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41/02 Passrecht Fremdenrecht;Norm
AsylG 1997 §6 Z3;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Waldner und die Hofräte Dr. Nowakowski und Dr. Moritz als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Trefil, über die Beschwerde des A in L, vertreten durch Dr. Hans Kaser, Rechtsanwalt in 4040 Linz, Freistädterstraße 3, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 8. Februar 2001, Zl. 220.142/6-II/04/01, betreffend § 6 Z 3 und § 8 Asylgesetz (weitere Partei: Bundesminister für Inneres), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 991,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger der Türkei, reiste am 14. August 2000 in das Bundesgebiet ein und stellte an diesem Tag einen Asylantrag. Bei seiner Einvernahme vor dem Bundesasylamt am 14. September 2000 führte er im Wesentlichen aus, dass sein Heimatdorf im Jahre 1992 in Brand gesteckt und zerstört worden sei. Als Kurde werde man, wenn etwas geschieht, immer befragt, wo man gewesen sei, was man gemacht habe etc. Der Beschwerdeführer sei illegal ausgereist. Er habe keinen Beruf. Im Falle der Rückkehr würde er mindestens für ein Jahr inhaftiert.
In einer ergänzenden Stellungnahme vom 18. September 2000, verfasst vom damaligen Rechtsvertreter des Beschwerdeführers, wurde ausgeführt, dass sich der Beschwerdeführer, als die "Schikanen der PKK" nicht länger ertragbar waren, entschlossen habe, die Türkei zu verlassen. Die wirtschaftliche Seite seines Vorbringens sei nur eine "Mitursache" dafür gewesen, das Land zu verlassen. Er sei von den Behörden in der Türkei schikaniert, gedemütigt, sowie manchmal auch ohne ersichtlichen Grund verprügelt worden. Einmal habe eine "Razzia" der Polizei in seiner Wohnung stattgefunden. Die Polizei habe vermutet, dass sich dort PKK-Kämpfer aufhalten würden. In weiterer Folge seien sämtliche Hausbewohner für ca. zwei Tage verhaftet worden. Durch diese grundlose Inhaftierung habe der Beschwerdeführer seinen letzten Arbeitsplatz verloren, da auch sein Arbeitgeber der Meinung gewesen sei, er gehöre der PKK an. Er sei infolge des Verlustes seines Arbeitsplatzes auch nicht mehr in der Lage gewesen, die Miete zu bezahlen, sodass er gekündigt worden sei.
Mit Bescheid vom 14. November 2000 (im Kopf datiert mit 19. September 2000) wies das Bundesasylamt den Asylantrag des Beschwerdeführers gemäß § 6 Z 2 Asylgesetz als offensichtlich unbegründet ab und erklärte seine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung in die Türkei gemäß § 8 Asylgesetz für zulässig.
Der Beschwerdeführer erhob gegen diesen Bescheid Berufung. Bei der mündlichen Berufungsverhandlung vor der belangten Behörde am 5. Februar 2001 führte der Beschwerdeführer im Wesentlichen aus, er befürchte, in der Türkei inhaftiert zu werden, da die türkische Armee im Juli 2000 ein Waffenlager der PKK ausgehoben und dabei ein Tagebuch gefunden habe. Im selben Monat sei er von der türkischen Gendarmerie befragt worden, ob er das Dorf Dinarbei kenne. Er habe diese Frage bejaht. Daraufhin sei ihm vorgehalten worden, er hätte die PKK unterstützt, da sein Name in dem gefundenen Tagebuch aufscheine. Nach der Befragung sei der Beschwerdeführer zwar wieder freigelassen worden, jedoch mit der Aufforderung, seinen Wohnort nicht zu verlassen. Er sei jedoch geflohen. Bei der Einvernahme vor dem Bundesasylamt habe der Beschwerdeführer Angst gehabt, politische Gründe anzugeben. Er habe befürchtet, misshandelt zu werden. Inzwischen habe man dem Beschwerdeführer bei einer österreichischen Menschenrechtsorganisation versichert, dass die türkischen Behörden von seinen Angaben im Asylverfahren nichts erführen. Auf Nachfrage erklärte der Beschwerdeführer, die PKK von 1987 bis 1992 mit Lebensmitteln versorgt zu haben, weshalb auch sein Name in dem Tagebuch aufscheine. Ein der Berufungsverhandlung beigezogener Sachverständiger führte in weiterer Folge aus, dass seines Wissens die PKK ihre Aufzeichnungen in wechselnden Codes chiffriere, die von türkischen Sicherheitskräften nicht dechiffriert werden könnten (anders als mündliche Kommunikation, über Funk, die sehr wohl hin und wieder von türkischen Sicherheitskräften entschlüsselt werden könne). Überdies vernichte die PKK sämtliche Unterlagen vor Verlassen eines Versteckes. Die PKK sei in dieser Hinsicht sehr präzise, sie hätte sonst nicht so lange im Kampf gegen den türkischen Staat Bestand haben können. Denkbar wäre, dass die PKK keine Zeit gehabt habe, das betreffende Versteck zu räumen. In diesem Fall hätte aber ein Kampf stattgefunden. Dabei wären die schriftlichen Unterlagen, entweder im Zuge der Kampfhandlungen oder noch von der PKK selbst, zerstört worden. Der Beschwerdeführer führte daraufhin aus, dass die Schrift im Tagebuch codiert gewesen sei und die Polizei den Code entschlüsselt habe. Das habe man ihm bei seiner Vernehmung gesagt. Der Sachverständige ergänzte, dass keiner seiner bisherigen Gesprächspartner, weder Vertreter von Menschenrechtsorganisationen, noch der HADEP oder der PKK selbst (die letzten derartigen Kontakte habe der Sachverständige um Weihnachten 2000 herum gehabt), ihm gegenüber bestätigt hätte, dass schriftliche Aufzeichnungen der PKK von türkischen Sicherheitskräften hätten entschlüsselt werden können. Dies sei vielmehr ausdrücklich in Abrede gestellt worden. Etwas anderes sei es, dass allgemein bekannte Lichtbilder, etwa von Paraden der PKK oder von ihren Kommandanten, im Besitze der türkischen Sicherheitskräfte seien.
Mit dem in Beschwerde gezogenen Bescheid wurde die Berufung des Beschwerdeführers mit der Maßgabe abgewiesen, dass im Bescheidspruch anstellte des § 6 Z 2 Asylgesetz die Bestimmung des § 6 Z 3 Asylgesetz zu treten habe. Begründend führte die belangte Behörde im Wesentlichen Folgendes aus:
" ...
Das in der Verhandlung erstattete Vorbringen des Berufungswerbers erachtet der unabhängige Bundesasylsenat schon auf Grund des hiezu aufgenommenen Sachverständigen-Beweises für offensichtlich den Tatsachen nicht entsprechend, das heißt konstruiert, stehen doch auch nur der Möglichkeit des Zutreffens der zentralen Behauptung des Berufungswerbers, er sei wegen des Aufscheinens seines Namens in einem von der PKK verfassten, von türkischen Sicherheitskräften sichergestellten 'Tagebuch' gefährdet, die nachvollziehbaren - Aussagen des Sachverständigen gegenüber, dass schon gegen den behaupteten Umstand der Sicherstellung dieses 'Tagebuches' spreche, dass die PKK 'sämtliche Unterlagen vor Verlassen eines Versteckes' vernichte (dies auch, so Zeit bleibe, noch im Zuge von Kampfhandlungen; andernfalls aber sei die unversehrte Sicherstellung schriftlicher Aufzeichnungen nicht zu erwarten), jedenfalls aber derartige schriftliche Unterlagen chiffriert seien und bislang noch keiner der von der PKK verwendeten, wechselnden Codes von türkischen Sicherheitskräften habe entschlüsselt werden können.
Diese Beurteilung wird noch bestärkt dadurch, dass der Berufungswerber erst nachdem die Ungeeignetheit seines ursprünglichen Vorbringens durch dessen Beurteilung im erstinstanzlichen Bescheid offen zu Tage getreten war, dieses Vorbringen vollständig ausgewechselt hat (die diesbezüglich vom Berufungswerber angebotene Erklärung hält der unabhängige Bundesasylsenat gerade angesichts der von Anfang an gegebenen rechtsfreundlichen Beratung des Berufungswerbers für keineswegs überzeugend).
..."
Über die gegen diesen Bescheid gerichtete Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:
Gemäß § 6 Asylgesetz sind Asylanträge als offensichtlich unbegründet abzuweisen, wenn sie eindeutig jeder Grundlage entbehren. Dies ist unter anderem der Fall, wenn ohne sonstigen Hinweis auf Verfolgungsgefahr im Herkunftsstaat die behauptete Verfolgungsgefahr im Herkunftsstaat nach dem Vorbringen der Asylwerber offensichtlich nicht auf die in Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründe zurückzuführen ist (§ 6 Z 2 Asylgesetz) oder das Vorbringen der Asylwerber zu einer Bedrohungssituation offensichtlich den Tatsachen nicht entspricht (§ 6 Z 3 Asylgesetz).
Betreffend § 6 Z 3 Asylgesetz ist zwischen "schlichter" und "offensichtlicher" Tatsachenwidrigkeit zu unterscheiden, wobei nur eine "offensichtliche" Tatsachenwidrigkeit zur Anwendung des § 6 Z 3 Asylgesetz führen kann (vgl. z.B. die hg. Erkenntnisse vom 21. August 2001, Zl. 2000/01/0214, und vom 20. Juni 2002, Zl. 2000/20/0443). Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes erreicht das Vorbringen ein solches Maß an Unglaubwürdigkeit, dass der Tatbestand des § 6 Z 3 Asylgesetz als erfüllt angesehen werden kann, nur dann, wenn unmittelbar einsichtig ist und sich das Urteil quasi aufdrängt, dass die vom Asylwerber vorgebrachten und für die Beurteilung seines Asylansuchens maßgeblichen Schilderungen tatsächlich wahrheitswidrig sind (vgl. z.B. das hg. Erkenntnis vom 27. September 2001, Zl. 2001/20/0393, mwN).
Im vorliegenden Fall hat die belangte Behörde im Rahmen der mündlichen Berufungsverhandlung ein Sachverständigengutachten eingeholt. Das vorliegende Sachverständigengutachten, auf das sich die belangte Behörde in ihrer Bescheidbegründung tragend stützt, vermag aber die Annahme der Offensichtlichkeit der Unglaubwürdigkeit der Tatsachenbehauptungen des Beschwerdeführers nicht zu rechtfertigen (vgl. z.B. auch das hg. Erkenntnis vom 18. April 2002, Zl. 2001/01/0079).
So hat der Sachverständige die Möglichkeit nicht ausgeschlossen, dass ein Kampf stattgefunden und die PKK dadurch keine Zeit zur Räumung des Versteckes gehabt hat. Im Zuge von Kampfhandlungen vernichte die PKK Unterlagen nur, so Zeit bleibe. Durch die Kampfhandlungen sei aber auch sonst - nach der nicht näher begründeten Meinung des Sachverständigen - die unversehrte Sicherstellung schriftlicher Aufzeichnungen "nicht zu erwarten" (so die Diktion der Bescheidbegründung, die "Offensichtlichkeit" im oben dargestellten Sinn nicht zum Ausdruck bringt). Aus diesen Ausführungen des Sachverständigen lässt sich keinesfalls ableiten, dass es unmittelbar einsichtig ist und sich das Urteil gleichsam aufdrängt, dass die Behauptung des Asylwerbers, ein Tagebuch der PKK sei von den türkischen Behörden gefunden worden, offensichtlich tatsächlich wahrheitswidrig ist. Es ist nicht nachzuvollziehen, dass dann, wenn die PKK Unterlagen nicht mehr hat vernichten können, diese jedenfalls bei Kampfhandlungen vernichtet worden sind und keinesfalls in die Hände der türkischen Behörden gelangt sein können.
Zur Frage der Möglichkeit der Dechiffrierung von Codes der PKK durch die türkischen Behörden hat sich der Sachverständige auf seine Gesprächspartner (Vertreter von Menschenrechtsorganisationen, der HADEP und der PKK - nicht aber etwa offizieller türkischer Stellen) berufen. Diese hätten ihm gegenüber in Abrede gestellt, dass bisher schriftliche Aufzeichnungen der PKK von türkischen Sicherheitskräften hätten entschlüsselt werden können. Mit diesen, ausschließlich auf punktuellen Quellen (wobei auch nicht ohne weiteres einsichtig ist, weshalb gerade sie über Entschlüsselungsmöglichkeiten Bescheid wissen sollen) beruhenden Äußerungen lässt sich aber nicht darlegen, dass eine Entschlüsselung von vornherein unmöglich oder die Möglichkeit dazu zumindest in solchem Maße unwahrscheinlich ist, dass das gegenständliche Vorbringen des Beschwerdeführers "offensichtlich" den Tatsachen nicht entspricht.
Der angefochtene Bescheid war schon aus diesen Gründen gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003.
Wien, am 17. September 2003
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2003:2001200197.X00Im RIS seit
22.10.2003