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41/02 Melderecht;Norm
HauptwohnsitzG 1994 Art7 Z3;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Höß und die Hofräte Dr. Nowakowski, Dr. Pelant, Dr. Köller und Dr. Berger als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Stieger, über die Beschwerde des K in G, vertreten durch Dr. Klaus Kocher, Rechtsanwalt in 8010 Graz, Sackstraße 36, gegen den Bescheid der Steiermärkischen Landesregierung vom 10. Juli 2002, Zl. 2-11.K/802-01/14, betreffend Verleihung der Staatsbürgerschaft, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufgehoben.
Das Land Steiermark hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.171,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der Beschwerdeführer, ein türkischer Staatsangehöriger, beantragte am 2. November 2001 - ein entsprechender Antrag vom 10. Mai 2001 wurde zurückgezogen - die Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft und führte in einem dem Antragsformular beigelegten Lebenslauf unter Anderem aus, "seit genau dem 3. Oktober 1989 befinde ich mich in Österreich ... Seit dem Jahre 1991 lebe ich in G. in der Steiermark."
Gemäß einer - offenbar im Ermittlungsverfahren auf Grund des ersten Verleihungsantrages eingeholten - Meldebestätigung der Bundespolizeidirektion G. vom 23. Oktober 2001 war der Beschwerdeführer nach den im Meldeamt aufliegenden Meldungen vom 7. Februar 1991 bis 22. März 1994 und ab 12. April 1994 an diversen Anschriften in G. gemeldet. Im Ermittlungsverfahren nahm der Beschwerdeführer zum Vorhalt der belangten Behörde, er sei (erst) seit 12. April 1994 ununterbrochen mit Hauptwohnsitz im Bundesgebiet gemeldet, dahin Stellung, dass er bis 22. März 1994 durchgehend gemeldet gewesen sei, die Zeit bis zum 12. April lediglich eine geringfügige Unterbrechung des Meldezeitraumes darstelle; die belangte Behörde verkenne mit ihrer Ansicht, mangels durchgehender polizeilicher Meldung läge die Voraussetzung des zehnjährigen ununterbrochenen Hauptwohnsitzes nicht vor, die Rechtslage.
Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde den Verleihungsantrag des Beschwerdeführers gemäß § 10 Abs. 4 Z 1 iVm § 39 Staatsbürgerschaftsgesetz 1985 (StbG) ab.
In der Begründung stellte die belangte Behörde fest, der Beschwerdeführer sei am 12. April 1994 im Bundesgebiet zur Anmeldung gelangt, habe somit noch keinen zehnjährigen Hauptwohnsitz im Bundesgebiet. Mangels eines solchen müsse ein besonders berücksichtigungswürdiger Grund für die Verleihung der Staatsbürgerschaft an ihn vorliegen, der jedoch nicht habe festgestellt werden können. Der Beschwerdeführer habe im Zeitraum vom 2. April 1990 bis 10. Jänner 2001 insgesamt elf verschiedene Arbeitgeber gehabt und sei insgesamt 429 Tage keiner geregelten Beschäftigung nachgegangen bzw. habe Arbeitslosengeld bezogen.
In rechtlicher Hinsicht ging die belangte Behörde von einer "Meldeunterbrechung im Jahre 1994" aus und prüfte mangels zehnjähriger Hauptwohnsitzdauer das Vorliegen eines besonders berücksichtigungswürdigen Grundes gemäß § 10 Abs. 5 StbG. Das Vorliegen eines solchen, insbesondere jenes der nachhaltigen beruflichen und persönlichen Integration, verneinte die belangte Behörde und wies den Verleihungsantrag des Beschwerdeführers aus diesem Grunde ab.
Über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde, zu der die belangte Behörde eine Gegenschrift erstattete, hat der Verwaltungsgerichtshof erwogen:
Die belangte Behörde legte ihrer Entscheidung zu Grunde, dass der Beschwerdeführer wegen des Fehlens einer polizeilichen Meldung vom 22. März bis 12. April 1994 keinen Hauptwohnsitz in Österreich gehabt habe. Sie ging nach dem im angefochtenen Bescheid wiedergegebenen Wortlaut des § 10 Abs. 1 Z 1 StbG von der durch das Hauptwohnsitzgesetz, BGBl. Nr. 505/1994, geänderten Fassung dieser Bestimmung aus. Diese Änderung bezog sich darauf, dass in § 10 Abs. 1 Z 1 StbG der Begriff "ordentlicher Wohnsitz" durch den Begriff "Hauptwohnsitz" ersetzt wurde (Artikel VII Z 2 leg. cit.), wobei für Zeiten vor dem Inkrafttreten dieses Gesetzes als Hauptwohnsitz der ordentliche Wohnsitz gilt (Artikel VII Z 3). Gemäß seinem Artikel VIII Z 5 trat das Hauptwohnsitzgesetz - mit hier nicht relevanten Ausnahmen - am 1. Jänner 1995 in Kraft. Somit ist für den im Beschwerdefall zu beurteilenden Zeitraum März/April 1994 die vor diesem Zeitpunkt in Geltung gewesene Regelung anzuwenden, nach der es im § 10 Abs. 1 Z 1 StbG für die Beurteilung der zehnjährigen Frist nicht auf den Hauptwohnsitz, sondern auf den "ordentlichen Wohnsitz" im Inland ankommt, der im § 5 Abs. 1 StbG idF vor dem Hauptwohnsitzgesetz näher definiert war.
Für die nach dem Gesagten im Beschwerdefall zu beurteilende Rechtslage hat der Verwaltungsgerichtshof im Erkenntnis vom 11. Juni 2002, Zl. 2000/01/0426, für die Annahme eines ordentlichen Wohnsitzes gefordert, dass ein freiwilliger, faktischer Aufenthalt an einem bestimmten Ort mit der Absicht, an diesem den Mittelpunkt der wirtschaftlichen, beruflichen und gesellschaftlichen Betätigung zu begründen, vorliegen muss. Die Aufgabe eines Wohnsitzes wird allgemein dann der Fall sein, wenn eines der für das Vorliegen des Wohnsitzes wesentlichen Merkmale (dauernder Aufenthalt, Freiwilligkeit, Absicht des Verbleibens) wegfällt. Jedenfalls setzt die Aufgabe eines Wohnsitzes nicht notwendig die Begründung eines neuen Wohnsitzes voraus (zum (Nachfolge)Begriff des "Hauptwohnsitzes" und dessen "Mittelpunktcharakter" vgl. das Erkenntnis vom 24. Juni 2003, Zl. 2002/01/0081).
Für den Beschwerdefall bedeutet dies, dass sich die belangte Behörde jedenfalls angesichts des Vorbringens des Beschwerdeführers, er lebe seit dem Jahre 1991 in G., näher mit seinen Lebensverhältnissen im fraglichen Zeitraum (März/April 1994) hätte beschäftigen müssen. Die belangte Behörde hätte keinesfalls allein wegen der fehlenden polizeilichen Meldung ohne weitere Ermittlungen von einer Aufgabe des Lebensmittelpunktes durch den Beschwerdeführer in G. ausgehen dürfen, zumal nicht einmal erhoben wurde, ob der Beschwerdeführer sich weiter in G. aufgehalten hat.
Ausgehend vom Inhalt der von der belangten Behörde den Feststellungen zu Grunde gelegten Meldebestätigung war der Beschwerdeführer mit der genannten Unterbrechung vom 7. Februar 1991 bis zur Erlassung des angefochtenen Bescheides am 10. Juli 2002 in G. polizeilich gemeldet. Unterstellt man, dass die Meldeunterbrechung im Jahre 1994 keine Unterbrechung des österreichischen ordentlichen Wohnsitzes des Beschwerdeführers bewirkte, so käme es entscheidend darauf an, seit wann dieser Wohnsitz bestand. Die belangte Behörde hat aber nur für den Zeitraum ab 12. April 1994 eine Feststellung getroffen, während die weiteren Daten aus der Meldebestätigung der Bundespolizeidirektion G. sowie die Feststellungen über die Beschäftigungszeiten des Beschwerdeführers (ab 1990) erkennen lassen, dass er sich seit 1990 bzw. spätestens 1991 in Österreich aufgehalten und hier auch seinen ordentlichen Wohnsitz begründet hatte. Insgesamt ergäbe dies eine Wohnsitzfrist von mehr als zehn Jahren, weshalb der Verleihungsantrag des Beschwerdeführers unter dem Gesichtspunkt des § 10 Abs. 1 StbG zu prüfen gewesen wäre und seine Einbürgerung nicht das Vorliegen eines besonders berücksichtigungswürdigen Grundes nach § 10 Abs. 4 Z. 1 StbG erfordert hätte.
Nach dem Gesagten hat die belangte Behörde die Rechtslage verkannt. Der angefochtene Bescheid war daher wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.
Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003. Wien, am 9. September 2003
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2003:2002010398.X00Im RIS seit
09.10.2003