Index
L22003 Landesbedienstete Niederösterreich;Norm
AVG §52;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Germ und die Hofräte Dr. Zens, Dr. Bayjones, Dr. Schick und Dr. Thoma als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Hanslik, über die Beschwerde der P in W, vertreten durch Riedl & Ringhofer, Rechtsanwälte in 1010 Wien, Franz Josefs-Kai 5, gegen den Bescheid der Niederösterreichischen Landesregierung vom 25. Juli 2001, Zl. LAD2B-147.5277/64, betreffend Zurechnung von Jahren nach § 77 Abs. 2 und 3 DPL 1972, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Das Land Niederösterreich hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.172,88 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Die im Jahre 1944 geborene Beschwerdeführerin stand seit 1. Juli 1979 bis zu ihrer Versetzung in den Ruhestand wegen dauernder Dienstunfähigkeit mit Ablauf des 30. Juni 1997 als Diplomkrankenschwester in einem öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnis zum Land Niederösterreich. Zur Darstellung des bisherigen Verfahrensganges wird zur Vermeidung von Wiederholungen in sinngemäßer Anwendung des § 43 Abs. 2 zweiter Satz VwGG auf das in dieser Sache ergangene hg. Erkenntnis vom 29. August 2000, Zl. 98/12/0506, verwiesen; mit dem genannten Erkenntnis hob der Verwaltungsgerichtshof den Bescheid der belangten Behörde vom 28. Oktober 1998 wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften auf, weil sich die belangte Behörde zu Unrecht auf eine Beurteilung des Vorliegens der Voraussetzungen des § 77 Abs. 2 der Dienstpragmatik der Landesbeamten 1972 (DPL) beschränkt hatte, ohne auch das Vorliegen der Voraussetzungen nach Abs. 3 dieser Bestimmung in Betracht zu ziehen. Schließlich erwiesen sich selbst in Ansehung des Tatbestandes des Abs. 2 dieser Bestimmung die Feststellungen als nicht nachvollziehbar.
Hierauf veranlasste die belangte Behörde die Ergänzung des Ermittlungsverfahrens durch Einholung eines Gutachtens des Facharztes für Orthopädie und orthopädische Chirurgie, Dr. H., im Hinblick auf die Tatbestandsvoraussetzung nach § 77 Abs. 3 DPL zur Frage, ob die im Vorgutachten feststellten Einschränkungen zum Zeitpunkt der Ruhestandsversetzung durch eine Beeinträchtigung von außen begründet gewesen seien oder nicht. Weiters ersuchte sie um Mitteilung, welche Tätigkeiten (leicht - mittel - schwer, wie lange, mit oder ohne Ruhepausen) im Sitzen, Gehen oder Stehen angenommen werden könnten, die die Beschwerdeführerin zum Zeitpunkt der Ruhestandsversetzung noch habe ausüben können. Dr. H. führte in seinem Gutachten vom 6. März 2001 hiezu aus:
"Orthopädische Stellungnahme:
Diagnosen:
-
Nackenschmerz und Bewegungseinschränkung der Halswirbelsäule
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Bandscheibenabnützungen an der unteren Halswirbelsäule
-
Fehlhaltung der Brustwirbelsäule
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Reizzustand des Kreuz-Darmbeingelenkes links
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Lendenwirbelsäulenschmerz ohne neurologische Ausfälle infolge muskulärer Schwäche
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Fehlhaltung der Lendenwirbelsäule
-
Abnützungsveränderungen an der unteren Lendenwirbelsäule
Zusammenfassung:
Die Veränderungen sind dem Schweregrad nach eher mäßig, sie übersteigen nicht das altersentsprechende Maß, die Beschwerden sind behandelbar
Beurteilung zum Zeitpunkt des orthopädischen Gutachtens (24.06.1996):
Leistungsfähig im Bereiche leichter und mittelschwerer Tätigkeiten;
Dauernde Dienstunfähigkeit in diesem Kalkülsbereich konnte aus der Beurteilung des Stütz- und Bewegungsapparates nicht abgeleitet werden.
(Gutachten Prim. Dr. S., Juni 1996, bestätigt, dass ihre Hauptaufgaben als Krankenschwester nur selten mit schwerer körperlicher Belastung verbunden waren).
Die zum Zeitpunkt des Gutachtens festgestellten Beeinträchtigungen sind begründet durch Abnützungsveränderungen des Bewegungsapparates, die nicht durch äußere Einflüsse entstanden sind.
Die angegebenen Allergien und Unverträglichkeiten auf Pollen, Gräser, Katzenhaare und ein antirheumatisches Medikament (Brufen) haben keinen Einfluss auf die festgestellten Einschränkungen.
Die angegebene Gefühlsstörung am rechten Oberschenkel kann als Rest einer Wurzelreizung der Nerven an der Wirbelsäule interpretiert werden. Die Ursache liegt in den Abnützungen der Bandscheiben.
Die Gefühlsstörung führt zu keiner Leistungsbeschränkung. Ein äußerer Einfluss kann auch hier nicht gesehen werden.
Zum Zeitpunkt des Gutachtens (Juni 1996) konnten leichte körperliche Tätigkeiten im Sitzen, Gehen und Stehen ohne zeitliche Begrenzung durchgeführt werden.
Auf Grund des damaligen Zustandes:
mittelschwere Arbeiten mit zeitlicher Beschränkung (halbzeitig) und Beschränkung hinsichtlich der Körperhaltung.
(Frei vorgeneigtes Arbeiten ohne Abstützung, häufiges Bücken, Heben aus Bodennähe und Arbeit unter Knieniveau, sowie Arbeit mit zurückgeneigtem Nacken oder solche, die häufige Kopfwendung in die Endlage der Halswirbelsäule erfordert sollte unterbleiben)."
Mit Erledigung vom 28. Mai 2001 teilte die belangte Behörde der Beschwerdeführerin mit, sie beabsichtige, über den Gesundheitszustand der Beschwerdeführerin zum Zeitpunkt ihrer Ruhestandsversetzung näher wiedergegebene Sachverhaltsfeststellungen zu treffen, und räumte ihr hiezu die Gelegenheit zur Stellungnahme ein. Die Beschwerdeführerin nahm mit ihrer Eingabe vom 5. Juni 2001 hiezu umfangreich Stellung und verwies u.a. darauf, dass sie im bisherigen Verfahren mit ihrer nicht selbst herbeigeführten Krankheit hauptsächlich die zur Zeit der Versetzung in den Ruhestand ausgeprägte Depression gemeint habe, die sie körperlich deaktiviert und geistig hilflos gemacht habe. Sie begehrte u.a., die nicht selbst herbeigeführte Krankheit "in Hauptform der Depression" als Grundlage für die Zurechnung von Jahren heranzuziehen.
Mit dem angefochtenen Ersatzbescheid wies die belangte Behörde das Ansuchen der Beschwerdeführerin um begünstigte Zurechnung eines Zeitraumes zur ruhegenussfähigen Gesamtdienstzeit auf der Rechtsgrundlage des § 77 Abs. 2 und 3 DPL ab. Nach kurzer einleitender Darstellung des Verfahrensganges traf die belangte Behörde folgende Sachverhaltsfeststellungen:
"Ihr Gesundheitszustand stellte sich zum Zeitpunkt Ihrer Ruhestandsversetzung am 30. Juni 1997 wie folgt dar:
Sie waren nicht mehr in der Lage, Ihren beruflichen Aufgaben als Krankenschwester nachzukommen. Sie waren jedoch gesundheitlich noch in der Lage, mittelschwere Arbeiten mit zeitlicher Beschränkung (halbzeitig) und Beschränkung hinsichtlich der Körperhaltung auszuüben. (Frei vorgeneigtes Arbeiten ohne Abstützung, häufiges Bücken, Heben aus Bodennähe und Arbeit unter Knieniveau, sowie Arbeit mit zurückgeneigtem Nacken oder solche, die häufige Kopfwendung in der Endlage der Halswirbelsäule erfordert, sollte unterbleiben).
Ihre gesundheitlichen Beeinträchtigungen bestanden weder - in Form einer Blindheit oder praktischen Blindheit, einer Geisteskrankheit oder in Summe einer anderen schweren Krankheit mit einem der Blindheit oder einer Geisteskrankheit gleichwertigen Leidensgehalt
noch
- in der Folge einer schweren körperlichen Beschädigung von außen."
Begründend führte die belangte Behörde weiter aus (Anonymisierung durch VwGH), ihre Feststellungen beruhten
"auf dem durchgeführten Ermittlungsverfahren, in dessen Rahmen in die im Zuge des Ruhestandsversetzungsverfahrens eingeholten Gutachten, nämlich
1. das amtsärztliche Gutachten von Dr. A. K., Amtsärztin der Bezirkshauptmannschaft Mödling, vom 23. April 1996,
2. das internistische Gutachten von Primarius Dr. R. S., Direktor der AÖ NÖ Landeskrankenanstalt Tulln, vom 3. Juni 1996,
3. das orthopädische Gutachten von Dr. H. H., Facharzt für Orthopädie, vom 24. Juni 1996,
4. das neurologisch-psychiatrische Gutachten von Dr. J. Z., Facharzt für Neurologie und Psychiatrie, vom 22. Juli 1996,
5. das amtsärztliche Gutachten von Dr. G. S., Amtsarzt der Bezirkshauptmannschaft Mödling, vom 13. Mai 1997,
Einsicht genommen und auf dieser Grundlage
6. das amtsärztliche Ergänzungsgutachten zu dem unter
5. genannten Gutachten von Dr. A. K., Amtsärztin der Bezirkshauptmannschaft Mödling, vom 30. Juli 1998 sowie
7. das orthopädische Gutachten von Dr. H. H., Facharzt für Orthopädie, vom 6. März 2001,"
eingeholt worden seien. Zu diesen Gutachten sei Folgendes zu bemerken:
Das unter 4. genannte neurologisch-psychiatrische Gutachten habe das Bestehen einer leichten Dysthymie mit verschiedenen körperlichen Begleitsymptomen ergeben. Durch fachärztliche Maßnahmen wäre aber eine deutliche Linderung dieser Beschwerden erzielbar. In der abschließenden Beurteilung komme der Sachverständige zum Ergebnis, dass schwere Arbeiten nicht mehr und nur mehr Tagdienste (keine wechselnden Dienstzeiten, die Nachtdienste beinhalteten) zumutbar wären. Anknüpfend an dieses Gutachten sei in dem unter 5. genannten amtsärztlichen Gutachten (mit Bezug auf einen eingeholten aktuellen psychiatrischen Befund des behandelnden Facharztes) festgestellt worden, dass die Beschwerdeführerin auf Grund der eingetretenen Verschlechterung vor allem des psychiatrischen Befundes nicht mehr in der Lage sei, ihren beruflichen Aufgaben als Krankenschwester nachzukommen. An dieses Gutachten knüpfe das durch den Antrag der Beschwerdeführerin vom 6. April 1998 veranlasste Ergänzungsgutachten vom 30. Juli 1998, das die Pensionsbehörde am 18. Juni 1998 in Auftrag gegeben habe. Diese habe in ihrem Ersuchen unter Hinweis auf das Vorgutachten vom 13. Mai 1997 u.a. um Mitteilung ersucht, welche Tätigkeiten (leicht - mittel - schwer, wie lange, mit oder ohne Ruhepausen) von der Beschwerdeführerin, allenfalls mit welchen Einschränkungen, zum Zeitpunkt der szt. Untersuchung noch hätten ausgeübt werden können. Weiters sei um Stellungnahme ersucht worden, ob zum genannten Zeitpunkt die Gesamtbeeinträchtigung durch die Summe der Leiden und der dadurch bedingten Einschränkungen einer schweren Krankheit entsprochen habe, die dem Leidensgehalt infolge (praktischer) Blindheit oder Geisteskrankheit vergleichbar erscheine. In Beantwortung dieser Fragen habe die Gutachterin in zusammenfassender Wiedergabe der im Verfahren über die Ruhestandsversetzung eingeholten ärztlichen Gutachten dargestellt, dass für die Beschwerdeführerin Arbeiten in ständig stehender oder gebückter Körperhaltung bzw. schwere Arbeit nicht mehr (bzw. Heben von mittelschweren Gewichten), jedoch leichte und mittelschwere Arbeiten schon zumutbar wären. Zum Zeitpunkt der seinerzeitigen Untersuchung wären leichte bis mittelschwere Tätigkeiten im Ausmaß von halber Dienstzeit mit Sitz- und Bewegungspausen ausführbar gewesen. Zur zweiten Frage habe die Gutachterin - unter Berücksichtigung des psychischen Krankheitsbildes - ausgeführt, dass "die Summe der Leiden allerdings nicht dem Leidensgehalt nach mit praktischer Blindheit oder Geisteskrankheit vergleichbar" gewesen wäre. Dieses Ergänzungsgutachten vom 30. Juli 1998 habe ausdrücklich auf den Vorgutachten aus dem Ruhestandsversetzungsverfahren aufgebaut und sei daher im Zusammenhang mit diesen Vorgutachten zu sehen. Das - zur Sanierung des vom Verwaltungsgerichtshof festgestellten Ermittlungsmangels - eingeholte orthopädische Gutachten von Dr. H. vom 6. März 2001 habe ergeben, dass die festgestellten Beeinträchtigungen durch - ohne äußere Einflüsse entstandene - Abnützungsveränderungen des Bewegungsapparates begründet worden seien. Dies sei der Beschwerdeführerin nebst den zusammengefassten (beabsichtigten) Sachverhaltsfeststellungen mit Erledigung vom 28. Mai 2001 im Rahmen des Parteiengehörs zur Kenntnis gebracht worden. Die Beschwerdeführerin habe in ihrer Stellungnahme vom 5. Juni 2001 - ohne Bezugnahme auf das Gutachten vom 6. März 2001 - neuerlich ihren beruflichen Werdegang skizziert und unter neuerlicher Betonung ihrer zum Zeitpunkt der Ruhestandsversetzung ausgeprägten Depression ihre Forderung nach einer begünstigten "Anrechnung von Jahren" bekräftigt. Dabei habe sie das Ausmaß der psychischen Beeinträchtigung als so schwer wiegend beschrieben, dass die Depression sie "körperlich und geistig hilflos" gemacht hätte. Mögliche Beweismittel zur Untermauerung dieses Vorbringens seien im Ermittlungsverfahren nicht hervorgekommen. Im Gegenteil:
Seitens der Amtsärztin der Bezirkshauptmannschaft Mödling sei diesbezüglich im Gutachten vom 30. Juni 1998 - wie bereits zitiert - bemerkt worden, dass auch auf Grund des psychischen Krankheitsbildes die Summe der Leiden nicht dem Leidensgehalt nach mit praktischer Blindheit oder Geisteskrankheit vergleichbar gewesen wären. Sowohl das Gutachten vom 30. Juli 1998 als auch jenes vom 6. März 2001 seien auf hohem fachlichen Niveau erstellt worden und stünden mit den Vorgutachten im Einklang. Da diesen schlüssigen Gutachten nicht auf gleicher fachlicher Ebene widersprochen worden sei, seien sie der Entscheidung zu Grunde gelegt worden. Die übrigen Feststellungen seien bis zuletzt unwidersprochen geblieben.
In rechtlicher Hinsicht folgerte die belangte Behörde, wie das durchgeführte Ermittlungsverfahren ergeben habe, seien bei der Beschwerdeführerin zum Zeitpunkt ihrer Versetzung in den Ruhestand Krankheiten vorgelegen, die zur Dienstunfähigkeit geführt hätten, die jedoch nicht so weit reichend gewesen seien, dass in Summe ein der Blindheit oder der praktischen Blindheit, der Geisteskrankheit oder einer anderen schweren Krankheit gleichwertiger Leidensgehalt vorgelegen habe. Dazu sei auf die ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu verweisen, der zufolge unter einer "anderen schweren Krankheit" nur eine solche zu verstehen sei, bei der ein der Blindheit oder praktischen Blindheit, Geisteskrankheit oder einer anderen schweren Krankheit gleichwertiger Leidensgehalt vorliege. Daraus folge, dass die Voraussetzungen des § 77 Abs. 2 DPL für die Zuerkennung einer begünstigten Anrechnung von zehn Jahren zur ruhegenussfähigen Gesamtdienstzeit nicht gegeben seien. Auf Grund des ergänzenden Gutachtens vom 6. März 2001 von Dr. H. habe zum Zeitpunkt der Ruhestandsversetzung auch keine schwere körperliche Beschädigung vorgelegen. Unter körperlicher Beschädigung sei - der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zufolge - die Folge einer von außen kommenden Gewalteinwirkung, eines "Traumas" zu verstehen. Laut Gutachten von Dr. H. seien die festgestellten Beeinträchtigungen durch Abnützungsveränderungen des Bewegungsapparates begründet, die nicht durch äußere Einflüsse entstanden seien. Daraus folge, dass auch die Voraussetzungen des § 77 Abs. 3 DPL nicht gegeben seien. Es sei daher auf Grund der zum Zeitpunkt der Ruhestandsversetzung geltenden Rechtslage spruchgemäß zu entscheiden gewesen.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, in der die Aufhebung des angefochtenen Bescheides wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes und wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften begehrt wird.
Die belangte Behörde hat die Akten des Verwaltungsverfahrens vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in der sie die Abweisung der Beschwerde als unbegründet beantragt.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Die Beschwerdeführerin erachtet sich durch den angefochtenen Bescheid in ihrem Recht auf Zurechnung von zehn Jahren zur ruhegenussfähigen Dienstzeit nach § 77 Abs. 2 DPL 1972, in eventu in ihrem Recht auf gesetzmäßige Entscheidung über ihren Antrag auf Zurechnung eines Zeitraumes von bis zu zehn Jahren nach § 77 Abs. 3 leg. cit. verletzt. Eine Verletzung von Verfahrensvorschriften erblickt sie zusammengefasst darin, in ihrer Sache stehe ihre psychische Gesundheitsstörung im Vordergrund. Sie habe geltend gemacht, zuletzt eine so schwer wiegende Depression gehabt zu haben, dass sie körperlich und geistig hilflos gewesen wäre. Zum Zeitpunkt ihrer Ruhestandsversetzung habe sich die psychische Störung gegenüber dem Zeitpunkt der Einholung des Gutachtens vom 22. Juli 1996, rund ein Jahr vor der Ruhestandsversetzung, dramatisch verschlechtert gehabt. Die belangte Behörde wäre von Amts wegen zur Ergänzung der Beweisaufnahme verpflichtet gewesen. Eine inhaltliche Rechtswidrigkeit erblickt die Beschwerdeführerin darin, dass die belangte Behörde in der Heranziehung von Gutachten vom 13. Mai 1997, 30. Juli 1998 und 6. März 2001 verkannt habe, dass der Gesundheitszustand im Zeitpunkt der Versetzung in den Ruhestand maßgeblich wäre.
Damit zeigt die Beschwerdeführerin eine Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides auf.
Zur Darlegung der im Beschwerdefall maßgeblichen Rechtslage sei zunächst wiederum auf das in dieser Sache ergangene hg. Erkenntnis vom 29. August 2000, Zl. 98/12/0506, verwiesen. Durch die 2. DPL-Novelle 2001, LGBl. 2200-51, wurde § 77 Abs. 2 DPL neu gefasst und entfiel Abs. 3 leg. cit. Nach der Übergangsbestimmung des Art. XXIII Abs. 6 der Anlage B dieses Gesetzes sind auf Personen, die vor dem In-Kraft-Treten der Bestimmungen der 2. DPL-Novelle 2001 Anspruch auf eine monatlich wiederkehrende Leistung nach dem 3., 4. und 5. Abschnitt des III. Teiles haben, die bis dahin geltenden Regelungen dieser Abschnitte weiterhin anzuwenden.
Da die Beschwerdeführerin unstrittig mit ihrer Versetzung in den Ruhestand mit Ablauf des 30. Juni 1997 Anspruch auf Ruhegenuss, sohin auf eine monatlich wiederkehrende Leistung nach dem 3. Abschnitt des III. Teiles der DPL erworben hatte, finden auf sie § 77 Abs. 2 und 3 DPL in der im zitierten Erkenntnis vom 29. August 2000 wiedergegebenen Fassung Anwendung.
Die belangte Behörde vertrat den Standpunkt, dass die Beschwerdeführerin im Zeitpunkt ihrer Ruhestandsversetzung wohl Krankheiten gehabt habe, die zu ihrer Dienstunfähigkeit geführt hätten, die jedoch nicht so weit reichend gewesen seien, dass in Summe ein der Blindheit oder der praktischen Blindheit, der Geisteskrankheit oder einer anderen schweren Krankheit gleichwertiger Leidensgehalt vorgelegen sei. Die Annahme, dass die gesundheitlichen Beeinträchtigungen der Beschwerdeführerin keiner schweren Krankheit gleichkamen, deren Leidensgehalt in Summe der Blindheit oder einer Geisteskrankheit gleichzuhalten wäre, gründete die belangte Behörde wiederum auf das "Ergänzungsgutachten vom 30. Juli 1998, das ausführte, die Summe der Leiden der Beschwerdeführerin seien nicht dem Leidensgehalt nach mit praktischer Blindheit oder Geisteskrankheit vergleichbar gewesen". Die Beantwortung der Frage, ob die Beschwerdeführerin zu einem zumutbaren Erwerb unfähig geworden sei, ließ die belangte Behörde dahingestellt. Die Voraussetzungen des § 77 Abs. 3 DPL sah die belangte Behörde nicht als gegeben.
Die Beschwerdeführerin tritt der Beurteilung der belangten Behörde, wonach die Beschwerdeführerin zum Zeitpunkt ihrer Versetzung in den Ruhestand keine schwere körperliche "Beschädigung" im Sinn des § 77 Abs. 3 DPL aufgewiesen habe, nicht entgegen; sie vertritt vielmehr den Standpunkt, dass ihre schwere Depression im Zeitpunkt ihrer Versetzung in den Ruhestand eine andere schwere Krankheit im Sinn des § 77 Abs. 2 lit. c DPL gewesen sei.
Wie in dem zitierten hg. Erkenntnis vom 29. August 2000 bereits ausgeführt wurde, ist die Regelung des § 77 Abs. 2 (und Abs. 3) DPL mit der "Begünstigung bei Erwerbsunfähigkeit" nach § 9 Abs. 1 (und Abs. 2) des Pensionsgesetzes 1965 in der Fassung vor der 8. Pensionsgesetz-Novelle ident.
Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist eine Krankheit dann als "schwer" im Sinne der genannten Gesetzesbestimmungen zu werten, wenn ihr Leidensgehalt für den Erkrankten ein der Blindheit oder Geisteskrankheit annähernd gleichwertiger ist. Ob das der Fall ist, muss als Rechtsfrage von der Behörde beurteilt werden. Grundlage dieser Beurteilung hat aber ein schlüssiges ärztliches Gutachten zu sein, das Art und Erscheinungsformen der Krankheit in einer für den medizinischen Laien erfassbaren Weise darstellt und insbesondere genau angibt, in welchem zeitlichen und sachlichen Umfang die Krankheit Beeinträchtigungen in jenen Lebensbetätigungen mit sich bringt, die zum Daseinsinhalt eines Gesunden gleichen Alters und Geschlechts gehören. Es muss also das ärztliche Gutachten, bevor daraus überhaupt rechtliche Schlüsse gezogen werden können, nicht nur das zeitliche und graduelle Ausmaß der durch die Krankheit verursachten Schmerzen darstellen, sondern auch anführen, in welchen der bezeichneten Lebensbetätigungen, von denen Erwerbstätigkeit nur eine ist, die Krankheit den Kranken einschränkt und in welchem Ausmaß dies zutrifft. Solche Einschränkungen wären z.B. der Zwang zur ständigen Einnahme strenger Diätkost, die Notwendigkeit, sich ständig bestimmter Genussmittel zu enthalten, krankheitsbedingte Schlafstörungen, Einschränkungen der Mobilität des Kranken u.dgl. Dagegen gibt das Gesetz keinen Anhaltspunkt, die Frage des Bestehens einer "anderen schweren Krankheit" davon abhängig zu machen, ob sich in absehbarer Zeit eine wesentliche Verschlechterung ergeben wird, ob ein sicherer oder doch wahrscheinlicher früher Tod zu gewärtigen ist oder ob die Hilflosigkeit (bei der es sich an sich um einen Rechtsbegriff handelt) besteht oder bald eintreten wird (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 12. Feber 1970, Slg. 7728/A, betreffend den Begriff der "anderen schweren Krankheit" im Sinn des § 9 Abs. 1 lit. c der (Wiener) Pensionsordnung 1966, der wiederum im Wesentlichen § 9 Abs. 1 des Pensionsgesetzes 1965 idF vor der 8. Pensionsgesetz-Novelle gleicht; zur Vergleichbarkeit siehe das hg. Erkenntnis vom 31. Mai 1996, Zl. 96/12/0091).
Die Beschwerdeführerin bringt zutreffend vor, dass sie im Verwaltungsverfahren (auch) auf ihre im April 1997 akut gewordene Depression hinwies. Das damit in nahem zeitlichen Zusammenhang zur Frage der Dienstfähigkeit der Beschwerdeführerin erstellte amtsärztliche Gutachten vom 13. Mai 1997 führte zusammenfassend aus, auf Grund des chronischen Leidenszustandes und unter Berücksichtigung insbesondere des letzten neurologischpsychiatrischen Befundes vom 6. Mai 1997 sei die Beschwerdeführerin nicht mehr in der Lage, ihren beruflichen Aufgaben als Krankenschwester nachzukommen, und verwies auf einen -
den vorgelegten Verwaltungsakten nicht angeschlossenen - neurologisch-psychiatrischen Vergleichsbefund vom Juli 1996 und auf die seither nachweisbare Verschlechterung vor allem des psychiatrischen Befundes. Wohl ist dem von der belangten Behörde herangezogenen amtsärztlichen Gutachten vom 30. Juli 1998 zu entnehmen, dass darin u.a. auch das zitierte amtsärztliche Gutachten vom 13. Mai 1997 Eingang fand. Allerdings entzieht sich die im Gutachten vom 30. Juli 1998 gezogene Schlussfolgerung, wonach "zum genannten Zeitpunkt" auch auf Grund des psychischen Krankheitsbildes ein "höherer Prozentsatz" an Minderung der Erwerbsfähigkeit bestanden habe, als vom Bundessozialamt angenommen, "die Summe der Leiden allerdings nicht mit dem Leidensgehalt praktischer Blindheit oder Geisteskrankheit vergleichbar" gewesen sei, jeglicher Nachvollziehbarkeit im Sinne des zitierten hg. Erkenntnisses vom 12. Feber 1970, auf welchen konkreten Tatsachengrundlagen und bezogen auf welchen Zeitpunkt der Amtssachverständige zu seiner Schlussfolgerung gelangte; das orthopädische Gutachten vom 6. März 2001 wiederum ließ die Frage psychischer Leiden der Beschwerdeführerin naturgemäß außer Betracht. Angesichts der offenkundigen Unschlüssigkeit des von der belangten Behörde zur Frage der psychischen Krankheit der Beschwerdeführerin (im Zeitpunkt ihrer Ruhestandsversetzung) eingeholten Gutachtens war die Beschwerdeführerin auch nicht gehalten, diesem Gutachten "auf gleicher fachlicher Ebene" - etwa durch ein Privatgutachten - entgegen zu treten (vgl. etwa die in Walter/Thienel, Verwaltungsverfahrensgesetze2, (1998) unter E 252 f zu § 52 AVG wiedergegebene Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes).
Da die belangte Behörde die ihr mit hg. Erkenntnis vom 29. August 2000 aufgetragene Verfahrensergänzung unterließ, belastete sie den angefochtenen Bescheid mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit, weshalb dieser gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben war. Für das weitere Verfahren sei die belangte Behörde darauf hingewiesen, dass sie im Hinblick auf die Behauptungen der Beschwerdeführerin einer im Zeitpunkt der Versetzung in den Ruhestand vorgelegenen psychischen Erkrankung und auf die im zitierten hg. Erkenntnis vom 12. Feber 1970 aufgezeigten Kriterien - insbesondere die genaue Angabe, in welchem zeitlichen und sachlichen Umfang die behauptete Krankheit Beeinträchtigungen in jenen Lebensbetätigungen mit sich bringt, die zum Daseinsinhalt eines Gesunden gleichen Alters und Geschlechts gehören - auf die nachvollziehbare Beantwortung dieser Fragen durch Beiziehung eines ärztlichen Sachverständigen aus dem Fachgebiet der Neurologie und Psychiatrie hinzuwirken hat.
Sollte die belangte Behörde auf Grund einer schlüssigen Beweisergänzung zur (rechtlichen) Schlussfolgerung kommen, die Beschwerdeführerin habe im Zeitpunkt ihrer Versetzung in den Ruhestand eine "andere schwere Krankheit" im Sinn des § 77 Abs. 2 lit. c DPL aufgewiesen, so wird sie sodann auf die im angefochtenen Bescheid noch nicht erörterte Frage einzugehen haben, ob die Beschwerdeführerin krankheitsbedingt zu einem zumutbaren Erwerb unfähig geworden sei. Zur allfälligen weiteren Ergänzung des Beweisverfahrens zur Klärung dieser Frage durch Beiziehung eines (arbeits-)medizinischen sowie eines berufskundlichen Sachverständigen sei etwa auf das hg. Erkenntnis vom 13. Juni 2003, Zl. 2001/12/0196 (betreffend die Frage der Unfähigkeit zu einem zumutbaren Erwerb nach § 9 Abs. 1 des Pensionsgesetzes 1965 in der Fassung bis zum 1. Oktober 2000) verwiesen.
Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003, BGBl. II Nr. 333. Die im Betrag von S 2.500,-- entrichtete Gebühr nach § 24 Abs. 3 VwGG war im Betrag von EUR 181,68 zuzusprechen.
Wien, am 19. September 2003
Schlagworte
Definition von Begriffen mit allgemeiner Bedeutung VwRallg7 Sachverständiger Erfordernis der Beiziehung ArztEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2003:2001120188.X00Im RIS seit
15.10.2003