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41/02 Passrecht Fremdenrecht;Norm
AsylG 1997 §7;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Waldner und die Hofräte Dr. Nowakowski, Dr. Sulzbacher, Dr. Grünstäudl und Dr. Berger als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Trefil, über die Beschwerde der O in W, geboren 1978, vertreten durch Dr. Barbara Wagner, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Opernring 23, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 14. Februar 2001, Zl. 220.315/0- III/07/01, betreffend §§ 7 und 8 AsylG (weitere Partei: Bundesminister für Inneres), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 991,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Die Beschwerdeführerin, ihren Angaben zufolge eine im August 1999 in das Bundesgebiet eingereiste Staatsangehörige von Nigeria, beantragte am 10. Juli 2000 Asyl. Bei ihrer Einvernahme vor dem Bundesasylamt gab sie im Wesentlichen an, nach dem Tod ihres Vaters, eines Mitgliedes der Ogboni-Gesellschaft, aus Nigeria geflüchtet zu sein. Mitglieder der Ogboni hätten gedroht sie zu opfern, falls ihre Familie nicht einen hohen Geldbetrag, den ihr Vater "für seinen Aufstieg innerhalb der Organisation verwendet" habe, zurückzahle.
Das Bundesasylamt wies den Asylantrag der Beschwerdeführerin mit Bescheid vom 24. November 2000 gemäß § 7 AsylG ab und erklärte die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung der Beschwerdeführerin nach Nigeria gemäß § 8 AsylG für zulässig. Es schenkte der Darstellung der Beschwerdeführerin keinen Glauben.
Die Beschwerdeführerin erhob gegen diesen Bescheid Berufung.
Die belangte Behörde führte am 14. Februar 2001 eine mündliche Berufungsverhandlung durch, in der die Beschwerdeführerin erneut einvernommen wurde. Sie gab an, nach dem Tod ihres Vaters im Februar 1999 hätten Mitglieder der Ogboni sich an ihre in Benin-City wohnende Familie gewandt und sie aufgefordert, einen "Geldbetrag in der Höhe von 2 Millionen Naira" zurückzuzahlen, den ihr Vater sich von der Ogboni-Gesellschaft "ausgeborgt" habe, weil er sich "eine höhere Stelle in der Ogboni-Gesellschaft verschaffen wollte". Ihre Mutter habe darauf hingewiesen, dass dieser "nicht unbeträchtliche Geldbetrag" nicht aufzubringen sei, worauf ihr "als Alternative angedroht wurde", die Beschwerdeführerin als ältestes Kind "für Ogboni-Rituale zu gebrauchen". Den Mitgliedern der Familie sei von den Ogbonis Gewalt angedroht worden; die Mitglieder der Familie seien von den Ogbonis auch einmal geschlagen worden. Die Beschwerdeführerin habe sich aus diesem Grund entschlossen Nigeria zu verlassen, wobei ihr ein Mann in Lagos namens A. behilflich gewesen sei; die mit diesem zusammen arbeitende Gruppe habe die Beschwerdeführerin nach ihrer Ankunft in Österreich gezwungen, der Prostitution nachzugehen. Falls sie nach Nigeria zurückkehre, befürchte sie, von den Ogboni umgebracht zu werden. Auch A. und seine Gruppe würden sie umbringen, weil sie Geld in ihre Reise nach Österreich investiert hätten, welches sie nicht zurückbezahlt habe. Zur Verfolgung durch Ogboni führte die Beschwerdeführerin aus, diese besäßen die Möglichkeit "jedermanns Aufenthaltsort in Nigeria zu erfahren, da sie in nahezu allen größeren Siedlungen ihre Vertreter haben" und Informationen austauschen würden. Sie müsse damit rechnen, von den Ogboni aufgespürt zu werden. Die belangte Behörde hielt der Beschwerdeführerin vor, dass ihr eine "inländische Fluchtalternative" zur Verfügung stehe und verwies diesbezüglich auf "Punkt 9.10" eines Berichtes ("Nigeria Country Assessment") des britischen Home Office vom Oktober 2000.
In Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides wies die belangte Behörde die Berufung der Beschwerdeführerin gemäß § 7 AsylG ab. In Spruchpunkt II. stellte sie gemäß § 8 AsylG die Zulässigkeit ihrer Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung nach Nigeria fest. Sie stellte aufgrund des als glaubwürdig erachteten Vorbringens der Beschwerdeführerin fest, "dass sie ihr Heimatland Nigeria wegen der Bedrohung durch Angehörige der Ogboni-Sekte verlassen hat und nunmehr auch Repressionen seitens ihrer Schlepper ... befürchtet". Es könne hingegen nicht festgestellt werden, dass Mitglieder der Ogboni oder jene Kriminelle, die die Beschwerdeführerin nach Europa schleppten, sie im Falle ihrer Rückkehr nach Nigeria auffinden könnten. Die belangte Behörde begründete dies damit, dass im Falle der Rückkehr der Beschwerdeführerin in einen von ihrer Heimatregion verschiedenen Landesteil von Nigeria (das 120 Millionen Einwohner habe) nicht davon ausgegangen werden könne, dass sie von einem Mitglied der Schlepperorganisation oder der Ogboni gesehen oder sogar erkannt werden würde. In Bezug auf die Verfolgung durch die Ogboni führte die belangte Behörde weiter aus: "Dass Personen, die Schwierigkeiten mit nicht-staatlichen Organisationen haben (wie z. B. jene, die mit Kult-Mitgliedschaften Probleme haben) diesen Schwierigkeiten ausweichen können, indem sie sich in einen anderen Landesteil begeben, ergibt sich auch aus dem Bericht 'Nigeria Country Assessment' des Home Office, United Kingdom (britisches Innenministerium), Oktober 2000, Punkt 9.10."
In rechtlicher Hinsicht führte die belangte Behörde zum Asylantrag zunächst aus, dass die von der Asylwerberin ins Treffen geführten Bedrohungen ihre Ursache nicht in einem asylrelevanten Grund hätten. Überdies könne selbst dann, wenn die Bedrohungen auf asylrelevante Gründe zurückgeführt werden könnten, der Beschwerdeführerin Asyl nicht gewährt werden, weil ihr in Anbetracht der geographischen Größe und der hohen Einwohnerzahl Nigerias eine "inländische Fluchtalternative" offen stehe. Eine unter dem Gesichtspunkt des § 8 AsylG relevante - sich auf das gesamte Staatsgebiet beziehende - Gefährdung sei ebenfalls nicht hervorgetreten.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen hat:
Gemäß § 7 AsylG hat die Behörde Asylwerbern auf Antrag mit Bescheid Asyl zu gewähren, wenn glaubhaft ist, dass ihnen im Herkunftsstaat Verfolgung droht (Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention) und keiner der in Art. 1 Abschnitt C oder F der FlKonv genannten Endigungs- oder Ausschließungsgründe vorliegt. Flüchtling im Sinne der FlKonv ist gemäß Art. 1 Abschnitt A Z 2 dieser Konvention, wer aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, sich außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen. Flüchtling ist auch, wer staatenlos ist, sich infolge obiger Umstände außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.
Bei ihrer Entscheidung über den Asylantrag ging die belangte Behörde zunächst davon aus, dass die von der Asylwerberin ins Treffen geführten Bedrohungen ihre Ursache nicht in asylrelevanten Gründen im Sinne der FlKonv hätten. Diese Beurteilung trifft in Bezug auf die als Fluchtgrund festgestellte Bedrohung der Beschwerdeführerin durch Ogboni nicht zu. Der Verwaltungsgerichtshof hat sich bereits in einer Reihe von Erkenntnissen mit der Asylrelevanz einer Verfolgung durch "Ogboni" in Nigeria auseinander gesetzt und im Hinblick auf das auch von zahlreichen anderen Asylwerbern aus Nigeria behauptete Herantreten von "Ogboni" und anderen Sekten an Hinterbliebene - je nach Fallkonstellation - auf die Möglichkeit eines Zusammenhanges mit den in der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründen der "Religion" (vgl. etwa die Erkenntnisse vom 12. Dezember 2002, Zl. 2001/20/0035, vom selben Tag, Zl. 99/20/0609, und vom 31. Jänner 2002, Zl. 99/20/0332, sowie - unter dem Gesichtspunkt des § 6 Z 3 AsylG - das Erkenntnis vom 24. April 2003, Zl. 2000/20/0326, jeweils mwN), sowie auch der "Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe" (vgl. das Erkenntnis vom 26. Februar 2002, Zl. 99/20/0509, sowie das - Verfolgung durch "Trokosi" in Ghana betreffende - Erkenntnis vom selben Tag, Zl. 98/20/0544) hingewiesen. Im vorliegenden Fall hat die Beschwerdeführerin in der Berufungsverhandlung angegeben, Ogboni hätten gedroht, falls ihre Familie die gegenüber den Ogboni bestehende Schuld des verstorbenen Vaters nicht zurückzahle, werde sie als ältestes Kind "für Ogboni-Rituale gebraucht" werden. In ihrer Einvernahme vor dem Bundesasylamt hat die Beschwerdeführerin davon gesprochen, dass ihr gedroht worden sei, sie zu opfern. Aufgrund dieser Angaben im Zusammenhang mit der - von der belangten Behörde als glaubwürdig eingestuften - Bedrohung der Beschwerdeführerin durch Ogboni kann nicht davon ausgegangen werden, dass dieser Bedrohung, sofern man sie als real erachtet, die Asylrelevanz im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention fehle. Im vorliegenden Fall sind zwar nicht nur religiöse Motive, sondern offenbar auch der Versuch, die Familie der Beschwerdeführerin zur Bezahlung einer angeblich bestehenden Schuld des verstorbenen Vaters zu zwingen, als Grund für die Bedrohung der Beschwerdeführerin in Betracht zu ziehen. Indem aber der Beschwerdeführerin gedroht wurde, sie bei Ritualen des Ogboni-Kultes aufgrund ihrer Stellung als erstgeborenes Kind einer Familie, dessen Vater dem betreffenden Kult angehörte, zu opfern, kann die Asylrelevanz dieser Bedrohung insbesondere unter dem Gesichtspunkt der Zugehörigkeit zu einer bestimmten "sozialen Gruppe" (vgl. dazu die beiden zuletzt zitierten Erkenntnisse vom 26. Februar 2002) nicht ohne Weiteres verneint werden.
Was die Eventualbegründung der inländischen Schutzalternative anlangt, so nimmt die belangte Behörde in dieser auf einen - zumindest seit 1999 praktisch unveränderten - Teil im "Nigeria Country Assessment" des britischen Home Office Bezug und folgert daraus, dass die Beschwerdeführerin einer Verfolgung durch Ogboni ausweichen könne, indem sie sich in einen anderen Landesteil Nigerias begebe. Der Verwaltungsgerichtshof ist in seinem Erkenntnis vom 15. Mai 2003, Zl. 2002/01/0560, bereits auf das erwähnte "Country Assessment" eingegangen. Diesem ist nicht nur zu entnehmen, dass im Hinblick auf nicht-staatliche Verfolgung das Bestehen einer internen Fluchtalternative in Betracht zu ziehen sei ("individuals who fear persecution by non state entities, for example, those involved in tribal disputes, problems with cultmembership, religious difficulties and so forth, the option of internal flight is a real possibility in Nigeria, taking into account its size and population"), sondern auch, dass die Ogboni - worunter an dieser Stelle nicht die "Reformed Ogboni Fraternity" zu verstehen sein soll - noch immer als mächtige Organisation in ganz Nigeria angesehen werde ("still regarded as being a powerful organisation throughout Nigeria", Punkt 9.4 des Berichtes). Dass sich aus diesem Bericht etwas für den Standpunkt der belangten Behörde gewinnen ließe, erscheint - wie bereits im Erkenntnis vom 15. Mai 2003 ausgeführt - zumindest auf den ersten Blick ungewiss. Berücksichtigt man noch, dass in Bescheiden der belangten Behörde wiederholt davon die Rede war, etwa 15 % der Yoruba-Bevölkerung Nigerias - und somit auch in Bezug auf die Gesamtbevölkerung nicht nur eine "verschwindende Minderheit" - hingen der Ogboni-Gesellschaft an (vgl. die kritische Bezugnahme darauf in dem hg. Erkenntnis vom 26. Februar 2002, Zl. 99/20/0509), und Ausführungen in einem von der belangten Behörde in anderen Bescheiden herangezogenen Schreiben der österreichischen Botschaft in Lagos der Grund dafür waren, dass der Verwaltungsgerichtshof der gleichzeitigen Annahme einer lokalen Begrenztheit des Wirkungskreises von "Ogboni" in einer Mehrzahl von Erkenntnissen nicht zu folgen vermochte (vgl. dazu die Nachweise im Erkenntnis vom 15. Mai 2003), hätte es für die Annahme einer inländischen Schutzalternative einer ausführlicheren Prüfung des Sachverhaltes bedurft (vgl. dazu nochmals das Erkenntnis vom 15. Mai 2003).
Da die belangte Behörde im Hinblick auf das angenommene Fehlen eines asylrelevanten Verfolgungsgrundes die Rechtslage verkannt hat und die inhaltliche Rechtswidrigkeit der zuletzt erwähnten Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften vorgeht, war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003, BGBl. II Nr. 333.
Wien, am 17. September 2003
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2003:2001200292.X00Im RIS seit
21.10.2003