TE Vwgh Erkenntnis 2003/9/11 2003/07/0059

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Veröffentlicht am 11.09.2003
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Index

L82000 Bauordnung;
001 Verwaltungsrecht allgemein;
40/01 Verwaltungsverfahren;
83 Naturschutz Umweltschutz;

Norm

AVG §34 Abs1;
AVG §35;
AVG §58 Abs2;
AVG §66 Abs4;
AVG §68 Abs1;
AVG §69 Abs1;
AWG 1990 §17;
BauRallg;
VVG §10 Abs2 lita;
VVG §10 Abs2 Z1;
VVG §10 Abs2 Z2;
VVG §10;
VVG §4 Abs1;
VwRallg;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Fürnsinn und die Hofräte Dr. Bumberger, Dr. Beck, Dr. Hinterwirth und Dr. Enzenhofer als Richter, im Beisein des Schriftführers Dr. Kante, über die Beschwerde des Johann und der Christa R in W, vertreten durch Dr. Robert Müller, Rechtsanwalt in Hainfeld, Hauptstraße 35, gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Niederösterreich vom 4. April 2003, Zl. WA1- 35.196/44-03, betreffend Ersatzvornahme, zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Die Beschwerdeführer haben dem Bund Aufwendungen in der Höhe von EUR 381,90 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit Bescheid vom 20. November 1996 erteilte der Landeshauptmann von Niederösterreich (LH) den Beschwerdeführern und der Republik Österreich folgenden auf § 138 Abs. 1 des Wasserrechtsgesetzes 1959 (WRG 1959) gestützten wasserpolizeilichen Auftrag:

"(Die Beschwerdeführer) sowie die Republik Österreich (Bundeswasserbauverwaltung) werden hinsichtlich der Ablagerungen auf Grundstück Nr. 193/10, Katastralgemeinde K, verpflichtet, zur Herstellung des gesetzmäßigen Zustandes sämtliche Ablagerungen bis zum 30. April 1997 vollständig zu entfernen.

Die Anteile der Räumungsverpflichtungen werden folgendermaßen bestimmt:

Die Republik Österreich (Bundeswasserbauverwaltung) hat vom Gesamtausmaß der Ablagerungen einen Anteil von 3.250 m3 oder

5.200 t bei einer angesetzten Dichte von 1,6 t/m3 zu räumen, wobei Ablagerungen, deren Gefährdungspotential die Eluatklasse IIa (ÖNORM S 2072) oder hinsichtlich des Kohlenwasserstoffgesamtgehaltes einen Wert von 100 mg/kg Trockensubstanz übersteigt, nicht von dieser Verpflichtung umfasst sind.

Die Räumungsverpflichtung hinsichtlich des restlichen Teiles des Ablagerungsgutes trifft (die Beschwerdeführer) zu ungeteilten Handen. Über die ordnungsgemäße Entsorgung der zu räumenden Ablagerungen sind der Wasserrechtsbehörde unverzüglich nach Abschluss der Arbeiten entsprechende Nachweise (Frachtbriefe, Übernahmebestätigungen, etc.) vorzulegen.

Die Kostenentscheidung wird einem gesonderten Bescheid

vorbehalten."

Dieser Bescheid wurde rechtskräftig.

Während die Bundeswasserbauverwaltung den auf sie entfallenden Teil der Ablagerungen entfernte, kamen die Beschwerdeführer dem wasserpolizeilichen Auftrag nicht nach.

Mit Schreiben vom 13. August 1997 drohte die Bezirkshauptmannschaft S (BH) den Beschwerdeführern die Ersatzvornahme an und räumte ihnen für die Erfüllung des wasserpolizeilichen Auftrages eine Frist bis 31. Jänner 1998 ein.

Die Beschwerdeführer ließen diese Frist ungenützt verstreichen.

Mit Vollstreckungsverfügung vom 30. April 1998 ordnete die BH gegenüber den Beschwerdeführern die Ersatzvornahme des auf sie entfallenden Teiles des wasserpolizeilichen Auftrages des LH vom 20. November 1996 an.

Gegen diesen Bescheid erhoben die Beschwerdeführer Berufung. Unter "Betrifft" führten sie die Geschäftszahl des Titelbescheides und jene der Vollstreckungsverfügung an. Sie brachten vor, das abgelagerte Material sei von der Niederösterreichischen Umweltschutzanstalt beprobt, analysiert, und als Material der Eluatklasse Ia befunden worden. Bedingt durch diese wesentliche Änderung des Sachverhaltes führe sich die Vollstreckungsverfügung selbst ad absurdum. Es gebe kein Material zum Abtransportieren; vielmehr liege das vorhandene Material "in seiner Qualität weit unter den Grenzen des o.a. Bescheides". Ein "entsprechender Antrag" sei bereits beim Amt der Niederösterreichischen Landesregierung gestellt worden.

Mit dem Hinweis auf einen beim Amt der Niederösterreichischen Landesregierung gestellten Antrag bezogen sich die Beschwerdeführer auf einen Schriftsatz vom 19. Mai 1998, der unter "Betrifft" die Geschäftszahl des Titelbescheides anführt und der folgenden Wortlaut hat:

"Auf Grund der neuen Erkenntnisse der Ablagerungen der Deponie R, stellen wir den Antrag auf Aufhebung des o.a. Bescheides.

Begründung: Die NÖ. Umweltschutzanstalt hat das abgelagerte Material auf dem Grundstück 193/10 KG K - Deponie R - am 09.03.1998 repräsentativ beprobt und mit dem Untersuchungsbericht AB-86/5-98 vom 27. April 1998 in die Eluatklasse 1a eingestuft.

Anzunehmen ist, dass die Messwerte an der methodischen Bestimmungsgrenze lagen.

Auf Grund dieser Tatsachen führt sich der o.a. Bescheid ad absurdum.

Es ergibt sich klar, dass kein Material abtransportiert werden muss; im Gegenteil, da wir bereits über dem HGW liegen, wird die Deponie planiert.

Mit der Bitte um Kenntnisnahme und um entsprechende Maßnahme

verbleiben wir

............."

Mit dem nunmehr vor dem Verwaltungsgerichtshof angefochtenen Bescheid vom 4. April 2003 wies die belangte Behörde die Berufung der Beschwerdeführer gemäß § 66 Abs. 4 AVG in Verbindung mit § 10 Abs. 2 VVG zurück.

In der Begründung heißt es, die gegen die Vollstreckung vorgebrachten Gründe seien solche, die sich gegen den Titelbescheid vom 20. November 1996 richteten. Behauptet werde nämlich, dass Material der Eluatklasse Ia nicht vom Titelbescheid erfasst sei und daher auch nicht entfernt werden müsse. Dabei werde aber übersehen, dass einerseits der Titelbescheid als solcher rechtskräftig die Räumungsverpflichtung festlege und dass es andererseits nicht mehr Aufgabe des Vollstreckungsverfahrens sei, zu prüfen, ob die Leistungsverpflichtung rechtmäßig angeordnet worden sei oder nicht. Die Beschwerdeführer unterlägen hinsichtlich der auferlegten Leistungsverpflichtung einem Irrtum, wenn sie meinten, dass die Räumungsverpflichtung Ablagerungen der Eluatklasse Ia nicht umfasse. Vielmehr sei die Räumungsverpflichtung hinsichtlich aller Ablagerungen auf dem Grundstück 193/10 festgelegt worden. Nur hinsichtlich der der Republik Österreich auferlegten Räumungsverpflichtung sei einschränkend ausgesprochen worden, dass Ablagerungen der Eluatklasse IIa nicht von dieser Räumungsverpflichtung umfasst seien. Es sei daher im rechtskräftigen Titelbescheid, der der Vollstreckungsverfügung zugrunde liege, eindeutig die Räumungsverpflichtung für alle Ablagerungen (ausgenommen jene, die von der Republik Österreich zu entfernen sind), unabhängig von der Eluatklasse, ausgesprochen.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, in der sich die Beschwerdeführer in ihrem Recht auf ein mängelfreies Verfahren und in ihrem Recht auf Einstellung des Vollstreckungsverfahrens, allenfalls im Recht auf Aussetzung oder Aufschiebung des Vollstreckungsverfahrens, verletzt erachten.

Die Beschwerdeführer bringen vor, es sei grundsätzlich nur entsorgungspflichtiges Material - und zwar entsorgungspflichtiges Material im Hinblick auf die Ausschwemmbarkeit - zu entsorgen. Soweit entsorgungspflichtiges Material, gemessen an der Ausschwemmbarkeit, nicht mehr vorhanden sei, seien die Beschwerdeführer bzw. auch die Republik Österreich ihrer Verpflichtung nachgekommen, weshalb das Verwaltungsvollstreckungsverfahren einzustellen sei, weil dem Titelbescheid entsprochen worden sei. Eine Untersuchung des Materials durch die Niederösterreichische Umweltschutzanstalt an Hand der ÖNORM S 2072, die auch dem Titelbescheid zugrunde liege, habe ergeben, dass die Konzentration der untersuchten Inhaltsstoffe unter den zulässigen Konzentrationen für die Eluatklasse Ia lägen. Damit sei ein Sickerwasser zu erwarten, welches das Grundwasser hinsichtlich seiner Nutzbarkeit als Trinkwasser nicht nachhaltig beeinflussen könne. Somit liege kein entsorgungspflichtiges Material mehr vor. Dieser Einwand, also der Einwand der Erfüllung, sei im Vollstreckungsverfahren zulässig.

Darüber hinaus liege eine Unzulässigkeit der Vollstreckung insofern vor, als die Beschwerdeführer den Untersuchungsbericht der Niederösterreichischen Umweltschutzanstalt vom 27. April 1998 unmittelbar, jedenfalls aber innerhalb der zweiwöchigen Frist des § 69 Abs. 2 AVG, dem Amt der Niederösterreichischen Landesregierung vorgelegt und den Antrag auf Aufhebung "des o. a. Bescheides" gestellt hätten. Somit liege ein fristgerechter Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens vor. Über diesen sei bis heute nicht entschieden worden. Die belangte Behörde hätte sich "mit diesen Argumenten" befassen und die Vollstreckungsverfügung aufheben bzw. das Vollstreckungsverfahren bis zur Entscheidung über den Wiederaufnahmeantrag unterbrechen müssen.

Die belangte Behörde hat die Akten des Verwaltungsverfahrens vorgelegt und in der Gegenschrift die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Nach § 10 Abs. 2 VVG kann die Berufung gegen eine nach diesem Bundesgesetz erlassene Vollstreckungsverfügung nur ergriffen werden, wenn

1.

die Vollstreckung unzulässig ist oder

2.

die Vollstreckungsverfügung mit dem zu vollstreckenden Bescheid nicht übereinstimmt oder

              3.              die angeordneten oder angewendeten Zwangsmittel im Gesetz nicht zugelassen sind oder mit § 2 in Widerspruch stehen.

Als unzulässig im Sinne des § 10 Abs. 2 Z. 1 VVG ist eine Vollstreckung u.a. dann anzusehen, wenn die mit dem Titelbescheid ausgesprochene Verpflichtung inzwischen bereits erfüllt worden ist. Keinen Berufungsgrund im Sinn des § 10 Abs. 2 Z. 1 VVG bilden dagegen Umstände, über die im Titelbescheid bereits rechtskräftig entschieden wurde und die daher im Vollstreckungsverfahren vom Verpflichteten wegen der Rechtskraftwirkung des Titelbescheides nicht mehr aufgerollt werden können (vgl. die bei Walter-Thienel, Verwaltungsverfahren II2, 1396 f, wiedergegebene Rechtsprechung).

Eine Vollstreckungsverfügung stimmt mit dem zu vollstreckenden Bescheid dann nicht überein, wenn sie über diesen hinausgeht oder die dadurch zum Ausdruck gebrachte Vollstreckung eine andere Verpflichtung zu ihrem Gegenstand hätte (vgl. die bei Walter-Thienel, Verwaltungsverfahren II2, 1408, angeführte Rechtsprechung).

Das Vorbringen der Beschwerdeführer in ihrer Berufung gegen die Vollstreckungsverfügung ist unklar. Der Hinweis auf den beim Amt der Niederösterreichischen Landesregierung eingebrachten Antrag auf Aufhebung des Titelbescheides deutet darauf hin, dass die Beschwerdeführer Einwendungen gegen den Titelbescheid vorbringen wollten. Dies ist in einer Berufung gegen eine Vollstreckungsverfügung unzulässig.

Das Berufungsvorbringen, wonach es kein Material zum Abtransportieren gebe, weil das vorhandene Material der Eluat-Klasse 1a zuzuordnen und weit unter den Grenzwerten "des o.a. Bescheides" liege, könnte als Einwand gedeutet werden, dass das gesamte vom Titelbescheid erfasste Ablagerungsmaterial bereits entfernt und das noch vorhandene Ablagerungsmaterial wegen seiner Zugehörigkeit zur Eluatklasse 1a nicht vom Titelbescheid erfasst sei. Damit wäre ein Berufungsgrund im Sinne des § 10 Abs. 2 VVG angesprochen. Die Berufung wäre zulässig gewesen; sie war aber nicht begründet.

Im Titelbescheid des LH vom 26. November 1996 ist ausdrücklich angeordnet, dass "sämtliche Ablagerungen vollständig" zu entfernen sind. Auch in der Begründung wird auf die Verpflichtung zur vollständigen Entfernung aller Ablagerungen hingewiesen. Der Titelbescheid des LH vom 26. November 1996 erfasst alle auf dem Grundstück Nr. 193/10 vorhandenen Ablagerungen, unabhängig von ihrer Eluatklasse. Eine Ausnahme für Materialien, die der Eluatklasse Ia zuzuordnen sind, enthält der Bescheid nicht. Lediglich für die von der Bundeswasserbauverwaltung zu entfernenden Ablagerungen enthält der Titelbescheid Einschränkungen, die sich aber nicht auf die Eluatklasse Ia beziehen, sondern im Gegenteil der Bundeswasserbauverwaltung nur solche Ablagerungen zur Entfernung vorschreiben, deren Gefährdungspotential die Eluatklasse IIa oder hinsichtlich des Kohlenwasserstoffgesamtgehaltes einen Wert von 100 mg/kg Trockensubstanz nicht übersteigt.

Ob Ablagerungen der Eluatklasse Ia zuzuordnen sind oder nicht, ist daher ohne Belang. Alle Ablagerungen sind zu entfernen.

Es kann dahingestellt bleiben, ob die belangte Behörde nicht statt mit einer Zurückweisung mit einer Abweisung der Berufung hätte vorgehen müssen. Eine Verletzung von Rechten des Beschwerdeführers läge nämlich auch dann nicht vor, wenn die Berufung abzuweisen gewesen wäre.

Bedient sich nämlich eine Behörde im Bescheidspruch ihrer Berufungsentscheidung des Ausdruckes "zurückgewiesen" statt des Ausdruckes "abgewiesen", so liegt in der Verwendung dieser Formulierung kein Eingriff in die Rechte der Partei vor, wenn die Behörde in der Begründung des Bescheides auf jene Fragen, die beim gegebenen Prozessgegenstand zulässiger Berufungsinhalt waren, mit dem Ergebnis, dass die Berufung abzuweisen wäre, eingegangen ist, sodass nur die der tatsächlich vorgenommenen Beurteilung angemessene Bezeichnung verfehlt wurde (vgl. die bei Walter-Thienel, Verwaltungsverfahrensgesetze I2, 1305, angeführte Rechtsprechung).

Die belangte Behörde hat sich in der Begründung des angefochtenen Bescheides mit dem Berufungsvorbringen der Beschwerdeführer auseinander gesetzt und dieses zu Recht als nicht stichhaltig erkannt. Eine Zurückweisung statt einer Abweisung schadet daher nicht.

Ob es sich bei dem Antrag der Beschwerdeführer vom 19. Mai 1998 um einen gegen den Titelbescheid gerichteten Wiederaufnahmeantrag handelt, braucht nicht geprüft zu werden. Das Vorliegen eines Wiederaufnahmeantrages allein machte nämlich die Vollstreckung nicht unzulässig.

Dass schon der Wiederaufnahmeantrag - und nicht erst die Entscheidung darüber - Wirkungen auf den im wieder aufzunehmenden Verfahren ergangenen Bescheid ausübt, ist im Gesetz nicht festgelegt. Dem Wiederaufnahmeantrag kommt sohin insbesondere aufschiebende Wirkung nicht zu. Der im wieder aufzunehmenden Verfahren ergangene Bescheid entfaltet trotz Antragstellung - bis zur rechtskräftigen Bewilligung der Wiederaufnahme - alle von ihm normierten Rechtswirkungen; daraus erwachsene Verpflichtungen können vollstreckt werden (vgl. Walter-Thienel, Verwaltungsverfahren I2, Anmerkung 2 zu § 69 AVG).

Aus den dargestellten Erwägungen erweist sich die Beschwerde als unbegründet, weshalb sie gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen war.

Der Ausspruch über den Kostenersatz stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003, BGBl. II Nr. 333/2003.

Wien, am 11. September 2003

Schlagworte

Rechtliche Wertung fehlerhafter Berufungsentscheidungen Rechtsverletzung durch solche EntscheidungenSpruch und BegründungZurückweisung wegen entschiedener SacheBesondere verfahrensrechtliche Aufgaben der Berufungsbehörde Spruch des BerufungsbescheidesIndividuelle Normen und Parteienrechte Rechtswirkungen von Bescheiden Rechtskraft VwRallg9/3

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2003:2003070059.X00

Im RIS seit

03.10.2003

Zuletzt aktualisiert am

13.05.2014
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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