TE Vfgh Erkenntnis 2000/6/16 B450/99

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Veröffentlicht am 16.06.2000
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Index

63 Allgemeines Dienst- und Besoldungsrecht
63/01 Beamten-Dienstrechtsgesetz 1979

Norm

B-VG Art7 Abs1 / Willkür
B-VG Art7 Abs1 / Verwaltungsakt
BDG 1979 §41d
Geschäftsordnung der Berufungskommission BGBl 999/1994

Leitsatz

Verletzung im Gleichheitsrecht durch willkürliche Mißachtung der Regelungen über die kollegiale Beschlußfassung in der Berufungskommission bei Abberufung eines Beamten; Willensbildung im Umlaufweg aufgrund der Geschäftsordnung ausgeschlossen

Spruch

Der Beschwerdeführer ist durch den angefochtenen Bescheid im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz verletzt worden.

Der Bescheid wird aufgehoben.

Der Bund (Bundesministerin für öffentliche Leistung und Sport) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zu Handen der Beschwerdevertreter die mit 29.500,-- S bestimmten Prozeßkosten binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Der Beschwerdeführer, ein Gendarmeriebeamter, wurde mit einem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der (gemäß §41 a Beamten-Dienstrechtsgesetz 1979 - BDG, BGBl. 333/1979 idF BGBl. 550/1994, eingerichteten) Berufungskommission beim Bundeskanzleramt (nunmehr: Berufungskommission beim Bundesministerium für öffentliche Leistung und Sport) vom 13. August 1998 von seiner bisherigen Verwendung als Sachbereichsleiter 2031 (= Disziplinarangelegenheiten) der Personalabteilung des Landesgendarmeriekommandos für Oberösterreich, Funktionsgruppe 5, abberufen und als stellvertretender Sachbereichsleiter 2022 (= Personalevidenz), Funktionsgruppe 3, (ohne Vorgesetztenfunktion), eingeteilt.

Nach Erlassung dieses Bescheides der Berufungskommission wurde das gerichtliche Strafverfahren, welches die strafrechtliche Beurteilung des für die Verwendungsänderung (mit)maßgeblichen Verhaltens des Beschwerdeführers zum Gegenstand hatte, eingestellt. Mit Beziehung darauf beantragte der Beschwerdeführer sodann mit einer Eingabe vom 28. Oktober 1998 die Wiederaufnahme des Verwaltungsverfahrens. Dieser Antrag wurde mit dem namens der genannten Berufungskommission ausgefertigten Bescheid vom 21. Jänner 1999 abgewiesen.

2. Der über die beantragte Wiederaufnahme absprechende Bescheid der Berufungskommission ist Gegenstand der vorliegenden Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof nach Art144 B-VG, in welcher der Beschwerdeführer die Verletzung bestimmter verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte geltend macht und die Bescheidaufhebung begehrt.

Die belangte Berufungskommission legte die Verwaltungsakten vor und erstattete eine Gegenschrift, in welcher sie die Abweisung der Beschwerde beantragt.

II. Die Beschwerde, deren meritorischer Erledigung Verfahrenshindernisse nicht entgegenstehen, ist im Ergebnis gerechtfertigt.

1. Den vorgelegten Verwaltungsakten ist zu entnehmen, daß der Vorsitzende der Berufungskommission den eingebrachten Wiederaufnahmsantrag (unter Bezugnahme auf §1 der GO-BerK (d.i. die Verordnung der Bundesregierung über die Geschäftsordnung der Berufungskommission und der Berufungssenate, BGBl. 999/1994)) dem Senat XII der Berufungskommission - unter namentlicher Nennung des Senatsvorsitzenden, des Dienstgebervertreters sowie des Dienstnehmervertreters - zuwies. Mit Schreiben vom 19. November 1998 bestellte der Senatsvorsitzende den Dienstgebervertreter zum Berichterstatter und führte dabei (u.a.) wörtlich aus:

"Gemäß §2 Abs2 der GO-BerK hat der Berichterstatter die für die Entscheidung des Senates notwendigen Verfahrensschritte vorzunehmen und über jede entscheidungsreife Rechtssache einen begründeten Beschlußantrag auszuarbeiten. Dieser Antrag ist dem Senatsvorsitzenden vorzulegen, der ihn dem dritten Senatsmitglied zuleitet."

Nachdem der Berichterstatter einen Bescheidentwurf ausgearbeitet hatte, wurde dieser - wie aus dem ausschließlich von der Schriftführerin des Berufungssenates gefertigten Aktenvermerk vom 20. Jänner 1999 hervorgeht - dem Dienstnehmervertreter zur Kenntnis gebracht. Im Aktenvermerk ist folgendes festgehalten: "Der DNVertr. Mag. G. stimmt dem Erledigungsentwurf zu. Dieser ist damit einhellig angenommen." Wie den Verwaltungsakten weiters zu entnehmen ist, wurde der Bescheidentwurf sodann vom Vorsitzenden unterfertigt und die Zustellung der Bescheidausfertigung an den Beschwerdeführer im Weg der Dienstbehörde verfügt. Eine Sitzung des Berufungssenates in der Rechtssache fand - wie insbesondere die sämtliche Aktenstücke erfassende Aktenübersicht erweist - nicht statt.

2.a) Der unter der Rubrik "Abstimmung und Stellung der Mitglieder" (nämlich jener der Berufungskommission sowie ihrer Senate) stehende §41 d BDG (idF BGBl. 550/1994) bestimmt in Abs1 folgendes:

"Der Senat ist beschlußfähig, wenn alle Senatsmitglieder anwesend sind. Der Senat hat mit Stimmenmehrheit zu entscheiden. Eine Stimmenthaltung ist unzulässig. Der Vorsitzende hat seine Stimme zuletzt abzugeben."

Die gemäß Absatz 3 des bezogenen Paragraphen von der Bundesregierung erlassene, bereits erwähnte Geschäftsordnung der Berufungskommission und der Berufungssenate legt in den §§3 bis 6 nachstehendes fest:

"Einberufung der Sitzungen

§3. (1) Der Senatsvorsitzende hat die Mitglieder des Berufungssenates nach Einlangen des Berichtes des Berichterstatters unverzüglich unter Angabe von Zeit und Ort sowie unter Bekanntgabe der Tagesordnung rechtzeitig schriftlich einzuladen.

(2) Als rechtzeitig einberufen gilt die Sitzung eines Berufungssenates, wenn die Mitglieder die Einberufung hiezu mit dem Bericht des Berichterstatters spätestens eine Woche vor der Sitzung erhalten.

(3) Eine ohne Einhaltung der im Abs2 genannten Frist schriftlich, telegraphisch, mündlich oder fernmündlich einberufene Sitzung eines Berufungssenates gilt als ordnungsgemäß einberufen, wenn alle Mitglieder (Ersatzmitglieder) der Einberufung tatsächlich Folge leisten.

Beratung und Abstimmung

§4. (1) Der Senatsvorsitzende leitet die Sitzungen. Diese sind nicht öffentlich.

(2) Jede Sitzung beginnt mit dem Vortrag des Berichterstatters.

(3) Der über eine Frage gefaßte Beschluß bindet die Senatsmitglieder bei der weiteren Beratung und Abstimmung.

(4) Über den Spruch und die Begründung kann getrennt abgestimmt werden.

(5) Der Senatsvorsitzende kann die Beratung und Beschlußfassung im Berufungssenat in Fällen, in denen die Abfassung einer in ihren Grundzügen bereits beschlossenen Begründung näher festgelegt worden ist, durch Einholung der Zustimmung der anderen Senatsmitglieder im Umlaufwege ersetzen.

Niederschrift

§5. (1) Die Erstellung der Verhandlungsschrift, der Niederschrift und des Beratungsprotokolls obliegt einem Schriftführer.

(2) Die Niederschrift hat, soweit auf diese nicht §44 AVG anzuwenden ist, zu enthalten:

1.

Ort, Tag und Dauer der Sitzung,

2.

die Namen der anwesenden Mitglieder und Ersatzmitglieder,

3.

die Rechtssache,

4.

den wesentlichen Inhalt wichtiger Beratungen,

5.

die gefaßten Beschlüsse sowie

6.

das zahlenmäßige Ergebnis der Abstimmungen.

(3) Jede Niederschrift ist vom Senatsvorsitzenden und vom Schriftführer zu unterfertigen.

Bescheide und sonstige Erledigungen

§6. (1) Die Urschrift des Bescheides ist vom Senatsvorsitzenden mit dem Tag zu unterfertigen, an dem er beschlossen wurde. Im Bescheid sind die Namen der Senatsmitglieder, des Schriftführers und der Parteien, ferner auch Name und Anschrift der bevollmächtigten Vertreter des Berufungswerbers und allfälliger mitbeteiligter Parteien anzuführen.

(2) Die Ausarbeitung des Bescheides obliegt dem Berichterstatter. Wurde dessen Erledigungsentwurf nicht zum Beschluß erhoben, kann der Senatsvorsitzende die Ausarbeitung des Bescheides an sich ziehen oder dem dritten Senatsmitglied übertragen.

(3) Alle Erledigungen sind als solche der Berufungskommission auszufertigen."

Aus den eben zitierten Gesetzes- bzw. Verordnungsvorschriften folgt zwingend, daß die zur Erlassung eines Bescheides namens der Berufungskommission erforderliche Willensbildung des Berufungssenates ausschließlich im Rahmen einer Senatssitzung stattfinden darf; also insbesondere nach einem Vortrag des Berichterstatters im Weg einer Beschlußfassung über die zu treffende Entscheidung durch Abstimmung sämtlicher zur Anwesenheit verpflichteten Senatsmitglieder einschließlich der Erstellung eines vom Senatsvorsitzenden und vom Schriftführer zu unterfertigenden Beratungsprotokolls. Dies schließt eine Willensbildung im sogenannten Umlaufweg vorbehaltlos aus (die gemäß der GO-BerK bloß als ein subsidiäres, der vorgenommenen Abstimmung nachfolgendes Mittel einer Einzelfragen betreffenden Willensbildung in §4 Abs5 für den Fall vorgesehen ist, daß die Abfassung einer in ihren Grundzügen bereits beschlossenen Begründung näher festgelegt werden soll).

b) Der Verfassungsgerichtshof hat in seinem Erk. B2835/96 vom 1.12.1999 (im Bereich des Tiroler Vergaberechts) den Umstand, daß eine gesetzlich vorgesehene kollegiale Beratung und Abstimmung weder über das Ergebnis noch über die Bescheidbegründung stattgefunden hat, als Teil einer gravierenden, zur Annahme behördlicher Willkür führenden Fehlerhaftigkeit gewertet. Weiters hat der Verwaltungsgerichtshof in Ansehung einer mit dem vorliegenden Fall vergleichbaren Rechtslage (nämlich in Bezug auf die nach dem BDG eingerichteten Disziplinarkommissionen) schon ausgesprochen, daß eine Beschlußfassung im Umlaufweg nicht der gesetzlich vorgesehenen Kollegialentscheidung entspricht und einen derart zustandegekommenen Bescheid mit zu dessen Aufhebung führender Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften belastet (VwSlg. 13.854/A/1993).

Nach ständiger Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes übt die Behörde Willkür, wenn sie sich über das Gesetz hinwegsetzt, statt ihm zu dienen (so VfSlg. 7233/1973, mit Hinweis auf die Vorjudikatur, und im gleichen Sinn etwa VfSlg. 7236/1973 oder - aus jüngerer Zeit - VfSlg. 14.452/1996).

Der angefochtene Bescheid war daher - weil er sich über die Regelungen betreffend die kollegiale Beschlußfassung schlechthin hinwegsetzt - wegen der Verletzung des Beschwerdeführers im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz aufzuheben, weshalb es sich erübrigte, auf das Beschwerdevorbringen im Einzelnen einzugehen.

III. Die Kostenentscheidung stützt sich auf §88 VerfGG; vom zugesprochenen Kostenbetrag entfallen 4.500,-- S auf die Umsatzsteuer sowie 2.500,-- S auf den Ersatz der entrichteten Eingabengebühr.

IV. Diese Entscheidung wurde gemäß §19 Abs4 erster Satz sowie zweiter Satz Z2 VerfGG ohne vorangegangene mündliche Verhandlung getroffen.

Schlagworte

Dienstrecht, Berufungskommission, Kollegialbehörde

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2000:B450.1999

Dokumentnummer

JFT_09999384_99B00450_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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