TE Vwgh Erkenntnis 2003/9/16 2002/05/0939

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Veröffentlicht am 16.09.2003
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Index

41/02 Melderecht;

Norm

MeldeG 1991 §1 Abs7;
MeldeG 1991 §1 Abs8 idF 2001/I/028;
MeldeG 1991 §17 Abs1;
MeldeG 1991 §17 Abs3;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident DDr. Jakusch und die Hofräte Dr. Giendl, Dr. Kail, Dr. Pallitsch und Dr. Waldstätten als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Thalhammer, über die Beschwerde des Bürgermeisters der Landeshauptstadt Linz gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Oberösterreich vom 31. Jänner 2002, Zl. Gem(Wahl)-910149-2002-Wie, betreffend Reklamationsverfahren nach § 17 Abs. 2 Z. 2 Meldegesetz (mitbeteiligte Parteien:

1. Bürgermeister der Gemeinde Steinerkirchen an der Traun, vertreten durch Dr. Reinhard Schwarzkogler, Rechtsanwalt in 4650 Lambach, Marktplatz 2, 2. Frida Baumann in Linz, vertreten durch Dr. Christian Kuhn und Dr. Wolfgang Vanis, Rechtsanwälte in 1010 Wien, Elisabethstraße 22), zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von EUR 381,90 und den beiden mitbeteiligten Parteien Aufwendungen in der Höhe von je EUR 991,20, dies jeweils binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution, zu ersetzen.

Begründung

Nach den Feststellungen im angefochtenen Bescheid ist die 1928 geborene, ledige Zweitmitbeteiligte in der Gemeinde des Beschwerdeführers mit Nebenwohnsitz gemeldet. Sie ist mit Hauptwohnsitz in der Gemeinde des mitbeteiligten Bürgermeisters gemeldet. Sie verbringt 336 Tage im Jahr am Nebenwohnsitz und 29 Tage am Hauptwohnsitz. Mitbewohner werden an keiner der beiden Adressen angegeben.

Die Zweitmitbeteiligte ist Ordensschwester und am Nebenwohnsitz tätig. Angaben über die Erwerbstätigkeit, Funktionen in öffentlichen und privaten Körperschaften und gesellschaftliche Beziehungen am weiteren Wohnsitz wurden von der Zweitmitbeteiligten in ihrer Wohnsitzerklärung nicht gemacht.

In einer Stellungnahme der Priorin S. M. vom 5. November 2001, die auch im Namen der Zweitmitbeteiligten abgegeben wurde, wird ausgeführt, dass für eine Ordensschwester stets das Kloster (Mutterhaus) der Mittelpunkt der Lebensinteressen sei. Ihre Ordensgemeinschaft sei so strukturiert, dass die Schwestern in so genannten "Stationen" eingesetzt sind (z.B. Pfarren, Stifte usw.), dabei handle es sich jedoch nicht um einen von den Ordensangehörigen selbst ausgewählten Ort der Tätigkeit, sodass sich auch die in der Wohnsitzerklärung angegebene Aufenthaltsdauer nicht aus freier Wahl, sondern auf Grund der Entsendung der Schwester durch die Ordensleitung an den Ort ihres Arbeitseinsatzes ergebe. Eine "Versetzung" könne jederzeit stattfinden. Basis für die Entsendung durch die Ordensleitung an den Ort des Arbeitseinsatzes seien "Gestellungsverträge", in denen die jederzeitige Austauschbarkeit der Schwester ausdrücklich festgehalten sei. Besonders bei älteren Schwestern, zu denen die Zweitmitbeteiligte zähle, die meistens auch eine reduzierte Arbeitsverpflichtung (Teilzeit) hätten, nehme eine Rückberufung in das Mutterhaus täglich an Wahrscheinlichkeit zu. Den Lebensabend - wenn also in den Arbeitsstationen keine Tätigkeit mehr ausgeübt werden könne - sowie Zeiten der Krankheit und Pflegebedürftigkeit, verbrächten die Schwestern im Mutterhaus. Das bedeute auch, dass sich eine Schwester in ihrer "aktiven" Zeit am Ort ihres Arbeitseinsatzes kein Umfeld schaffe, das zur Grundlage für den Mittelpunkt ihrer Lebensinteressen werden könnte; umso weniger, als die Betroffene im Laufe ihres Ordenslebens bereits 14 Mal versetzt worden sei. Von Bedeutung sei auch, dass die Betroffene bereits eine Pension beziehe. Sämtliche Pensionsbezüge würden an die Adresse des Mutterhauses zur Auszahlung gebracht; hier befände sich die zentrale Verwaltung und seien auch die freiwilligen Beträge, die zum Pensionsanspruch geführt hätten, von der Ordensgemeinschaft bezahlt worden.

Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde den Antrag des beschwerdeführenden Bürgermeisters auf Aufhebung des Hauptwohnsitzes der zweitmitbeteiligten Partei in der Gemeinde des erstmitbeteiligten Bürgermeisters ab.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, in der Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend gemacht werden.

Die belangte Behörde legte die Verwaltungsakten vor und beantragte in ihrer Gegenschrift die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde; der Erstmitbeteiligte und die Zweitmitbeteiligte erstatteten jeweils eine Gegenschrift und beantragten ebenfalls kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Der Verwaltungsgerichtshof hat in ständiger Rechtsprechung ausgeführt, dass im zulässiger Weise eingeleiteten Reklamationsverfahren die bis dahin für den Hauptwohnsitz des Betroffenen ausschließlich maßgebliche "Erklärung" des Meldepflichtigen dahingehend hinterfragt wird, ob der erklärte Hauptwohnsitz den in Art. 6 Abs. 3 B-VG (§ 1 Abs. 7 Meldegesetz) normierten objektiven Merkmalen entspricht. Die Lösung der im Reklamationsverfahren maßgeblichen Rechtsfrage des Hauptwohnsitzes des Betroffenen hängt an dem materiell-rechtlichen Kriterium "Mittelpunkt seiner Lebensbeziehungen". Bei der Beurteilung dieses Tatbestandsmerkmales kommt es auf eine Gesamtschau an, bei welcher vor allem folgende - nunmehr ausdrücklich in dem mit der Novelle vom 30. März 2001, BGBl. I Nr. 28/2001, eingefügten Abs. 8 des § 1 Meldegesetz festgeschriebenen - Bestimmungskriterien maßgeblich sind: Aufenthaltsdauer, Lage des Arbeitsplatzes und der Ausbildungsstätte, Wohnsitz der übrigen, insbesondere der minderjährigen Familienangehörigen und der Ort, an dem sie ihrer Erwerbstätigkeit nachgehen, ausgebildet werden oder die Schule und den Kindergarten besuchen, Funktionen in öffentlichen und privaten Körperschaften.

Um dem Ziel des Reklamationsverfahrens gemäß § 17 Abs. 3 Meldegesetz entsprechen zu können, hat die Behörde (§ 17 Abs. 1 Meldegesetz) in ihrer Entscheidung für die Beurteilung des Mittelpunktes der Lebensbeziehungen des Betroffenen als wesentliches Tatbestandsmerkmal eines Hauptwohnsitzes gemäß § 1 Abs. 7 Meldegesetz eine Gesamtbetrachtung seiner beruflichen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Lebensbeziehungen vorzunehmen (vgl. hiezu das hg. Erkenntnis vom 25. April 2002, Zl. 2002/05/0423, mit weiteren Nachweisen).

Bei der betroffenen Zweitmitbeteiligten, die Angehörige der Kongregation der Benediktinerinnen vom unbefleckten Herzen Mariens mit dem Sitz in der Marktgemeinde des mitbeteiligten Bürgermeisters ist, treten die in § 1 Abs. 8 des Meldegesetzes beispielsweise aufgezählten Bestimmungskriterien für die Feststellung des Mittelpunktes ihrer Lebensbeziehungen in den Hintergrund.

Die in der Wohnsitzerklärung an den jeweiligen Wohnsitzorten angegebene Aufenthaltsdauer lässt zwar den Schluss zu, dass die Zweitmitbeteiligte in der Landeshauptstadt Linz einen Mittelpunkt der Lebensinteressen hat.

Dem steht jedoch gegenüber, dass der Aufenthalt der nunmehr fast 75-jährigen Zweitmitbeteiligten in Linz - schon im Hinblick auf ihr höheres Alter - nur vorübergehend und somit nicht berufsbedingt ist. Sämtliche (übrigen) Lebensbeziehungen der Zweitmitbeteiligten, insbesondere ihre Zugehörigkeit zur Gemeinschaft des Ordens mit der damit gegebenen gesellschaftlichen und spirituellen Verbundenheit zu den im Kloster in der Gemeinde des mitbeteiligten Bürgermeisters lebenden Mitgliedern sowie ihre wirtschaftliche Abhängigkeit vom Orden, liegen in der Gemeinde des erstmitbeteiligten Bürgermeisters und schaffen daher auch dort eine besondere Mittelpunktqualität, weshalb unter diesen Gegebenheiten der betroffenen Zweitmitbeteiligten das aus § 1 Abs. 7 MeldeG resultierende Wahlrecht zuzubilligen ist, welches von ihr durch die Wohnsitzerklärung auch ausgeübt worden ist.

Aus diesen Gründen erweist sich daher der angefochtene Bescheid als frei von Rechtsirrtum. Die Beschwerde war deshalb gemäß § 42 Abs. 1 abzuweisen.

Die Kostenentscheidung stützt sich auf §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. II Nr. 333/2003.

Wien, am 16. September 2003

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2003:2002050939.X00

Im RIS seit

15.10.2003
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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