TE Vwgh Erkenntnis 2003/9/17 2000/20/0147

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Veröffentlicht am 17.09.2003
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Index

41/02 Passrecht Fremdenrecht;
49/01 Flüchtlinge;

Norm

AsylG 1997 §7;
FlKonv Art1 AbschnA Z2;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Dr. Waldner und die Hofräte Dr. Nowakowski, Dr. Sulzbacher, Dr. Grünstäudl und Dr. Berger als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Trefil, über die Beschwerde der T, geboren 1976, vertreten durch Dr. Felix Graf, Rechtsanwalt in 6800 Feldkirch, Liechtensteinerstraße 27, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 31. August 1999, Zl. 210.874/4-I/02/99, betreffend § 7 AsylG (weitere Partei: Bundesminister für Inneres), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.172,88 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Die Beschwerdeführerin, eine Staatsangehörige von Sri Lanka, ist am 15. Mai 1999 nach Österreich eingereist und hat - nachdem sie am 18. Mai 1999 unter falschen Personalangaben einen in der Folge wieder zurückgezogenen Asylantrag gestellt hatte - (unter ihrem richtigen Namen) am 8. Juni 1999 die Asylgewährung beantragt.

Mit dem angefochtenen, im Instanzenzug ergangenen Bescheid der belangten Behörde vom 31. August 1999 wurde dieser Asylantrag gemäß § 7 AsylG abgewiesen. (Die Entscheidung gemäß § 8 AsylG über die Zulässigkeit der Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung der Beschwerdeführerin nach Sri Lanka erging mit gesondertem Bescheid der belangten Behörde vom 2. September 1999, der mit der zur hg. Zl. 2000/20/0146 protokollierten Beschwerde angefochten wurde.)

Die belangte Behörde erachtete das Vorbringen der Beschwerdeführerin - im Gegensatz zur Erstbehörde - für glaubwürdig ("mit überwiegender Wahrscheinlichkeit wahr") und legte es "im Wesentlichen" ihrer Entscheidung zugrunde. Sie ging insoweit von folgendem Sachverhalt aus:

"..., wonach die Berufungswerberin 1976 in Jaffna geboren ist, Angehörige der Volksgruppe der Tamilen und Christin ist. Ihr letzter Aufenthalt in ihrem Herkunftsstaat Sri Lanka war Colombo, wo sie seit der Flucht vor den Kriegswirren in ihrer Heimatregion in Jaffna im Jahr 1995 gemeinsam mit ihrer Mutter lebt. Ihre Geschwister sind nach und nach ins westliche Ausland (Schweiz, Großbritannien) verzogen, ihr Vater ist im Jahr 1998 verstorben.

Ihre ersten Festnahmen erfolgten wegen des Verdachts der Beteiligung an einem Bombenanschlag am 18.2.1997 in der Ortschaft Port-Gate sowie am 19.4.1997 in Moderra. Sie wurde jeweils nach einem Tag, ohne dass sie misshandelt wurde, wieder entlassen.

Am 13.5.1998 wurde ihre Mutter von den C.I.D.- Sicherheitsorganen in Kandy verhaftet. Ihre Mutter, die Berufungswerberin und einige Verwandte wurden der Zugehörigkeit zur LTTE beschuldigt, wobei die Festnahme der Mutter dazu dienen sollte, dass sie die Zugehörigkeit der genannten Personengruppe (zur LTTE) zugibt. Am 5.8.1998 wurde ihre Mutter entlassen, ohne dass sie physisch misshandelt wurde. Allerdings wurde ihr gedroht, dass ihre Tochter misshandelt werde. Ihre Mutter leidet noch heute an den psychischen Folgen ihrer Haftzeit.

Am 26.5.1998 wurde die Berufungswerberin von den C.I.D.- Sicherheitsorganen wegen des Verdachts der Beteiligung an einem Bombenanschlag und der LTTE-Zugehörigkeit gemeinsam mit ihrer Kusine verhaftet. Während der Haft wurde sie misshandelt, indem ihr Handschellen und Fesseln an den Füßen angelegt wurden und man sie öfters mit einer Holzstange schlug. Am 29.5.1998 wurde sie entlassen unter der Bedingung, den Sicherheitsbehörden weiterhin zur Kontrolle zur Verfügung zu stehen. Sie stand auch seit ihrer Entlassung ständig unter Polizeiüberwachung.

Die Berufungswerberin ersuchte mit schriftlicher Eingabe vom 24.6.1998 bei der schweizerischen Vertretung in Colombo um Asyl. Gegen die Verweigerung der Bewilligung zur Einreise in die Schweiz am 21.8.1998 durch das schweizerische Bundesamt für Flüchtlinge erhob sie Berufung, die mit Urteil vom 1.12.1998 von der Schweizerischen Asylrekurskommission abgewiesen wurde.

Am 13.5.1999 verließ sie per Flugzeug Sri Lanka und kam nach zwei Zwischenlandungen am 15.5.1999 ohne Dokumente in Wien an.

Nachdem sie am 18.5.1999 unter falscher Identität und mit bewusst unwahren Angaben zum Fluchtweg und zum Fluchtgrund einen Asylantrag beim Bundesasylamt Außenstelle Traiskirchen stellte, versuchte sie am 21.5.1999 mit einem falschen Pass per Zug in die Schweiz ein(zu)reisen, um zu ihren dort lebenden Geschwistern zu gelangen. Bei der Einreise wurde sie von den schweizerischen Behörden festgenommen und nach Österreich zurückverwiesen."

Rechtlich folgerte die belangte Behörde aus dem festgestellten Sachverhalt, die Beschwerdeführerin habe wegen des Verdachts ihrer LTTE-Zugehörigkeit neben zwei eintägigen Verhaftungen ohne Folgen im Jahr 1997 durch ihre letzte Inhaftierung im Mai 1998 (viertägige Haftdauer, Misshandlungen durch Fesselungen an Händen und Füßen sowie Schläge mit einer Holzstange) einen ungerechtfertigten Eingriff erleiden müssen, der allerdings "im Lichte der Judikatur" - die belangte Behörde zitiert dazu das hg. Erkenntnis vom 23. September 1998, Zl. 98/01/0224 - nicht an den Grad einer asylerheblichen Intensität heranreiche. Auch der Umstand, dass die Beschwerdeführerin erst knapp ein Jahr nach ihrer Enthaftung Ende Mai 1998 aus Sri Lanka geflüchtet sei, lasse - selbst wenn sie in der Zwischenzeit unter polizeilicher Kontrolle gestanden sei - am erforderlichen zeitlichen Konnex "zweifeln". Die fast viermonatige Inhaftierung ihrer Mutter diene zwar "als zusätzliche Illustration für die Verfolgungssituation" der Beschwerdeführerin, doch sei auch die Mutter in der Folge von asylrelevanten Verfolgungshandlungen durch die Sicherheitsbehörden verschont geblieben. Dass die Beschwerdeführerin somit keine Verfolgungsgefahr in asylrelevantem Ausmaß habe glaubhaft machen können, werde zusätzlich durch näher bezeichnete Unterlagen bestätigt, wonach es zwar zu Festnahmen von Angehörigen der Volksgruppe der Tamilen in Sri Lanka, die unter "LTTE-Verdacht" stünden oder die sich nicht durch Identitätsdokumente ausweisen könnten, kommen könne, die aber in der Regel kurzfristig seien. Unter Berücksichtigung aller Umstände im Rahmen einer Gesamtbetrachtung sei - so die belangte Behörde abschließend - eine Verfolgungsgefahr mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit für die Beschwerdeführerin in Sri Lanka nicht gegeben.

Der Verfassungsgerichtshof hat die Behandlung der gegen diesen Bescheid gerichteten Beschwerde mit Beschluss vom 28. Februar 2000, B 1506/99, abgelehnt und die Beschwerde dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abgetreten.

Der Verwaltungsgerichtshof hat über die auftragsgemäß ergänzte Beschwerde erwogen:

Der Verwaltungsgerichtshof vermag die wiedergegebene Einschätzung der belangten Behörde bei entsprechender Berücksichtigung der individuellen Situation der Beschwerdeführerin vor dem Hintergrund der Verhältnisse in Sri Lanka, die vom andauernden Konflikt zwischen den staatlichen Sicherheitskräften und der größten bewaffneten Oppositionsgruppe "Liberation Tigers of Tamil Ealam" (LTTE) geprägt sind, und der dazu im angefochtenen Bescheid getroffenen Feststellungen nicht zu teilen. Danach habe sich die allgemeine Lage in Colombo nach einem Anschlag im Oktober 1997 verschärft und es komme zunehmend zu ("i.d.R. 2 bis 3-tägigen") Festnahmen und Razzien, wobei insbesondere Personen ohne Personaldokumente betroffen seien. Da die LTTE aber zunehmend auch Kinder und Frauen für Terroranschläge (diese insbesondere in Form von Bombenanschlägen) rekrutiere, unterlägen auch diese den Kontrollen. Personen, die verdächtigt würden, Verbindungen zur LTTE zu haben, seien besonders gefährdet, Opfer von "Verfolgungshandlungen" zu werden. Letzteres trifft aber gerade auf die Beschwerdeführerin zu, die bereits dreimal unter dem Verdacht der Beteiligung an einem Bombenanschlag und der LTTE-Zugehörigkeit festgenommen wurde und bis zu ihrer Ausreise "ständig unter Polizeiüberwachung" stand. Das lässt darauf schließen, dass die Beschwerdeführerin - so wie andere Verwandte von ihr - bereits besonders ins Blickfeld der Sicherheitsbehörden ihres Heimatlandes geraten war und ein gesteigertes Interesse an ihrer Person bestand.

Die diesem Umstand nicht ausreichend Rechnung tragende und weitgehend vergangenheitsbezogene Beurteilung der belangten Behörde, den kurzfristigen Festnahmen der Beschwerdeführerin fehle die für eine asylrelevante Verfolgung notwendige Intensität, beruht insofern auf einer Verkennung der Rechtslage, als die belangte Behörde nicht berücksichtigt hat, dass sie sich mit diesen Vorfällen unter dem Gesichtspunkt der im Falle eines Verbleibens der Beschwerdeführerin in Sri Lanka zu erwartenden weiteren Entwicklung zu befassen gehabt hätte. Eine hinreichende Begründung dafür, dass die Beschwerdeführerin auch in Hinkunft nur kurzfristigen Anhaltungen unterzogen worden wäre, ist dem angefochtenen Bescheid aber nicht zu entnehmen. Dies lässt sich auch nicht mit Feststellungen darüber rechtfertigen, dass die Festnahmen von Angehörigen der Volksgruppe der Tamilen, die unter LTTE-Verdacht stehen, oder von Personen ohne Identitätsdokumente - beides trifft auf die Beschwerdeführerin zu - "in der Regel nur kurzfristig" seien, zumal nicht feststeht, dass die schon bisher mehrfach verdächtigte Beschwerdeführerin auch in der Zukunft eine Behandlung im Rahmen dieser "Regel" erfahren hätte. Eine tragfähige Beantwortung dieser Frage setzte aber eine Auseinandersetzung mit einschlägigen Berichten betreffend Sri Lanka über lang andauernde Inhaftierungen von Angehörigen der Volksgruppe der Tamilen ohne Anklageerhebung oder Gerichtsverfahren insbesondere auf Grund der "Notstandsbestimmungen" und der Vorschriften des Gesetzes zur Vorbeugung gegen den Terrorismus ("Prevention of Terrorism Act") voraus (vgl. in diesem Zusammenhang etwa den am 1. Juni 1999, sohin vor Erlassung des angefochtenen Bescheides erstellten "Länderkurzbericht" von amnesty international, in dem unter anderem vom Bestehen einer besonderen Gefahr der willkürlichen Festnahme und einer länger dauernden Inhaftierung unter Folter für junge, aus dem Norden oder Osten stammende, der LTTE-Zugehörigkeit verdächtige Tamilen in Colombo, also für jenen Personenkreis, dem die Beschwerdeführerin angehört, ausgegangen wird; zur daran anschließenden Entwicklung siehe etwa den für das Jahr 1999 erstellten "Jahresbericht 2000" von amnesty international Deutschland, in dem es heißt, dass "Tausende von Tamilen aus politischen Gründen festgenommen" worden seien, unter ihnen "auch möglicherweise gewaltlose politische Gefangene", und dass sowohl im Rahmen des bewaffneten Konflikts als auch bei "alltäglichen" Polizeioperationen "Folterungen - einschließlich Vergewaltigungen -

nach wie vor eine verbreitete Erscheinung" gewesen seien). Gegen die Annahme der belangten Behörde spricht im konkreten Fall aber auch, dass die Mutter der Beschwerdeführerin fast vier Monate lang unter nachhaltige psychische Folgen auslösenden Drohungen (mit Misshandlungen der Tochter, die noch während der Inhaftierung der Mutter tatsächlich an der Beschwerdeführerin vorgenommen wurden) von den staatlichen Sicherheitskräften festgehalten wurde.

Im Übrigen hätte die belangte Behörde bei der Beurteilung der Intensität der bereits verübten Eingriffe - insbesondere in Bezug auf die erforderliche Verfolgungsprognose - einerseits die (auch unter Bedachtnahme auf die gegen die Mutter gesetzte Maßnahme) gewisse zeitliche Dichte und Steigerung der Verfolgungshandlungen einbeziehen und andererseits die Fesselungen und Schläge mit einer Holzstange während der letzten Haft der Beschwerdeführerin nicht nur erwähnen, sondern diese Maßnahmen als "Folter" qualifizieren und dementsprechend gewichten müssen (vor allem in diesem Punkt unterscheidet sich aber der vorliegende Fall von jenem, der dem von der belangten Behörde zur Stützung ihres Standpunktes zitierten hg. Erkenntnis vom 23. September 1998 zu Grunde lag).

Unter Bedachtnahme darauf, dass auch zwischen den beiden ersten Verhaftungen und der letzten Inhaftierung mehr als ein Jahr gelegen ist, und die Beschwerdeführerin danach "ständig unter Polizeiüberwachung" stand, können schließlich auch die von der belangten Behörde - nicht näher begründeten - "Zweifel" am "erforderlichen zeitlichen Konnex" nicht geteilt werden.

Der angefochtene Bescheid war somit wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.

Der Kostenzuspruch gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003, BGBl. II Nr. 333, wobei die nach § 24 Abs. 3 VwGG entrichtete Gebühr auf Euro umzurechnen war.

Wien, am 17. September 2003

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2003:2000200147.X00

Im RIS seit

23.10.2003
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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