Index
40/01 Verwaltungsverfahren;Norm
AVG §45 Abs2;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Waldner und die Hofräte Dr. Nowakowski, Dr. Sulzbacher, Dr. Grünstäudl und Dr. Moritz als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Trefil, über die Beschwerde des V in B, vertreten durch Dr. Ernst Stolz, Dr. Sepp Manhart und Dr. Meinrad Einsle, Rechtsanwälte in 6900 Bregenz, Römerstraße 19, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Vorarlberg vom 21. Februar 2001, Zl. III-4609-23/96, betreffend Entziehung einer Waffenbesitzkarte, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.172,88 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit dem angefochtenen, im Instanzenzug ergangenen Bescheid wurde dem Beschwerdeführer die ihm am 19. Dezember 1968 ausgestellte Waffenbesitzkarte gemäß § 25 Abs. 3 iVm § 8 Abs. 2 des Waffengesetzes 1996, BGBl. I Nr. 12/1997 (WaffG), entzogen. Begründend wurde im Wesentlichen ausgeführt, der Gendarmerieposten Vorkloster habe mit Schreiben vom 31. Oktober 1999 von einer waffenrechtlichen Verlässlichkeitsüberprüfung bei der Ehegattin des Beschwerdeführers berichtet. Es sei ausgeführt worden, dass der Beschwerdeführer zunächst den Zugang zum Verwahrungsort der Waffen verweigert habe. Sein unfreundliches und unkooperatives Verhalten habe er mit seiner schweren Lungenkrankheit und den damit verbundenen schweren Operationen begründet. Die Gendarmeriebeamten hätten bei ihm schwere Atemprobleme wahrgenommen und dass er auf die Unterstützung eines Atemgerätes angewiesen sei. Weiters sei festgehalten worden, dass die letzte Verlässlichkeitsüberprüfung über vier Jahre zurückgelegen sei. Daraufhin habe die Bezirkshauptmannschaft Bregenz eine Verlässlichkeitsüberprüfung beim Beschwerdeführer in Gang gesetzt. In deren Verlauf sei er aufgefordert worden, sich beim Amtsarzt einer Untersuchung zu unterziehen, da bei ihm beidseitig ein Drittel des Lungenflügels operativ entfernt worden sei und er sich laut Gendarmeriebericht kaum gehend in der Wohnung habe fortbewegen können, ohne in Atemnot zu geraten. Im Gutachten des Amtsarztes der Bezirkshauptmannschaft Bregenz vom 31. Mai 2000 sei angeführt worden, dass an beiden Lungen je ein Drittel des Lungenvolumens operativ entfernt worden sei. Nach den eigenen Angaben des Beschwerdeführers in diesem Gutachten sei eine Lungentransplantation vorgesehen. Er müsse zur Immunreduktion Medikamente einnehmen. Aus Angst vor einer Infektion lasse er niemanden in die Wohnung und werde deshalb als aggressiv beschrieben. Seine Lungenfunktionswerte seien unter 20 %. Seit drei Jahren habe er ein Sauerstoffgerät, das er täglich für ca. sechs Stunden benötige. In der Nacht benutze er ein anderes Gerät. Das morgendliche Ankleiden führe er selbständig durch und benötige dafür ca. eine Stunde. Die Körperwäsche führe er ebenfalls alleine durch, lediglich für Kopf und Rücken benötige er Hilfe, ebenso für das Abtrocknen. Weiters sei in dem Gutachten als "Spontanangabe" notiert worden, dem Beschwerdeführer "sei wichtig, dass er kein Pflegefall werden möchte. Deshalb sei ihm die Waffe auch sehr wichtig." Im Befund sei in der Folge angeführt worden, "eine momentane suizidale Einengung (nach Ringel) kann nicht festgestellt werden, obwohl Selbstmordandeutungen bei fortbestehender Lungenerkrankung geäußert wurden". Dies habe zu folgender Beurteilung geführt:
"Herr V (Beschwerdeführer) ist nicht sucht- oder alkoholkrank und nicht geistesschwach. Bei Herrn V besteht eine Erkrankung der Lungen mit Behinderung der Atmung und Störung des Gasaustausches. Diese Lungenerkrankung führt zu starken Einschränkungen im Bereich des täglichen Lebens. Dies wird von Herrn V mit äußerst geringer Leistungsfähigkeit im Rahmen der fachärztlichen Abklärung zur Lungentransplantation beschrieben. Aus medizinischer Sicht stehen die körperlichen Mängel des Herrn V zum Führen und Gebrauch einer Waffe derzeit entgegen. Es kann aber davon ausgegangen werden, dass Herr V nach durchgeführter Lungentransplantation und entsprechender Rekonvaleszenz im Rahmen einer kurzen amtsärztlichen Nachuntersuchung wieder gesundheitlich geeignet ist. Die Selbstmordandeutung, die im Befund beschrieben wird, ist im Zusammenhang mit dem Begehr, die Waffe auf jeden Fall zu behalten, zu sehen".
In einer Stellungnahme zu diesem Gutachten habe der Beschwerdeführer erklärt, es sei unrichtig, dass er die Absicht habe, Selbstmord zu begehen. Auch wenn er geäußert habe, er möchte kein Pflegefall werden, bedeute dies noch nicht, dass er sich das Leben nehmen werde. Da der Sachverständige ausdrücklich angeführt habe, eine momentane suizidale Einengung nach Ringel könne nicht festgestellt werden, sei das Gutachten insofern widersprüchlich und dem Sachverständigen möge aufgetragen werden, konkrete Umstände zur Selbstmordgefährdung festzustellen. Zu den im Gutachten angeführten körperlichen Mängeln habe der Beschwerdeführer keine Stellungnahme abgegeben.
In rechtlicher Hinsicht führte die belangte Behörde aus, im Gutachten des Amtsarztes der Bezirkshauptmannschaft Bregenz vom 31. Mai 2000 sei "eindeutig" festgehalten, dass aus medizinischer Sicht die körperlichen Mängel des Beschwerdeführers dem Führen und Gebrauch einer Waffe derzeit entgegenstehen würden. Das Gutachten sei hinsichtlich des körperlichen Gebrechens des Beschwerdeführers auch "eindeutig begründet und zwar mit der Erkrankung der Lunge, mit Behinderung der Atmung und Störung des Gasaustausches, welche zu starken Einschränkungen im Bereich des täglichen Lebens führt und zu äußerst geringer Leistungsfähigkeit". Diese Beurteilung "decke sich" auch mit der allgemeinen Lebenserfahrung. Wer für einfache Tätigkeiten wie das morgendliche Anziehen ca. eine Stunde Zeit benötige oder sein ca. 5,5 kg schweres Sauerstoffgerät, das er täglich für viele Stunden im Einsatz habe, nicht selbständig tragen könne, sei "zweifellos" körperlich so eingeschränkt, dass es nahe liegend sei, einen "sachgemäßen Umgang mit Waffen" zu verneinen. Es könne demnach nicht davon gesprochen werden, dass er nur "zeitweise Atemprobleme" habe, wie der Beschwerdeführer dies in seinem Berufungsschreiben angeführt habe. Bei seiner amtsärztlichen Untersuchung habe der Beschwerdeführer spontan angegeben, dass er kein Pflegefall werden möchte und ihm die Waffe deshalb wichtig sei. Eine solche Äußerung bei einer amtsärztlichen Untersuchung im Hinblick auf eine waffenrechtliche Verlässlichkeit erscheine abgesehen von körperlichen Gebrechen, die beim Beschwerdeführer vorliegen würden, sehr bedenklich. Da die Bezirkshauptmannschaft Bregenz die Entziehung der Waffenbesitzkarte lediglich mit den körperlichen Gebrechen des Beschwerdeführers begründet habe, wozu dieser trotz Aufforderung keine Stellungnahme abgegeben habe, sei eine Ergänzung des Sachverständigengutachtens im Hinblick auf seine potentiellen Suizidgedanken für diese Behörde "hinfällig gewesen" und stelle somit keinen Verfahrensmangel dar. Im Gutachten sei eine klare Aussage zur mangelnden körperlichen Eignung des Beschwerdeführers in Bezug auf seine waffenrechtliche Verlässlichkeit enthalten. Es sei "ausreichend begründend" und "ohne Widersprüche", somit "schlüssig" und "nachvollziehbar". Eine Einholung eines weiteren Gutachtens sei somit nicht notwendig. Da ein Mensch gemäß § 8 Abs. 2 Z 3 WaffG aber keinesfalls verlässlich sei, wenn er durch ein körperliches Gebrechen nicht in der Lage sei, mit Waffen sachgemäß umzugehen, sei der Entzug der Waffenbesitzkarte gerechtfertigt.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:
§ 8 und § 25 WaffG lauten (auszugsweise):
"Verlässlichkeit
§ 8. (1) Ein Mensch ist verlässlich, wenn er voraussichtlich mit Waffen sachgemäß umgehen wird und keine Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass er
1.
Waffen missbräuchlich oder leichtfertig verwenden wird;
2.
mit Waffen unvorsichtig umgehen oder diese nicht sorgfältig verwahren wird;
3. Waffen Menschen überlassen wird, die zum Besitz solcher Waffen nicht berechtigt sind.
(2) Ein Mensch ist keinesfalls verlässlich, wenn er
1.
alkohol- oder suchtkrank ist oder
2.
psychisch krank oder geistesschwach ist oder
3.
durch ein körperliches Gebrechen nicht in der Lage ist, mit Waffen sachgemäß umzugehen.
...
(7) Bei erstmaliger Prüfung der Verlässlichkeit hat sich die Behörde davon zu überzeugen, ob Tatsachen die Annahme mangelnder waffenrechtlicher Verlässlichkeit des Betroffenen aus einem der in Abs. 2 genannten Gründe rechtfertigen. Antragsteller, die nicht Inhaber einer Jagdkarte sind, haben ein Gutachten darüber beizubringen, ob sie dazu neigen, insbesondere unter psychischer Belastung mit Waffen unvorsichtig umzugehen oder sie leichtfertig zu verwenden. Der Bundesminister für Inneres hat durch Verordnung geeignete Personen oder Einrichtungen zu bezeichnen, die in der Lage sind, solche Gutachten dem jeweiligen Stand der Wissenschaft entsprechend zu erstellen.
Überprüfung der Verlässlichkeit
§ 25. (1) Die Behörde hat die Verlässlichkeit des Inhabers eines Waffenpasses oder einer Waffenbesitzkarte zu überprüfen, wenn seit der Ausstellung der Urkunde oder der letzten Überprüfung fünf Jahre vergangen sind.
(2) Die Behörde hat außerdem die Verlässlichkeit des Inhabers einer waffenrechtlichen Urkunde zu überprüfen, wenn Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass der Berechtigte nicht mehr verlässlich ist. Sofern sich diese Anhaltspunkte auf einen der in § 8 Abs. 2 genannten Gründe oder darauf beziehen, dass der Betroffene dazu neigen könnte, insbesondere unter psychischer Belastung mit Waffen unvorsichtig umzugehen oder sie leichtfertig zu verwenden, ist die Behörde zu einem entsprechenden Vorgehen gemäß § 8 Abs. 7 ermächtigt.
(3) Ergibt sich, dass der Berechtigte nicht mehr verlässlich ist, so hat die Behörde waffenrechtliche Urkunden zu entziehen.
..."
Der Beschwerdeführer bringt zunächst vor, die belangte Behörde verkenne, dass im gegenständlichen Fall die letzte Überprüfung im Sinne des § 25 Abs. 1 WaffG im Jahre 1998 erfolgt sei und somit die Fünf-Jahresfrist des § 25 Abs. 1 WaffG noch nicht abgelaufen gewesen sei. Auch habe die belangte Behörde nicht die Anhaltspunkte des § 25 Abs. 2 WaffG genannt. Die neuerliche Überprüfung der Verlässlichkeit sei dennoch rechtswidrig erfolgt.
Diesen Ausführungen ist zu entgegen, dass grundsätzlich davon auszugehen ist, dass die Behörde jederzeit die Verlässlichkeit zu überprüfen hat, wenn Hinweise gegeben sind, die das Vorliegen insbesondere der in § 8 Abs. 1 Z 1 bis 3 WaffG genannten Voraussetzungen in Frage stellen oder die in § 8 Abs. 2 WaffG umschriebenen Umstände wahrscheinlich erscheinen lassen. Die Fünf-Jahresfrist des § 25 Abs. 1 WaffG wirkt immer dann, wenn zuvor kein Anlass für eine Überprüfung gemäß § 25 Abs. 2 WaffG vorgelegen ist. Diese Frist kann jedoch nicht so verstanden werden, dass die Überprüfung nur am "Jahrestag" zulässig wäre (vgl. die bei Czeppan/Szirba/Szymanski/Grosinger, Das neue österreichische Waffengesetz, 200, wiedergegebene RV 457 BlgNR 20.
GP).
Im vorliegenden Fall hat der Beschwerdeführer im Rahmen einer waffenrechtlichen Verlässlichkeitsüberprüfung seiner Ehegattin den Gendarmeriebeamten zunächst den Zugang zum Verwahrungsort der Waffen verweigert. Die Gendarmeriebeamten haben beim Beschwerdeführer außerdem schwere Atemprobleme wahrgenommen sowie dass er auf die Unterstützung eines Atemgerätes angewiesen ist. Damit bestanden jedenfalls Anhaltspunkte für eine Überprüfung iSd § 25 Abs. 2 erster Satz WaffG.
Der angefochtene Bescheid ist jedoch unzureichend begründet:
Die belangte Behörde sieht die waffenrechtliche Verlässlichkeit des Beschwerdeführers (ausschließlich) dadurch nicht mehr gegeben, dass dieser durch sein körperliches Gebrechen nicht in der Lage sei, mit Waffen sachgemäß umzugehen. Ihre Begründung stützt sie auf das amtsärztliche Gutachten vom 31. Mai 2000. Dieses erfüllt aber nicht die Anforderungen an ein schlüssiges und nachvollziehbares Sachverständigengutachten (vgl. dazu die bei Walter/Thienel, Verwaltungsverfahrensgesetze I, 2. Auflage, S 823 unter E 151 ff zu § 52 AVG zitierte hg. Judikatur). So können die Ausführungen, beim Beschwerdeführer bestehe eine Erkrankung der Lungen mit Behinderung der Atmung und Störung des Gasaustausches bzw. diese Lungenerkrankung führe zu starken Einschränkungen im Bereich des täglichen Lebens und zu äußerst geringer Leistungsfähigkeit, allein nicht erklären, warum der Beschwerdeführer durch diese gesundheitlichen Beeinträchtigungen auch unfähig sein soll, mit Waffen sachgemäß umzugehen, sodass der Tatbestand des § 8 Abs. 2 Z 3 WaffG, auf den sich die belangte Behörde stützte, erfüllt wäre (vgl. dazu auch Czeppan/Szirba/Szymanski/Grosinger, a.a.O., 119). Eine ausreichende Darlegung, dass die beim Beschwerdeführer beeinträchtigten körperlichen Funktionen für den sachgemäßen Umgang mit Waffen erforderlich sind, ist nicht erfolgt. Es fehlt somit aber eine schlüssige und nachvollziehbare Begründung dafür, dass die waffenrechtliche Verlässlichkeit des Beschwerdeführers auf Grund seiner gesundheitlichen Beeinträchtigungen nicht mehr gegeben ist.
Der angefochtene Bescheid war daher wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG aufzuheben.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003.
Wien, am 17. September 2003
Schlagworte
Begründungspflicht und Verfahren vor dem VwGH Begründungsmangel als wesentlicher Verfahrensmangel freie BeweiswürdigungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2003:2001200170.X00Im RIS seit
20.10.2003Zuletzt aktualisiert am
07.10.2008