TE Vfgh Erkenntnis 2000/6/14 B2657/97

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Veröffentlicht am 14.06.2000
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Index

82 Gesundheitsrecht
82/03 Ärzte, sonstiges Sanitätspersonal

Norm

B-VG Art7 Abs1 / Verwaltungsakt
EMRK Art6 Abs1 / civil rights
EMRK Art6 Abs1 / Verfahrensgarantien
ÄrzteG §100 Abs1
StPO §82

Leitsatz

Keine willkürliche Verweigerung der Akteneinsicht für den anzeigenden Arzt im Disziplinarverfahren gegen einen anderen Arzt aufgrund der Nichtöffentlichkeit des Disziplinarverfahrens und der mangelnden Parteistellung des Beschwerdeführers; keine Verletzung des Grundsatzes des fair trial

Spruch

Der Beschwerdeführer ist durch den angefochtenen Bescheid weder in einem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht noch wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in seinen Rechten verletzt worden.

Die Beschwerde wird abgewiesen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

Der Beschwerdeführer ist Facharzt für Chirurgie in Kärnten. Mit seiner Beschwerde wendet er sich gegen einen Beschluß des Disziplinarsenates der Österreichischen Ärztekammer beim Bundesministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales vom 18.8.1997, mit dem seinem Antrag auf Gewährung von Akteneinsicht im Instanzenzug keine Folge gegeben wurde.

In dem bekämpften Beschluß führt die belangte Behörde aus, daß das Disziplinarverfahren gegen den vom Beschwerdeführer angezeigten Facharzt mit einem Freispruch (am 14.4.1997) geendet habe. Das vom nunmehrigen Beschwerdeführer erhobene Rechtsmittel sei aber nicht begründet, da entgegen seiner Behauptung einem Anzeiger nach der StPO nur dann Akteneinsicht gewährt werde, wenn er ein rechtliches Interesse - etwa zur Ausführung eines Entschädigungsanspruches - glaubhaft mache (§82 StPO). Vorrangig mangle es jedoch daran, daß die Nichtöffentlichkeit des Disziplinarverfahrens zu jenen 'Grundsätzen und Eigenheiten' zählen würde, die gem. §100 Abs1 ÄrzteG 1984 als Regulativ zu beachten seien. Diese Nichtöffentlichkeit stehe der Akteneinsicht entgegen.

Der Beschwerdeführer bringt dagegen in seiner Beschwerde vor, daß er am 17.10.1996 beim Disziplinarrat der Österreichischen Drztekammer, Disziplinarkommission für Steiermark und Kärnten, gem. §§25 und 95 ÄrzteG 1984 eine Disziplinaranzeige gegen einen namentlich genannten Kollegen, der ebenfalls Facharzt für Chirurgie sei, eingebracht habe. Diesem Arzt sei ein Standesvergehen vorzuwerfen, da er im "übermäßigen Umfang" in zwei Zeitschriften Eigenwerbung betrieben habe, wodurch er die Leistungen anderer Chirurgen, und damit auch jene des Beschwerdeführers, herabgesetzt habe. Der Beschwerdeführer habe sich "im Ansehen des Arztstandes beeinträchtigt gefühlt". Ihm stünden auch Schadenersatzansprüche aus diversen Rechtsbereichen, "jedenfalls ... aus dem Titel des unlauteren Wettbewerbes zu". Um einen Schadenersatzanspruch im Klagsweg durchsetzen zu können, müsse der Beschwerdeführer iSd. §59

(1) leg. cit. ein Schlichtungsverfahren durchführen. Ein anderer, bzw. paralleler Weg dazu sei aber die Disziplinaranzeige. Um weitere Verfahren anstrengen zu können, habe er beim Disziplinarrat der Österreichischen Ärztekammer, Disziplinarkommission für Steiermark und Kärnten am 13.5.1997 einen Antrag auf Akteneinsicht gestellt, der mittels "Schreiben" vom 2.6.1997 mit der Mitteilung, daß im Disziplinarverfahren ausschließlich den Beteiligten Akteneinsicht gewährt werde, beantwortet worden sei. Da das Schreiben des Beschwerdeführers an den Disziplinarrat auf rechtsmittelfähige Ausfertigung der Mitteilung vom 2.6.1997 unbeantwortet geblieben sei, habe er in der Folge das Rechtsmittel der "Berufung bzw. Beschwerde" erstattet. Diesem Rechtsmittel sei mit dem nunmehr bekämpften Beschluß der Erfolg versagt worden. Das Verfahren gegen seinen Kollegen sei "offensichtlich mittlerweile rechtskräftig eingestellt" worden; weder davon, noch über die Gründe für den angeblichen Freispruch sei er aber informiert worden.

Der Beschwerdeführer behauptet, daß ihm ohne gesetzliche Grundlage das Recht auf Akteneinsicht verweigert worden sei. Art18 B-VG lege eindeutig fest, daß die gesamte staatliche Verwaltung nur aufgrund der Gesetze ausgeübt werden könne; im Ärztegesetz sei nicht normiert, daß einem "Antragsteller auf Einleitung eines Disziplinarverfahrens die Akteneinsicht" zu verweigern sei. Der Beschwerdeführer habe ein berechtigtes Interesse auf Kenntnis des Akteninhaltes, den er auch zur Überprüfung eventueller Schadenersatzforderungen benötige. Auch habe er ein Interesse daran, festzustellen, inwieweit die 'Richtlinie Arzt und Öffentlichkeit' "hochgehalten bzw. untergraben" werde. Da sich der Beschwerdeführer durch den Artikel des von ihm angezeigten Arztes persönlich beschwert erachtet habe, habe er ein berechtigtes Interesse auf Akteneinsicht. Durch die Mißachtung des Art18 B-VG seitens der Disziplinarbehörde sei er in "seinem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht verletzt"; da es für die Vorgangsweise der Behörde keine sachliche Rechtfertigung gebe, liege objektive Willkür vor.

Der angefochtene Beschluß stütze sich auf §100 Abs1 ÄrzteG 1984. Unter den Grundsätzen und Eigenheiten des Disziplinarverfahrens könne nur verstanden werden, daß sich das "Disziplinarstatut materiell zum Großteil auf verfestigte Standesauffassungen" beziehe. Es sei kein Grund ersichtlich, warum dem Beschwerdeführer nicht iSd.

§82 StPO Akteneinsicht zu gewähren sei. §82 leg. cit. gelte für jedes Verfahrensstadium und auch nach "Rechtskraft der Verfahrensbeendigung". Nicht nur die Prozeßparteien, sondern jedermann, der ein "rechtliches (auch wissenschaftliches) Interesse an der Akteneinsicht glaubhaft" mache, stehe Akteneinsicht zu. Allein die Tatsache, daß eine Person als rechtlich interessierter Anzeiger auftrete, berechtige diese auch zur Akteneinsicht.

Durch die "mangelnde Akteneinsicht" werde "der Einschreiter auch im Sinne des Art6 MRK beschränkt. Auch dem Einschreiter, Schadenersatzberechtigten bzw. am Verfahren Interessierten" müsse "ein faires Verfahren zur Verfügung stehen".

Im übrigen habe die Disziplinarbehörde bei der Erlassung des angefochtenen Beschlusses eine verfassungswidrige Norm, nämlich §100 Abs1 ÄrzteG 1984 angewendet. Die Wortgruppe in §100 Abs1 leg. cit., wonach die Vorschriften der StPO sinngemäß anzuwenden seien, soweit sich aus dem ÄrzteG nichts anderes ergebe und soweit die Anwendung mit den Grundsätzen und Eigenheiten des Disziplinarverfahrens vereinbar sei, stelle einen unbestimmten Gesetzesbegriff dar, weshalb der Beschwerdeführer ein Gesetzesprüfungsverfahren bezüglich der genannten Bestimmung anrege.

2. Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt, auf die Erstattung einer Gegenschrift jedoch verzichtet.

3. Der Verfassungsgerichtshof hat über die zulässige Beschwerde erwogen:

3.1. Der Beschwerdeführer ist nicht wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes in seinen Rechten verletzt worden:

Hinsichtlich der vom Beschwerdeführer als verfassungswidrig bezeichneten Bestimmung des §100 Abs1 ÄrtzeG 1984, hat der Verfassungsgerichtshof bereits mit Erkenntnis vom 24.6.1999, B191/99 ausgesprochen, daß er gegen §100 Abs1 ÄrzteG keine verfassungsrechtlichen Bedenken aus dem Grunde der Unbestimmtheit und Unklarheit hegt.

3.2. Der Beschwerdeführer wurde durch den angefochtenen Bescheid auch nicht in verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten verletzt:

3.2.1. Soweit der Beschwerdeführer der belangten Behörde (objektive) Willkür und damit eine Verletzung des Art2 StGG und des Art7 B-VG vorwirft, vermag der Verfassungsgerichtshof dieser Rechtsanschauung nicht zu folgen. Die Nichtöffentlichkeit ("Parteienöffentlichkeit") gehört zu den "Grundsätzen und Eigenheiten" des Disziplinarverfahrens (vgl.: §§32 und 51 DSt, BGBl. Nr. 474/1990 idgF; §133 RDG, BGBl. Nr. 305/1961 idgF; §124 BDG, BGBl. Nr. 333/1979 idgF), weshalb es dem Verfassungsgerichtshof zulässig erscheint, die Akteneinsicht auf die Parteien des Disziplinarverfahrens zu beschränken. Eine Parteistellung kommt dem Anzeiger im Disziplinarverfahren aber schon deshalb nicht zu, weil seine Rechtssphäre vom Ausgang eines gegen einen Berufskollegen durchgeführten Disziplinarverfahrens offenkundig nicht weiter berührt wird (vgl. etwa schon VwSlg. 2314/A vom 6.12.1956).

Auch die Hinweise des Beschwerdeführers auf §82 StPO gehen fehl: Die Anwendung dieser Bestimmung im Disziplinarverfahren auf Personen mit der Absicht der "Ausführung eines Entschädigungsanspruches" scheitert - abgesehen davon, daß die belangte Behörde davon ausging, daß der Beschwerdeführer einen solchen Anspruch nicht behauptet hat und er auch in der Beschwerde nur von einem "eventuellen" Schadenersatzanspruch spricht - einerseits daran, daß das Disziplinarverfahren nach dem Ärztegesetz keine Privatbeteiligten kennt und andererseits die Anwendung des §82 StPO insoweit wegen der ausschließlichen Parteienöffentlichkeit des Disziplinarverfahrens mit den "Grundsätzen und Eigenheiten des Disziplinarverfahrens" (§100 Abs1 ÄrzteG 1984) nicht vereinbar wäre.

Wenn daher die belangte Behörde dem Beschwerdeführer aus dem Grund der Nichtöffentlichkeit des Disziplinarverfahrens und seiner mangelnden Parteistellung die Akteneinsicht verweigert hat, so hat sie damit nicht Willkür geübt.

3.2.2. Dem Verfassungsgerichtshof ist aufgrund der fehlenden rechtlichen Betroffenheit des Beschwerdeführers von einem gegen einen anderen Arzt geführten Disziplinarverfahren auch nicht erkennbar, warum der Beschwerdeführer durch die Verweigerung der Akteneinsicht in seinem aus Art6 EMRK erfließenden Recht auf ein faires Verfahren verletzt sein sollte (vgl. zB Peukert in Frowein/Peukert: Kommentar zur EMRK, 2. Auflage, 156: "Die Rechte aus Art6 Abs1 stehen 'jedermann' zu, dessen Sache - soweit sie 'zivilrechtliche Ansprüche und Verpflichtungen' oder eine 'strafrechtliche Anklage' betrifft - von einem Gericht zu entscheiden ist.").

3.2.3. Auch die vom Beschwerdeführer ins Treffen geführten - nicht näher bezeichneten - "eventuellen Schadenersatzansprüche" können zu keiner anderen Beurteilung führen, weil solche Ansprüche weder von der Tatsache einer Verurteilung des vom Beschwerdeführer Angezeigten im Disziplinarverfahren, noch vom sonstigen Verlauf des Disziplinarverfahrens abhängen. Ob dem Beschwerdeführer gegen den Angezeigten aus dessen Verhalten, welches den Gegenstand der Anzeige bildet, Schadenersatzansprüche (oder allenfalls andere Ansprüche nach UWG) zustehen, insbesondere, ob das Verhalten des Angezeigten überhaupt rechtswidrig gewesen ist, kann anhand der Rechtslage auch ohne Kenntnis der Akten des Disziplinarverfahrens beurteilt werden, sodaß auch insoweit der Beschwerdeführer in der Verfolgung seiner zivilrechtlichen Ansprüche durch die Verweigerung der Akteneinsicht in keiner Weise behindert wird.

4. Der Beschwerdeführer wurde daher in den von ihm geltend gemachten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten nicht verletzt. Das Verfahren hat auch nicht ergeben, daß der Beschwerdeführer in einem sonstigen verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht verletzt worden wäre.

Ob das Gesetz in jeder Hinsicht richtig angewendet worden ist, hat der Verfassungsgerichtshof nicht zu prüfen, und zwar auch dann nicht, wenn, wie hier, die Anrufung des Verwaltungsgerichtshofes gem. Art133 Z4 B-VG nicht zulässig ist (z.B. VfSlg. 14561/1996 mit Hinweisen auf die Vorjudikatur).

Die Beschwerde war daher als unbegründet abzuweisen.

5. Diese Entscheidung konnte gem. §19 Abs4 erster Satz VerfGG 1953 ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

Schlagworte

Ärzte Disziplinarrecht, Akteneinsicht, Parteistellung Ärzte, fair trial, Öffentlichkeitsprinzip

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2000:B2657.1997

Dokumentnummer

JFT_09999386_97B02657_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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