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10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG);Norm
B-VG Art130 Abs2;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zeizinger und die Hofräte Dr. Rigler, Dr. Handstanger, Dr. Enzenhofer und Dr. Strohmayer als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Stummer, über die Beschwerde des M, geboren 1980, vertreten durch Dr. Sonja Schröder, Rechtsanwalt in 6020 Innsbruck, Liebeneggstraße 5/I, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Tirol vom 9. Dezember 1998, Zl. III 63-5/98, betreffend Aufhebung eines unbefristeten Aufenthaltesverbotes, zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von EUR 51,50 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
I.
1. Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Tirol (der belangten Behörde) vom 27. Februar 1997 war gegen den Beschwerdeführer, einen türkischen Staatsangehörigen, gemäß § 18 Abs. 1 Z. 1, Abs. 2 Z. 1 iVm §§ 19, 20 und 21 Fremdengesetz, BGBl. Nr. 838/1992, ein unbefristetes Aufenthaltsverbot erlassen worden.
Die belangte Behörde hatte den Bescheid damit begründet, dass der Beschwerdeführer mit rechtskräftigem Urteil des Landesgerichtes Innsbruck vom 26. April 1996 wegen des Vergehens der schweren Körperverletzung nach den §§ 83 Abs. 1, 84 Abs. 2 Z. 2 StGB unter Vorbehalt der Strafe, Probezeit zwei Jahre, schuldig gesprochen worden sei, weil er am 7. Dezember 1995 in Innsbruck in bewusstem und gewolltem Zusammenwirken als Mittäter den Josef Sch. in verabredeter Verbindung durch Versetzen von Schlägen, Stößen, Hieben und Tritten, welche eine Rissquetschwunde im Kinnbereich und eine Brustkorbprellung zur Folge gehabt hätten, am Körper verletzt habe. Er sei vom Landesgericht Innsbruck mit rechtskräftigem Urteil vom 22. August 1996 wegen des Verbrechens des Raubes nach § 142 Abs. 1 StGB sowie wegen des Verbrechens des schweren Raubes nach den §§ 142 Abs. 1, 143 zweiter Fall StGB (unter Einbeziehung des oben genannten Schuldspruches des Landesgerichtes Innsbruck vom 26. April 1996) mit einer unbedingten Freiheitsstrafe von zwei Jahren belegt worden, weil er in Innsbruck fremde bewegliche Sachen mit dem Vorsatz, sich oder Dritte durch die Sachzueignung zu bereichern, weggenommen habe, und zwar am 29. November 1995 zusammen mit Adem C. dem Bruno G. mit Gewalt gegen seine Person, indem dieser festgehalten und zu Boden gerungen worden sei, seine Geldtasche mit einem Bargeldbetrag von S 743,--, und am 5. Juni 1996 zusammen mit Mehmet K. dem Claudio T. mit Gewalt gegen seine Person einen Bargeldbetrag von S 350,-- mit Bereicherungsvorsatz weggenommen habe, indem Mehmet K. den Claudio T. von hinten umklammert und ihm die Geldtasche mit dem genannten Bargeldbetrag weggenommen habe, wobei der Beschwerdeführer den Raub unter Verwendung einer Waffe verübt habe, indem er ein stählernes, ca. 1,43 kg schweres massives Fahrradbügelschloss gegen das Gesicht des Claudio T. gestoßen habe.
Der Beschwerdeführer halte sich im Bundesgebiet seit 1991 erlaubt auf. Er habe bis 1995 die Schule in Österreich besucht. Der minderjährige Beschwerdeführer habe eine intensive familiäre Bindung zu seinen Eltern und Geschwistern, bei denen er in Innsbruck bis zu seiner Inhaftierung gewohnt habe. Seinen Eltern sei die österreichische Staatsbürgerschaft verliehen worden. Sein Vater sei seit mehr als 20 Jahren als "Gastarbeiter" in Österreich; der Beschwerdeführer und seine Mutter seien 1991 aus der Türkei zu ihm nach Österreich übersiedelt. Drei Brüder des Beschwerdeführers wohnten ebenfalls in Innsbruck, ein Bruder lebe in Norwegen, ein weiterer Bruder in Ankara.
2. Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der belangten Behörde vom 9. Dezember 1998 wurde der Antrag des Beschwerdeführers vom 23. April 1998 auf Aufhebung des gegen ihn mit dem vorgenannten Bescheid erlassenen unbefristeten Aufenthaltsverbotes gemäß § 44 iVm § 114 Abs. 3 des Fremdengesetzes 1997 - FrG, BGBl. I Nr. 75, abgewiesen.
Begründend führte die belangte Behörde aus, der Beschwerdeführer habe den Aufhebungsantrag im Wesentlichen damit begründet, dass er mit zehn Jahren nach Österreich gekommen und heute 17 Jahre alt wäre. Wenn er auch nicht die Hälfte seines Lebens in Österreich verbracht hätte, so könnte doch im Sinn des § 38 Abs. 1 Z. 4 FrG davon ausgegangen werden, dass er von klein auf im Inland aufgewachsen und hier langjährig niedergelassen wäre. Im Hinblick auf § 38 Abs. 1 Z. 4 FrG läge ein Grenz- bzw. Härtefall vor.
Der maßgebliche Zeitpunkt für die Beurteilung im Licht des § 114 Abs. 3 FrG sei die Erlassung des Aufenthaltsverbotes im Jahr 1997. § 38 Abs. 1 Z. 4 FrG treffe auf den Beschwerdeführer nicht zu, weil er 1980 in der Türkei geboren sei und sich erst ab 1991 in Österreich erlaubt aufhalte. Er habe selbst zugestanden, im Inland nicht langjährig rechtmäßig niedergelassen gewesen zu sein.
Eine Aufhebung des Aufenthaltsverbotes gemäß § 44 FrG iVm §§ 36, 37 FrG erfolge nicht, weil der Grund, der zur Erlassung des Aufenthaltsverbotes geführt habe, nämlich die Gefährlichkeit des Beschwerdeführers für die öffentliche Ruhe, Ordnung und Sicherheit, nicht weggefallen sei. Seine schweren Straftaten stammten aus den Jahren 1995 und 1996. Am 13. Mai 1998 sei der Beschwerdeführer aus dem Bundesgebiet abgeschoben worden. Die Zeit seines Wohlverhaltens sei viel zu kurz, als dass er keine Gefahr für die öffentliche Ruhe, Ordnung und Sicherheit mehr darstelle. Die im Bescheid der belangten Behörde vom 27. Februar 1997 (oben 1.) dokumentierte Interessenabwägung gemäß §§ 19, 20 Abs. 1 des Fremdengesetzes aus 1992 sei nach wie vor zutreffend. Es liege kein Grund vor, warum die Behörde jetzt, nicht einmal zwei Jahre nach der Erlassung des Aufenthaltsverbotes, dieses aufheben sollte. Es könnte auch zum jetzigen Zeitpunkt, im Licht des FrG, unbefristet erlassen werden. Die Handhabung des Ermessens nach § 36 Abs. 1 FrG zum Nachteil des Beschwerdeführers sei durch die Schwere seiner Straftaten gerechtfertigt. Der Beschwerdeführer habe die Grenze des § 35 Abs. 3 Z. 1 FrG mit der Verurteilung zu einer zweijährigen unbedingten Freiheitsstrafe weit überschritten.
3. Gegen den unter 2. bezeichneten Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde mit dem Begehren, ihn wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften und Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
4. Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor, nahm aber von der Erstattung einer Gegenschrift Abstand.
II.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
1. Nach der Übergangsbestimmung des § 114 Abs. 3 FrG sind (auf der Grundlage früher geltender Bestimmungen erlassene) Aufenthaltsverbote, deren Gültigkeitsdauer bei Inkrafttreten dieses Bundesgesetzes (mit 1. Jänner 1998) noch nicht abgelaufen sind, auf Antrag oder - wenn sich aus anderen Gründen ein Anlass für die Behörde ergibt, sich mit der Angelegenheit zu befassen - von Amts wegen aufzuheben, wenn sie nach den Bestimmungen dieses Bundesgesetzes nicht hätten erlassen werden können. Aufenthaltsverbote sind somit dann aufzuheben, wenn sie bei fiktiver Geltung des FrG im Zeitpunkt ihrer Verhängung nicht hätten erlassen werden dürfen (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 27. November 2001, Zl. 99/18/0205, mwN).
2.1. Die Beschwerde wendet sich gegen die Beurteilung der belangten Behörde im Grund des § 114 Abs. 3 iVm § 38 Abs. 1 Z. 4 und Abs. 2 FrG und bringt vor, es handle sich um einen "Grenz- bzw. Härtefall". Der minderjährige Beschwerdeführer sei im Jahr 1991 im Alter von zehn Jahren nach Österreich gekommen und sei im Zeitpunkt seiner "Ausweisung am 13.5.1998" 17 Jahre alt gewesen. "Um in den Genuß des § 38 Abs. 1 Zif. 4 FrG 1997 zu gelangen, mangelt es dem mj. Beschwerdeführer um ca. 1 Jahr."
2.2. Gemäß § 38 Abs. 1 Z. 4 darf ein Aufenthaltsverbot nicht erlassen werden, wenn der Fremde von klein auf im Inland aufgewachsen und hier langjährig rechtmäßig niedergelassen ist. Nach § 38 Abs. 2 FrG sind Fremde jedenfalls langjährig im Bundesgebiet niedergelassen, wenn sie die Hälfte ihres Lebens im Bundesgebiet verbracht haben und zuletzt seit mindestens drei Jahren hier niedergelassen sind.
Da sich der 1980 geborene Beschwerdeführer unbestritten erst seit 1991 in Österreich aufhält, kann nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht davon gesprochen werden, dass er "von klein auf im Inland aufgewachsen" ist (vgl. das hg. Erkenntnis vom 19. Oktober 1999, Zl. 98/18/0338). Darüber hinaus räumt der Beschwerdeführer ein, dass er nicht im Sinn des § 38 Abs. 2 FrG "langjährig rechtmäßig niedergelassen" ist, sodass er keines der beiden kumulativ zu erfüllenden Tatbestandselemente des § 38 Abs. 1 Z. 4 FrG verwirklicht (vgl. das hg. Erkenntnis vom 19. Oktober 1999, Zl. 99/18/0309).
2.3. Angesichts der geschilderten Straftaten des Beschwerdeführers ist auch bei fiktiver Geltung des FrG im Zeitpunkt der Erlassung des Aufenthaltsverbotes am 27. Februar 1997 die im § 36 Abs. 1 FrG umschriebene Annahme gerechtfertigt, war doch der seit der Begehung der Straftaten verstrichene Zeitraum viel zu kurz, um auf einen Wegfall oder eine nennenswerte Minderung der vom Beschwerdeführer ausgehenden Gefahr schließen zu können. Die Beschwerde vermag diesem Ergebnis keine substantiierten Überlegungen entgegenzuhalten.
2.4. Angesichts der rechtskräftigen Verurteilung des Beschwerdeführers vom 22. August 1996 wegen einer der im § 35 Abs. 3 Z. 2 FrG genannten strafbaren Handlungen zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von zwei Jahren wäre das Vorliegen der Voraussetzungen für die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes auch unter dem Blickwinkel des der belangten Behörde gemäß § 36 Abs. 1 FrG eingeräumten Ermessens eindeutig gewesen (vgl. den hg. Beschluss vom 24. April 1998, Zl. 96/21/0490).
2.5. Es ist auch nicht erkennbar, dass im Zeitpunkt der Erlassung des Aufenthaltsverbotes die nach § 37 FrG durchzuführende Abwägung zu Gunsten des Beschwerdeführers ausgegangen wäre. Die im angefochtenen Bescheid angegebenen, seinerzeit bei der Verhängung des Aufenthaltsverbotes berücksichtigten persönlichen Interessen des Beschwerdeführers - andere führt die Beschwerde nicht ins Treffen - wären nämlich bei einer im Zeitpunkt der Erlassung des Aufenthaltsverbotes nach § 37 Abs. 1 und Abs. 2 FrG durchgeführten Interessenabwägung nicht stärker ins Gewicht gefallen, als dies nach den inhaltsgleichen Regelungen der §§ 19 und 20 Abs. 1 des Fremdengesetzes, BGBl. Nr. 838/1992, tatsächlich in Rechnung gestellt wurde (vgl. das hg. Erkenntnis vom 26. November 2002, Zl. 2000/18/0110).
Die von der belangten Behörde im Grund des § 114 Abs. 3 FrG getroffene Beurteilung begegnet sohin keinem Einwand.
3.1. Gemäß § 44 FrG ist ein Aufenthaltsverbot auf Antrag oder von Amts wegen aufzuheben, wenn die Gründe, die zu seiner Erlassung geführt haben, weggefallen sind.
Nach ständiger hg. Rechtsprechung (vgl. das Erkenntnis vom 10. Mai 2000, Zl. 99/18/0168) kann ein solcher Antrag nur dann zum Erfolg führen, wenn sich seit der Erlassung des Aufenthaltsverbotes die dafür maßgebenden Umstände zu Gunsten des Fremden geändert haben. Im Rahmen der Entscheidung über einen solchen Antrag ist auch auf die nach der Verhängung des Aufenthaltsverbotes eingetretenen und gegen die Aufhebung dieser Maßnahme sprechenden Umstände Bedacht zu nehmen.
Bei der Beurteilung nach § 44 FrG ist maßgeblich, ob eine Gefährlichkeitsprognose im Grund des § 36 Abs. 1 FrG (weiterhin) zu treffen ist, sodass die Aufrechterhaltung des Aufenthaltsverbotes erforderlich erscheint, um die vom Fremden ausgehende erhebliche Gefahr im Bundesgebiet abzuwenden, und ob die Aufrechterhaltung des Aufenthaltsverbotes im Grund der §§ 37 und 38 leg. cit. zulässig ist. Darüber hinaus hat die Behörde bei dieser Entscheidung das ihr im § 36 Abs. 1 leg. cit. eingeräumte Ermessen zu üben. Allerdings kann bei der Entscheidung über die Aufhebung des Aufenthaltsverbotes die Rechtsmäßigkeit des Bescheides, mit dem das Aufenthaltsverbot erlassen wurde, nicht mehr überprüft werden (vgl. nochmals das hg. Erkenntnis Zl. 99/18/0168).
3.2. Zu Recht hat die belangte Behörde die Auffassung vertreten, dass die für die Erlassung des Aufenthaltsverbotes maßgeblichen Gründe im vorliegenden Fall keineswegs weggefallen sind. Das dem Aufenthaltsverbot zu Grunde liegende Gesamtfehlverhalten des Beschwerdeführers war mit einer massiven Gefährdung der maßgeblichen öffentlichen Interessen verbunden, sodass ein unbefristetes Aufenthaltsverbot verhängt wurde. Der Beschwerdeführer ist nach Erlassung dieses Aufenthaltsverbotes weiterhin im Bundesgebiet verblieben. Bereits nach etwa einem Jahr, kurz bevor er in sein Heimatland abgeschoben wurde, hat er den gegenständlichen Aufhebungsantrag gestellt und diesen im Wesentlichen damit begründet, dass er seit seiner Haftentlassung (5. Juni 1997) unauffällig sei und seit seiner von ihm als Minderjähriger gesetzten Straftaten "ein Wohlverhalten an den Tag" gelegt habe. Der bis zur Erlassung des angefochtenen Bescheides verstrichene Zeitraum von etwa 22 Monaten (davon etwa vier Monate in Strafhaft) lässt jedoch in keiner Weise den Schluss zu, dass die vom Beschwerdeführer ausgehende, massive Gefahr weggefallen oder auch nur wesentlich gemindert wäre. Daran kann auch das Vorbringen des Beschwerdeführers nichts ändern, dass er nach seiner Haftentlassung nicht auffällig geworden sei und (in der Türkei) wieder einer Beschäftigung nachgehe.
4. Mit seinem Vorbringen, dass seine Eltern die österreichische Staatsbürgerschaft besäßen, in Österreich lebten und zur Obsorge nicht nur die Leistung des Unterhaltes in Geld gehöre, sondern auch eine umfassende persönliche Betreuung, und dass von den Eltern keinesfalls verlangt werden könne, dass sie zur Aufrechterhaltung des familiären Zusammenlebens das österreichische Bundesgebiet verließen, macht der Beschwerdeführer keine Umstände geltend, die nicht bereits im Zeitpunkt der Erlassung des Aufenthaltsverbotes vorgelegen wären. Wie dargelegt (oben I.1.), hat die belangte Behörde diese Umstände schon damals im Rahmen der nach den §§ 19 und 20 Abs. 1 des Fremdengesetzes, BGBl. Nr. 838/1992, vorzunehmenden Interessenabwägung zu Gunsten des Beschwerdeführers berücksichtigt. Der Antrag auf Aufhebung eines Aufenthaltsverbotes ermöglicht es, wie erwähnt, nicht, die Rechtmäßigkeit jenes Bescheides, mit dem das Aufenthaltsverbot erlassen wurde, zu bekämpfen.
5. Da sich die Beschwerde somit als unbegründet erweist, war sie gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen.
6. Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm § 3 Abs. 2 der Verordnung BGBl. II Nr. 333/2003.
Wien, am 10. September 2003
Schlagworte
Ermessen Ermessen besondere RechtsgebieteEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2003:1999180026.X00Im RIS seit
07.10.2003