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41/02 Passrecht Fremdenrecht;Norm
AsylG 1997 §6 Z2;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Waldner und die Hofräte Dr. Nowakowski und Dr. Grünstäudl als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Trefil, über die Beschwerde des O in W, geboren 1972, vertreten durch Mag. Christian Tropsch, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Naglergasse 6, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 4. Juli 2000, Zl. 216.778/0-XII/37/00, betreffend § 6 Z 2 und § 8 Asylgesetz (weitere Partei: Bundesminister für Inneres) zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 991,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger von Nigeria, reiste am 17. Jänner 2000 in das Bundesgebiet ein und ersuchte um Asyl. Vor dem Bundesasylamt brachte er vor, er habe in seiner Heimat für eine nähere genannte Ölgesellschaft gearbeitet. Am 22. Dezember 1999 habe er auf dem Nachhauseweg von seiner Arbeit viele Personen gesehen, die mit Kanistern und anderen Behältern auf dem Kopf aus dem Busch gekommen seien. Da der Beschwerdeführer Benzin gerochen habe, habe er angenommen, dass die Behälter damit gefüllt gewesen seien. Auch in anderen Dörfern sei Benzin aus angebohrten Rohrleitungen gestohlen worden. Der Beschwerdeführer habe drei der besagten Personen, darunter den Führer einer "Jugendbande" aus seinem Dorf, erkannt. Da diese bei Aufdeckung des Vorfalles mit einer lebenslänglichen Haftstrafe hätten rechnen müssen, hätten sie den Beschwerdeführer verfolgt. Der Beschwerdeführer habe befürchtet, von den genannten Personen getötet zu werden, sei ihnen aber entkommen. Er habe zunächst das Haus eines Baustellenleiters seiner Ölgesellschaft aufgesucht und gemeinsam mit diesem den Vorfall bei der Polizei angezeigt. Bei der darauf folgenden Verhaftung der drei erwähnten Personen sei es zu einer Schießerei mit Toten gekommen. Am Tag darauf hätten Mitglieder der Jugendbande das Haus der Eltern des Beschwerdeführers angegriffen, seinen Vater gefesselt, den jüngeren Bruder geschlagen und die Stiefmutter des Beschwerdeführers entführt. Der Baustellenleiter habe dem Beschwerdeführer in der Folge zur Flucht aus seiner Heimat verholfen.
Mit Bescheid vom 14. März 2000 wies das Bundesasylamt den Asylantrag des Beschwerdeführers gemäß § 6 Z 2 AsylG als offensichtlich unbegründet ab und stellte fest, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach Nigeria gemäß § 8 AsylG zulässig sei.
Auf Grund der dagegen erhobenen Berufung führte die belangte Behörde eine mündliche Verhandlung durch. Der Beschwerdeführer gab an, die drei Personen, die ihn verfolgt hätten, gehörten zu einer in der "gesamten unterentwickelten Ölfördergegend" bestehenden "Jugendorganisation", die wegen der Benachteiligung der erdölgewinnenden Landesteile "gegen die Regierung kämpft" und deswegen Benzin aus der Pipeline gestohlen habe. Dadurch wollten sie auch Ölfirmen zwingen, an der Entwicklung ihrer Region mitzuwirken. Der Beschwerdeführer werde von der "Bande" als Vertreter des Staates angesehen, weil er derjenige gewesen sei, der die erwähnte Anzeige erstattet habe.
Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung des Beschwerdeführers gemäß § 6 Z 2 AsylG ab und stellte erneut fest, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach Nigeria gemäß § 8 AsylG iVm § 57 FrG zulässig sei. In der Begründung ihres Bescheides legte die belangte Behörde das Vorbringen des Beschwerdeführers zugrunde und traf Feststellungen zur politischen Lage in Nigeria. In rechtlicher Hinsicht meinte sie dann, eine Gefahr, Bedrohung bzw. Verfolgung, die lediglich von Privatpersonen ausgehe, könne nicht unter die Bestimmungen der Genfer Flüchtlinskonvention subsumiert werden, es sei denn, dass derartige Übergriffe durch Private "vom Staat gebilligt" würden. Dies liege jedoch im gegenständlichen Fall nicht vor, da der Beschwerdeführer ausdrücklich zu Protokoll gegeben habe, dass die Polizei eingeschritten und in weiterer Folge den Führer sowie zwei weitere Mitglieder der Jugendgruppe verhaftet habe. "Zusammenfassend" ergebe sich sohin, dass die Behauptung des Beschwerdeführers, in seinem Heimatland Verfolgung im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention befürchten zu müssen, eindeutig jeder Grundlage entbehre. Dies ergebe sich im Hinblick darauf, dass die behauptete Verfolgungsgefahr nach dem Vorbringen des Beschwerdeführers offensichtlich nicht auf die in Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründe zurückzuführen sei.
Zur Entscheidung nach § 8 AsylG ergänzte die belangte Behörde, es lägen auch keine Anhaltspunkte dafür vor, dass Nigeria infolge Fehlens einer funktionierenden Staatsgewalt generell nicht in der Lage wäre, derartige Verfolgungsmaßnahmen (von Privatpersonen) zu verhindern.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen hat:
Gemäß § 6 AsylG sind Asylanträge gemäß § 3 leg. cit. als offensichtlich unbegründet abzuweisen, wenn sie eindeutig jeder Grundlage entbehren. Dies ist nach Z 2 dieser Gesetzesstelle dann der Fall, wenn ohne sonstigen Hinweis auf Verfolgungsgefahr im Herkunftsstaat die behauptete Verfolgungsgefahr in diesem Staat nach dem Vorbringen der Asylwerber offensichtlich nicht auf die in Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründe zurückzuführen ist.
Der Beschwerdeführer hat im Verwaltungsverfahren behauptet, durch Mitglieder einer Jugendorganisation, die in seiner Heimat wegen der Benachteiligung bestimmter Regionen sowohl gegen die Regierung als auch gegen dort ansässige Ölgesellschaften kämpfe, verfolgt zu werden. Der Beschwerdeführer werde, weil er Mitarbeiter einer Ölgesellschaft sei und bei der Polizei Anzeige gegen Mitglieder der Jugendorganisation erstattet habe, als Vertreter des Staates angesehen. Vor dem Hintergrund dieses, bei Anwendung des § 6 Z 2 AsylG zugrundezulegenden Vorbringens des Beschwerdeführers und seinen darin enthaltenen Hinweisen auf politische Motive der ihm - seinen Behauptungen zufolge - drohenden Verfolgung durfte die belangte Behörde nicht davon ausgehen, dass sich die behauptete Verfolgungsgefahr im Herkunftsstaat des Beschwerdeführers "offensichtlich" nicht auf die in Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründe zurückführen ließe (vgl. zum politischen Hintergrund der gewalttätigen Auseinandersetzungen in den Ölfördergebieten des Niger-Deltas auch das hg. Erkenntnis vom 31. Jänner 2002, Zl. 99/20/0372).
Wenn die belangte Behörde in ihrer Bescheidbegründung auf das Einschreiten der Polizei zum Schutz des Beschwerdeführers verweist, so übersieht sie, dass die Annahme staatlichen Schutzes vor einer von Privatpersonen ausgehenden Verfolgung eine Entscheidung nach § 6 AsylG nicht zu tragen vermag (vgl. dazu etwa das hg. Erkenntnis vom 31. Mai 2001, Zl. 2000/20/0496, in dem der Verwaltungsgerichtshof unter Bezugnahme auf Vorjudikatur auch darauf hingewiesen hat, dass eine Verfolgung nicht vom Staat "gebilligt" sein müsse, um asylrelevant zu sein).
Nach dem Gesagten war der angefochtene Bescheid wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003.
Wien, am 17. September 2003
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2003:2000200382.X00Im RIS seit
17.10.2003