TE Vwgh Erkenntnis 2003/9/17 2000/20/0209

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Veröffentlicht am 17.09.2003
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Index

41/02 Passrecht Fremdenrecht;
49/01 Flüchtlinge;

Norm

AsylG 1997 §15 Abs1;
AsylG 1997 §7;
FlKonv Art1 AbschnC Z5;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Waldner und die Hofräte Dr. Nowakowski, Dr. Sulzbacher, Dr. Grünstäudl und Dr. Moritz als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Trefil, über die Beschwerde des A in W, vertreten durch Dr. Wolfgang Rainer, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Schwedenplatz 2/74, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 18. Februar 2000, Zl. 212.571/13-II/04/00, betreffend §§ 7 und 15 Abs. 1 Asylgesetz 1997 (weitere Partei: Bundesminister für Inneres), zu Recht erkannt:

Spruch

Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides (betreffend § 15 Abs. 1 Asylgesetz) wird wegen Unzuständigkeit der belangten Behörde, im Übrigen wird der angefochtene Bescheid wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 991,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger von Afghanistan, reiste am 6. Februar 1999 in das Bundesgebiet ein und stellte am 8. Februar 1999 einen Asylantrag. Bei seiner Einvernahme vor dem Bundesasylamt am 1. März 1999 führte er im Wesentlichen aus, dass um den 23. Dezember 1998 ein Raketenangriff der Taliban auf das Haus seiner Familie stattgefunden habe, da er und seine Brüder Mitglieder der Hezbe Wahdat gewesen seien. Daraufhin habe der Beschwerdeführer seine Flucht begonnen. Er sei schiitischen Glaubens, Angehöriger der Volksgruppe der Hazara und Kommandant der Hezbe Wahdat Eslami gewesen. 20 Kämpfer seien seinem Befehl unterstanden. Seine Flucht sei zunächst ein "bewaffneter Rückzug" gewesen, sodass die Taliban seiner nicht habhaft hätten werden können. Man würde den Beschwerdeführer solange foltern, bis er seine Kenntnisse über die Wahdat Eslami bekannt gebe. Dann würde man ihn umbringen. Er habe Hazara-Angehörige für diese Partei angeworben. Ebenso habe er für diese Leute Munition gekauft.

Mit Bescheid vom 20. August 1999 wies das Bundesasylamt den Asylantrag des Beschwerdeführers gemäß § 7 Asylgesetz ab und erklärte die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach Afghanistan gemäß § 8 Asylgesetz für nicht zulässig. Begründend wurde ausgeführt, dass das Vorbringen des Beschwerdeführers zu seinem Fluchtgrund zur Gänze unglaubwürdig sei. Es bestünden aber Gründe für die Annahme dass der Beschwerdeführer im Falle seiner Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung nach Afghanistan Gefahr liefe, dort einer unmenschlichen Strafe oder der Todesstrafe unterworfen zu werden.

In seiner Berufung gegen diesen Bescheid brachte der Beschwerdeführer im Wesentlichen vor, dass zwar seine ganze Familie gefährdet gewesen sei, er aber als aktiver Kämpfer und Kommandant der Hezbe Wahdat Eslami ganz besonders, da gegen ihn sogar ein Todesurteil ausgesprochen worden sei. Er sei auch in anderen Landesteilen Afghanistans auf Dauer nicht sicher gewesen, da ständig die Gefahr der Denunziation bestanden hätte. Mit der Berufung bekämpfte der Beschwerdeführer nur die Abweisung seines Asylantrages. Der Ausspruch hinsichtlich der Unzulässigkeit seiner Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung nach Afghanistan erwuchs in Rechtskraft. "In eventu" stellte der Beschwerdeführer den Antrag, ihm gemäß § 15 AsylG eine befristete Aufenthaltsbewilligung für ein Jahr zu erteilen.

Bei der mündlichen Berufungsverhandlung vor der belangten Behörde am 14. Februar 2000 hielt der Beschwerdeführer sein Vorbringen unverändert aufrecht. Er legte eine Geburtsurkunde der afghanischen Botschaft, ausgestellt am 17. November 1999, vor. Dazu bemerkte er, dass er gewusst habe, dass diese Botschaft nicht jene der Taliban, sondern jene des Rabbani-Regimes sei. Er habe zwar auch mit dem Rabbani-Regime Probleme, doch erreichten diese seiner Einschätzung nach nicht asylrelevante Intensität. Der Sachverständige für die aktuelle politische Lage in Afghanistan führte bei der mündlichen Verhandlung aus, dass die Taliban 90 % des Landes kontrollierten. Seit ca. einem Monat befinde sich ein Grenzübergang wieder unter der Kontrolle eines oppositionellen Kommandanten. Zwei Provinzen, Takhar und Badakhschan, würden von der Opposition kontrolliert. Man könne die Hauptstadt der Provinz Badakhschan, Faizabad, derzeit als stabile, d.h. für die Taliban noch nicht erreichbare Region unter der Herrschaft der Opposition bezeichnen. Diese Stadt sei über jenen Grenzübergang erreichbar, der von der Opposition kontrolliert würde. Der Beschwerdeführer selbst führte ferner aus, dass ein ehemaliger Kommandant der Hezbe Wahdat, der vor den Taliban geflüchtet sei, eine Aufnahme in den Reihen der Kämpfer der Nordallianz finden würde, besonders deshalb, weil die nicht paschtunischen Ethnien und ihre politischmilitärischen Führungen ihre Zusammenarbeit gegen die Taliban verstärkt hätten. Er sei aber hauptberuflich nicht Soldat sondern Verkäufer gewesen, und er habe nur notgedrungen in seiner engeren Heimat gekämpft, um diese zu verteidigen. Für Rabbani zu kämpfen, bringe dieser engeren Heimat nichts. Der Sachverständige legte dar, dass ein ehemaliger Kommandant der Hezbe Wahdat im Nordgebiet wohl nur im Falle seiner neuerlichen Bereitschaft zu kämpfen mit Solidarität rechnen könne. Seitens der Taliban würde ein Kommandant, der gegen sie gekämpft habe, mit Sicherheit verfolgt. Der Vertreter des Beschwerdeführers brachte schließlich vor, dass es für den Beschwerdeführer keine inländische Schutzalternative im Gebiet der Rabbani-Regierung gebe. Der Beschwerdeführer habe ausdrücklich angegeben, dass er nicht bereit sei, für die Nordallianz zu kämpfen. Seine militärische Tätigkeit habe sich strikt auf sein unmittelbares Heimatgebiet beschränkt. Er könnte bei seiner Einreise, wenn er seine Weigerung bekannt gebe, zu kämpfen, mit keinerlei Aufnahme und Unterstützung rechnen.

Mit dem in Beschwerde gezogenen Bescheid wurde die Berufung des Beschwerdeführers gemäß § 7 Asylgesetz abgewiesen (Spruchpunkt I.). Gemäß § 15 Abs. 1 Asylgesetz wurde eine befristete Aufenthaltsberechtigung nicht erteilt (Spruchpunkt II.). In der Begründung verwies die belangte Behörde darauf, dass die Behörde erster Instanz dem Beschwerdeführer bereits rechtskräftig Refoulement-Schutz gewährt habe. Es sei daher nur zu beurteilen, ob der Beschwerdeführer unter der Annahme seiner fiktiven freiwilligen Rückkehr nach Afghanistan dort im gesamten Staatsgebiet von asylrelevanter Verfolgung bedroht wäre. Den Angaben des Beschwerdeführers, für die Hezbe Wahdat politisch, finanziell und militärisch tätig gewesen zu sein, schenke die belangte Behörde Glauben. In den von den Taliban beherrschten Gebieten Afghanistans müsste der Beschwerdeführer daher asylrelevante Verfolgung befürchten. Gleiches gelte nicht für die von der Regierung Rabbani beherrschten Gebiete. Diese Region sei über einen Grenzübergang von dem aus Österreich mit einem von der afghanischen Botschaft in Wien ausgestellten Reisedokument erreichbaren Tadschikistan aus grundsätzlich zugänglich. Wie katastrophal die Versorgungslage für die Zivilbevölkerung sich dort auch gestalten möge, dem Beschwerdeführer stünde in diesem Gebiet jedenfalls die seine Existenz sichernde Aufnahme in die Reihen der Kämpfer der Nordallianz offen. Der durch die äußeren Umstände somit als unausweichlich indizierte Eintritt in die Armee einer legitimen Staatsgewalt könne nicht Asylrelevanz erlangen, noch dazu in Ansehung eines militärisch erfahrenen Asylwerbers. Im Falle seiner Eingliederung in die Armee der afghanischen Nordallianz hätte der Beschwerdeführer keine asylrelevanten Diskriminierungen zu gewärtigen. Er habe selbst ausgeführt, dass die mit dem Rabbani-Regmine bestehenden Probleme seiner Einschätzung nach nicht asylrelevante Intensität erreichten. Er selbst sei mit der diesem Rabbani-Regime zuzurechnenden Botschaft in Wien in Kontakt getreten und habe sich von dieser eine Urkunde ausstellen lassen. Es mangle auch am Tatbestandsmerkmal der Setzung (direkter) "Sanktionen" im Falle der Weigerung des Berufungswerbers, für die Nordallianz zu kämpfen. Die belangte Behörde vermöge auch keine genügend konkrete Gefahr dafür zu erkennen, dass der Beschwerdeführer nach seinem Eintritt in diese Armee dazu gebracht würde, Ausschlussgründe im Sinne des Art. 1 Abschnitt F der Genfer Flüchtlingskonvention zu setzen, könne doch auf Grund der Ausführungen des Sachverständigen in der mündlichen Verhandlung schon nicht davon die Rede sein, dass die Zivilbevölkerung durch das dortige Militär "ausgeplündert" (im Sinne mut- bzw. böswilligen Raubes und Zerstörung von Privateigentum) werde (weshalb der Beschwerdeführer auch, entgegen seiner Befürchtung, selbst bei Teilnahme an Requirierungen kein "Verbrechen gegen die Menschlichkeit" begehen und sich deshalb nicht unmittelbar völkerstrafrechtlich zu verantworten haben würde). Auch der vom Sachverständigen erwähnte Verkauf von Drogen stelle offenbar weder die einzige noch auch die überwiegende Einnahmequelle der Nordallianz dar. Selbst in diesem Fall stünde aber noch keineswegs mit der erforderlichen Sicherheit fest, dass der Beschwerdeführer selbst persönlich an derartigen Handlungen teilzunehmen gezwungen würde. Daher wäre auch in diesem Fall keineswegs zwangsläufig von der Setzung eines Ausschlussgrundes auszugehen.

Zu der Entscheidung betreffend § 15 Asylgesetz führte die belangte Behörde aus, dass die Behörde erster Instanz dem Beschwerdeführer bereits rechtskräftig Refoulement-Schutz gegeben habe. Es wäre nun Aufgabe des unabhängigen Bundesasylsenates, dem Beschwerdeführer eine befristete Aufenthaltsgenehmigung zu erteilen. § 15 Abs. 3 Asylgesetz sehe jedoch vor, dass die erstmalige Aufenthaltsberechtigung höchstens für ein Jahr zu erteilen und außerdem zu widerrufen sei, wenn dem Fremden die Ausreise in den Herkunftsstaat zugemutet werden könne oder wenn er einen Asylausschließungsgrund verwirkliche. Wenn bereits zum Zeitpunkt der erstmaligen Erteilung einer befristeten Aufenthaltsberechtigung ein Widerrufstatbestand gegeben sei, sei auch die erstmalige Erteilung einer befristeten Aufenthaltsberechtigung ausgeschlossen. Im gegenständlichen Fall, in dem maßgeblicher Umstand für die Abweisung des Asylantrages die Beurteilung gewesen sei, dass dem Beschwerdeführer die Rückkehr in das nicht von den Taliban beherrschte Gebiet im Norden Afghanistans zugemutet werden könne, sei daher auch von der erstmaligen Erteilung einer befristeten Aufenthaltsberechtigung Abstand zu nehmen.

Über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof erwogen:

Soweit der Beschwerdeführer geltend macht, dass keine Möglichkeit einer gefahrlosen Einreise in das von der Nordallianz kontrollierte Gebiet Afghanistans bestünde, ist es zutreffend, dass die Erreichbarkeit des "sicheren Teilgebietes" Afghanistans für den Beschwerdeführer bei der Annahme einer inländischen Schutzalternative notwendig ist (vgl. das hg. Erkenntnis vom 30. November 2000, Zl. 98/20/0441). Die belangte Behörde hat diesbezüglich Ermittlungen angestellt und kam für den Zeitpunkt ihrer Entscheidung zu dem Schluss, dass die erforderliche Erreichbarkeit "grundsätzlich" gegeben sei. Der Sachverständige hat dazu bei der mündlichen Berufungsverhandlung allerdings ausgeführt, dass "bis vor kurzem" alle offiziellen Grenzübergänge Afghanistans unter der Kontrolle der Taliban gestanden seien. Nach den neuesten Kenntnissen "(ca. 1 Monat)" des Sachverständigen befinde sich nun der Grenzübergang Scherkhan-Bandar bzw. Qizl-Qala wieder unter der Kontrolle eines oppositionellen Kommandanten, welcher diese "Region" bereits seit 1984 beherrscht habe, von den Taliban aber vorübergehend in der ersten Jahreshälfte 1998 vertrieben worden sei. Ein Rückkehrer müsse Ortskenntnis haben und damit rechnen, in den dazwischen gelegenen Regionen (auf seinem Weg in die "sichere" Region) in kriegerische Auseinandersetzungen zu geraten.

Auf Grund der genannten Äußerungen des Sachverständigen kann nicht gesagt werden, die Erreichbarkeit des für den Beschwerdeführer "sicheren" Gebietsteiles Afghanistans stehe fest. Nur vorübergehende Veränderungen der Lage können für die erforderliche Schutzgewährung nämlich nicht ausreichen (vgl. auch das hg. Erkenntnis vom 21. November 2002, Zl. 99/20/0171). Dadurch, dass die belangte Behörde die erst seit kurzem gegebene Möglichkeit der Erreichbarkeit trotz in der Vergangenheit wechselnder Sachlage und ohne Darlegung, dass die Erreichbarkeit als nachhaltig angesehen werden kann, für ausreichend befunden hat, hat sie die Rechtslage verkannt.

Der angefochtene Bescheid war schon deshalb, soweit er die Abweisung des Asylantrages des Beschwerdeführers gemäß § 7 Asylgesetz betrifft, gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Wie der Verwaltungsgerichtshof im Erkenntnis vom heutigen Tag, Zl. 2002/20/0399, auf dessen Begründung insoweit gemäß § 43 Abs. 2 VwGG verwiesen wird, ausgesprochen hat, hat jene Behörde über die befristete Aufenthaltsberechtigung zu entscheiden, die als erste die positive Refoulement-Entscheidung trifft. Dies war im vorliegenden Fall das Bundesasylamt, sodass eine Zuständigkeit der belangten Behörde ausscheidet.

Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 2 VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Unzuständigkeit der belangten Behörde aufzuheben.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003.

Wien, am 17. September 2003

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2003:2000200209.X00

Im RIS seit

28.10.2003
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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