung erheblich ist und das Kind mit dem für die Erstreckung der Verleihung maßgebenden Elternteil im gemeinsamen Haushalt lebt oder diesem die Sorgepflicht für das Kind obliegt und er seiner Unterhaltspflicht nachkommt. ...

(4) Das Fehlen der Voraussetzung nach § 10 Abs. 3 steht der Erstreckung nicht entgegen, wenn die Staatsbürgerschaft nach § 10 Abs. 6 verliehen wird.

§ 18. Die Erstreckung der Verleihung darf nur gleichzeitig mit der Verleihung der Staatsbürgerschaft und nur mit demselben Erwerbszeitpunkt verfügt werden.

...

§ 20. (1) Die Verleihung der Staatsbürgerschaft ist einem Fremden zunächst für den Fall zuzusichern, dass er binnen zwei Jahren das Ausscheiden aus dem Verband seines bisherigen Heimatstaates nachweist, wenn

1.

er nicht staatenlos ist,

2.

weder § 10 Abs. 6 noch die §§ 16 Abs. 2 oder 17 Abs. 4 Anwendung finden und

              3.              ihm durch die Zusicherung das Ausscheiden aus dem Verband seines bisherigen Heimatstaates ermöglicht wird oder erleichtert werden könnte.

(2) Die Zusicherung ist zu widerrufen, wenn der Fremde auch nur eine der für die Verleihung der Staatsbürgerschaft erforderlichen Voraussetzungen nicht mehr erfüllt.

(3) Die Staatsbürgerschaft, deren Verleihung zugesichert wurde, ist zu verleihen, sobald der Fremde

1. aus dem Verband seines bisherigen Heimatstaates ausgeschieden ist oder

2. nachweist, dass ihm die für das Ausscheiden aus seinem bisherigen Staatsverband erforderlichen Handlungen nicht möglich oder nicht zumutbar waren.

(4) Die Staatsbürgerschaft, deren Verleihung zugesichert wurde, kann verliehen werden, sobald der Fremde glaubhaft macht, dass er für das Ausscheiden aus seinem bisherigen Staatsverband Zahlungen zu entrichten gehabt hätte, die für sich allein oder im Hinblick auf den für die gesamte Familie erforderlichen Aufwand zum Anlass außer Verhältnis gestanden wären.

(5) Die Bestimmungen der Abs. 1 bis 4 gelten auch für die Erstreckung der Verleihung."

Gemäß § 12 IPRG sind die Rechts- und Handlungsfähigkeit einer Person nach deren Personalstatut zu beurteilen.

Gemäß § 9 Abs. 1 leg. cit. ist das Personalstatut einer natürlichen Person das Recht des Staates, dem die Person angehört. Hat eine Person neben einer fremden Staatsangehörigkeit auch die österreichische Staatsbürgerschaft, so ist diese maßgebend. Für andere Mehrstaater ist die Staatsangehörigkeit des Staates maßgebend, zu dem die stärkste Beziehung besteht. Gemäß Abs. 2 dieser Bestimmung ist, wenn eine Person staatenlos ist oder ihre Staatsangehörigkeit nicht geklärt werden kann, das Recht des Staates ihr Personalstatut, in dem sie den gewöhnlichen Aufenthalt hat.

Nach § 21 Abs. 2 ABGB in der bis zum Ablauf des 30. Juni 2001 geltenden Fassung durch die Novelle BGBl. Nr. 108/1973 sind unter Minderjährigen Personen zu verstehen, die das neunzehnte Lebensjahr noch nicht vollendet haben. Gemäß § 21 Abs. 2 leg. cit. in der Fassung des Kindschaftsrechts-Änderungsgesetzes 2001, BGBl. I Nr. 135, sind Minderjährige Personen, die das achtzehnte Lebensjahr noch nicht vollendet haben.

Nach Art. 11 des (türkischen) Bürgerlichen Gesetzbuches vom 17. Februar 1926 ist mündig, wer das 18. Lebensjahr vollendet hat. Nach Art. 14 leg. cit. sind Personen handlungsunfähig, die nicht urteilsfähig oder die unmündig oder entmündigt sind.

Vorliegend hatte die belangte Behörde vorerst der damals unstrittig noch minderjährigen Beschwerdeführerin die Verleihung der Staatsbürgerschaft im Wege der Erstreckung mit Bescheid vom 16. Februar 1998 für den Fall zugesichert, dass sie binnen zwei Jahren aus dem Verband ihres bisherigen Heimatstaates ausscheidet. Mit 10. Mai 1999 erfüllte die Beschwerdeführerin die im genannten Zusicherungsbescheid gesetzte Bedingung des Ausscheides aus ihrem bisherigen Staatsverband. Ausgehend von den nicht in Zweifel gezogenen Sachverhaltsfeststellungen der belangten Behörde, wonach die Beschwerdeführerin am 25. Oktober 1999 von der Türkei in das Bundesgebiet zuzog, war sie allerdings unter Zugrundelegung des nach § 9 Abs. 2 IPRG maßgeblichen Personalstatuts des gewöhnlichen Aufenthaltes schon ab dem 7. September 1998 (durchgehend) nicht mehr minderjährig.

Die belangte Behörde erachtete nun ihren Zusicherungsbescheid vom 16. Februar 1998 durch das Erreichen der Volljährigkeit der Beschwerdeführerin als "gegenstandslos" und wies mit dem angefochtenen Bescheid den Antrag "auf Verleihung" der Staatsbürgerschaft ab, ohne vorher den Zusicherungsbescheid ausdrücklich zu widerrufen. Damit verkannte die belangte Behörde jedoch die Rechtskraft des Zusicherungsbescheides. Die Geltung eines solchen Bescheides ist zunächst dadurch bedingt, dass der Nachweis des Ausscheidens innerhalb der zweijährigen Frist erbracht wird. Ist dies nicht der Fall, so tritt der Bescheid ohne weiteres mit Ablauf der Frist außer Geltung. Der Geltungsverlust tritt dann nicht ein, wenn innerhalb dieser Frist der Nachweis (des Ausscheidens aus dem Verband des bisherigen Heimatstaates) erbracht wird; die im § 20 Abs. 1 normierte Frist bezieht sich nämlich nur auf diesen Nachweis, nicht auf die Geltung des Zusicherungsbescheides. Dieser gilt auch noch nach Ablauf der Frist, wenn der Nachweis während dieser erbracht wurde (vgl. Thienel, Österreichische Staatsbürgerschaft, Band II (1990), S. 271).

Die Beschwerdeführerin wäre durch die Vorgangsweise der belangten Behörde in ihren Rechten dann nicht verletzt, wenn wegen des nachträglichen Entfalles einer zwingenden Verleihungsvoraussetzung ein Widerrufsgrund im Sinn des § 20 Abs. 2 StbG vorläge (vgl. die hg. Erkenntnisse vom 3. September 1997, Zl. 96/01/0773, sowie vom 7. September 2000, Zl. 98/01/0268).

Dies ist jedoch nicht der Fall, weil der Zeitpunkt, zu dem die Minderjährigkeit der Beschwerdeführerin enden würde, schon bei Erteilung der Zusicherung feststand und in Bezug auf den nach diesem Zeitpunkt liegenden Teil des von der Zusicherung erfassten Zeitraumes keinerlei nachträgliche Änderung des maßgeblichen Sachverhaltes eingetreten ist.

Der angefochtene Bescheid war daher wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes nach § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.

Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003, BGBl. II Nr. 333.

Wien, am 9. September 2003

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2003:2002010243.X00

Im RIS seit

17.10.2003

Zuletzt aktualisiert am

14.06.2011
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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