TE Vfgh Erkenntnis 2000/6/14 B1232/98

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Veröffentlicht am 14.06.2000
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Index

66 Sozialversicherung
66/01 Allgemeines Sozialversicherungsgesetz

Norm

B-VG Art83 Abs2
EMRK Art6 Abs1 / Verfahrensgarantien
ASVG §343
ASVG §345a

Leitsatz

Keine Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte durch Verneinung der Zuständigkeit der Landesschiedskommission zur Entscheidung über Rechtsstreitigkeiten aus privatrechtlichen Verträgen zwischen Ärzten und Krankenversicherungsträgern durch die Bundesschiedskommission; keine Verletzung im Recht auf ein faires Verfahren wegen Unterbleibens einer mündlichen Verhandlung mangels Entscheidung über civil rights

Spruch

Die Beschwerdeführer sind durch den angefochtenen Bescheid weder in einem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht noch durch Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in ihren Rechten verletzt worden.

Die Beschwerde wird abgewiesen.

Kosten werden nicht zugesprochen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I 1.1. Der Erst- und der Zweitbeschwerdeführer, die Fachärzte für Radiologie in Kärnten sind, sowie die drittbeschwerdeführende GesmbH & Co KG haben jeweils als "Rechtsträger" eines Röntgeninstitutes mit der Kärntner Gebietskrankenkasse, der Versicherungsanstalt des Österreichischen Bergbaues, der Betriebskrankenkasse der Austria Tabakwerke AG und der Sozialversicherungsanstalt der Bauern sog. Direktverrechnungsübereinkommen über die Durchführung von Magnetresonanztomographie- Untersuchungen und über Computertomographie-Untersuchungen der Versicherten dieser Krankenversicherungsträger zu in diesen Verträgen näher geregelten Bedingungen abgeschlossen.

Diese Verträge sind - mit Ausnahme jenes mit der Sozialversicherungsanstalt der Bauern - von den Krankenversicherungsträgern schriftlich unter Einhaltung einer 1-monatigen Kündigungsfrist zum 30. September 1996 aufgekündigt worden; die Sozialversicherungsanstalt der Bauern hat das Direktverrechnungsübereinkommen unter Einhaltung einer 3 monatigen Kündigungsfrist zum 31. Dezember 1996 aufgekündigt.

1.2. Die Beschwerdeführer haben diese Kündigungen mit Schriftsatz vom 11. Oktober 1996 bei der Landesschiedskommission für Kärnten beeinsprucht und gleichzeitig für den Fall der Verspätung des Einspruches einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gestellt; es sei ihnen mitgeteilt worden, daß ein Rechtsmittel gegen die Kündigung nicht zur Verfügung stünde. Erst der einschreitende Anwalt habe eine gegenteilige Auskunft gegeben. Der Einspruch gegen die Kündigung wurde mit dem Vorliegen der sozialen Härte begründet; im übrigen würden "beharrliche oder schwerwiegende Verletzungen des Vertrages oder der ärztlichen Berufspflicht im Zusammenhang mit den gekündigten Verträgen unstrittig nicht vorliegen".

Den Anträgen auf Wiedereinsetzung wurde von der Landesschiedskommission für Kärnten keine Folge gegeben; die Einsprüche wurden als verspätet zurückgewiesen.

1.3. Der dagegen erhobenen Berufung der Beschwerdeführer wurde mit dem in Beschwerde gezogenen Bescheid der Bundesschiedskommission keine Folge gegeben, jedoch die erstinstanzliche Entscheidung mit der Maßgabe bestätigt, daß die Anträge auf Wiedereinsetzung und die erhobenen Einsprüche (ersichtlich gemeint: als unzulässig) zurückgewiesen wurden.

Die Bundesschiedskommission verneinte eine Zuständigkeit der Landesschiedskommission zur Entscheidung über die Anträge der Beschwrdeführer und begründete ihre Entscheidung folgendermaßen: Es stehe "vorliegend nicht das Schicksal von Einzelverträgen niedergelassener Ärzte gemäß §343 Abs4 ASVG auf dem Spiel, sondert es handelt sich im Gegenstand um Verrechnungsverträge mit Instituten, was hinsichtlich der Drittantragstellerin eindeutig zutage tritt und wobei hinsichtlich der übrigen Antragsteller nur ihre sogenannte 'Rechtsträgerschaft' vorgeschoben ist".

1.4. Gegen diesen Bescheid erheben die Beschwerdeführer Beschwerde wegen Verletzung in den verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter, auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz, auf Unverletzlichkeit des Eigentums bzw. auf Gewährung der Verfahrensgarantien nach Art6 EMRK, sowie wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes.

2. Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt, von der Erstattung einer Gegenschrift jedoch Abstand genommen.

Die mitbeteiligte Kärntner Gebietskrankenkasse hat unter Verzeichnung von Kosten eine Äußerung erstattet, in der sie den angefochtenen Bescheid verteidigt und die Abweisung der Beschwerde beantragt.

3. Die relevanten gesetzlichen Bestimmungen lauten wie folgt (§345a und §346 ASVG):

"Landesschiedskommission

§345a. (1) Für jedes Land ist auf Dauer eine Landesschiedskommission zu errichten. ...

(2) Die Landesschiedskommission ist zuständig:

1. zur Schlichtung und Entscheidung von Streitigkeiten zwischen den Parteien eines Gesamtvertrages über die Auslegung oder die Anwendung eines bestehenden Gesamtvertrages und

2. zur Entscheidung über die Wirksamkeit einer Kündigung gemäß §343 Abs4.

(3) Gegen die Entscheidungen der Landesschiedskommission kann Berufung an die Bundesschiedskommission erhoben werden.

Bundesschiedskommission

§346. (1) Zur Entscheidung über Berufungen, die gemäß §345a Abs3 erhoben werden, ist eine Bundesschiedskommission zu errichten.

..."

Gem. §341 Abs1 ASVG werden die Beziehungen zwischen den Trägern der Krankenversicherung und den freiberuflich tätigen Ärzten durch Gesamtverträge geregelt. Der Inhalt des Gesamtvertrages ist gem. §341 Abs3 ASVG auch Inhalt des zwischen dem Träger der Krankenversicherung und dem Arzt abzuschließenden Einzelvertrages.

§342 regelt den zulässigen Inhalt der Gesamtverträge; danach hat dieser insbesondere auch die Festsetzung der Zahl und der örtlichen Verteilung der Vertragsärzte zu regeln und die Vergütungen der vertragsärztlichen Leistungen grundsätzlich nach Einzelleistungen, zusammengefaßt in Honorarordnungen, die einen Bestandteil der Gesamtverträge bilden, vorzusehen. §343 ASVG regelt die Aufnahme der Ärzte in den Vertrag und die Auflösung des Vertragsverhältnisses.

§343 Abs4 ASVG lautet:

"Das Vertragsverhältnis kann unbeschadet der Bestimmungen der Abs2 und 3 von beiden Teilen unter Einhaltung einer einmonatigen Kündigungsfrist zum Ende eines Kalendervierteljahres gekündigt werden. Kündigt der Träger der Krankenversicherung, so hat er dies schriftlich zu begründen. Der gekündigte Arzt kann innerhalb von zwei Wochen die Kündigung bei der Landesschiedskommission mit Einspruch anfechten. Die Landesschiedskommission hat innerhalb von sechs Monaten nach Einlangen des Einspruches über diesen zu entscheiden. Der Einspruch hat bis zum Tag der Entscheidung der Landesschiedskommission aufschiebende Wirkung. Die Landesschiedskommission kann die Kündigung für unwirksam erklären, wenn sie für den Arzt eine soziale Härte bedeutet und nicht eine so beharrliche oder eine so schwerwiegende Verletzung des Vertrages oder der ärztlichen Berufspflichten im Zusammenhang mit dem Vertrag vorliegt, daß die Aufrechterhaltung des Vertragsverhältnisses für den Träger der Krankenversicherung nicht zumutbar ist. Eine vom gekündigten Arzt eingebrachte Berufung an die Bundesschiedskommission hat ohne Zustimmung des Krankenversicherungsträgers keine aufschiebende Wirkung."

§181 BSVG lautet auszugsweise wie folgt:

"§181. Hinsichtlich der Beziehungen des Versicherungsträgers zu den Ärzten, Dentisten, Hebammen, Apothekern, freiberuflich tätigen klinischen Psychologen bzw. freiberuflich tätigen Psychotherapeuten, Krankenanstalten und anderen Vertragspartnern gelten die Bestimmungen des Sechsten Teiles des Allgemeinen Sozialversicherungsgesetzes mit der Maßgabe, daß

...

5. die für jedes Land gemäß den §§345 und 345a des Allgemeinen Sozialversicherungsgesetzes errichteten Kommissionen bzw. die gemäß §346 des Allgemeinen Sozialversicherungsgesetzes errichtete Bundesschiedskommission auch zuständig ist, wenn am Verfahren der Versicherungsträger beteiligt ist; ..."

II Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:

1. Die Beschwerdeführer sind durch die Entscheidung der Bundesschiedskommission nicht in ihrem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt worden:

1.1. Die Beschwerdeführer behaupten nicht, daß mit ihnen ein Einzelvertrag iS des §343 ASVG abgeschlossen wurde. Die Bundesschiedskommission hat daher die Zuständigkeit der Landesschiedskommission zurecht verneint. §343 Abs1 ASVG spricht ausdrücklich vom "Abschluß der Einzelverträge zwischen dem zuständigen Träger der Krankenversicherung und dem Arzt ... nach den Bestimmungen des Gesamtvertrages". Nur hinsichtlich dieses Einzelvertrages und hier wieder nur im Falle der Kündigung eines solchen Vertrages durch den Krankenversicherungsträger hat der Gesetzgeber in §343 Abs4 ASVG einen sozialversicherungsspezifischen Rechtsschutz unter Beteiligung der in Betracht kommenden Selbstverwaltungskörper in den Kollegialbehörden erster und zweiter Rechtsstufe eingeräumt. Nur die Kündigung eines Einzelvertrages im Sinne des §343 ASVG ist eine "Kündigung gemäß §343 Abs4", wie sie die Zuständigkeitsnorm des §345a Abs2 Z2 ASVG voraussetzt.

1.2. Die in §345a und 343 Abs4 genannten Kollegialbehörden sind jedoch nicht auch dafür zuständig, über Rechtsstreitigkeiten aus anderen privatrechtlichen Verträgen zu entscheiden, an denen Ärzte und Krankenversicherungsträger als Vertragspartner beteiligt sind (in diesem Sinne auch Souhrada: Die neue Schiedskommissionsorganisation, SoSi Nr. 1/1990, 20). Für Streitigkeiten aus solchen anderen Vereinbarungen privatrechtlicher Natur sind vielmehr gem. §1 JN die ordentlichen Gerichte zuständig.

1.3. Die Bundesschiedskommission hat daher durch die Verneinung der Zuständigkeit der Landesschiedskommission die Beschwerdeführer weder in ihrem Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt, noch hat sie insofern dem Gesetz einen gleichheitswidrigen Inhalt unterstellt, zumal keine Verfassungsvorschrift den Gesetzgeber dazu verhält, die Anfechtung einer privatrechtlichen Kündigung vorzusehen (VfSlg. 14937/1997).

2. §343 Abs4 ASVG enthält einerseits Regelungen des aufgrund des Einspruchs gegen eine Kündigung eines Einzelvertrages abzuführenden Verfahrens und über die Rechtswirkungen von Rechtsmitteln, andererseits enthält sie die Voraussetzungen, unter denen ein Einzelvertrag vom Krankenversicherungsträger gekündigt werden kann.

Die von der hier allein maßgebenden Zuständigkeitsfrage daher zu unterscheidende (und in der Beschwerde breiten Raum einnehmende) Frage, ob den Beschwerdeführern unter gleichheitsrechtlichen Aspekten ein Schutz gegen die Kündigung auch eines Verrechnungsabkommens im Sinne einer Einschränkung des Kündigungsrechtes des Sozialversicherungsträgers zuzubilligen wäre, war weder von der belangten Behörde (wegen deren Unzuständigkeit zur Entscheidung von Rechtsstreitigkeiten aus Verrechnungsübereinkommen) zu erörtern, noch hat sie der Verfassungsgerichtshof bei der Beurteilung der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheides unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten zu beurteilen. Durch die getroffene Zuständigkeitsentscheidung konnten die Beschwerdeführer daher auch insoweit in ihrem Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz nicht verletzt werden.

3. Die Beschwerdeführer sind durch den angefochtenen Bescheid auch nicht durch das Unterbleiben einer mündlichen Verhandlung in ihrem aus Art6 EMRK erfließenden Recht auf ein faires Verfahren verletzt worden. Die Bundesschiedskommission hat nicht über zivilrechtliche Ansprüche der Beschwerdeführer entschieden, sondern lediglich ausgesprochen, daß für diese Ansprüche der sozialversicherungsspezifische Rechtsschutz des §343 ASVG nicht zur Verfügung steht. Abgesehen davon, daß nach jüngerer Rechtsprechung des EGMR eine öffentliche Verhandlung in zweiter Tatsacheninstanz entbehrlich ist, wenn der Fall ohne Beeinträchtigung des Prinzips eines fairen Verfahrens nach der Aktenlage entschieden werden kann und in erster Instanz eine Verhandlung durchgeführt wurde (vgl. Peukert in Frowein-Peukert: Kommentar zur EMRK, RZ 118 mit Verweisen auf die Judikatur), bestand hier schon vom Verfahrensgegenstand her keine Verpflichtung der belangten Behörde zur Durchführung einer mündlichen Verhandlung.

4. Die Beschwerdeführer sind somit durch den angefochtenen Bescheid weder in verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten, noch durch Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in ihren Rechten verletzt worden.

5. Der mitbeteiligten Sozialversicherungsanstalt waren die beantragten Kosten für den vor ihr erstatteten, ihr vom Verfassungsgerichtshof aber nicht abverlangten Schriftsatz nicht zuzusprechen (VfSlg. 10928/1986; 10957/1986).

6. Die Beschwerde war daher gem. §19 Abs4 VerfGG in nichtöffentlicher Sitzung abzuweisen.

Schlagworte

Behördenzuständigkeit, Sozialversicherung, Ärzte, Verfahren, fair trial, Mündlichkeit

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2000:B1232.1998

Dokumentnummer

JFT_09999386_98B01232_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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