TE Vwgh Erkenntnis 2003/9/9 2002/01/0008

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Veröffentlicht am 09.09.2003
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Index

40/01 Verwaltungsverfahren;
41/02 Staatsbürgerschaft;

Norm

AVG §60;
StbG 1985 §10 Abs6 idF 1998/I/124;
StbG 1985 §10 idF 1998/I/124;
StbG 1985 §10a idF 1998/I/124;
StbG 1985 §11 idF 1998/I/124;
StbG 1985 §12 idF 1998/I/124;
StbG 1985 §13 idF 1998/I/124;
StbG 1985 §14;
StbG 1985 §16 idF 1998/I/124;
StbG 1985 §17 idF 1998/I/124;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Höß und die Hofräte Dr. Nowakowski, Dr. Pelant, Dr. Köller und Dr. Thoma als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Stieger, über die Beschwerde des Y in Hohenems, vertreten durch Dr. Summer, Dr. Schertler & Mag. Stieger, Rechtsanwälte in 6900 Bregenz, Kirchstraße 4, gegen den Bescheid der Vorarlberger Landesregierung vom 27. November 2001, Zl. Ia 370-648/2001, betreffend Verleihung der Staatsbürgerschaft und Erstreckung derselben, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Das Land Vorarlberg hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.171,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Mit dem angefochtenen Bescheid wies die Vorarlberger Landesregierung (die belangte Behörde) den Antrag des Beschwerdeführers auf Verleihung der Staatsbürgerschaft gemäß §§ 10, 11a, 12, 13 und 14 in Verbindung mit § 10a des Staatsbürgerschaftsgesetzes 1985 (StbG) und die Anträge auf Erstreckung der Verleihung auf dessen Ehefrau sowie auf ihre beiden gemeinsamen minderjährigen Kinder gemäß §§ 16, 17 und 18 StbG ab. Begründend führte sie aus, der Beschwerdeführer sei am 19. Dezember 1947 in der Türkei geboren worden und besitze die türkische Staatsangehörigkeit. Seit 17. November 1976 habe er ununterbrochen den Hauptwohnsitz in Österreich. Der Beschwerdeführer sei seit 31. Dezember 1971 verheiratet. Aus dieser Ehe entstammten die beiden minderjährigen Kinder. Der Beschwerdeführer habe keine Berufsausbildung absolviert. Von 1970 bis 1982 sei er bei der Firma C. in H beschäftigt gewesen. Seit 1983 sei er in Pension. Erhebungen der Bezirkshauptmannschaft D hätten ergeben, dass eine mündliche Verständigung mit ihm fast nicht möglich sei. Anlässlich der Aufnahme der Niederschrift am 1. Juni 2001 sei es ihm nicht möglich gewesen, alle Fragen, die sich auf Sachverhalte aus seinem direkten persönlichen Umfeld bezogen hätten (zB die Frage, ob er bei einem Verein tätig sei) zu beantworten. Anlässlich der Aufnahme der Niederschrift habe er mitgeteilt, dass er zu Hause ausschließlich türkisch spräche und nie einen Deutschkurs besucht hätte. Er hätte ausschließlich Kontakt zu seinen türkischen Landsleuten, die österreichischen Nachbarn würde er lediglich grüßen.

In rechtlicher Hinsicht folgerte die belangte Behörde, der Beschwerdeführer beherrsche, wie eingangs festgestellt, die deutsche Sprache nicht in einem Umfang, der es möglich machte, mit ihm ein Gespräch in deutscher Sprache zu führen. Es sei ihm nicht möglich, alle an ihn gerichteten Fragen, die sich auf sein privates Umfeld bezögen, zu beantworten. Auch wenn der Beschwerdeführer in Pension sei, ergebe sich für ihn doch die Notwendigkeit einer Verständigung nicht nur im Familienkreis, sondern auch darüber hinaus, etwa bei Behördengängen, bei Arztbesuchen und ähnlichen Gelegenheiten. Bei den über den Familienkreis hinausgehenden Kontakten seien aber Kenntnisse der deutschen Sprache zumindest in einem Ausmaß notwendig, das eine Verständigung in dieser Sprache in alltäglichen Lebenssituationen ermögliche. Da der Beschwerdeführer nicht über Kenntnisse der deutschen Sprache verfüge, die seinen Lebensumständen entsprächen, fehle es an der für alle Verleihungstatbestände (§§ 10, 11a, 12, 13 und 14 StbG) maßgebenden Voraussetzungen des § 10a StbG.

Eine Verleihung der Staatsbürgerschaft käme auch dann nicht in Frage, wenn der Schluss, dass der Beschwerdeführer keine seinen Lebensumständen entsprechenden Deutschkenntnisse habe, nicht gerechtfertigt wäre.

Auf Grund der Dauer des Hauptwohnsitzes in Österreich komme für eine Verleihung der Staatsbürgerschaft der Tatbestand des § 10 Abs. 1 StbG in Frage. Gemäß § 11 StbG habe sich jedoch die Behörde unter Bedachtnahme auf das Gesamtverhalten des Fremden bei der Ausübung des ihr im § 10 StbG eingeräumten freien Ermessens von Rücksichten auf das allgemeine Wohl, die öffentlichen Interessen und das Ausmaß der Integration des Fremden leiten zu lassen. Als Sachverhalt, der für den Beschwerdeführer positiv zu werten sei, sei im Verleihungsverfahren nur hervorgekommen, dass er sich seit fast 25 Jahren ununterbrochen in Österreich aufhalte. Andererseits sei festgestellt worden, dass er über sehr schlechte Deutschkenntnisse verfüge. Nach seinen eigenen Angaben werde innerhalb der Familie ausschließlich türkisch gesprochen. Das Ausmaß der Sprachbeherrschung stelle einen zuverlässigen Indikator für das Ausmaß der Integration dar. Der Beschwerdeführer gebe weiters an, keinen Kontakt zur österreichischen Bevölkerung zu haben. Es könne derzeit nicht davon ausgegangen werden, dass er trotz seiner fast 25-jährigen Anwesenheit in Österreich integriert sei. Nach Abwägung der aufgezeigten Gesichtspunkte gelange die belangte Behörde zur Auffassung, dass auf Grund der mangelnden Integration eine Ermessensübung nach § 11 StbG nicht zu Gunsten des Verleihungswerbers erfolgen könnte. Eine Verleihung der Staatsbürgerschaft nach § 10 StbG würde somit ausscheiden.

Die einen Rechtsanspruch auf Verleihung der Staatsbürgerschaft begründenden Tatbestände der §§ 11a, 12, 13 und 14 StbG setzten unter anderem entweder die Ehe mit einem österreichischen Staatsbürger, einen zumindest 15-jährigen ununterbrochen Hauptwohnsitz in Österreich, den ehemaligen, mindestens 10 Jahre dauernden ununterbrochenen Besitz der österreichischen Staatsbürgerschaft, Minderjährigkeit bzw. Staatenlosigkeit voraus. Der Beschwerdeführer könne zwar auf einen 15-jährigen Hauptwohnsitz im Sinn des § 12 Z 1 lit. b StbG verweisen. Der für diesen Tatbestand geforderte Nachweis nachhaltiger persönlicher Integration liege nicht vor. Wie eingangs aufgezeigt, beherrsche er die deutsche Sprache nur unzureichend, in der Familie werde ausschließlich türkisch gesprochen und es bestehe kein Kontakt zur österreichischen Bevölkerung. Für den Tatbestand des § 12 Z 1 lit. b StbG müssten beide Voraussetzungen, sowohl die nachhaltige persönliche als auch die nachhaltige berufliche Integration gegeben sein. Da somit die Voraussetzungen für die einen Rechtsanspruch auf Verleihung der Staatsbürgerschaft begründenden Tatbestände nicht gegeben seien, würde daher auch eine Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft auf Grund dieser Tatbestände ausscheiden.

Da der Verleihungsantrag abzuweisen gewesen sei, seien auch die Voraussetzungen für die Erstreckung der Verleihung der Staatsbürgerschaft nicht gegeben und daher auch die Anträge auf Erstreckung der Verleihung der Staatsbürgerschaft (auf die Ehegattin und die beiden Kinder) abzuweisen gewesen.

Über die gegen diesen Bescheid gerichtete Beschwerde, zu der die belangte Behörde eine Gegenschrift erstattete, hat der Verwaltungsgerichtshof erwogen:

Die belangte Behörde ging davon aus, dass der Beschwerdeführer seit 17. November 1976 - im Zeitpunkt der Bescheiderlassung somit seit mehr als 25 Jahren - seinen Hauptwohnsitz im Bundesgebiet habe und zog die Erfüllung der Verleihungsvoraussetzungen nach § 10 Abs. 1 StbG nicht in Zweifel. Sie vertrat jedoch die Ansicht, dass einer Verleihung der Staatsbürgerschaft nach jeglichem Verleihungstatbestand mangelnde, den Lebensumständen entsprechenden Kenntnisse des Beschwerdeführers der deutschen Sprache entgegenstünden, wogegen sich die Beschwerde erkennbar wendet.

Gemäß § 10a StbG sind Voraussetzungen jeglicher Verleihung unter Bedachtnahme auf die Lebensverhältnisse des Fremden jedenfalls entsprechende Kenntnisse der deutschen Sprache.

Es trifft zu, dass die Verleihungsvoraussetzung nach § 10a StbG auf alle Fälle der Verleihung der Staatsbürgerschaft Anwendung findet (vgl. das hg. Erkenntnis vom 3. Mai 2000, Zl. 99/01/0272).

Die Anordnung des § 10a StbG ist dahingehend auszulegen, dass die erforderlichen Sprachkenntnisse - entsprechend den Verhältnissen des Fremden und angepasst an den jeweiligen Verleihungstatbestand - innerhalb seines sozialen Umfeldes eine Verständigung in Deutsch erlauben. Beim Erfordernis entsprechender Kenntnisse der deutschen Sprache kann es nur um das Mindestmaß an Sprachbeherrschung geben, das - je nach den konkreten Lebensumständen des Betroffenen - erforderlich ist, um ein dauerhaftes "Miteinander" im Alltagsleben zu ermöglichen (vgl. die hg. Erkenntnisse vom 12. März 2002, Zl. 2001/01/0018, sowie vom 16. Juli 2003, Zl. 2002/01/0147).

Unter Zugrundelegung dieses Bedeutungsgehaltes erweisen sich jedoch die von der belangten Behörde getroffenen, eingangs wiedergegebenen Feststellungen über die Beherrschung der deutschen Sprache durch den Beschwerdeführer als kursorisch und ungeeignet, eine nachvollziehbare Beurteilung zu ermöglichen, ob die Deutschkenntnisse ihm die nach der wiedergegebenen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes intendierte Kommunikation im Alltag seines sozialen Umfeldes erlauben. Das mangelnde Verstehen der in den Feststellungen des angefochtenen Bescheides ausdrücklich wiedergegebenen Frage allein, ob der Beschwerdeführer bei einem Verein tätig sei, steht der Annahme des nach § 10a StbG geforderten Mindestmaßes an Sprachbeherrschung nicht entgegen. Überdies hätte sich die belangte Behörde im Rahmen der sie nach § 60 AVG treffenden Begründungspflicht nicht nur auf die Ermittlungsergebnisse der Bezirkshauptmannschaft D beschränken dürfen, sondern etwa auch die Ergebnisse der Erhebungen des Gendarmeriepostens H mit einzubeziehen gehabt, wonach die Kenntnisse des Beschwerdeführers der deutschen Sprache "nicht sehr gut" seien (und nicht unzureichend).

Ausgehend davon vermögen die Feststellungen der belangten Behörde eine Versagung der Verleihung der Staatsbürgerschaft im Grunde des § 10a StbG nicht zu tragen.

Die belangte Behörde vermeinte weiters, dass sie das ihr im § 10 Abs. 1 StbG eingeräumte freie Ermessen unter Berücksichtigung der Deutschkenntnisse des Beschwerdeführers als Indikator für das Ausmaß seiner Integration nicht zu seinen Gunsten üben könne und andererseits, dass ihm kein Rechtsanspruch auf Verleihung der Staatsbürgerschaft nach § 12 Z 1 lit. b StbG zukomme.

Stünde dem Beschwerdeführer ein Rechtsanspruch auf Verleihung der Staatsbürgerschaft zu, erübrigte sich jedoch die im angefochtenen Bescheid behandelte Frage der Ermessensübung. Wie die belangte Behörde richtig erkannt hat, kommt von jenen Tatbeständen, die eine Verleihung der Staatsbürgerschaft kraft Rechtsanspruches vorsehen, sachverhaltsbezogen jener nach § 12 Z 1 lit. b StbG in Betracht. Diesbezüglich ist unstrittig, dass der Beschwerdeführer das Erfordernis des mindestens 15-jährigen ununterbrochenen Hauptwohnsitzes im Bundesgebiet erfüllt; auch zog die belangte Behörde das Vorliegen der Verleihungsvoraussetzungen nach § 10 Abs. 1 Z 2 bis 8 und Abs. 3 StbG sowie das Vorliegen einer nachhaltigen beruflichen Integration in der Person des Beschwerdeführers nicht in Zweifel. Sie sah jedoch die nach § 12 Z 1 lit. b StbG geforderte nachhaltige persönliche Integration deshalb als nicht gegeben an, weil er die deutsche Sprache nur unzureichend beherrsche, in seiner Familie ausschließlich türkisch gesprochen werde und kein Kontakt zur österreichischen Bevölkerung bestehe.

Zur Darlegung der maßgeblichen Rechtslage und zur Auslegung des Tatbestandsmerkmales der nachhaltigen persönlichen und beruflichen Integration nach § 12 Z 1 lit. b StbG sei vorerst gemäß § 43 Abs. 2 zweiter Satz VwGG auf das hg. Erkenntnis vom 11. Oktober 2000, Zl. 2000/01/0227 (mwN), verwiesen.

Unter Zugrundelegung der im zitierten Erkenntnis vom 11. Oktober 2000 aufgezeigten Kriterien für eine nachhaltige persönliche Verankerung des Fremden (zB Familie lebt mit dem Fremden in Österreich, Kinder besuchen die Schule usw.) verkannte die belangte Behörde die Rechtslage insofern, als sie die persönliche Integration nur an Hand der Deutschkenntnisse des Beschwerdeführers, der innerhalb seiner Familie gebräuchlichen Sprache und seines (mangelnden) Kontaktes zur österreichischen Bevölkerung beurteilte, jedoch die nach dem zitierten Erkenntnis vom 11. Oktober 2000 maßgeblichen, den vorgelegten Verwaltungsakten zufolge erfüllten Kriterien nachhaltiger persönlicher Verankerung - unstrittig lebt der Beschwerdeführer mit seiner Familie in Österreich - völlig außer Acht ließ.

Nach dem Gesagten belastete die belangte Behörde den angefochtenen Bescheid mit Rechtswidrigkeit seines Inhaltes, weshalb er unter Abstandnahme von einer Verhandlung gemäß § 39 Abs. 2 Z 4 VwGG gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben war, ohne dass noch auf die Frage der Ermessensübung im Grund des § 11 StbG einzugehen war.

Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003, BGBl II Nr. 333.

Die Abweisung des Mehrbegehrens gründet sich darauf, dass eine gesonderte Zuerkennung von Mehrwertsteuer aus dem pauschalierten Schriftsatzaufwand einer gesetzlichen Grundlage entbehrt.

Wien, am 9. September 2003

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2003:2002010008.X00

Im RIS seit

10.10.2003
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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